Archiv der Kategorie: Kamener Straßennamen

Flurnamen: Malter – Scheffel


von Klaus Holzer

Abb. 1: Straßenschild

„Malter“ und „Scheffel“ sind sicherlich zwei Wörter, die einmal zum täglichen Sprachgebrauch der Ackerbürger und natürlich auch der Bauern in unserer kleinen Ackerbürgerstadt gehörten. Und bestimmt gebrauchten unsere Vorfahren sie noch lange, nachdem 1799 das Dezimalsystem in Paris deklariert wurde, zunächst der Meter, dann alle anderen Maße, Fläche und Hohlmaße, die dann offiziell seit den 1890er Jahren auch in Deutschland galten. (Und wie lange wird es wohl noch dauern, bis auch das letzte alltäglich gebrauchte nicht-metrische Maß aus unserem Sprachgebrauch verschwunden sein wird: viertel, halbes, dreiviertel Pfund? Und im landwirtschaftlichen Bereich mag es auch noch eine Zeitlang den „Morgen“ geben.) Flurnamen: Malter – Scheffel weiterlesen

Flurnamen: Koppel

von Klaus Holzer

Abb. 1: Straßenschild

Eine Koppel ist ein eingezäuntes Stück Land oder Weide, der Name kann auch ein gemeinsames Weiderecht bezeichnen.

koppel Verbindung(sstück), ← lat. copula (frz./engl. couple): Ländereien bzw. Markengebiete (Grenz~)  berühren sich punktuell; eingezäuntes Weideland, urspr. ein „Joch Landes“ = soviel Land, wie ein Paar Ochsen an einem Tag pflügen kann (Ochsen wurden als Zugtiere durch ein Joch = Teil des Geschirrs verbunden)

Abb. 2: Koppelwiesen

Eine Koppel ist ein Verbindungsstück bzw. ein Band. Und genau so zog sich das große Areal, das in der Kamener Urkatasterkarte von 1827 so hieß, wie ein Band südwestlich bis westlich um die Stadt.  Flurnamen: Koppel weiterlesen

Flurname: Hemsack

von Klaus Holzer

Abb. 1: Straßenschild

Ein Hamm ist der Winkel zwischen zwei Flüssen oder eine Flußkrümmung. Eine solche Lage bot für Neusiedlungen des gerade seßhaft gewordenen Menschen in der Jungsteinzeit einen entscheidenden Vorteil, weil sie auf zwei Seiten einen natürlichen Schutz bot, in Kamen zwischen Seseke und Körne. 

Weitere Bedeutungen waren: ham, hammes, hämme – Zaun, Pferch, Hürde, Einfriedung, eingehegtes Landstück, oft in Wassernähe, deshalb auch Deutung als „Landstück in einer spitzig abknickenden, ein Dreieck bildenden Flußschlinge; oft in Siedlungsnamen“. So schrieb Levold von Northoff vom Gut Nordhoff, später Haus Bögge zugehörig, ein bedeutender Kleriker und Chronist,  vor 1358: „eine Stadt, die man den Hamm nennt“: heute Hamm. Hier ist die ursprüngliche Bedeutung erkennbar, ebenso noch in Hamburg, im Englischen in Namen wie Southampton.  Flurname: Hemsack weiterlesen

Flurnamen: Geist/Geest

von Klaus Holzer


Abb. 1: Straßenschild Am Geist
Eigentlich bedeutet „Geist/Geest“ das „hohe, trockene, meist sandige und daher wenig fruchtbare Land“ (die Lüneburger Heide ist wohl die bekannteste Geestlandschaft Deutschlands), im Gegensatz zur Marsch, die in Kamen umgangssprachlich immer „Mersch“ hieß, Im Mersch, also männlichen Geschlechts war. Diese Flurbezeichnung war ursprünglich vor allem im Küstenbereich der Nordsee geläufig. Bei uns in Westfalen bezieht sich diese Flurbezeichnung ebenfalls auf höher gelegenes, wenig fruchtbares Land, was auf Kamen bezogen durchaus plausibel erscheint, war unsere Stadt doch von weitem Heideland umgeben: im Norden ein 55 qkm großes Heidegebiet (heute noch gibt es die Kamer Heide in Overberge), im Süden die Uelzener Heide u.a. In Overberge gab es beim Orts-Grenzdurchgang am Geistbaum die Flur Geisthoff; auf Kamener Gebiet nannte man einen Teil dieses Brinks (oft der Abhang eines Grashügels, hügeliges Stück Grasland, Randbereich einer Siedlung) Auf den Geistgärten. Auch Geestäcker werden erwähnt. Flurnamen: Geist/Geest weiterlesen

Flurnamen: In der Bredde

von Klaus Holzer

Abb. 1: Straßenschild

Das Wort „Bredde“ (auch „brede“ und viele andere mundartliche Bezeichnungen) bedeutet zunächst einfach „Breite, Weite, weite Fläche/Ebene“, hat dann aber fast überall in Deutschland die Bedeutung „breites Ackerstück“ angenommen. Es handelt sich¹ um eine Ackerbezeichnung, die in Langstreifenfluren besonders auffällig war. Häufig war sie Land des Schultenhofes oder des örtlichen Adelssitzes. 

Aber warum war das überhaupt so bemerkenswert, daß daraus ein unterscheidendes Merkmal wurde, gar ein Flurname?

Bis zur Einführung des eisernen Pfluges gab es nur ganz einfache Pflüge, z.B. Holz– oder Geweihstangen, die den Boden bloß aufrissen, daher mußte man den Acker kreuzweise pflügen. 

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Flurnamen: Bleiche

von Klaus Holzer

Abb. 1: Straßenschild

In östlicher Richtung von der Ostenallee abzweigend, gibt es seit 1975 die Straße „Bleiche“. Dieser Name hat es von einer Funktionsbezeichnung zum Flurnamen geschafft.

