Archiv der Kategorie: Neue Beiträge

100 Jahre Sesekeumbau

von Klaus Holzer

Jetzt, im Jahre 2018, wird Kamens vorläufig letzte große städtebauliche Errungenschaft fertiggestellt, der Sesekepark, nach der Neugestaltung des Bahnhofsgeländes im Süden und der Errichtung des Kamen Quadrat im Norden, auf dem Areal des ehemaligen Vogelhofs (vgl. a.Art. Nordstraße), nachdem Karstadt und Hertie an dieser Stelle scheiterten. Beide Bereiche sind  funktionale Gebilde, Dienstleistungszentren, dienen der Mobilität mit dem ÖPNV und der Nahversorgung. Der Sesekepark ergänzt diese beiden Pole fast genau auf der Mitte zwischen ihnen und dient vor allem der Verschönerung der Stadt, der Erhöhung ihrer Lebensqualität, der Erholung ihrer Bürger. Besonders schön ist es, daß damit endlich unser Flüßchen, die Seseke, in die Gestaltung eingebunden wird. 2014 kam die nach einer Gesamtbauzeit von einem Vierteljahrhundert 1988 begonnene Renaturierung der Seseke zum Abschluß, rund 100 Jahre nach der ersten großen Umbauphase, die mit der Gründung der Seseke-Genossenschaft 1914 ihre nominellen Anfang nahm, und erst 1936 endgültig abgeschlossen wurde und damit ähnlich lange dauerte.

Vor 1900 war die Seseke ein mäandrierender Flachlandfluß, der vor allem durch seinen Fisch–, Krebs– und Muschelreichtum stark zur Ernährung der Kamener beitrug1, aber auch regelmäßig weite Teile der Stadt überschwemmte, Fluch und Segen zugleich war. Nicht zuletzt war ein Altarm der Seseke, wo er, von Heeren kommend, auf die Stadtmauer traf, etwa in Höhe der „Bleiche“ auf der Ostenallee, die erste Kamener Badeanstalt, betrieben von der Badegesellschaft „Flora“.

Abb. 1: Camens erste Badeanstalt

Abb. 2: Die Seseke, ein mäandrierender Flachlandfluß

Über die Überschwemmungen berichtet auch August Siegler2, im Jahre 1927: „Besonders groß war die Ueberschwemmung am 24. Februar 1890. An der jetzigen neuen Maibrücke und am Rathaus sind Marken angebracht, die den damaligen Höchststand des Wassers an den bezeichneten Stellen anzeigen. Der Strom von der Ostenmauer über die Bahnhofstraße nach der Klosterstraße war so stark, daß ein Mensch nur mit großer Mühe und Gefahr durch das Strombett gehen konnte. Die Feuerwehr hatte die ganze Nacht schwer gearbeitet, um Menschen, Tiere und Sachen zu retten. Aus dem Torwärterhäuschen, das da stand, wo jetzt das Geschäft von Thöling (Anm: heute Bahnhofstraße 53) ist, holten sie frühmorgens noch die alte Bewohnerin, Frau Rentsch, die in ihrem schwimmenden Bette lag. Den Leuten wurden Lebensmittel, die an Latten gebunden waren, in die obere Etage gereicht. Das Ganze bot einen schönen und doch furchtbar grausigen Anblick. Später wurde der Flutkanal nördlich von dem jetzigen Sparkassengebäude, der einen Teil des Wassers aus dem Mühlenkolk schneller weiterleiten sollte, angelegt. Diese Anlage genügte aber nicht, um weiter Ueberschwemmungen zu vermeiden.“ 

Abb. 3: Das Hochwasser vom 24. Februar (oder November) 1890

So weit, so gut, die Kamener waren Hochwasser gewöhnt, sie arrangierten sich mit dem Unvermeidlichen. Als dann aber 1873 der Bergbau in unsere Region kam, änderte sich alles. Im Oktober 1905 leiteten die Zechen Königsborn III/IV , Schacht Bönen, und Courl riesige Mengen Ammoniak in Seseke und Körne ein und verwandelten die beiden Flüßchen in tote Gewässer. Die Märkische Zeitung schrieb wiederholt zu diesem Thema: „Unsere Sesike ist jetzt ein totes Wasser geworden, kein lebendes Wesen, weder Fisch noch Frosch, noch sonst ein Tierchen macht sich darin bemerkbar. … Viele Zentner der schönsten Fische aller Art, sowie Millionen kleiner Fische, der jungen Brut, bedeckten die Oberfläche des Wassers und wurden von zahllosen Fischliebhabern aufgefangen und als gute Beute heimgeholt.“ Und abschließend, da die Zeche bei Bönen als Schuldige ausgemacht ist, die Mahnung: „Die Industrie begrüßen wir als lebenweckenden Faktor mit Freuden, aber sie darf nicht tötend und verderbenbringend werden.“ (Märkische Zeitung, mehrfach im Oktober/November 1905)

Jetzt war den Kamenern nicht nur ein Teil ihrer Nahrungsgrundlage entzogen, sondern jedes Hochwasser bescherte ihnen auch ernste gesundheitliche Gefahren. Da Kamen eine nur rudimentäre Kanalisation hatte, das meiste Abwasser aus den Häusern direkt in die Rinnen an den Straßenrändern und von dort in offene Gräben floß, bedeutete Hochwasser eben auch, daß jetzt Schmutzwasser in den Straßen stand, Fäkalien eingeschlossen. Es war also dringend erforderlich, die Sesekeregulierung und, damit einhergehend, Kamens Kanalisation anzugehen.

Im Winter 1913/14 wurde es konkret, die Sesekegenossenschaft gründete sich. Ihre erste Sitzung, die Gründungsversammlung, fand am 4. April 1914 in Dortmund statt. Wie wichtig das Vorhaben war, zeigt die Tatsache, daß diese Sitzung durch den Regierungspräsidenten Alfred von Bake eröffnet wurde. Er stellte fest, daß sich seit der Jahrhundertwende die Verhältnisse an der Seseke denen an der Emscher angeglichen hätten: die industriellen Anlagen führten zu Verschlammungen, die Zustände würden zunehmend unhaltbarer. Daher sei diese Zwangsgenossenschaft nötig. Auf dieser Versammlung wurde, abgesehen von einigen kleineren Satzungsänderungen, nur der Vorstand gewählt. Stellvertretender Vorsitzender wurde der Kamener Bergrat Fritz Funcke (ehem. Kamener Zechendirektor, 1925 zum ersten Ehrenbürger der Stadt Kamen ernannt) der sich in vielerlei Hinsicht um Kamen verdient gemacht hat und der älteren Kamenern noch als Besitzer und Bewohner der Funckenburg (heute Zollpost) in Erinnerung sein dürfte. 

Zum Schluß der Versammlung gab von Bake seiner Hoffnung Ausdruck, daß die Genossenschaft einen „weisen Ausgleich“ zwischen den divergierenden Interessen von Industrie und Landwirtschaft finden möge3, die Industrie habe der Landwirtschaft viel verdorben, klage selber über hohe Kosten.

Anfang Juli 1914 wird die Satzung der Genossenschaft durch den preußischen Landwirtschaftsminister Clemens Freiherr von Schorlemer-Lieser genehmigt und tritt damit in Kraft. 

