Westick

Kamen-Westick (erste Erwähnung und Mittelalter)

Auszug aus: Rudolf Neuhaus. 1100 Jahre Methler. Greven 1998. S. 34-38.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors R. Neuhaus.

Ähnlich wie mit den Ortschaften Methler und Wasserkurl, so hat sich Heinrich Beisenherz auch mit der Bezeichnung ‘Westick’ auseinandergesetzt. Er erwähnt für die Ortschaft Westick folgende überlieferte Schreibweisen: Westwig, Westwic, Westwick und Westwich.1 Aus dem Namen gehe hervor, daß es sich bei der Ansiedlung um ein ‘westlich gelegenes wik’ handele. Da die Bezeichnung ‘wik’ für ‘alte Nebendörfer’ oder ‘Hinterdörfer’ verwendet würde, könne die Siedlung ”nur westlich von einem größeren Ort liegen und von diesem aus benannt sein. Da kommt nur Kamen in Frage.”

Der Ableitung des Namens Westick aus ‘westlich gelegenes wik’ ist sicherlich zuzustimmen. Fraglich ist aber, ob sich die Bezeichnung auf Kamen bezieht. Denkbar wäre auch, daß sich die Bezeichnung aus der Lage der Ortschaft zur germanischen Siedlung im Seseke-Körne-Winkel ergibt: nicht nur die Größe des dortigen Haupthauses, auch die reiche Fundlage lassen auf eine überregionale Bedeutung der Ansiedlung schließen. Westicks Benennung als ‘westliches wik’ könnte man in diesem Zusammenhang deuten, als Ansiedlung, die westlich einer bedeutenden, vielleicht auch älteren, Siedlung gelegen hat. Dabei muß diese noch nicht einmal größer gewesen sein.

Indirekt liefert auch Beisenherz Argumente für eine derartige Beziehung. Als eine mögliche Deutung des Begriffes ‘wik’ leitet er ihn aus dem altsächsischen ‘wih’ ab. Dieses weise, ähnlich wie das angelsächsische ‘wih’ bzw. ‘wig’ auf eine geweihte Stätte hin. Wörtlich fährt er dann fort:2

”Diese Vermutung dürfte um so mehr Anspruch auf ernste Beachtung erheben können, als gerade die Gegend von Westick im Seseke-Körne-Winkel schon in spätrömischer Zeit als Siedlungsgebiet eine bedeutende Rolle gespielt hat. … Wenn diese Annahme zutrifft, dann ist wih = ‘Heiligtum’ und wik = ‘zugehöriger Bezirk’ wohl schon in altsächsischer Zeit zu einer reinen Ortsbezeichnung, zu dem (von Kamen aus) ‘westlich gelegenen Bezirk’ zusammengefallen.”

Geht man von einer überregionalen Bedeutung der germanischen Siedlung im Seseke-Körne-Winkel aus, so wäre Beisenherz Vermutung zuzustimmen. Lediglich der von ihm vorgenommene – und im übrigen durch die Quellenlage nicht begründete – Bezug auf Kamen wäre überflüssig. Die Richtigkeit dieser These würde bedeuten, daß es in Westick zumindest gegen Ende der Zeit der germanischen Siedlung im Seseke-Körne-Winkel ebenfalls eine Ansiedlung gegeben hat.

Vielleicht ist aber auch die ältere Siedlung hierhin, in das ‘westliche wik’, verlagert worden. Denn das Fehlen jeglicher Funde, die der Zeit nach dem 9. Jahrhundert zuzuordnen wären, deutet auf eine Aufgabe der Siedlung im Seseke-Körne-Winkel hin. Es mag sein, daß die Aufgabe des Siedlungsplatzes nicht freiwillig erfolgte. Die dort aufgefundenen Brandspuren müssen allerdings noch näher untersucht werden.