Eine „Bleiche“ genannte Fläche diente ursprünglich dem Bleichen frisch gewaschenen Leinens  wie auch des neu gesponnenen Leinentuches. Es handelte sich dabei um ein in der Nähe der Wohnbebauung liegendes Stück Grünland, das in der Regel an einem Fließgewässer lag, damit das Leinen immer feucht gehalten werden konnte. Je länger es der prallen Sonne ausgesetzt war, umso weißer, und damit umso wertvoller, wurde es. Das abgestandene und daher oft schmutzige Wasser von Teichen, Tümpeln und Stadtgräben war zu diesem Zweck ungeeignet. Nur selten legte man ein solches künstliches Gewässer an, das dann besonders tief ausgehoben und sorgsam gepflegt wurde. Flurnamen: Bleiche weiterlesen

Flurnamen als Straßennamen

von Klaus Holzer

Überall wo Menschen sich bewegen, wo sie siedeln, brauchen sie Orientierung, d.h., sie benennen ihre Umgebung z.B. nach natürlichen und topographischen Gegebenheiten: Hain oder Wald, Bach oder Fluß, Berg oder Tal, Teich oder Weg usw., die zur Unterscheidung, als Orientierungsmerkmale ländlichen Wohnens und Arbeitens dienen. Als der Mensch in der Jungsteinzeit vom Jäger und Sammler zum Siedler, also seßhaft, wurde und anfing, Land zu bearbeiten, konzentrierte sich jeder immer wieder auf dasselbe Stückchen Land, das er bearbeitete und alsbald als „sein“ Land betrachtete. Und er nannte es in Abgrenzung zum Land seiner Nachbarn nach einer Besonderheit, d.h., er gab ihm einen „Namen“, der es vom angrenzenden Land unterscheidbar machte: Landschaftsform, Eigenarten der näheren Umgebung, Lage- und Nutzungsbezeichnungen, Bezug auf sich als Eigentümer oder auf das umgebende Milieu wurden zu geläufigen Mitteln bei der Benennung. Größere Bereiche erhielten ihre Namen oft nach den Himmelsrichtungen: Osten–, Süden–, Westen– und Nordenfeldmark. Und natürlich wurden nicht nur Acker- und sonstige Nutzflächen mit Namen versehen, sondern auch „Weidestücke und Waldstreifen, [ … ] Wege und Wegeränder, [ … ] kultivierte Moorflächen und Heiden, [ … ] Berghänge und Felsformationen, [ … ] Teiche, Bäche und deren Uferflächen“.1

Abb. 1: Kamen in seinen drei Entwicklungsphasen, mit Flurnamen (nach Stoob, Westfälischer Städteatlas, Kamen, 1975) Flurnamen als Straßennamen weiterlesen

Oststraße, oder wie man damals reiste

von Klaus Holzer

Oststraße, oder wie man damals reiste

Die Oststraße gehört zu den großen Magistralen Kamens, zusammen mit der Nord– und der Weststraße und der südlichen Achse über „Am Geist“ (vorher Königstraße), den Markt und die heutige Bahnhofstraße. Dieses große erste „Kamener Kreuz“ führte durch die wichtigsten Kamener Stadttore hinaus in alle Himmelsrichtungen: nach Norden ging es in das Münsterland, nach Westen die Lippe abwärts auf den Rhein zu, nach Süden zu lag Kurköln und nach Osten, durch das Ostentor, führte der Weg zur Hauptstadt der Grafschaft Mark, Hamm, und, fast noch wichtiger, zumal für die Kamener Kaufleute, nach Nordosten. Dort lag Lübeck, die zentrale Hansestadt, in der diese Kamener eine gewichtige Rolle spielten, wie im gesamten Handel der Hanse. (vgl. Art. Die Hanse) Diese Straßen waren zur Groborientierung wichtig für alle Reisenden. Auf diesen Strecken fanden sich auch immer Landmarken, z.B. in Form von Kirchtürmen oder besonderen Bäumen, die halfen, die Route zu bestimmen. So gelangte man in Städte, die Schutz und Unterkunft für die Nacht boten.

Abb. 1: Blick in die Oststraße vom Kreisel Hammer Straße; die Pferdewechselstation befand sich kurz hinter dem haltenden Pferdewagen auf der rechten Seite

Abb. 2.: Die gleiche Perspektive heute

An solchen Straßen gab es daher immer auch Möglichkeiten zur Übernachtung und Pferdewechselstationen, in Kamen belegt seit 1343. Kamen wurde schon im 18. Jh. von einem mehr oder weniger regelmäßigen Postkutschendienst angefahren, daher entstand in der Oststraße eine Pferdewechselstation (in Abb. 1  gleich hinter der Kurve, auf der rechten Seite). Diese Station lag im schon länger bestehenden Gasthaus „Zur Post“, das von der der Familie Koepe betrieben wurde. Erst nachdem Kamen durch die Eisenbahn an das moderne Verkehrswegenetz angeschlossen war, wurde diese Pferdewechselstation überflüssig und der nächste Koepe, Alexander, siedelte dann endgültig zum Markt über. (Interessant: Der Nachfolger im „Weißen Röss’l” der Koepes war Willy Neff, der als Nachtclubkönig von Kamen ebenfalls ein sehr erfolgreicher Wirt war.)

Abb. 3: Blick in die Oststraße (links) vom „Kamener Kreuz“ her, etwa 1890er Jahre; rechts am Rand das Café Humberg

Abb. 4: Blick in die Oststraße vom „Kamener Kreuz“ her, etwa kurz nach 1900; das Haus rechts steht an der Stelle der abgerissenen Scheune (vgl. Abb. 3) 

Übernachtungsmöglichkeiten gab es in vielen Städten, so auch in Kamen, in Hospitälern (aus lat. hospēs = Gastfreund, Wirt), die zuerst jedoch Armen- und Krankenhäuser waren. Das Heilig-Geist-Hospital stand auf der Kreuzung Osten-, Norden- Weststraße und Am Geist, das erste und jahrhundertelang einzige Armen– und Siechenhaus der Stadt. Arm und krank, das gehörte offenbar nicht nur im Mittelalter zusammen. Nach 1648, nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs, wurde es nicht mehr genutzt und verfiel vollständig. Erst 1717 wurden die Trümmerreste entfernt. Schon 1662 jedoch war das neue Hospital daneben erbaut und 1865 gründlich renoviert worden. Das stand dann bis in die 1930er Jahre, als es baufällig war und dem Möbelhaus Reimer Platz machen mußte.

Abb. 5.: Hl. Geist-Hospital in den 1930er Jahren

Dieses Hospital erhielt im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Schenkungen, so daß es seiner Funktion gerecht werden konnte, und wenn das Geld tatsächlich einmal knapp wurde, half wohl auch die Stadt gelegentlich aus. 

Mittelalterliche Städte waren in der Regel von einer Stadtmauer umgeben, deren Durchgänge durch Stadttore verschlossen werden konnten. Die großen Straßen führten durch sie hindurch und wurden von den Kaufleuten benutzt, die die Märkte beschickten und dazu von Stadt zu Stadt zogen. Selbst die Fernverbindungsstraßen waren in den Städten meistens bis zum Beginn des 18. Jh. nicht gepflastert und schon beim geringsten Regen schlammig und kaum passierbar. Immerhin wurde Kamens Mühlenstraße (heute Bahnhofstraße vom Markt bis zur Maibrücke, wo die Mühle stand) bereits 1797/98 als erste Straße in Kamen gepflastert, viel später folgte die Oststraße, erst 1890 wurden die Rott–, die Kamp–, die Weeren–, die Nord– und die Weststraße gepflastert. Auch das ist indirekt ein Beleg für die Bedeutung des Zugangs zum Hellweg, der alten Heer- und Handelsstraße, der via regis.