Kamen ist zu dieser Zeit noch das verträumte kleine Ackerbürgerstädtchen, das es jahrhundertelang gewesen war. Zwar war die zentrale Fließendwasserversorgung seit 1887/88 zunehmend  ausgebaut worden, doch gab es keine umfassende Entsorgung des Schmutzwassers, da es keine Kanalisation gab. Aus einer Anfrage im Kamener Volksfreund vom 19. September 1875 geht hervor, daß schon damals auf diese Übelstände aufmerksam gemacht wurde. Die Anfrage lautete: „Wann wird mit der Beseitigung unserer städtischen Schönheiten, den vielen Kloaken, endlich ein Anfang gemacht ? – Die Bewohner der Kloaken–Gegend.“ Das bedeutete im Klartext, daß es in Kamen Stellen gab, an denen vor Schmutz und Gestank kaum Leben möglich war. Die Kamener Zeitung vom 24. April 1915 nennt zwei besonders üble Beispiele: Kommt ein Gast per Bahn nach Kamen und geht die Bahnhofstraße entlang, so gibt Kamen hier die denkbar schlechteste Visitenkarte ab. Auf dem Stück zwischen der Bahn und der Stelle, wo heute das Rathaus steht, lagen „Fäkalien, Müll und allerlei Unrat zuhauf auf und neben der Straße, übler Gestank verpestete die Luft, der Anblick würde den Gast zur sofortigen Umkehr veranlassen. Und was sich dort an Krankheitskeimen tummele, sei nur zu vermuten“. Eine weitere, noch schlimmere Stelle macht er in der Nordenfeldmark aus, wo sie, „wenn man aus der Stadt kommt, bei der alten VfL-Turnhalle links abbiegt“.

Die ersten eher zaghaften Anfänge wurden ab 1892 gemacht, wenige Jahre, nachdem die ersten zentralen Wasseranschlüsse gelegt worden waren. Am 25. August 1925 begannen die endgültigen Kanalisationsarbeiten in Kamen. Die volle Wirkung der Kanalisation würde erst nach der Fertigstellung der Hausanschlüsse ganz gewürdigt werden können, war man sich sicher. Nach Abschluß der ersten Bauabschnitte waren die Schmutzgräben im Osten, Norden und Westen der Stadt verschwunden und  man glaubte, daß Überschwemmungen in Zukunft als nahezu ausgeschlossen zu betrachten seien. 

In Kamen eine Kanalisation zu bauen, ist jedoch eine schwierige Sache, weil die Stadt eben ist und unter häufigen Hochwassern leidet. Wegen dieser Umstände mußte der Boden der Seseke um ca. zweieinhalb Meter abgesenkt werden, sonst fließt das Wasser nicht mehr bzw. in die falsche Richtung. Der Artikel nennt das „recht erschwerte Abflußverhältnisse“. Doch wußte man in Kamen auch, daß es noch lange dauern würde, bis sich diese Verhältnisse verbesserten, da ja ein gutes halbes Jahr vorher der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, weswegen sich der Bau der Kanalisation deutlich verzögern würde. 

Dann jedoch hilft ausgerechnet diese Tatsache der Stadt unerwartet zu einem früheren Beginn der Arbeiten zur Regulierung der Seseke. Am 5. August 1915 berichtet die Kamener Zeitung: „Seit einigen Tagen ist mit den Vorarbeiten für die Sesekeregulierung in den Marschweiden (Anm: Im Mersch) begonnen worden; dieselben werden von einem 10 Mann starken Trupp französischer Kriegsgefangener ausgeführt, die man gleich hinter dem Staubecken der hiesigen Mühle bei den Erdbewegungsarbeiten beobachten kann.“

Abb. 4: Blick auf den Mühlenkolk, um 1900

Eine wesentliche Ursache für Kamens Hochwasserprobleme scheint der Mühlenkolk gewesen zu sein, der bis 1923 oberhalb der Maibrücke lag und ein Stück weit in die Bahnhofstraße (die vorher zwischen Markt und Maibrücke Mühlenstraße hieß) bis vor die heute noch an dieser Stelle liegende Einfahrt zur Mühle ragte.

In diesem Artikel fallen dem Leser sofort zwei Formulierungen besonders auf: die Bahnhofstraße wird hier ohne jede Ironie die „Hauptstraße von Kamen“ genannt. Die Eisenbahn war das wichtigste Verkehrsmittel der Zeit, die Verheißung der Moderne, der Zukunft. Und der „Abfluß des Mühlenkolks (Anm: also nicht die Seseke selber!) geht durch die Straßenbrücke von Kamen“. Hier wird verklausuliert deutlich, was wir Heutigen uns nicht mehr vorstellen können, nämlich, daß die Maibrücke bis 1923 die einzige Straßenbrücke Kamens war.4 

Das Thema Hochwasser bewegte unsere Vorfahren sehr stark. In diesem Artikel werden auch Auswirkungen benannt: „Die oberhalb (Anm.: des Mühlenkolks) liegenden Wiesen und Weiden liegen bis zu der Köln-Mindener Bahn vollständig im Rückstau dieses Mühlenstaues und werden bei höherem Wasser überflutet.“ Und indirekt bedeutet das natürlich auch, daß durch den Bau eben dieser Eisenbahn die Kamener Hochwässer verstärkt wurden, konnte das Wasser doch nur noch bis zu diesem Damm steigen, schwappte dann zurück in die Stadt. Und halb stolz, halb bedauernd, erwähnt der Autor dann auch noch, daß „die am Rathaus angebrachten Marken beweisen“, wie sehr die Stadt unter dem Hochwasser zu leiden hatte, „deren höchste [zeigt] den Wasserstand vom November 1890 [an] und liegt „etwa 70 Zentimeter über der Straßenfahrbahn“.

Abb. 5. Das Hochwasser von 1923, mit Dammbruch am Mühlenkolk

Das Hochwasserproblem war zumindest teilweise mit der Existenz des Mühlenstaus verbunden, weswegen schon vorher ein drei Meter breiter Flutkanal an der rechten Seite gemauert worden war. So konnte das Wasser reguliert abfließen, was aber offenkundig nicht reichte. Im Zuge der Neuregulierung der Seseke war man an dieser Stelle dabei, ein Stück neu auszubauen. Darum mußte die Seseke hier durch den ehemaligen Stadtgraben, den Umflutgraben, umgeleitet werden. Dazu wurde ein Damm errichtet. Es hatte tagelang geregnet, und der Umflutgraben konnte die Wassermassen nicht mehr fassen. Die Kamener hofften, der Damm werde halten, doch „do kennt dä Lüe user Sesike schlecht,“ sagte ein alter Kamenser . Und schon geschah es: „Da sprang gestern um die erste Mittagsstunde der Damm mit Krach und Getöse entzwei. Die Wassermassen setzten sich mit aller Kraft durch und nahmen die schweren Balken, die Bretter und Brettchen mit Leichtigkeit mit.“ (Kamener Zeitung, 3. Februar 1923)

So geschehen am 2. Februar 1923, direkt am Mühlenkolk, unterhalb der Mühle Ruckebier an der Maibrücke (merkwürdigerweise war genau das gleiche 125 Jahre vorher bei einem Umbau schon einmal geschehen). Endgültige Abhilfe versprach man sich von der kompletten Beseitigung des Mühlenkolks. Die aber würde es dem Müller unmöglich machen, weiterhin mit Wasserkraft zu mahlen. Warum hätte der Müller zustimmen sollen? Also wurden Pläne für dessen Enteignung „vorläufig und endgültig“ festgestellt.

Aber es war von Anfang an klar, daß man, um die Probleme mit der Seseke beheben zu können, sich nicht nur auf den Fluß beschränken konnte, schließlich wollten die Kamener endlich ihre Kanalisation haben, doch ist jeder Fluß mit anderen verbunden. Höhenverhältnisse zu verändern, bedeutet unweigerlich, alle anderen Gewässer ebenfalls verändern zu müssen. Im August 1920 meldete die Kamener Zeitung, daß auch die Körne zweieinhalb bis drei Meter tiefer gelegt werden solle, die ja bekanntlich in die Seseke fließt. Grund: Dortmund wollte ebenfalls eine Kanalisation bauen. Im Gefolge dieses Umbaus verlor dann auch die Berger Mühle ihre Existenzgrundlage, und im weiteren Verlauf der Seseke mußte auch noch die Hilsingsmühle in Methler aufgeben. Im Fall Berger Mühle scheint es rechtzeitig zu einer Einigung gekommen zu sein. Die Sesekegenossenschaft hatte die Staugerechtsame5 rechtzeitig erwerben können.