Die Annahme einer Umsiedlung an einen sicheren Ort würde mit einer alternativen sprachwissenschaftlichen Erklärung des Wortes ‘Westick’ konform gehen. Das von Jakob und Wilhelm Grimm zusammengestellte ‘Deutsche Wörterbuch’ versteht unter ‘wieck’: ‘Ansiedlung, befestigter Ort’.3 In ähnlicher Weise äußert sich Hans Planitz, nach dessen Ansicht die weite Verbreitung des lateinischen Wortes ‘vicus’ in Deutschland darin begründet sei, ”daß der Germane ‘Wik’ mit dem heimischen ‘wiken’ zusammenbrachte und ihm den Sinn ‘Zufluchtsort’ gab.”4

Für die These, daß es sich bei der Ansiedlung Westick um eine Zufluchtstätte gehandelt hat, kann auch eine Beobachtung Giesberts Rogge herangezogen werden. Seiner Meinung nach lassen sich in Westick vier Schwerpunkte der Besiedlung erkennen, die sich ziemlich gleichmäßig auf das Gebiet des Dorfes verteilten. Sie alle lägen an Bächen, aus denen sie umgebende, ehemals vorhandene Gräben gespeist worden wären. Interessanter Weise wiesen drei von ihnen die gleiche Größe der Hofräume auf. Seiner Meinung nach würde es sich dabei um vier Urhöfe handeln, die in folgenden Besitzungen fortbestanden hätten:5

  • In dem Hof Lohmann, an der Quelle eines nach Norden in den Braunen Bach fließenden Rinnsals, in welchem wir mit einiger Sicherheit das Stammhaus der Adelsfamilie von Westick sehen dürfen.
  • In dem zum Stift Werden gehörenden Nasengut, am (heute verrohrten) Nordbach gelegen, welches jetzt völlig verschwunden ist und von dem nur eine versumpfte Wiese die es ehemals umgeben habende Gräfte andeutet.
  • In dem Hof Huxoll, der sich noch für das 14. Jahrhundert als Eigenbesitz einer niederadeligen Familie Rogge ausweist, und der an einem, in den Nordbach fließenden Gewässer liegt.
  • In dem sich deutlich im Südteil des Dorfes abgrenzenden Besitz des Stiftes Essen (und der Doppelmanse der Herren von Volmarstein), ebenfalls an einem Bach gelegen, der in die Körne rinnt. Dieser Besitz erweist sich für das frühe 13. Jh. bereits als aufgeteilt in mindestens drei Höfe (Wittkamp, Diekheuer und Mork), die verschiedenen Grundherren zustanden. Da diese Höfe zusammen etwa die gleiche Größe an zugehörendem Land wie das Nasengut der Abtei Werden aufweisen (etwa 40 Maltersaat), könnte der Schluß gezogen werden, daß hier ein in der fränkischen Eroberungszeit konfiszierter Besitz eines freien Sachsen gelegen hat, der etwa zu gleichen Teilen an die beiden Abteien geschenkt worden ist.

Besonders für Rogges letzte These wäre aber eine anderweitige Absicherung wünschenswert, ein Umstand, den er auch selber sah. Denn seine Ausführungen schließen mit dem Satz: ”Eine verlockende, aber unbeweisbare Hypothese.”

Doch auch auf die übrigen Annahmen trifft das Problem mangelnder Überprüfbarkeit zu. Die Ansichten lassen sich weder durch entsprechende Funde, noch durch schriftliche Quellen erhärten oder widerlegen. Gleichzeitig schließen die fehlenden Funde aber keineswegs ein frühes Vorhandensein einer Ansiedlung in Westick aus. In seiner Abhandlung über das Dorf Westick hatte Rogge bereits darauf hingewiesen, daß der Kern der alten Ansiedlung sich vermutlich ”unter dem heutigen Dorf verbergen dürfte und demnach schwer zu ergraben wäre.”6