War es schon schwierig, durch die Städte zu kommen, war das Reisen außerhalb oft unmöglich.  Eine lübische hanseatische Gesandtschaft, von Münster aus weiterreisend, berichtet in ihrem Reisetagebuch 1606 folgendes: „… [wir] passirten auff Steinforde (Anm.: Drensteinfurt) zu Mittag und den Abend auff Hamme: war ein sehr boser und tieffer Wegk, das bei gantzen Meilen (Anm.: 1 Meile = ca. 7,5 km) bis zu den Axsen im Dreke giengen. Von Hamme sein wir den folgenden Tagk, war den 5. Dez. passiert auf Kamen, Unna, durch das Torff Wickeden, Asselen, Brake, und hatten denselben Tagk nicht geringe pericull (Anm.: Gefahr) wegen einer Compagnie Reuter, so alda abgedancket wart, und sich sehn lies, aber der liebe Gott half uns den Avent (Anm.: Ankunft) noch binnen Dortmunde durch den bosen unfletigen Wegk.“1 Trotz solcher Schwierigkeiten gelang es allerdings diesen Postfuhren, die Strecke von Cleve am Niederrhein nach Königsberg in Ostpreußen in 10 Tagen zurückzulegen!) Solch eine Reisegruppe hieß „Hanse“ und war aus Sicherheitsgründen „ein starke convoy und fünff Kutzschen sambt 15 Reisigen“ [Anm.: Bewaffneten].

Und diese Strapazen trafen die Reisenden nicht etwa in gemütlichen Reisewagen, sondern wurden durch deren Bauweise noch verschärft: hölzerne ungefederte Achsen, ohne Verdeck, ungepolsterte Sitze ohne Lehne; erst ab etwa 1700 wurden Verdecke mit seitlichen Vorhängen und Türen üblich, wurden die Sitze zu Bänken verbunden, erhielten eine Strohpolsterung und Rückenlehnen, Aufsteigetritte und Laternen.

Abb. 6: Koepescher Bierkeller an der Einmündung der Ostenmauer in die Oststraße

Dort wo das Ostentor gestanden haben muß, also auf der Oststraße zwischen Ostenmauer und Nordenmauer, wurde 1855 vom Wirt Joh. G.Koepe ein Bierkeller gebaut. Das war eben der Koepe, der am Markt Ecke Weerenstraße eine Gaststätte betrieb. Das Eckhaus gegenüber war damals seine Scheune, in der er Bier braute und Fusel (Schnaps) brannte.

So ein Keller war unbedingt nötig, war das Bier seinerzeit doch lange nicht so haltbar wie heute, und Kühlung war nur in solchen Kellern möglich. Im Winter schnitt man aus zugefrorenen Teichen dicke Blöcke Eis, die hier gelagert wurden und bis weit in den Sommer Kühlung lieferten.

Das Ostentor hat noch eine ganz besondere Anekdote in seiner Geschichte. 1807 hatte Napoleon ganz Deutschland erobert. Aus Berlin hatte er die Quadriga vom Brandenburger Tor als Zeichen seines Triumphes abnehmen und nach Paris bringen lassen. Als er aber 1814 endgültig geschlagen war, sollte sie wieder nach Berlin zurückkehren, natürlich ebenfalls im Triumphzug. Dazu wurden alle auf dem möglichst langen Weg nach Berlin liegenden Städte durch Reiter informiert, daß der Zug zu einem bestimmten Termin durch diese Stadt kommen werde. Und natürlich wollte jedermann das Schauspiel sehen. Die Kamener waren so vorsichtig, sich nach der Breite des Transportes zu erkundigen, weil man noch eine Stadtmauer mit Stadttoren hatte. Der erste Kamener Stadtarchivar, Ernst Braß, schreibt dazu im Heimatbuch Hamm (1922), „Aus der Geschichte der Stadt Kamen“ auf S. 197f: „Ein Festtag war es, als am 15. Mai 1814 der 1806 von Napoleon vom Brandenburger Tor in Berlin geraubte Siegeswagen durch unsere Stadt zurückgeführt wurde. Zu diesem Zwecke wurde ein Teil des Ostentores abgebrochen. Alt und Jung begleitete denselben unter Jubel und Freud durch die Stadt.“2 Andere Stadthistoriker bezweifeln diese Annahme. So schreibt Wilhelm Hellkötter etwa: „Ob es wahr ist, daß im Jahre 1806/07 das Ostentorgebäude abgebrochen werden mußte, als Napoleon die Viktoria von dem Brandenburger Tor in Berlin nach Frankreich wegführte, ist unwahrscheinlich; ich konnte hierüber im Stadtarchiv keine Unterlagen finden.“3 Hellkötter nimmt also an, daß, wenn das überhaupt geschehen sein sollte, dann schon durch Napoleon, als er die Quadriga nach Paris bringen ließ. Sicher scheint aber zu sein, daß es 1814 abgebrochen wurde.

Und gesichert ist auch (lt. Hellkötter), daß dieses Ostentor am 7.6.1722 schon einmal eine Rolle spielte: „Friedrich Wilhelm II wurde von einer Gruppe Berittener von der Ortsgrenze zu Overberge abgeholt und über die Oststraße (dann Königstraße) in die Stadt und auf den Markt geführt, wo alle Camener ihn mit Jubel empfingen.“ Und so erhielt das Kamener Hotel „König von Preußen” (Bergheim) seinen Namen.

Am stadtäußeren Ende der Oststraße, in unmittelbarer Nähe des Ostentores, in die „Nordenmauer“ hineinführend, lag auch der Rungenhof, über den keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen. Vermutlich war er einer der ersten, wenn nicht der erste Burgmannshof, ein gutes Stück außerhalb der frühen Stadt, im Verlaufe der dritten Entwicklungsphase (vgl.a. Art. Kirchhof) „eingemeindet“. Ursprünglich war er wohl zum Schutz des Ostentores gedacht, das aber nicht besonders geschützt zu werden brauchte, da die Straße nach Hamm (Derner Straße) sicher war: dort residierte der Graf von der Mark. Und weil der Rungenhof so früh verschwand, gibt es auch keine Erkenntnisse über ihn. Eine weitere Möglichkeit, warum es über den Rungenhof keine Erkenntnisse gibt: er lag ursprünglich ein Stück weit draußen, außerhalb der engeren Bebauung. Als die Stadtmauer gebaut wurde, erschien es unzweckmäßig, sie wegen des Rungenhofs so weit nach außen zu führen: zu lang, zu teuer, zusätzliche Sicherheit wg. der märkischen Residenzstadt Hamm war bereits vorhanden, daher wurde der Rungenhof nicht mehr benötigt und abgerissen. Das alles ist jedoch Spekulation. Selbst im reichlich bestückten Kamener Stadtarchiv gibt es keine Urkunde, die hierüber Auskunft geben könnte.