Abb. 6: Die Berger Mühle, kurz vor ihrem Abriß 1927

Eine weitere Folge der damaligen Sesekeregulierung war der Bau neuer Straßen (u.a. der Rathenaustraße, heute Koppelstraße) und von Wohnhäusern für Bergleute. Für alle diese Baumaßnahmen war damals eine landespolizeiliche Genehmigung erforderlich.

Ende Oktober 1920 war es dann endlich so weit: die Arbeiten zur Regulierung wurden begonnen. Die Kosten wurden je nach „Maßgabe der Interessenten“ verteilt. Für das Jahr 1920 entfielen auf

Kamen    8.644 Mark

Unna    8.869 Mark

Bergkamen    2.805 Mark

Westick    1.064 Mark

Methler    2.159 Mark

Zeche Grillo    17.000 Mark

Derweil schritten die Reparaturarbeiten an der Maibrücke, gut voran. Sobald der Beton trocken war und die nötige Festigkeit erlangt hatte, wurden die Straßenbahnschienen von der alten auf die neu fertiggestellte Seite verlegt, und die Kleinbahn  konnte wieder ungestört rollen.

Acht Jahre dauerte es, bis die bereits 1915 ins Auge gefaßten Arbeiten zur Entfernung des Mühlenkolks begonnen werden konnten. Kurz vor Weihnachten 1923 machte sich die Stadt Kamen selber ein Geschenk: „Im Mühlenkolk kann Schutt abgeladen werden. Diese Nachricht wird manchen Bürger, der nicht weiß, wohin mit der Asche, erfreuen. Wir glauben, daß der Kolk auf schnelle und für die Stadt billige Art zugeschüttet sein wird.“ (Kam. Zeit., 20. Dez. 1923) Schließlich hatte jeder Haushalt mindestens einen, meist mehrere Kohleöfen in der Wohnung. Und der Gedanke, daß Kohleasche später eine Altlast sein würde, war noch nicht in der Welt.

Abb. 7: Arbeiten an der Seseke-Regulierung, hier im Bereich der Koppelstraße

Im Januar 1928 ist man sich bei der Kamener Zeitung sicher, daß die Arbeiten an der Seseke noch im selben Jahr beendet werden können, weil 1927 der Umbau auf 400 Metern Länge in der Kamener Innenstadt abgeschlossen werden konnte. Das Jahr 1927 brachte so große Fortschritte, weil zweckmäßige neueste Technik angeschafft worden war: „Wasserhaltungsmaschinen6 und ein Vierseilgreifer“, mit deren Hilfe das notwendig gewordene neue Flußbett schneller als bloß mit Hacke und Schaufel gegraben werden konnte. Als besonders zeitaufwendig erwies sich das Gelände an der Fünfbogenbrücke, weil hier, wie auch an anderen Stellen im Verlauf der Seseke auf dem Kamener Stadtgebiet, Fließboden besondere Sorgfalt erforderte, doch zusätzlich die damals 80 Jahre alte Brücke wegen der Tieferlegung der Flußsohle auf neue Fundamente gesetzt werden mußte, natürlich bei laufendem Verkehr. Dazu mußten die alten Fundamente freigelegt und neu unterfüttert werden.

Abb. 8: An vielen Stellen mußte ein neues Flußbett gegraben werden.

Für den Transport der großen Materialmengen beim Bau (ca. 15.000 m3 Aushub, ähnlich große Mengen an Steinen, Beton und Hochofen– und Kesselschlacke für die Fundamente und das Mauerwerk des seitlichen Gerinnes, das bei Hochwasser den größten Teil des Drucks von den Brückenpfeilern nehmen sollte) wurde extra eine Schmalspurbahn vom Bahnhof Kamen dorthin verlegt. 

Besondere Erwähnung findet in dem Artikel der Kamener Zeitung vom 18. Januar 1928 die Tatsache, daß 1927 „90 Arbeiter aus Kamen und Umgebung eine lohnende Beschäftigung“ auf der Baustelle fanden, darunter „50 Erwerbslose (Notstandsarbeiter)“. 

Im selben Jahr 1927 wurden auch die Arbeiten an der Seseke in Heeren-Werve beendet, der Mühlbach wurde in Angriff genommen.

Die Seseke sollte bis zur Straße Werve – Flierich reguliert werden. Bis Ende 1930 wollte man fertig sein. Dazu gehörten auch die durch den neuen Verlauf des Flusses nötig gewordenen Brücken.

Abb. 9: Hier wurde die „Wandelhalle“ angelegt; im Hintergrund die Halle der Seilerei Overmann.

Das Unternehmen Sesekeregulierung war aus der Not geboren und verlangte allen Beteiligten viel ab, Geduld, Geld, Planung, Unbequemlichkeiten. Aber selbst für das Schöne hatte man etwas übrig, sah, daß das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden gehört, wenn das Erstere Akzeptanz finden soll. Man legte in Kamen eine Seseke-Promenade an, wieder als „Notstandsarbeit“, mit „schönen Anlagen, wie Ruhebänken, Wandelhalle, Kinderspielplätzen mit Sandkästen“. Dabei handelte es sich um das Stückchen Weg rechts der Seseke, zwischen Mai- und Vinckebrücke.7 

Abb. 10: Der Bau der „Bindebrücke“, später Vinckebrücke genannt.

Abb. 11: So sah die Vinckebrücke bis zu ihrem Abriß im Frühsommer 2018 aus.

Abb. 12: Die neue Vinckebrücke, am 15. August 2018 eingebaut

Auf diesem Weg gab es die nach allen Seiten offene Halle der Seilerei Overmann, die als „Wandelhalle“ integriert wurde. Diese Wandelhalle sollte auch Pausenhalle für die Kinder der nahen Schulen sein, in ihrer Nähe wurden Bänke für Spaziergänger aufgestellt. (Kamener Zeitung, 11. und 31. 8. 1931) Später, so sahen es die Pläne vor, sollte diese Promenade bis zur 1924 fertiggestellten Rathenaustraße weitergeführt werden, eine Anbindung schaffen zwischen der Stadt und den bereits vorhandenen Grünanlagen um den Koppelteich herum, wozu es aber offenbar nicht mehr kam.

Weiter flußabwärts war inzwischen ebenfalls viel passiert. Auch Lünen hatte mit Hochwasser zu kämpfen. Dort sorgte nicht nur die Seseke für Überschwemmungen, sondern, schlimmer noch, auch die Lippe. Ursprünglich mündete die Seseke westlich von Lünen in die Lippe, das bedeutete aber für die Stadt, daß man zwei eingedeichte Flüsse in der Stadtmitte hatte. Kurzerhand verlegte man die Sesekemündung nach Osten, bevor der Fluß die Stadtmitte durchfloß. So erreichte man, daß nur ein Deich zu bauen und zu erhalten war. Auch hier wird wieder betont, daß es sich um Notstandsarbeiten handelte und daß „die Erwerbslosen der Stadt […] Lünen je nach Bedarf zu den Arbeiten herangezogen [werden]. Im Durchschnitt finden etwa 150 Mann Beschäftigung.“ (Kamener Zeitung, 28.8.1931) Für diese Arbeiten zeichnet aber bereits der am 19. Januar 1926  gegründete Lippeverband verantwortlich, dem sich die Sesekegenossenschaft 1926 angeschlossen hatte. Es war nämlich allen Beteiligten sehr bald klar geworden, daß isoliertes Arbeiten an einem Fluß kein Problem lösen konnte, daher mußte im Flußbereich der Lippe, zu dem die Seseke gehört, einheitlich gehandelt werden8. 