Die erste urkundliche Erwähnung Westicks geht auf das zweite Drittel des 12. Jahrhunderts zurück. In einem Heberegister der Abtei Werden7 wird ein ‚Wennekin iuxta Lippiam in Westwig‘ genannt, der Abgaben an den zu Werden gehörenden Fronhof Schöpplenberg bei Hagen zu leisten hat. Der Vermutung Beisenherz, daß der ‚Schreiber des Werdener Registers offenbar die Seseke mit der Lippe verwechselt‘ habe, ist wohl zuzustimmen. Allerdings sei darauf hingewiesen, daß es mehrere Orte gleichen Namens in der näheren Umgebung des Kirchspiels gibt: Es ist möglich, wenn auch unwahrscheinlich, daß die bei Fröndenberg liegende Ortschaft Westick gemeint war. Westig bei Hemer wird auf Grund des erwähnten Flusses wohl auszuschließen sein. Für eine Zuordnung des genannten Westwig zum hiesigen Kirchspiel spricht nicht zuletzt, daß der Name Wennekin in abgewandelter Form, als Wennemar, bei dem eindeutig hier angesiedelten Adelsgeschlecht von Westick üblich war.8

Einen Überblick über die Nennungen Westicks in den Urkunden des 12. bis 14. Jahrhunderts hat bereits Beisenherz gegeben. Mittlerweile hat sich der Forschungsstand jedoch bedeutend erweitert. Zur Vervollständigung der dortigen Angaben seien hier nur Urkunden des 12. und 13. Jahrhunderts aufgeführt. In späteren Urkunden taucht der Name derart häufig auf, daß ein näheres Eingehen auf diese Zeit den Rahmen dieser Schrift sprengen würde.9

  • 12. Jahrhundert, 2. Drittel: ”Wennekin iuxta Lippiam in Westwig”
    Heberegister der Abtei Werden10
  • 1201, 4. Januar: Diedrich von Westwich wird bei der Bestätigung eines Vertrages des Stiftes Kappenberg durch den Kölner Erzbischof als Zeuge genannt. Da in der Urkunde mehrere Familien genannt werden, die zum Kirchspiel Methler gehörten, seien sämtliche Zeugen erwähnt:
    Graf Arnold von Altena, Adolf, der Sohn des Grafen Friedrich von Altena, der ‚dapifer‘ Ludolf von Boenen und sein Bruder Lubert, Eberhard Hane und sein Bruder Lambert, Diedrich von Meteler und sein Bruder Arnold, Lambert von Hövel, Adolf Colve, Everbert cognomento magnus, Diedrich Turco, der erwähnte Diedrich von Westwich und Hartlieb, ein Geistlicher zu Herringen.11
  • Zwischen 1193 und 1205: Arnold von Westwic und sein Bruder Diedrich als Zeugen bei der Überlassung eines Zehnten durch Ludolf von Velmede an das Stift Kappenberg erwähnt.12
  • Um 1220: die kleine, ältere Vogteirolle des Stifts Essen der Grafen von Altena-Isenberg erwähnt einen Hof in Westwic, der zum Oberhof Brockhausen bei Unna gehörte. Ebenfalls zur ‚curia Bruchusen‘ gehörte ein Hof in Bickinchusen und einer in Werdinghoven.
    Ebenfalls dort erwähnt werden zwei weitere Oberhöfe, die in diesem Zusammenhang von Interesse sind:
    Zu einer ‚curia secunda apud Apelderbeke‘, einem Oberhof des Stiftes Möllenbeck an der Weser gehörten 2 Höfe in Lerche, 1 in Westwic, 2 in Aden, 2 in Curlere und 2 in Brakele.
    Zur ‚curia te Evenecke‘, dem Oberhof (Dortmund-) Eving gehörten 2 Höfe in Suitkamene, 3 in Westwic, 3 in Hovestede, 2 in Horstmere, 2 in Altenderne, 1 in Cumpe, 1 in Redeminchusen und 1 in Evenecke.13
  • 1226: Bei der Übertragung von Eigentumsrechten an das Stift Kappenberg durch Graf Adolf I. von der Mark werden u. a. als Zeugen genannt:
    Hugo der Prior, Rotger der Kellermeister, dessen Nachfolger Bernhard, Wilhelm der Küster, Philipp, Geistlicher zu Kappenberg, Volmar, Geistlicher zu Mark, der Droste Ludolf von Boenen, seine Söhne Adolf, Ludolf und Richard, Albert von Asseln und sein Sohn Eberhard, Gerwin von Rinkenrode, Johann von Hövel, Heinrich Francois, Adolf Alant, Degenhart Top, Ludbert von Boenen, Walter von Herringen, Johann von Dinker, Robert von Soelde, Arnold von Westick und Hugo von Methler.14
  • Bei der Übertragung zweier in Töddinghausen bzw. Bergkamen gelegener Häuser an das Stift Kappenberg wird als Zeuge u. a. Adolph von Westick erwähnt.15
  • Graf Engelbert von der Mark überträgt ein Haus in Ehringhausen, Kirchspiel Werne an das Stift Kappenberg. Das Haus war ein Lehen des Adolf von Westick, der mit Zustimmung seiner Frau Ermentrude darauf verzichtet hatte.16
  • 1277, 12. Juli: Adolf von Westick wird in einer weiteren Urkunde Engelberts von der Mark als Ritter bezeichnet.17
  • 1280, 13. Mai: In einer Erklärung des Grafen Eberhards von der Mark, daß er keinerlei rechtliche Ansprüche auf die Vogtei Kappenbergs besitze, wird unter den Zeugen auch der Ritter Adolf von Westick genannt und als ‚castellani nostri tam Marcha, quam Altena et Camene commorantes‘ bezeichnet.18
    Weitere Nennungen des Adolf von Westick:
    1282, 10. August19
    128420
    1285, 13. Mai21
  • 1286, 27. April: Bei einem Tausch von Ministerialen zwischen den Grafen Eberhard von der Mark und Eberhard von Limburg wird unter den Zeugen Hartlieb von Westwic genannt.22