Abb. 7: Der Rungenhof, Bebauung mit Zechenhäusern

Um 1900 wurde das freie Gelände von der Zeche gekauft und mit Zechenwohnungen bebaut. Pröbsting berichtet 1901: „Die erste Häusergruppe wurde in der Nähe des Bahnhofs gebaut; dies sind zum Teil kleinere Häuser für je vier Familien. Sodann wurde der alte von der Recksche Burghof, Vogels Hof genannt, an der Nordstraße, bebaut, und dann an der Nordenmauer auf Rungenhof eine Reihe von Häusern – jedes zu 12 Familien – hergestellt.“4

1 Zitiert nach: Wilhelm Schäfer, „…war ein sehr boser tieffer Wegk“. Aus der Geschichte des Post- und Verkehrswesens unserer Heimat, aus: Heimat am Hellweg, 1955, S. 61

2 Ernst Braß,, „Aus der Geschichte der Stadt Kamen“, Heimatbuch Hamm, 1922, S. 197f

3 Wilhelm Hellkötter, Westfälischer Anzeiger, 26.11.1943

4 Friedrich Pröbsting, Geschichte der Stadt Camen und der Kirchspielsgemeinden von Camen,      Hamm 1901, S. 50

Eine wunderbare Beschreibung, wie man am Anfang des 19.Jh. in Deutschland reiste, gibt der schwedische Autor Per Daniel Amadeus Atterbom in seinem Reisebericht „Auf dem Postwagen durch Pommern und Brandenburg“ (1817):

„Willst Du Dir einen klaren Begriff vom Postfahren machen, dann betrachte das folgende Bild: Man wird in einen ungeheuren, mehrsitzigen Wagenrumpf gepackt, der bedeckt, aber sonst in jeder Hinsicht unbequem ist, zusammen mit einer Menge Personen von allen möglichen Sinnesstimmungen, Ständen, Vermögen, Jahren und beiderlei Geschlechts; Menschen, die man hier zum ersten Mal in seinem Leben sieht und zum größeren Teile sicherlich nie wieder zu sehen bekommt. In dieser Weise wird man ganz piano von vier phlegmatischen Pferden fortgezogen, von denen das eine die Ehre hat, auf seinem Rücken einen livreegeschmückten Lümmel zu tragen, der den Titel Schwager führt und unaufhörlich mit einer himmelstürmenden Fuhrmannspeitsche in der Luft herumknallt, ohne daß die Reise auch nur im geringsten schneller ginge. Die wege sind freilich nicht zum Schnellfahren eingerichtet, am wenigsten in der Mark Brandenburg und je näher nach Berlin zu. Die Pferde waten Schritt für Schritt durch schwellenden Sand, während die Munterkeit der Fahrenden , ehe sie sich dessen versehen, durch einen tüchtigen Rippenstoß aufgefrischt wird, indem der Wegen über einen mitten auf der Landstraße liegenden Steinhaufen oder über einen grundfesten Feldstein fährt, den aus dem Wege zu räumen niemand sich die Mühe gemacht hat. 

Wenn man in dieser Weise längere Zeit durch den Sand geschaukelt ist, erreicht man eine Stadt, und dann beginnt das größte Leiden; der Postillion will da nämlich teils Zeit einbringen, teils sich vor Mädchen und Bekannten als glänzender Hippodromist zeigen; deshalb jagt er unbarmherzig toll durch die langen schlecht gepflasterten Straßen, so daß den armen Passagieren auf ihren Holzbänken zumute wird, als ob ihnen Leber und Lunge aus dem Leib springen möchten, und nicht selten Männer, Weiber und Kinderbunt durcheinander von ihren Sitzen herunterwirbeln und auf den Wagenboden fallen. Darum kümmert sich Bruder Schwager aber nicht, denn er macht Reiterkünste auf seinem Pferde, woselbst er natürlich keine Stöße bekommt, knallt lustig mit der Peitsche und bläst auf seinem Posthorn einen Marsch nach dem andern. Die sogenannten Chausseen sind nicht viel bequemer als die Stadtstraßen, nur ein wenig besser gepflastert.

[…]

Die Bezahlung, welche man an jeder Station schon von dem Posthause an, woselbst man sich zuerst als Exportartikel einschreiben ließ, im voraus für seine Person  und für den Koffer oder Mantelsack erlegt […], und die Trinkgelder, die man nach Erreichung der Station dem sogenannten Schwager schenkt, sind in deutscher Münze höchst unbedeutend, ja selbst im Verhältnis zu unserer schlechten schwedischen sehr mäßig. Trotzdem läßt sich nicht in Abrede stellen, daß unsere Vorspanneinrichtung dem Reisenden für einen noch geringeren Preis , besonders wenn er selber einen Wagen hat, alle die Vorteile gewährt, welche die hierzulande ungemein teure Extrapost bietet, die auch bewirkt, daß man im Gasthaus den Geldbeutel viel weiter öffnen muß, ohne deswegen gerade im entsprechenden Maße die Genüsse der vornehmeren Apparition zu erhalten.

[…] Du errätst wohl schon, daß ich damit auf das eigensinnige Unwesen und die Mannigfaltigkeit des Geldwesens abziele, welches in Deutschland herrscht. Nicht bloß, daß das Münzwesen im allgemeinen in der verschiedenen Staaten auf abweichenden Grundsätzen und Voraussetzungen beruht, nicht nur, daß die inneren Wechselverhältnisse den besonderen Münzsorten die Aufmerksamkeit erschweren – zum Beispiel die süddeutschen Gulden und Kreuzer gegenüber den Talern und Groschen Norddeutschlands –, es nimmt auch jede Münzsorte für sich selber unaufhörlich, unter Beibehaltung desselben Namens, einen veränderten Wert an, ja, sie kommt sogar in einem und demselben Reiche unter ungleichen Prägungen und Inschriften vor, obwohl diese eine und dieselbe Bedeutung haben sollen. 