Als diese Arbeiten 1936 zum Abschluß kamen, zählt der Autor eines Artikels in der Märkischen Zeitung vom 6. Januar 1936 auf, was alles an Widrigkeiten durch die Regulierung der Seseke behoben werden konnte. Jedes Hochwasser, ob durch Regen oder Schneeschmelze, „hinterließ auf Wiesen und Aeckern einen zähen, übelriechenden Schlamm“, der auch die Keller der angrenzenden Häuser verdreckte und „Herd für allerlei Krankheiten“ war. Die „großen, übelriechenden Sümpfe bei Schwansbell sind verschwunden, aus den versäuerten Wiesen, den verschlammten Aeckern ist fruchtbares Land geworden“. 

Abb. 13 & 14: „Der Bach geht jetzt in fast gerader Linie durch die Landschaft.“

Abschließend stellt der Autor fest – für uns Heutige, die möglichst intakte Natur lieben, kaum noch verständlich – daß das frühere Flüßchen mit seinen vielen Windungen und Krümmungen und seinen flachen Ufern als „Bach jetzt in fast gerader Linie durch die Landschaft“ geht. Das sei aber nur für „Romantiker, nicht aber für den Bauer (sic!)“ von Interesse, denn dieser habe nun fruchtbares Land gewonnen. Der Umbau im ganzen wird als „kulturelle Maßnahme“ gefeiert, der leider die Adener Mühle, die letzte im weiten Umkreise, zum Opfer gefallen sei. Auch sie mußte, nach der Böingschen Mühle, der Kamener Mühle, der Berger Mühle und der Hilsingsmühle ihren Wasserbetrieb einstellen. Einige dieser Müller versuchten noch, sich als Windmüller zu behaupten, was aber aussichtslos war (Berger Mühle), mit einem elektrischen Mahlwerk zu überleben, was aber nur noch eine begrenzte Zeitspanne den Weiterbetrieb ermöglichte (Hilsingsmühle; die Kamener Mühle Ruckebier hatte schon im Juli 1906 auf Turbinenbetrieb umgestellt). 

Abb. 15: Die Adener Mühle

Die Industrialisierung Kamens und seiner Umgebung, überwiegend durch den Bergbau repräsentiert, brachte Beschäftigung und Geld in die Stadt, führte aber zur Veränderung der vorher weitestgehend „natürlichen Kulturlandschaft“. 1905 vergifteten die Zechen Courl und Königsborn III/IV in Bönen Körne und Seske durch die Einleitung großer Mengen Ammoniak, was alles Leben dort vernichtete. Es folgten Bergsenkungen, Bäche veränderten ihren Lauf, in neu entstandenen Mulden sammelte sich Wasser, in dem sich angesichts der allgemeinen hygienischen Umstände schnell Krankheitskeime vermehrten, die zu verbreiteten gesundheitlichen Problemen der Bevölkerung führten. Da das stehende Wasser die Gefahr darstellte, war der Grundgedanke der Regulierung: Wenn das jetzt stehende Wasser schnell abfließt, löst sich das Problem auf. Was auch im ganzen recht gut funktionierte. In der Folge konnten alle Seseke-Anrainer ihre Kanalisation bauen, des weiteren ging 1942 das Körne-Klärwerk in Betrieb. Alles zusammen war der Fortschritt, und die Menschen wußten ihn zu schätzen.

Abb. 16: In der ersten Dezemberwoche 1960 ging die Kamener Badeanstalt baden

Doch waren damit beileibe nicht alle Probleme behoben. Das Abwasser aus der Kanalisation wurde trotz des neuen Klärwerks größtenteils ungeklärt in die Seseke geleitet. Der sommerliche Gestank ist noch allen älteren Kamenern in unguter Erinnerung. Und auch die Hochwassergefahr war entgegen der Hoffnung der Kamener nach der Regulierung in den 1920er Jahren nicht endgültig gebannt. So kam es immer wieder zu Hochwassern. In der ersten Dezemberwoche 1960 stand ganz Kamen erneut unter Wasser. Die Seseke überschwemmte wieder einmal die Stadt, bis zum Markt schwappten die Fäkalien, Gottseidank stark verdünnt. Glückauf- und Martin-Luther-Schule lagen in einer Senke und standen sofort unter Wasser. Das Gymnasium, der alte Bau an der Hammer Straße, heute Diesterwegschule, war eine ganze Woche lang geschlossen. Hunderte Tiere im Biologiekeller, vor allem aus der Mäusezucht von „Egon“ Seliger, ertranken, seine Fische flutschten durch den Gully, bis auf den dicken Wels, der nicht hindurchpaßte. Die Kohle, die wir alle zum Heizen der Wohnungen brauchten, mußte aus überfluteten Kellern geholt werden und war pitschnaß. Im Hof wurde sie aufgeschüttet, damit das Wasser ablaufen konnte. Wenn man denn überhaupt an sie herankam. In vielen Fällen mußte man nach ihr tauchen.

Abb. 17: Der Rückbau zum „natürlichen“ Fluß

Abb. 18 – 20: Die „neue“ Seseke

Inzwischen ist unser Flüßchen erneut umgebaut, renaturiert worden (heute wird der Begriff „revitalisiert“ vorgezogen, weil die neue Natur ohne Technik nicht funktioniert). Seit 2004 führt die Seseke nur noch Reinwasser (also Quellwasser, Regenwasser, Oberflächenwasser, geklärtes Wasser), ähnelt in ihrer Gestalt über weite Strecken wieder dem ursprünglichen Flachlandfluß. 

Abb. 21: 5. Januar 2012: Hochwasser an der Körnemündung …

Abb. 22: … und unterhalb der Maibrücke

Nach diesem Umbau der Seseke, ihrer Renaturierung, hat es schon mehrfach starken, lang anhaltenden Regenfall gegeben. Ihr Wasserstand war hoch, besonders an der Körnemündung entstand eine Art See, doch nirgends trat Wasser über die Ufer. Die Wasserbauingenieure haben ein 50-Jahr-Hochwasser in ihren Plänen berücksichtigt. Es scheint, als wäre die Zeit der Überschwemmungen der Kamener Innenstadt vorbei. Hochwasser- und Regenrückhaltebecken zusammen mit einem vergrößerten Flußquerschnitt erfüllen ihren Zweck. Der Mensch hat es endlich geschafft, das Hochwasser zu beherrschen.

Da lag es nahe, das innerstädtische Ufer den Kamenern zugänglich zu machen und städtebaulich mit dem Sesekepark einen Glanzpunkt zu setzen. Es ist zu hoffen, daß er den Bürgern noch lange noch viel Freude bereitet.

KH

Abb. 1,2,3,4,5,7,10: Stadtarchiv Kamen; Abb. 6: Frau Ursula Schulze Berge; Abb. 8: Frau Maria Volkermann; Abb. 9: Familie Späh; Abb. 16: Archiv Klaus Holzer; Abb. 11,12,13,14,17,21,22: Photos Klaus Holzer; Abb. 15: Stadtarchiv Bergkamen; Abb. 18,19,20: Dr. Götz Heinrich Loos

Fußnoten:1 Wie bedeutend die Fischerei in Kamen war, läßt sich daran erkennen, daß im Jahre 1702 die Verpachtung der Fischereirechte der Stadt Kamen etwa 4% ihres Haushalts einbrachte. Der Stadtchronist Friedrich Pröbsting schreibt in seinen Lebenserinnerungen, daß er in seiner Kindheit, in den 1830er Jahren, mit seinem Vater mehr als 100 Pfund Fische oder 100 – 200 Krebse an einem einzigen Tag aus der Seseke zog.

2 Ein prominenter Kamener, Lehrer, Rektor, nach dem Ersten Weltkrieg Beigeordneter der Stadt Kamen, Vorsteher des Arbeitsamtes, Ehrenmitglied der Sanitätskolonne und in vielen weiteren Ehrenämtern tätig, genauer Stadtchronist seiner Zeit, zuletzt leider auch glühender Bewunderer Hitlers.

Offenbar gibt es einen Dissens in der Frage des höchsten Hochwassers. Siegler gibt den 24. Feb. 1890 an, während die Kamener Zeitung vom 26. und 28. 8. 1915 den November 1890 angibt).

