Das 11. Zeitzeichen des Kultur Kreises Kamen

2016-04-28 19.04

Abb. 1: Martin Litzinger beim Vortrag:

„Man hörte die Schmerzensschreie der Misshandelten“ 

Das Konzentrationslager Schönhausen in Bergkamen im Jahre 1933

Da hat der KKK wohl einen Nerv getroffen: der Vortragssaal war schon 10 Minuten vor Beginn des Abends voll besetzt! Der Museumsleiter, Robert Badermann, mußte noch gut ein Dutzend Stühle nachträglich herbeischaffen. Und es hat sich gelohnt zu kommen. Martin Litzinger kennt sich in seinem Thema aus wie wohl kein zweiter, hat er sich doch bereits seit 2001mit diesem Thema beschäftigt. Und doch, gibt er zu, sind immer noch weite Bereiche terra incognita.

Das heutige Gemeindezentrum der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde Kamen-Bergkamen trägt seit dem 25. Oktober 1983 eine Gedenktafel, die daran erinnert, daß dieses Gebäude 1933 als provisorisches „Konzentrations– und Schutzhaftlager“ benutzt wurde, als frühes KZ der Nationalsozialisten. Wie war es dazu gekommen? Welche Geschichte steht dahinter?
Postkarte Wohlfahrtsgebäude Schönhausen

Abb. 2: Das Wohlfahrtsgebäude Schönhausen

der Zeche Grimberg I/II

Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg den Führer der NSDAP, Adolf Hitler, zum Reichskanzler. Dieser begann sogleich, zusammen mit seinem Minister Hermann Göring, gegen seine politischen Gegner vorzugehen, vor allem die SPD und die KPD. Am 27. Februar 1933 brannte das Reichstagsgebäude in Berlin ab. Hitler bezichtigte die Kommunisten der Tat und beschuldigte sie, einen Volksaufstand und Staatsstreich zu planen und setzte umgehend die Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft. Dadurch konnte jeder aus Gründen der staatlichen Sicherheit ohne richterliche Anordnung auf unbestimmte Zeit in „Schutzhaft“ genommen werden. Wobei „Schutzhaft“ lediglich ein zynischer Euphemismus für Verfolgung und Vernichtung ist. Das führte dazu, daß innerhalb kurzer Zeit alle Gefängnisse überfüllt waren, so daß weitere, provisorische „Konzentrationslager“ entstanden. In unserer Region war vor allem der nördliche Kreis Unna betroffen, weil hier weite Teile der Bevölkerung, Bergleute und ihre Familien, der NSDAP ablehnend gegenüberstanden, traditionell SPD wählten, viele von ihnen auch KPD.

Der Bürgermeister des damaligen Amtes Pelkum, Hans Friedrichs, schrieb daher am 22. März 1933 an den Landrat in Unna, es sei „zwingend notwendig, die schnellste Schaffung von Konzentrationslagern durchzuführen“. Jener Landrat war der überzeugte Nationalsozialist Wilhelm Tengelmann, hauptberuflich Betriebsinspektor der Gelsenkirchener Bergwerks AG, gerade an diesem Tag von seinem Freund Hermann Göring kommissarisch mit diesem Amt betraut, erst am 29. März 1933 offiziell eingeführt. Tengelmann bat den Bergwerksdirektor Ernst Fromme, den der Zeche Monopol gehörenden Gebäudekomplex des Wohlfahrtsgebäudes Schönhausen der Zeche Grimberg I/II zur Verfügung zu stellen, was auch bewilligt wurde.

Dieses Wohlfahrtsgebäude war ein Gemeinschaftshaus für die hier wohnenden Bergmannsfamilien, eine für ihre Zeit sehr fortschrittliche Einrichtung, deren Sinn und Zweck somit pervertiert wurde. In diesem Gebäude gab es

eine kleine Mietwohnung

einen Kindergarten

einen Gesundheits– und Baderaum

Räume, in denen Näh–, Haushalts– und Kochunterricht gegeben wurde

einen Saal mit Theaterbühne, als Versammlungs– und Veranstaltungsraum sowie als Turnhalle genutzt

dahinter einen Sport– und Spielplatz

Da es sich um einen geschlossene Anlage handelte, ließ sich die Bewachung durch SS, SA und Stahlhelm, von Göring zur Hilfspolizei ernannt, leicht organisieren. Lagerkommandant wurde der Kamener SA-Führer Wilhelm Boddeutsch, sein Stellvertreter der Bergkamener SA-Mann Ewald Büsing. Die Wachmannschaft betrug 44 Mann.