[…] Diese Unterscheidung (zwischen guten und schmutzfarbigen unechten Münzen) und ist sehr wichtig, da 24 gute Groschen einen Taler ausmachen, zu dem sonst 42 Groschen-Münzen gehören. […] Aber in jedem Falle hängt es doch von ihrem (Wirtsleute und Verkäufer) guten Willen ab, aus der Unkenntnis eines Ausländers im Verkehr mit ihren Dreiern, Sechspfennigen und Gott weiß was sonst noch für Unterabteilungen dieses Plunders Vorteil zu ziehen oder nicht zu ziehen.[…] 

[…] Es verhält sich mit den Geldwerten Deutschlands, wohin man kommt, wie mit der neulich vorgenommenen Ausmessung der pommerschen Landstraßen, welche dahin ausfiel, daß die Wegstrecke, welche früher vier (schwedische) Meilen lang war, nun fünf Meilen lang wird usw. Im übrigen freuen sich Auge und Finger darüber, daß man niemals im Handel und Wandel nötig hat, sich mit zerfetzten, schmutzigen Papierlappen wie bei uns zu quälen; man trägt eitel Gold und Silber  bei sich in feinen grünen Netzen und erquickt sich magisch bei jedem Anblick des Metallschimmers.“

aus: Rainer Wieland, Hrsg., Das Buch der Deutschlandreisen – Von den alten Römern zu den Weltenbummlern unserer Zeit, Berlin 2017, S. 198ff,

Abb.: Nr. 1 & 3-7: Archiv Klaus Holzer; Nr. 2: Photo Klaus Holzer

KH

Kämerstraße & Kugelbrink

von Klaus Holzer

Wilhelm Hellkötter leitet den Namen „Kämerstraße“ von der alten Verbindung über die Sesekefurt ab, von der Kamens Besiedelung ausging. Er glaubt, eine alte Form „Kemm, Kimm“  belegen zu können, die sich zum plattdeutschen „Kämm-Strote“ entwickelt habe, woraus dann das hochdeutsche „Kämerstraße“ geworden sei. Verifizieren läßt sich das bisher aber nicht. 

Abb. 1: Kämerstraße

Die Kämerstraße hieß ursprünglich wohl Bergcämer Straße. Sie war die wichtigste Nordverbindung Kamens und führte durch das Bergcämer Tor auf die (Berg)cämer Heide, die erstmals schon 1363 als „Bergcämer parte“ erwähnt wird. Das war ein zusammenhängendes Wald– und Heidegebiet von fast 50 qkm Ausdehnung, in der alle Anlieger, darunter auch die Camener, Huderecht besaßen (Hude = Hütung, auch auf den Platz der Hütung übertragen), d.h., dort durften sie ihr Vieh zur Weide und zur Mast treiben. Daran erinnert heute noch die „Kamer Heide“ in Overberge.

Abb. 2: Kämertorstraße

Dieses Kämer Tor hatte für die Kamener eine große, sehr praktische Bedeutung. Sie waren Ackerbürger, die ein eigenes Stückchen Land vor der Stadtmauer besaßen. Und sie wollten dieses Land leicht und schnell erreichen können, daher brauchte es möglichst viele Durchgänge durch die Stadtmauer, auch zur Ausübung ihres Huderechts, mehr als die vor allem für den „Fernverkehr“ geeigneten großen Tore in alle Himmelsrichtungen (vgl.a. Artikel Nordstraße). 

Abb. 3: Die letzte Gaststätte vor dem Bergcämer Tor: Tillmann

Abb. 4: Die Rückseite der Postkarte (s. Abb. 3)

Abb. 5:  Altes Torschreiberhaus

Abb. 6: Gleich vor dem Kämertor: Jühe

Außerhalb der Stadtmauer führt die Kämerstraße geradeaus weiter nach Norden, nach Bergkamen. Diese Verlängerung hieß ursprünglich der „richte Weg“, d.h., der gerade, kürzeste Weg in die Bauerschaft Bergkamen. Um 1910 erhielten die bebauten Feldmarken erstmals amtliche Straßenbezeichnungen. Der „richte Weg“ hieß von nun an Schützenstraße, weil er direkt zum Heim und Schießplatz des Kamener Schützenvereins, der „Schützenheide“, führte. (Bei der Teilung der Reck-Camenschen Gemeinheit , auch Heide genannt) erhielt die Stadt Camen „etwa 8 Morgen auf der Linkamps-Heide. Letzteres Grundstück wurde der Stadt als Schützenplatz zugeteilt.“ Friedrich Pröbsting, 1901) 1945 wurde sie in Heidestraße umbenannt, seit Anfang 1970 heißt sie Fritz-Erler-Straße. Das Umdenken bei der Vergabe von Straßennamen wird deutlich: früher gab es den örtlichen Bezug, heute steht oft die Politik bzw. ein Politiker im Vordergrund.

Abb. 7: Umzug vor der Schützenheide

Hellkötter gibt an, daß dieser Weg so stark befahren wurde, daß die Fahrrillen bis zu eineinhalb Meter tief gewesen seien, was das Befahren oft unmöglich gemacht habe. Fußgänger gar mußten am Rande der Ackerstücke entlanglaufen. Das traf besonders die Ausmärsche des Schützenvereins, der natürlich solche Wege für die Marschaufstellung zu Schützenfesten nicht benutzen konnte. Diese Märsche führten deshalb über den „krummen Weg“, der aber nicht so genannt wurde, weil er so viele Krümmungen aufgewiesen hätte (was er auch tat), sondern weil dieses Stück Land lt. einer Urkunde von 1508 „Am krummen Boome“ hieß. Das war ein krummer Grenzbaum in der Nähe der Landwehr, der das Kamener Gebiet vom Bergkamener abtrennte und auf der Höhe des Weges an der Stelle stand, wo sich Kugelbrink und Schillstraße (1910), später Schillerstraße (1945), vereinigen. 1971 wurde diese Straße Bergkamener Straße genannt.

Die Verbindung vom Langebrüggentor zum Kämertor führte vom Langebrüggentor über das „Bollwerk“, verlief zwischen den vorhandenen Burgmannshöfen hindurch, in einem Schwenk um die Grafenburg der märkischen Grafen herum zur Kämerstraße (ein kurzes Stück zwischen Weststraße und Rottstraße hieß Judengasse) zwischen Reckhof und Edelkirchenhof hindurch und dann stracks nach Norden. Straße und Tor waren also Bestandteil der täglichen Wege vieler Kamener, da ist es wahrscheinlich, daß das lange Wort „Bergkämer“ zu „Kämer“ verkürzt wurde. Bis 1660, als das Langebrüggentor zugemauert wurde (vgl.a. Artikel Maibrücke) – abreißen kam nicht in Frage, weil die Stadtmauer sonst ein Loch bekommen hätte – standen den Ackerbürgern sechs Stadttore zur Verfügung. 

Abb. 8: Kugelbrink

Wie deutlich wurde, ist die Kämerstraße nicht sinnvoll vom Kugelbrink zu trennen. Der Name gibt Rätsel auf, und die Sache wird nicht einfacher durch die vielen bekannten, unterschiedlichen Schreibweisen. Doch der Reihe nach. 

Von Kamen aus führten in die alte Bauerschaft Bergkamen eigentlich nur zwei Wege, der „richte Weg“ und der „krumme Weg“, die am Kämertor bei der Kamener Stadtmauer zusammenliefen. Die Wahl des Weges für die täglichen Geschäfte und Besuche, den Schul- und den Kirchgang (Kinder trugen grundsätzlich nur Holzschuhe, ihre Schulbücher wurden durch Riemen zusammengehalten; die Erwachsenen trugen „gute“ Lederschuhe meist auch nur sonntags beim Kirchgang), fiel nicht schwer. War es trocken, nahm man den „richten Weg“, der zwar unbequem war, weil ausgefahren, aber kürzer, war es naß, dann wurde der „krumme Weg“ genommen, der länger, doch besser passierbar war. Wer nimmt schon einen freiwillig längeren Weg? Natürlich ist der dann geschont, und damit besser passierbar.