3 Das gab es auch bei der Eröffnung des Projekts „Über Wasser gehen“ im Rahmen des Kulturhauptstadtjahrs Ruhr 2010. Thomas Stricker ließ im Sesekeknie in Oberaden eine künstliche Insel im Fluß anlegen, als natürliche Skulptur. Ein Bergkamener Landwirt klagte dagegen, mit der Begründung, daß seine benachbarten Äcker durch den verringerten Querschnitt der Seseke umso leichter von Hochwasser betroffen sein würden.  

4 August Siegler schreibt: „Bei dem Neubau der Maibrücke zeigte es sich, wie notwendig es war, daß neue Wege über die Seseke geschaffen wurden. Im Jahre 1921 brach man zuerst die halbe alte Brücke ab, um den Neubau ohne Unterbrechung des Verkehrs, der gerade damals sehr stark war, durchzuführen. Jedoch konnte der stehengebliebene Rest der Brücke bei der äußerst starken Inanspruchnahme nicht standhalten, zumal die Stützmauer an der Westseite abgebrochen war, wodurch der restliche Brückenteil seinen festen Halt verloren hatte. Eines Tages versagte die Brücke ihren Dienst. Sie konnte ohne große Gefahr nicht mehr befahren werden. Zum Glück hatten die Bauleiter die Gefahr frühzeitig genug erkannt und sperrten die Brücke für Fuhrwerke. Es dauerte einige Tage, bis durch lange T-Eisen wieder eine feste Grundlage für einen Brückenweg geschaffen war.

Bis zur Fertigstellung dieser Notbrücke war die Stadt mit Fuhrwerken nur auf Umwegen zu erreichen und zu verlassen. Die schwache Holzbrücke im Osten der Stadt war dem Ansturm nicht gewachsen und mußte bald für Fuhrwerke polizeilich gesperrt werden, um weiteres Unheil zu verhüten. Aller Fuhrverkehr mußte nun über Westick oder Derne–Heeren geleitet werden, weil Kamen nur den einen Verkehrsweg hatte, der nun nicht benutzt werden konnte. Da seit Beginn des Brückenbaues fast ein Jahr vergangen war, wurde Herr Bergrat Funcke, der seit einiger Zeit in Wittbräucke wohnte, gebeten als Vorsitzender des Vorstandes der Seseke–Genossenschaft dahin zu wirken, daß Kamen bald aus dieser Verkehrsnot erlöst und die Fertigstellung der Brücke beschleunigt würde. Diese Bitte hatte den Erfolg, daß die Brücke nun in einigen Wochen fertiggestellt wurde. Das war im Juni 1921. Die überstandenen Schwierigkeiten haben aber doch ihren Nutzen geschaffen. Man hatte allgemein die Ansicht gewonnen, daß der bisherige Zustand nicht bestehen bleiben durfte, daß weitere Wege über die Seseke angelegt und zur Verwirklichung solcher Anlagen Opfer gebracht werden mußten.“ (Die Entwicklung der Stadt Kamen. Rückblick, Vergleich, Ausblick. Rückblick auf 50 Jahre – 1873 – 1926. Abgedruckt in: Zechenzeitung 1926/27) Mit dem Bau der neuen Maibrücke schuf man auch einen breiteren Durchfluß, um den Abfluß des Wassers nicht zu hemmen.

5 eine Gerechtsame ist ein Nutzungsrecht oder ein Privileg

6 Eine solche Maschine hält die Arbeitsgrube wasserfrei; das kann eine Pumpe sein, aber auch, ganz einfach, können Gräben und Rohrleitungen diesen Zweck erfüllen.

7 Während der Reparaturarbeiten an der Maibrücke im Jahre 1921 begriff man die Notwendigkeit, im Bereich Brücken für Entlastung zu sorgen. Selbst für Fußgänger war es schwierig geworden, das Flüßchen zu queren. Es war klar, daß Kamen zu wenige und zu wenig leistungsfähige Brücken besaß. Daher beschloß die Stadtverordnetenversammlung 1923 eine Brücke nur für Fußgänger zu errichten, als Verbindung der Bahnhofstraße über den Grünen Weg mit der Klosterstraße, „Bindebrücke“ genannt, bereits 1949 Vinckebrücke genannt. Diese neue Brücke war sofort ein voller Erfolg, wurde rege benutzt. Später erwies sich ihr Bau als sehr weitsichtig, diente sie doch dann auch als kürzeste Verbindung zwischen Innenstadt und Koppelteichgelände und ab 1927 zur Badeanstalt. Und gleich dahinter lag ja auch noch der Hemsack mit Deutschlands einziger 1000-Meter-Bahn.

8 Der erste deutsche Wasserwirtschaftsverband war die Emschergenossenschaft, gegr. am 14. Dezember 1899

KKK eröffnet K10

von Klaus Holzer

Nach fast 5½-jähriger Vorlaufzeit ist sie endlich fertiggeworden, die Kulturroute West des KKK! Sie bietet einen leicht zu radelnden Rundkurs durch und um Methler. Dabei gibt es informative Tafeln an insgesamt neun Stellen, die historisch bedeutsam sind. Neben etlichen bekannten Orten wie z.B. dem Bahnhof Kamen

Abb. 1: Die Tafel am Bahnhofsgebäude in Kamen

und der Margaretenkirche Methler (diese Tafel kann erst nach Abschluß der Arbeiten an der Kanalisation aufgestellt werden) wird aber auch auf viele eher unbekannte Stellen aufmerksam gemacht. Wer weiß z.B. schon, daß am 2. Juli 1761 an der Wasserkurler Körnebrücke eine Schlacht stattfand, die gravierende Folgen für die Bevölkerung hatte? Und daß es an der Körne bis 1927 eine Mühle gab, die Berger Mühle?

Abb. 2: Die Tafel an der Margartenkirche in Methler

Folgende neun Ziele werden angesteuert: Bahnhof Kamen, germanische Siedlung im Seseke-Körne-Winkel, Wasserkurler Körnebrücke, altes Gasthaus Schulze Beckinghausen, Sportcentrum Kaiserau, Bergarbeiter Kolonie Sektion VIII in Kaiserau, Margaretenkirche in Methler und Technopark mit Gartenstadt Seseke-Aue in Kamen. Zu dieser Route wird es ein von der Stadt Kamen herausgegebenes Faltblatt mit Angabe des Rundkurses und inhaltlichen Notizen geben. Dort wird dieser Rundkurs als Kamener Kulturroute K10 geführt.

Diese Rundfahrt ist 15,5 km lang und hat insgesamt einen Höhenunterschied von 70 m, ist also auch als etwa zweistündiger Familienausflug geeignet.

Zur Eröffnung der K10 führte Klaus Holzer vom KKK  eine Tour am Samstag, 21. Juli 2018, durch.

Bereits in Arbeit ist die Ergänzung, die Kulturroute Ost, die bedeutsame Stellen und Gebäude in und um Heeren bekanntmachen soll.

Abb.3: Die Tafel am SportCentrum Kaiserau

Die K 10 (ursprünglich vom KKK Kulturroute West genannt) ist das Gemeinschaftswerk einer Vielzehl von Personen und Organisationen. Zuallererst sind hier die ehemals vier, jetzt nur noch zwei Mitglieder des KKK zu nennen, die die Idee hatten und inhaltlich und gestalterisch ausfüllten (in alphabetischer Reihenfolge): Dorothea Holzer, Klaus Holzer, Reimund Kasper und Hans Jürgen Kistner.

Doch wäre alles ohne die Hilfe der am unteren Rand der Tafeln aufgeführten Institutionen nichts geworden: vor allem die Sponsoren LionsClub Kamen Westfalen, LionsClub BergKamen sind hier zu nennen, doch auch die Hilfe des ADFC beim mehrmaligen Abfahren der Route muß erwähnt werden, und ohne die Kooperation mit der Stadt Kamen wäre es nicht zur Eröffnung am heutigen Tage gekommen. Und Dank auch an die DB AG, die Ersatz für die gestohlene Denkmaltafel im Rahmen unserer Gestaltung am Bahnhofsgebäude zugelassen hat, so konnten wir diese Stelle in die K 10 einbeziehen.