Tengelmann ordnete am 11. April 1933 die Verhaftung aller „Führer und Ersatzführer der KPD und sämtlicher Nebenorganisationen“ ab 4.30 Uhr an. Die ersten Häftlinge wurden noch in derselben Nacht, am 12. April, eingeliefert, die ersten von fast 1000 bis zur Auflösung des Lagers ein halbes Jahr später, Ende Oktober 1933. Am Anfang waren es überwiegend KPD-Mitglieder (ca. 580), ab Juni SPD-Mitglieder (ca. 200), aber auch Reichsbannerleute (ca. 60), Mitglieder der Eisernen Front, der Gewerkschaften, aber auch politisch neutrale Personen (ca. 70) und 14 Juden. Zur Verhaftung reichte bei den meisten die Mitgliedschaft in ihrer Partei, doch ein freimütiges Wort, Verleumdung und Denunziation reichten für die Inhaftierung. So waren auch 6 Nationalsozialisten (!) inhaftiert.

Die Gefangenen stammten aus

Herringen 216

Rünthe 117

Bergkamen  69

Heeren-Werve  44

Kamen  39

Ihre Berufe waren

Bergleute 549

Handwerker 132

Arbeiter  93

Invaliden  65

Hausfrauen (!)  32 (von den Männern getrennt gefangengehalten, bald in andere Haftanstalten überführt)

Kaufleute/Händler  22

Lehrer/Rektoren  4/2

Journalisten   3

Rechtsanwälte   2

Schulrat   1

Fabrikant   1

Die Männer wurden im Saal des Gebäudes gefangen gehalten, besonders „gefährliche“ Häftlinge in einem gesonderten Raum. Es gab kein Mobiliar, sie mußten auf Turnmatten schlafen. Es gab nur wenige Toiletten und Wachgelegenheiten. Sie erhielten nur sehr wenig trockenes Brot und dünnen Kaffe oder Brühe als Nahrung, ihre Angehörigen mußten sie versorgen. Sie wurden zum Exerzieren und zu militärischen Übungen gezwungen, immer wieder mit dem Gummiknüppel geschlagen. Ansonsten mußten sie ihre Zeit wartend im Saal verbringen. Die Frauen mußten Kleider nähen, flicken, die Räume putzen.

Am schlimmsten waren die täglichen Mißhandlungen und Folterungen, durch die man „Geständnisse“ erpressen wollte. Gängige Methoden waren: das Kopfhaar ausreißen, Zähne ausschlagen, mit glühenden Zigaretten Verbrennungen zufügen, Schlafentzug durch, manchmal tagelanges“, Dauersitzen. Ein Dr. Busch aus Unna wurde mit einer Eisenstange blutig geschlagen (seine Haftbeschwerde blieb natürlich erfolglos), halb bewußtlos Geschlagene mußten auf einen Tisch steigen und „Heil Hitler“ rufen. Und oft traten SS-Leute unter dem Befehl von Otto Stegmann aus der Russelstraße in Bergkamen im Marschtritt auf die Fliesen im Vorraum und sangen Lieder, damit man die Schmerzensschreie der Mißhandelten nicht hörte. Manchmal wurden Mißhandlungen zur Abschreckung vor anderen Gefangenen durchgeführt, was mitunter Selbsttötungsversuche zur Folge hatte, die jedoch durch das Wachpersonal verhindert wurden. Perfide war es auch, die Ehefrau eines Flüchtigen als Geisel in Haft zu nehmen, was Auguste Glowiak aus Rünthe widerfuhr. Und ein Lehrer (!) kam aus der nahegelegenen Schillerschule regelmäßig in das Lager, um seiner Prügelleidenschaft zu frönen.

Natürlich blieben den Nachbarn des Lagers und Angehörigen der Häftlinge die Mißhandlungen nicht verborgen, doch tat der Lagerleiter, Wilhelm Boddeutsch, alles als „leeres Gerede“ ab, und ihm wurde gern geglaubt. Die NSDAP-Pressestelle Kamen gab mehrfach Presseerklärungen heraus, die die geordneten Verhältnisse im Lager darstellten, unterschwellig Mahnung und Drohung an die Leser, von einer willfährigen Presse bereitwillig veröffentlicht.