Die beiden Namenbestandteile in dieser Form lassen sich relativ einfach erklären. „Kugel“ könnte sich auf die Hügelkuppe beziehen (Franz Petri), aber auch auf die „Gugel“, die im MA häufige, kapuzenartige Kopfbedeckung (Ferdinand Brandenburg). Dieser glaubt auch eine Erklärung für die Schreibweise „Kuchenbrink“ gefunden zu haben, ein Flurstück dahinter heißt „Pfannkuchen“. Weitere Formen sind Auf dem Kuckenbrink, Am kurzen Brink und Kükenbrink, die aber von allen Autoren zum Thema als Verballhornungen zurückgewiesen werden, obwohl es sie in amtlichen Verlautbarungen gibt. Es ist eben zu bedenken, daß es früher keine einheitliche Schreibung gab, jeder Schreiber lokale Varianten in die Akten eintrug. Hugo Craemer erwähnt weiterhin Kugenbrinnk, Kukenbrink und Kugenbrink, die alle zwischen 1750 und 1827 in Gebrauch gewesen seien, doch sind sie einander so ähnlich, daß nur von abweichenden Schreibweisen und nicht grundsätzlich anderen Namen die Rede sein kann. 

Das zweite Element, „brink“, ist leichter zu definieren, handelt es sich dabei doch klar um eine erhöhte Lage am Ortsrand (vgl.a. englisch brink = Rand), wo oft Kötter angesiedelt waren, sog. Brinksitzer. Da „Brink“ bereits als erhöhte Lage definiert ist, ist es allerdings nicht ganz einsichtig, warum das mit „Kugel“ ein zweites Mal geschehen sollte.

Abb. 9: Gastwirtschaft zur deutschen Eiche (links die „Kaisereiche“)

Hier oben stand früher einmal der „krumme Boom“, ein Grenzbaum in der Nähe der Landwehr zwischen Kamen und Bergkamen. Getreu der damaligen patriotischen Gesinnung pflanzte die Stadt Kamen am 22. März 1897 zum Andenken an den hundertsten Geburtstag des Heldenkaisers Wilhelm I. (vgl. dazu auch den Artikel „Stadtpark“) an der Grenze auf der Höhe des Kugelbrinks die Kaisereiche. Als dann noch ab 1909 die Kleinbahn UKW (die Straßenbahn) hier eine Haltestelle einrichtete, entstand an dieser Stelle, in der Schillerstraße 90, ein Lokal, „Die Kaisereiche“, das sich schnell zu einem beliebten Ausflugslokal entwickelte. Spezialitäten waren der „Kaiserwein“ (das war Himbeersaft bzw. -sirup mit Wasser aus dem Hausbrunnen) und Kaiserplätzchen (was wir heute „Amerikaner“ nennen). Nach dem Krieg wurde dieses Lokal „Gastwirtschaft zur deutschen Eiche“ genannt und war noch einige Zeit recht populär, wurde aber 1992 abgebrochen. Die Eiche, der Baum, fiel gleichzeitig einer Straßenbegradigung zum Opfer.

Von den nicht wenigen Erzählungen, die sich um „Die Kaisereiche“ ranken, sei nur eine erzählt. In der „guten, alten Zeit“ gab es viele reisende Vertreter, z.B. „in Zigarren“. Da soll es vorgekommen sein, daß spontan eine fröhliche Reisegesellschaft entstand, wo der Reisende in Zigarren Fahrer, Schaffner und Mitreisende einlud, auf ein Bier, einen Münsterländer (Korn) oder einen Kaiserwein mit ins Lokal zu kommen, Fahrplan hin oder her.

KH

Quellen:

Wilhelm Hellkötter, Das „fünfte Viertel“, Heimatkundliches aus Alt-Kamen – von der Kämerstraße, dem „richten“ und „krummen“ Wege. Lokalzeitung (?), um 1950

Franz Petri, Grenzbaum am Kugelbrink, Auf dem krummen Weg zur Schule – mit Kaiserwein und Kaiserplätzchen, in Heimatbuch Kreis Unna, 1993

Ferdinand Brandenburg, Flurnamen, 5 Folgen im Hellweger Anzeiger, Feb. bis April 1944

Hugo Craemer, Alt-Kamen im Lichte seiner Orts- und Flurnamen, Zechenzeitung, 1929

Friedrich Pröbsting, Geschichte der Stadt Camen und der Kirchspielsgemeinden von Camen, Hamm 1901 

Abbildungen: Photos 1, 2 & 8 Klaus Holzer; Abb. 5: Familie Flögel; Abb. 6: Stadtarchiv Kamen; Abb. 3 & 4: unbekannt; Abb. 7: Schützenverein Kamen, Wolfgang Freese; Abb. 9: Photo Deutsche Eiche,  Herr Aschhoff, besorgt von Dieter Linkamp, Bergkamen

Klosterstraße & Schwesterngang

von Klaus Holzer

Am Kirchplatz stoßen diese beiden Straßen zusammen, und auf den ersten Blick ist erkennbar, was für einen Hintergrund diese Namengebung hat. Schwestern und Kloster – hier hat mal eines gestanden. Auch wenn das vielleicht gar nicht so klar ist, wie es den Anschein hat, denn eigentlich war es ein Beghinenhaus, aus dem später ein Kloster wurde. Für die Kamener war es immer das „Kloster“. Und so ist die Geschichte dieser beiden Straßennamen auch die Geschichte des „Klosters“.

Gegenüber der Pauluskirche, die ja vorreformatorisch einfach eine christliche Kirche, St. Severin, war, wurde schon zu Beginn des 15. Jh. ein Frauenkonvent1 gegründet, und zwar ursprünglich als ein Beghinenhaus. Dieser Konvent war kein Nonnenkloster, da die Frauen nicht in Klausur lebten, sondern einer außerhäuslichen Tätigkeit nachgingen. In städtischen Dokumenten ist von dem „Süsterhaus“ (= Schwesternhaus) auf der Vlotowe, Vlotauwe oder Marienove (Flußaue bzw. Marienaue) die Rede, d.h., das Haus lag nahe dem Flußufer. Es wird in einer Urkunde vom 14. Oktober 1411 zum ersten Mal erwähnt. Das waren „Jungfrauen und Witwen“ aus der Bürgerschaft Kamens, d.h., sie entstammten Kamener Bürger- und Burgmannenfamilien und wollten ein christliches Leben leben, jedoch ohne Klostergelübde. Sie legten ein Gelübde auf Zeit ab, das wohl jedes Jahr erneuert wurde. Es war ihnen gestattet, aus der Gemeinschaft wieder auszuscheiden und sich ein bürgerliches Leben aufzubauen.