Die K 10 ist keine bloße Fahrradtour, wie es sie bereits mehrfach gibt, aber auch keine geführte Tour, auf der man an vielen Stationen Halt macht und Erklärungen zu unterschiedlichen Objekten abgegeben werden, sondern ein Mittelding: neun Stationen mit meist relativ langen Strecken dazwischen.

Es war geplant, alle Tafeln mit QR-Codes zu versehen, die die Betrachter auf die entsprechende Seite des Kulturkreises Kamen weiterleiten sollte, wo es weitere Informationen zum jeweiligen Thema gibt. Die Stadt hat sich dem jedoch verweigert, da sie keinen städtischen Link auf eine private Seite zulassen wollte. Doch enthält die KKK-Seite viele zusätzliche Informationen. Schlagen Sie die Seite kultur vor ort auf.


Abb. 4: Die Tafel am Klärwerk: eine germanische Siedlung

Das letzte Stück der Route ist noch nicht für den Verkehr geöffnet, da der Sesekepark erst am 22. September eingeweiht wird. Dann wird die K 10 von der Koppelstraße an der Seseke entlang durch den Sesekepark bis zur Bahnhofstraße führen und auf der Fahrradstraße Bahnhofstraße zum Bahnhof zurück.

KH

Alle Abbildungen: Kultur Kreis Kamen

775 Jahre Kamener Stadtmauer


von Klaus Holzer

Es gab keinen Bebauungsplan, keinen Planfeststellungsbeschluß, keinen Bauantrag, nichts, das uns heute über das größte Bauprojekt in Kamens Geschichte etwas Konkretes berichten könnte. Ein Bauwerk, das ganz am Anfang von Kamens Geschichte steht: die Stadtmauer. Wir wissen nicht ganz genau, wann sie gebaut wurde, doch gibt es Anhaltspunkte, die uns eine Annäherung erlauben, wie es auch Anhaltspunkte gibt, die uns eine Annäherung an das Datum von Kamens Stadtwerdung erlauben. Wir wissen auch nicht, ab wann genau Kamen sich „Stadt“ nennen durfte, nehmen das Datum des ersten (bekannten!) Stadtsiegels von 1284 als das Jahr, von dem an Kamen Stadt war. Es ist aber gewiß, daß 1284 die Stadtmauer längst existierte, Kamen also de facto längst eine Stadt mit allen Rechten war.

Um dem Datum näherzukommen, müssen wir uns zuerst weiter entfernen. Der Anfang des 13. Jh. war eine Zeit voller kriegerischer Auseinandersetzungen. Territorien, und damit Machtverhältnisse, mußten erst noch arrondiert werden.

Die Erzbischöfe von Köln waren seit dem Reichstag von Gelnhausen im Jahre 1180 auch Herzöge von Westfalen. Sie besaßen jedoch nicht viel mehr als den Titel, sie hatten kein geschlossenes Territorium. Als es ihnen gelang, die Grafschaft Arnsberg zu erwerben, war eine erste Verbindungsbrücke zwischen Teilen geschaffen. Zur weiteren Konsolidierung wollten die Kölner unbedingt auch noch die Grafschaften Mark und Berg in ihren Machtbereich eingliedern. Allerdings mißlang ihnen das immer wieder.

Im Verlaufe dieser Streitigkeiten wurde Erzbischof Engelbert im November 1225 von Graf Friedrich von Altena-Isenberg, einem Neffen, ermordet. Friedrich wurde gefaßt und 1226 in Köln aufs Rad geflochten, sein Besitztum war also ohne einen Besitzer. Ein Vetter, Graf Adolf von Altena, kümmerte sich gern darum, weil er ein Auge darauf geworfen hatte. Leider war der Name „Altena“ aber nun wegen des Mordes belastet. Adolf legte ihn kurzerhand ab und nannte sich fürderhin Graf von der Mark, nach seinem Wohnsitz in Mark, heute einem Stadtteil von Hamm. Dumm war allerdings, daß Friedrichs Sohn Dietrich ebenfalls das Erbe seines Vaters für sich beanspruchte. Was machte man in so einer Situation? Man kämpfte.

Adolf war ein wendiger Mann. Er verbündete sich mit dem neuen Erzbischof von Köln. Das half ihm zu siegen, so daß er sich den größeren Teil des Erbes einverleiben konnte. Dietrich blieb nur ein kleines Gebiet um Hohenlimburg. 

Abb. 1: Auszug aus dem Vertrag vom 1. Mai 1243

Das Ende dieser Fehde wurde am 1. Mai 1243 in einem Vertrag besiegelt. Bischof Engelbert von Osnabrück beurkundet in diesem Vertrag den Vergleich zwischen Dietrich von Limburg und Adolf von der Mark wegen der Isenbergschen Güter. Darin hieß es u.a.: „Ebenso wird Theodor zu Isenburg keine neue Befestigung errichten oder eine alte wiederherstellen, und auch Graf Adolf wird nichts befestigen außer in Kamen und Hamm.“1 Am 1. Mai 2018 wird unsere Stadtmauer, d.h., der kleine noch vorhandene Rest in der Ostenmauer, 775 Jahre alt.

Die originale Kamener Stadtmauer war 2,03 km lang, 16 Fuß (etwa 5m) hoch und 3 Fuß (knapp 1m) breit, gerade so hoch, daß die Wachen einen guten Blick auf das davor liegende Gelände hatten und sie im Verteidigungsfall auch kämpfen konnten. Und davor waren noch Stadtgräben und palisadenbewehrte Wälle, die Seseke im Süden nicht zu vergessen. Kamen war, bevor es Kanonen gab, so gut wie uneinnehmbar. Es war deutlich, daß die Grafen von der Mark Kamen als Grenzfeste gegen Köln und Münster mit 10 nachgewiesenen Burgmannshöfen stark befestigt hatten, Kamen als ihre zweitwichtigste Residenzstadt nach Hamm ansahen. Das kleine, heute noch sichtbare Stückchen Mauer hat jedoch nur zwei Meter Höhe. Wo sind die restlichen drei Meter geblieben? Nun, Kamen ist im Laufe seiner Stadtgeschichte 11 mal abgebrannt, und man hat es immer wieder auf den Brandresten aufgebaut. Die drei fehlenden Meter sind also unter der Oberfläche noch vorhanden, unserem Blick verborgen.

Ursprünglich war es die Pflicht eines jeden waffenfähigen Bürgers einer Stadt, auf der Stadtmauer Dienst zu tun, und zwar persönlich. Diesen Dienst zu organisieren war eine der Aufgaben der Schichten, d.h., Nachbarschaften, deren je eine einem Stadttor zugeordnet war und von einem gewählten Schichtmeister geleitet wurde. Dieser Wachtdienst wurde in der Regel 24 Stunden am Tag durchgeführt, was sich natürlich nicht allzu großer Beliebtheit erfreute. Daher setzte sich bald die Möglichkeit durch, jemand anderes gegen Bezahlung diese Pflicht übernehmen zu lassen. Das war nur wohlhabenden Bürgern möglich. Die von ihnen zu zahlenden Gebühren richteten sich nach der Größe ihres Besitzes. Generell ausgenommen von dieser Dienstpflicht waren nur die Burgmänner, Geistlichen, Ratsherren, Richter und Doktoren.