1 Beisenherz, Kurl, S.298

2 Beisenherz, Kurl, S.298

3 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Begriff ‘Wiek²’, Bd.29, S.1563

4 Planitz, Hans, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 5. Aufl., Wiesbaden 1997, S.55

5 Rogge, Das Dorf Westick, S.1, masch. schriftl., Archiv der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Methler, vgl. a. Rogge, Höfe in Westick, im Anhang

6 Rogge, Das Dorf Westick, S.1

7 Koetzschke, Die Urbare der Abtei Werden vom 9. bis 13. Jahrhundert, Bonn 1906, Band II, Nr. 290, zitiert nach Beisenherz, Kurl, S.299

8 Rogge, Das Dorf Westick, S.1

9 Für weiterführende Forschungen sei auf die im Anhang wiedergegebene Geschichte der ‘Höfe, Kotten und Stellen im Dorf Westick’ verwiesen.

10 Koetzschke, Die Urbare der Abtei Werden, Band II, Nr. 290, zitiert nach Beisenherz, Kurl, S.299

11 WUB III, Nr.1

12 WUB III, Nr.8

13 Pergament-Urkunde des Archivs Bentheim-Tecklenburg in Rheda, zitiert nach Giesbert Rogge, Urkundensammlung des Kirchspiels Methler, Archiv der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Methler

14 WUB III, Nr.226; WUB VII, Nr.282

15 WUB, III, Nr.870; WUB VII, Nr.1377

16 WUB III, Nr.869; WUB VII, Nr.1380 und 1381

17 WUB III, Nr.1022; WUB VII, Nr.1612a

18 WUB III, Nr.1099; WUB VII, Nr.1725

19 Krumbholtz, Urkundenbuch Volmarstein – v. d. Recke, Münster 1917, Band III, Nr.225, zitiert nach Beisenherz, Kurl, S.299

20 WUB III, Nr.1261 und 1262

21 WUB VII, Nr.1956

22 WUB VII, Nr.1996