Abb. 1: Die Pauluskirche, vom Schwesterngang aus gesehen (die Arkaden wurden um 1930 gebaut und in den 1960er Jahren abgerissen)

Die Bewegung der Beghinen stammt vom Beginn des 12. Jh. (der Name wird erst ab dem 15. Jh. von ihnen selbst gebraucht, sonst „Schwestern/Brüder/Brüdergemeinden“, „Waldenser“) in den Niederlanden, heute Belgien und Holland, und kam im Laufe des späten 13. Jh. nach Deutschland. Ursprünglich handelte es sich um religiöse Arbeits- und Lebensgemeinschaften, Brüder- (die nannten sich Begharden) und Schwesternhäuser, in denen arme und alte Personen unentgeltlich Wohnung, Heizung und Licht erhielten. Sie widmeten sich dem Gebet, aber auch der tätigen Nächstenliebe. Diese Stifte hatten große Ähnlichkeit mit den heutigen evangelischen Frauenstiften/Diakonissenhäusern.

Beghinenhäuser nahmen vor allem Witwen, Waisen, Frauen aus Arbeiter-, Handwerker- oder einfacheren Kaufmannsfamilien und dem niederen Adel auf. Soweit sie konnten, verdienten Beghinen sich ihren Lebensunterhalt durch alle möglichen Handarbeiten, Krankenpflege, Leichenwäsche und sonstige Tätigkeiten wie Waschen und Nähen. Sie übernahmen mit ihrer karitativen Tätigkeit Aufgaben – den Sozialstaat gab es noch nicht –, die sonst Klöster und die Kirche ausübten, ihnen fehlte aber der klösterliche Charakter und daher standen ihnen auch nicht deren Immunitätsprivilegien zu, d.h. ohne den Schutz, den die Kirche Klöstern gewährte.

Sie konnten aus dem Konvent wieder austreten und z.B. heiraten, während „richtige“ Nonnen „mit Jesus verheiratet“ waren, und das ein Leben lang, durch ein „ewiges Gelübde“ gebunden. Wirtschaftlich wurden die Beghinen sehr erfolgreich, was oft auf den Unwillen und Widerstand der örtlichen Handwerker traf, denen eine echte Konkurrenz erwuchs. Der Erfolg machte auch selbständig und selbstbewußt, was zusätzlich den Neid anderer erweckte. Und was machte man um diese Zeit in einer solchen Situation? Man warf diesen Frauen einen ketzerischen und unmoralischen Lebenswandel vor, vor allem, weil sie sich organisatorisch nicht von der römischen Kirche abhängig machten. Auf dem Vierten Laterankonzil 1215 wurde festgelegt, daß neue geistliche Gemeinschaften grundsätzlich nur nach bereits bestehenden Ordensregeln leben durften.

Seit 1311 erfolgten Maßnahmen, die man als Unterdrückung, aber auch als seelsorgerisches Verhalten verstehen konnte, war doch auch ein Motiv päpstlichen Handelns, diese Gemeinschaften nicht in Häresie2 abgleiten zu lassen. Am 7. März 1319 erließ Papst Johannes XXII. eine Bulle, die denen, die die 3. Regel des Hl. Franziskus annehmen wollten, Gnade zusicherte. 

Am 12. Februar 1453 wurden alle damals noch bestehenden Konvente wieder in die Kirche aufgenommen und ihnen die Rechte der Tertiarierinnen3 verliehen. Es war Kunne Hake, Oberin des Hauses in Kamen, die am 22. 9. 1470 (andere Quellen nennen den 4. Oktober 1470) die dritte Regel annahm, die für Laien galt, (die erste galt den Klosterbrüdern, den Mönchen, ursprünglich nach Franz von Assisi Minoriten genannt, die ihr Leben Gott weihten; die zweite den Nonnen, die „mit Christus verheiratet“ waren), wodurch das Beghinenhaus in ein Tertiarierinnenkloster umgewandelt wurde. Insgesamt gewannen durch diesen Akt Frauen– und Laienfrömmigkeit an Gewicht.

Daraufhin erhielten sie den Schutz von Johann I., Herzog von Kleve und Graf von der Mark (seit 1417 gehörte Kamen zu Kleve, Mark und Kleve gehörten schon seit 1391 zusammen), der sie gleichzeitig von Steuern und Landesdiensten befreite. Die Beghinen konnten im großen und ganzen so weitermachen, ihr weltliches mit einem religiösen Leben verbinden, mußten aber städtische Auflagen akzeptieren. Offenkundig waren bei dieser Angelegenheit wirtschaftliche Aspekte entscheidend. Z.B. wurde die Zahl der Schwestern auf 12 begrenzt, von denen 6 aus Kamen stammen mußten; behielt die Stadt die Hälfte des Vermögens, das jede neue Schwester ins Stift einbrachte, für sich ein, übernahm aber dafür die bauliche Unterhaltung des Klostergebäudes; verlangte Anteile an den Pfründen des Konvents; erlaubte später nur noch die Aufnahme von Kamener Frauen in den Konvent und bekam Mitspracherecht darüber eingeräumt wie auch bei der dauerhaften Aufnahme nach dem Noviziat4. So wurde der Konvent klein und unbedeutend gehalten. Bei allen Konflikten zwischen Stadt und Konvent setzte sich die Stadt durch.

Abb. 2: Katharina von der Mark

Bürgermeister und Rat der Stadt Kamen hatten auf Wunsch des Landesherrn 1473 die Einrichtung des Klosters „zur Ehre Gottes, aller Heiligen und besonders des hl. Franzikus und zum Schutze der Stadt“ genehmigt.

Seit 1470 wohnte Katharina, eine natürliche (= uneheliche) Schwester Herzogs Johann I. im Beghinenhaus. Sie besaß ein beträchtliches Vermögen, das sie für den Bau eines neuen Klosterhauses und einer Kapelle stiftete. Am 22.11.1475 wurde dieses Kirchlein feierlich eingeweiht. Dazu schreibt der Kamener Stadtchronist Friedrich Pröbsting: „Gott in seiner Mutter unter dem Geheimnis des Mitleidens in ihrer Seele zu ehren.“ Natürlich war wieder Anröchter Sandstein das Baumaterial. 1479 bekamen die Schwestern einen eigenen Geistlichen, ab 1481 erhielten sie ihren eigenen Kirchhof. Statt des eigenen Geistlichen, der ja auch hätte unterhalten werden müssen, ließen die Schwestern die geistlichen Handlungen jedoch durch einen der vielen Kamener Vikare vornehmen, bis 1622 im reformierten Kamen der letzte katholische Vikar an der Pest starb. Danach wurde das Stift vom Franziskanerkloster in Hamm geistlich betreut. Die Conventualinnen  sahen sich „genöthigt, zur Besorgung ihrer geistlichen Bedürfnisse jedesmal, in der dritten und vierten Woche, einen Geistlichen aus dem Franciscanerkloster zu Hamm, welches dafür jährlich ein kleines Geschenk an Korn erhielt, kommen zu lassen“. (Essellen)

Abb. 3: Lageplan des Klosters (Erläuterungen am Ende)

Eine besonders schwere Zeit hatte das Stift in der Zeit der Reformation zu bestehen, da fast alle Kamener Bürger sich nach 1553 dem lutherischen, ab etwa 1590 dem Reformierten Glauben zuwandten. So wurde der kleine Konvent zu einer „katholischen Insel inmitten eines protestantischen Meeres“ (Pröbsting). Die St. Severinskirche wurde protestantisch, die kleine Konventskirche zur einzigen katholischen Kirche.