Man muß sich einmal klarmachen, mit was für einem Aufwand so ein Mauerbau verbunden war. Der Steinbruch lag im Bereich des Hellwegs, wahrscheinlich in der Nähe von Billmerich. Dort mußte der Stein aus dem Gebirge gelöst werden; in transport– und baufähige Größe geschnitten werden; auf Ochsenkarren verladen werden; die mußten nach Kamen geführt werden, im Ochsenschrittempo; Straßen oder befestigte Wege gab es nicht, nur die durch diese Fuhren entstandenen Fuhrrillen; dann dauerte es mindestens einen Tag, bis man am Mühlentor war, eine andere Zufahrt nach Kamen gab es nicht, schließlich mußte die Seseke überquert werden; dann mußte an der richtigen Stelle abgeladen werden; die Steine mußten auf das fünf Meter hohe Gerüst gehoben und verarbeitet werden.

Bei der Größe der Kamener Stadtmauer wurden ungefähr 10.000 cbm Steine gebraucht, die Bauzeit betrug 4 Jahre. Angenommen, es konnte 1 cbm Stein auf eine Karre geladen werden, dann brauchte es 10.000 Fuhren, bis man alle Steine beisammen hatte. Angenommen, es wurde an 350 Tagen im Jahr gearbeitet, dann sind das 1.400 Arbeitstage in 4 Jahren. Also mußten etwa 7 bis 8 Fuhrwerke täglich abgefertigt werden. Die gleiche Anzahl Fuhrwerke war gleichzeitig leer auf der Fahrt zum Steinbruch. Dann brauchte man wohl etwa 16 Fuhrwerke, die vier Jahre mit nichts anderem beschäftigt waren. Und man brauchte Reserven, weil es natürlich Unfälle gab, Achsenbruch u.a.

Es dürfte deutlich geworden sein, was für eine ungeheure Leistung die Kamener zwischen 1243 und 1247 vollbrachten. Das ging wohl nur, wenn alle mitarbeiteten, ihre Pflicht erfüllten.

Abb. 2: Auszug aus dem Vertrag vom 1. Mai 1265

Die Kämpfe zwischen den verfeindeten Parteien, den märkischen Grafen und den Kölner Erzbischöfen, gingen ohne Unterlaß weiter, mal war die eine Seite stärker, mal die andere. Am 1. Mai 1265 mußte Graf Engelbert I. dem Kölner das Zugeständnis machen, „daß wir nämlich unsere Städte Unna, Kamen und Iserlohn nicht befestigen oder verstärken werden auf eine andere Weise als sie zum jetzigen Zeitpunkt befestigt oder verstärkt sind“2.

Auch wenn man im MA Latein als lingua franca sprach, die selbstverständlich auch die Sprache der Verträge war und man also wußte, daß pacta sunt servanda, hielten Verträge schon damals nur so lange, wie es den Vertragspartnern opportun erschien. Die latente Rivalität zwischen Köln und den westfälischen Grafschaften brach in den 1270er Jahren wieder auf. Doch die westfälische Front bröckelte. Adolf von Berg söhnte sich mit dem Erzbischof von Köln aus, Eberhard I. von der Mark sah sich zu Verhandlungen gezwungen. Am 15. Juni 1278 schloß man einen Friedens-vertrag, in dem Eberhard das Versprechen abgeben mußte, die Stadtmauer von Kamen (und Iserlohn und Lüdenscheid) zu schleifen. Was Eberhard natürlich gar nicht wollte und auch nicht tat. Wörtlich heißt es dort:  „Auch  werden wir, damit eine Sühne erfolge für unsern genannten Herrn Erzbischof, die Palisaden und Befestigungswerke von beiden genannten Städten Lünen … und Kamen, niederlegen und werden das tun nach 3 Wochen nach dem nächsten nun kommenden Fest der Geburt des seligen Johannes des Täufers und werden die Gräben der vorgenannten Städte gemäß dem Willen eben unseres Herrn Erzbischofs ausfüllen lassen nach dem Fest der gleich darauf folgenden Geburt der seligen Jungfrau Maria und die Palisaden an der einen der genannten Städte, die Bergfriede und Tore , welche … der Marschall des genannten Herrn Erzbischofs ausgewählt haben wird, den Marschall selbst nach der geschehenen Einebnung außerhalb der Gräben sofort vollständig in Augenschein nehmen lassen. Die Niederlegung aber der erwähnten Befestigungen möchten wir nach den obengenannten Festwochen des seligen Johannes beginnen lassen.“

Abb. 3: Auszug aus dem Vertrag vom 15. Juli 1278

Es war ein Scheinfriede, der dann auch nicht von langer Dauer war. 1287, nur neun Jahre später, brach erneut Krieg aus. Die westfälischen Grafen hätten gegen den mächtigen Kölner nur geringe Chancen gehabt, wenn der Märker nicht in der Gunst Kaiser Rudolfs ganz hoch gestanden hätte. In diesem Jahr fielen kölnische Reiter aus der Burg Recklinghausen in die Grafschaft Mark ein. Als Graf Eberhard davon hörte, sammelte er eiligst bewaffnete Reiter, ritt den Bischöflichen entgegen und schlug sie vernichtend bei der Burg Ahsen an der Lippe.

Aber erst nach der alles entscheidenden Schlacht bei Worringen am 5. Juni 1288 setzten sich die Westfalen gegen Köln endgültig durch. Sie nahmen den Erzbischof gefangen und zerstörten als Vergeltung die Befestigung von Werl, die Burgen Volmarstein und Isenberg. Durch die kaiserliche Gunst gelangte der Märker auch in den Besitz der Vogtei Essen. Der Erzbischof wurde gegen ein hohes Lösegeld und weitere Zugeständnisse Anfang 1289 freigelassen. Der Friedensvertrag vom 19. Mai 12895 gestattete es Graf Eberhard, in seinem Lande Burgen und Befestigungen nach freiem Ermessen anzulegen. Kamen durfte seine Stadtmauer behalten, die es unter so großen Mühen mehr als 40 Jahre vorher gebaut hatte.

„Darüber hinaus versprechen wir, daß wir erlauben werden, daß eben dieser besagte Graf von der Mark und seine Erben sich mit vollstem Recht und gemäß den guten Sitten an der Stadt und dem Eigentum, so wie er sich bis hierher daran erfreut hat und diese bis zu dieser Stunde besitzt und besitzen wird, sich weiterhin friedvoll und ruhig erfreuen können soll. Und wir werden kein Lager oder eine Befestigung errichten oder erbauen lassen auf dem Grunde und Besitz des oben genannten Grafen von der Mark, und umgekehrt wird derselbe Graf von der Mark kein Lager oder eine Befestigung errichten oder erbauen lassen auf unserem Grund und Boden der kölnischen Kirche.“

Abb. 4: Auszug aus dem Vertrag vom 19. Mai 1289

Fast 400 Jahre lang stand die Mauer, die Stadt gedieh in ihrem Schutz, bis zum Dreißigjährigen Kriege, als Kanonen sie wirkungslos werden ließen. Die neuen Großwaffen schossen über sie hinweg oder Breschen in sie hinein. Ihre Schutzwirkung ging verloren, Kamen wurde mehrfach von kämpfenden Truppen besetzt und geplündert. Die Mauer verfiel, endete als Steinbruch für die Kamener, die hocherfreut die Steine nun für ihre Häuser verwendeten.

Der Erlaß der Preußischen Staatsregierung vom 20. Juni 1830, den Abriß vieler mittelalterlicher Stadtmauern zu verhindern, allerdings aus steuerlichen, nicht aus historischen Gründen, kam für Kamen zu spät. Der erste Kamener Stadtchronist Friedrich Buschmann schreibt in seiner „Geschichte der Stadt Camen“: „Ein großer Theil der Stadtmauern wurde nun (Anm.: in den 1780er Jahren) geschleift, und nur noch ein kleiner Rest der alten Mauer, an der Südwestseite der Stadt, hat eine ansehnliche Höhe.“ Und schließlich: „Zur Verschönerung der Eingänge der Stadt wurden, in den Jahren 1820 bis 1822, die Thorhallen und Thürme weggebrochen.“

Gegen Ende der 1820er Jahre wurden traufenständige Häuser auf die Stadtmauer gesetzt, der alte Verlauf zeigt sich heute in den Straßennamen Osten–, Norden– und Westenmauer. An der Ostenmauer stehen noch heute viele dieser kleinen Handwerkerhäuschen, im weiteren Verlauf wurde wiederholt neu überbaut. Im erhaltenen Stück Mauer am Anfang der Ostenmauer ist eine Stelle mit Ziegeln repariert. Dort riß im Februar 1945 eine Bombe eine Bresche hinein.