Schönhausen war als Lager eigentlich ungeeignet, zudem kamen ständig neue Häftlinge, daher wurden viele von ihnen in verschiedene andere Lager gebracht: Wittlich, Brauweiler, Moorlager Papenburg, Börgermoor u.a.

Nachdem am Anfang gezielt Kommunisten inhaftiert worden waren, begann am 25. Juni 1933 um 2.30 Uhr früh die Verhaftung der führenden SPD-Persönlichkeiten auf Anordnung Tengelmanns. Dazu gehörten:

Hans Heuser, nach dem Kriege Bürgermeister in Bergkamen und im Amt Pelkum

Paul Prinzler, nach dem Kriege Bürgermeister in Rünthe

Franz Trampe, Führer des Reichsbanners Bergkamen

seine Frau Luise Trampe, die, seelisch zermürbt, 1937 den Freitod starb

Und aus Kamen:

Leo Dyduch, Oswald Lepke, Valentin Schürhoff, Wilhelm Siekmann, alles Persönlichkeiten, die nach dem Krieg in der Kommunalpolitik eine wesentliche Rolle spielten.

Und der Bergkamener Karl Schnabel hat durch seine ausführlichen „Erinnerungen“ viel dazu beigetragen, daß wir heute so genau wissen, was sich in Schönhausen alles zugetragen hat.

Die Verhältnisse waren so schlimm geworden, daß selbst Tengelmann im Mai 1933 feststellte, daß der staatlichen Willkür, an der er teilhatte, oft auch private Willkür folgte. Er kündigte am 8. Mai 1933 an, „Eingriffe von Privatpersonen in die Rechte der Polizei künftig nicht mehr stillschweigend [hinzunehmen]“. Und die Verhaftung von Personen ohne Grund zur Inhaftierung schade der Sache der „nationalen Erhebung“.

Stellte eine Haftprüfungskommission fest, daß ein Gefangener unter dem Eindruck der Haft eine Besserung seiner Gesinnung zeigte, konnte er nach relativ kurzer Zeit entlassen werden. Über die Haftbedingungen hatte er allerstrengstes Stillschweigen zu bewahren, sonst wurde er gleich wieder festgenommen. Denunzianten gab es genug. Und bei seiner Entlassung mußte er unterschreiben, daß er keine Ansprüche aus der Haft ableite. Dazu gab es eine Ausgangssperre ab 19.00 Uhr, es sei denn, man wollte eine NSDAP-Veranstaltung besuchen, aber auch das war nur in Begleitung eines linientreuen „Paten“ gestattet.

Ab Juli 1933 gingen die Zahlen der Inhaftierten rapide zurück:

April 427

Mai163

Juni 225

Juli  72

August  66

September  35

Oktober    4

Offenbar war es den Nationalsozialisten gelungen, alle politischen Gegner im Kreis Unna auszuschalten.

Der neue Landrat, Dr. Heinrich Klosterkemper, veranlaßte am 20. Oktober 1933 die Schließung von Schönhausen. Zu der Zeit befanden sich noch 20 Gefangene dort, die entlassen oder nach Papenburg oder Oranienburg verlegt wurden. Am 28. Oktober wurde die Schließung in der Presse bekanntgegeben, doch mit der deutlichen Warnung: „ Personen, die sich auch jetzt noch nicht an die neue Ordnung gewöhnen können und sich irgendwie staatsfeindlich betätigen, werden künftig in die staatlichen Konzentrationslager im Börgermoor gebracht werden. Für eine Sammelstelle im Kreise ist gesorgt.“

Schönhausen wurde anschließend gründlich renoviert und im Frühjahr 1934 wieder als Wohlfahrtsgebäude genutzt.

Im Anschluß meldeten sich noch einige Besucher zu Wort, weniger mit Fragen, als mit zusätzlichen Betrachtungen und Erinnerungen.

Nachbemerkung: Nach der Schließung des Lagers wurde es jahrzehntelang mehr oder weniger totgeschwiegen, niemand konnte oder wollte darüber reden, sich mit diesem Teil der Vergangenheit auseinandersetzen. Ein Bürgerantrag, in Schönhausen eine Gedenkstätte einzurichten, wurde abgelehnt. Keiner der Täter wurde jemals zur Rechenschaft gezogen.

Zusammengefaßt von Klaus Holzer

Abb. 1: Photo Klaus Holzer

Abb. 2: Stadtarchiv Bergkamen