Es kam zu einer Reihe weiterer, auch gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen Stadt und Konvent, Kamener Bürger belegten die Pfründen des Konvents und zahlten keine Pacht mehr an ihn. Doch der Konvent hielt durch. Später wurde sein Kirchlein katholische Pfarrkirche, der Konvent selber zur Keimzelle der heutigen katholischen Kirchengemeinde.

Das Ende begann 1803. Das Kloster (so wurde das Stift nun allgemein genannt) wurde am 4.7.1818 endgültig geschlossen, nachdem nach dem Reichsdeputationshauptschluß vom 25.2.1803 beim Reichtstag in Regensburg  durch Säkularisation4  (das war die letzte große Entscheidung durch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation) alle Kloster- und Kirchenvermögen durch den preußischen Staat eingezogen worden waren, man noch die Drangsalierung durch die französischen Besatzungstruppen (Napoleon) überstanden hatte. Teile Deutschlands wurden nach den napoleonischen Kriegen zunächst französisch, damit deutsches Territorium enteignet. Als Entschädigung dafür bekamen die deutschen Fürsten, deren Territorien beschnitten worden waren, Kompensation aus Kloster- und Kirchenvermögen. Auch das Kamener Kloster wurde enteignet, alle Landgüter konfisziert. Die Gebäude wurden von der neu etablierten katholischen Kirchengemeinde6 übernommen. Buschmann schreibt hierzu: „Des Königs Majestät geruhte allergnädigst, der neuen Gemeinde das sämmtliche noch vorhandene Klostergut, bestehend in den Gebäuden, dem Klostergarten, 2 anderen Gärten, einem Weidekamp, 161 Scheffeln Ackerland, 20 Morgen Waldung, 13 Thlrn. jährlicher Renten und 460 Thlrn. in Kapitalien, worauf im Ganzen an Schulden 330 Thlr. lasteten, zu schenken.“ Das reine Vermögen wurde auf „13415 Thaler und 55 Stüber“ (Pröbsting) taxiert.

Das Klosterkirchlein wurde 1841 wegen Baufälligkeit geschlossen, sein Nachfolger erst am Weihnachtstage 1848 mit einem feierlichen Gottesdienst geweiht. Doch war ihm kein langes Leben beschieden. Erste Bauschäden zeigten sich schon während des Baus, bald entstanden Risse in den Mauern, und durch den Bergbau wuchs die katholische Gemeinde unaufhörlich. Nachdem 1902 die neue, große Kirche Hl. Familie konsekriert worden war, dämmerte das Klosterkirchlein noch ein paar Jahre vor sich hin, wurde 1907 abgerissen.

Abb. 4: Die Pfarrkirche von Osten: das Klosterkirchlein von 1848

Und daher erinnern heute nur noch die Namen dieser beiden Straßen an die jahrhundertelange Geschichte des Kamener Klosters.

Abb. 5: Straßenschild Schwestergang

PS: Am 11. Mai 2017 berichtete der HA, daß dem Straßenschild „Schwesterngang“ ein „n“ fehlt. Seit vielen Jahren gehen wir also an diesem Schild vorbei und bemerken diesen Rechtschreibfehler nicht. Wir lesen meistens, was wir lesen wollen. Erst ein 15-jähriges Mädchen (aber auch nur eins!) schaut genau hin und sieht die Bescherung.

Doch schon Mitte Juli ist das Mißgeschick behoben.

KH

Fußnoten:

1 In der katholischen Kirche ist ein Konvent die Versammlung aller stimmberechtigten Mitglieder eines Klosters oder die Bezeichnung für das Kloster selbst.

2 Ketzerei

3 aus lat. tertius, a, um = der, die, das dritte

4 aus lat. novicius = Neuling, d.h., die Zeit, in der ein Neuling in das Klosterleben eingeführt wurde

5 Die Überführung kirchlichen Besitzes in weltliche Hände.

6 Dieser neu formierte Pfarrsprengel (auch Kirchspiel oder Kirchsprengel: der Bezirk, in dem eine Kirche und ihr Pfarrer zuständig war) bestand  aus der „Stadt Camen, sowie den Gemeinden Heeren, Ostheeren, Werve, Alten-, Lütgen- und Nordbögge, Lerche mit Reck, Rottum, Derne, Overberge, Bergcamen, Wedinghofen mit Tödinghausen (sic), Metheler, Altenmetheler, Westick, Wassercourl und Südcamen. Die Gemeinde soll jetzt 800 Seelen zählen“. (Buschmann)

Erläuterungen zu Abb. 3:

Lageplan des Klosters:

a. Die Einfahrt im Kloster Hofe    b. Der Hof    c. Ein Brunnen

d. Der Garten  e. Ein Wasser-Graben    f. Wege

g. Zwey Abfoh(laege), wo in einen ein Abtritt befindlich

h. Das Pater-Haus    i. Die Kirche    k. Verbindung der Kirche mit

l. des Kloster Gebäudes    m. Das Bau-Haus    n. Das Oeconomie-Gebäude

Letztere beÿde Gebäude sind verkauft

Quellen:

Friedrich Buschmann, Geschichte der Stadt Camen, o.O. 1841

Moritz Friedrich Essellen, Beschreibung und kurze Geschichte des Kreises Hamm und der einzelnen Ortschaften in demselben, Hamm 1851 (S.102 – 124: Die Stadt Camen)

Friedrich Pröbsting, Geschichte der Stadt Camen und der Kirchspielsgemeinden von Camen, Hamm 1901 

Theo Simon und Franik, Leonhard, Die Pfarrkirche „Heilige Familie in Kamen“, Paderborn 2002

Wilhelm Zuhorn, Geschichte des Klosters und der katholischen Gemeinde zu Camen (Kamen 1902).

Abbildungen:

Abb. 0 & 5: Photo Klaus Holzer; Abb. 1,  2 & 4: Stadtarchiv; Abb. 3: Simon/Franik