Abb. 5: Das letzte Stück der Kamener  Stadtmauer

Noch in den 1960er Jahren wurden Stücke der Mauer zugunsten modernen Hausbaus  abgerissen. Damit war die Geschichte der Kamener Stadtmauer endgültig an ihr Ende gekommen. Immerhin aber ist dieses Stückchen Mauer heute der einzige bekannte Ort im Kreis Unna, wo das Kleine Habichtskraut wächst, das seit mittelalterlichen Zeiten Einsatz bei der Behandlung verschiedener Krankheiten findet.

Abb. 6: Das Kleine Habichtskraut

Und mancher Kamener hat sich schon gewundert, daß der originale Anröchter Sandstein an vielen Stellen verputzt ist. Hierzu erzählt man sich in Kamen eine schöne Geschichte: der alte Julius „Jülle“ Bohde gründete das heutige Unternehmen dieses Namens Mitte der 1870er Jahre. Zu seinem Geschäft gehörte auch der Ofenbau. Nun weiß man, daß die Brennkammern in Öfen, um der hohen Hitze widerstehen zu können, mit Schamott ausgekleidet werden. Nur gab es damals nicht, wie heute, fertige Schamottsteine, sondern man rührte ihn flüssig an. Blieb nach der Arbeit etwas übrig, mußte der Eimer gründlich gereinigt werden, damit das Material nicht verhärtete und den Eimer unbrauchbar machte. „Jülle“ fand einen einfachen Weg, die Schamottreste loszuwerden: er verputzte nach und nach die Kamener Stadtmauer vor seinem Geschäft. Und so bietet sie heute nur noch an wenigen Stellen den Anblick des originalen Sandsteins.

KH

Abb. 1 – 4: Aus dem Urkundenbuch im Kamener Stadtarchiv;  Abb. 5: Photo Klaus Holzer; Abb. 6: Wikipedia

 

Dank an Marc Hilligsberg, Münster, der sich mit seinen klassisch-lateinischen Kenntnissen zum ersten Mal mit dem mittelalterlichen Kirchen–/Küchen–/Urkundenlatein konfrontiert sah und dennoch alle Übersetzungen besorgte.

1 „Item Theodoricus de Isenberg nullam construet munitionem novam vel veterem reparabit, nec comes Adolphus aliquid muniet nisi Camene et Hammone.“ Westf. Urkundenbuch Bd.7, Nr. 546

2 „… quod nos villas Unna, Chamene et Yserenlon non muniemus vel vixerit vel firmabimus alio modo quam ad presens sunt munite et firmate, …“ Westf. Urkundenbuch Bd.7, Nr. 1184

„Item ad emendam dicto domino nostro archiepiscopo faciendam plancas et municiones de duobus opidis Loin scilicet et Kamene deponemus et deponi faciemus infra tres ebdomadas post festum Nativitatis beati Johannes Baptiste proximum nunc futurum et fossata opidorum predictorum inpleri faciemus ad ipsius domini archiepiscopi voluntatem infra festum Nativitatis beate Marie virginis subsequentis et plancas de alteri dictorum opidorum, berfredos et portas, que … marescalus dicti domini archiepiscopi elegerit, ipsi marescalco extra fossta depositione facta statim faciemus integraliter presentari.“  Friedensvertrag vom 15. Juli 1278 Westf. Urkundenbuch, Bd. 7, Nr. 1648

4 „Promittimus insuper, quod nos dictum comitem de Marca et suos heredes omni iure suo et gratia et bonis consuetudinibus, districtibus et dominio suo, sicut hactenus gavisus est et ad hanc horam possedit et adhuc possidet, permittemus gaudere pacifice et quiete, nec aliquod castrum vel munitionem edificabimus seu edificarri faciemus in terra et dominio comitis de Marka memorati, nec vice versa idem comes de Marka castrum vel munitionem edificabit vel faciet edificari in terra et dominio nostro et ecclesie Coloniensis.“ Friedensvertrag vom 19. Mai 1289,  Westf. Urkundenbuch Bd. 7, Nr. 2118

Am 19. Mai 2019 ist es also 730 Jahre her, daß unsere Stadtmauer endgültig stehen bleiben durfte.

Körnerstraße

von Klaus Holzer

Abb. 0: Straßenschild

Die Kamener Körnerstraße war bis vor zwei Jahren an Frühlingsblütenpracht nicht zu überbieten. Dann blühte es die ganze Straße entlang, daß man glauben konnte, man sei in Japan: ein japanischer Kirschbaum hinter dem anderen erblühte in Rosa! Leider waren die Bäume zu alt geworden, mußten gefällt werden. Für die Neupflanzung hat man sich bei der Stadt entschieden, die Felsenbirne zu pflanzen, ein heimisches Gewächs, das Insekten anlocke und im Herbst Beerenschmuck habe, also Futter für Vögel; kurz: die Ersatzpflanzung sei „ökologischer“, so die Auskunft des Bauhofes.

Sicher eine nachvollziehbare Entscheidung, angesichts des Insektensterbens in unserem Land, doch ist es ebenso sicher schade um den ganz besonderen ehemaligen Charakter der Körnerstraße, einmalig in Kamen. Photo Nr. 1 gibt vielleicht eine Ahnung davon, wie es einmal dort aussah.

Abb. 1: Die letzten japanischen Kirschbäume in der Körnerstraße

Einer der vielen Namen, die einmal Gemeingut waren, uns Heutigen aber kaum noch etwas bedeuten, ist der des Carl Theodor Körner. Weder seine Lieder, vor allem die zu den Befreiungskriegen gegen Napoleon geschriebenen, noch seine für das Wiener Burgtheater (hier erhielt er sogar den Titel eines k.k. Hoftheaterdichters) geschriebenen Dramen sind uns noch geläufig, und daß er sogar einmal den Entwurf eines Librettos für Beethoven schrieb – wer weiß das schon noch?

Abb. 2: Dora Stock, Theodor Körner, 1791 – 1813

Oder daß er mit praktisch allen Größen seiner Zeit bekannt war: Ludwig van Beethoven, Wilhelm von Humboldt, Friedrich Schlegel, Gottlieb Fichte, Friedrich Schleiermacher u.a.? Und auch mit den Reformern Freiherr vom Stein und Gneisenau, Feldmarschall Blücher? Und das in seinem sehr kurzen Leben: Körner wurde am 23. September 1791 in Dresden geboren und fiel im Kampf gegen französische Truppen am 26. August 1813 bei Lützow.

Abb. 3: Der Gedenkstein, der bis 2017 im Stadtpark in der Nähe der Körnereiche lag, heute im Stadtmuseum

Wenn man dem Kamener Chronisten Friedrich Pröbsting glauben darf, waren unsere Vorfahren immer sehr patriotisch1. Und der Freiheitskämpfer Körner war wohl die romantische Inkarnation alles dessen, was sich der biedere Bürger erträumte. So war Körner zu seiner Zeit ungemein bekannt und beliebt. Zu seinem 100. Geburtstag pflanzte der Turnverein VfL 1854 zu Camen eine „Körnereiche“. Selbst 80 Jahre nach Körners Tod war also die Begeisterung über den jugendlichen Helden noch so groß, daß sie in einer Kleinstadt wie Kamen über Jahre trug, während derer Geld gesammelt wurde, damit man das Jubiläum würdig begehen und gleichzeitig die Stadt verschönern konnte. Ein heute schwer vorstellbarer Stolz auf die eigene Stadt. Vor diese Eiche legte man den „Körnerstein“, mit für diese Zeit typischen Symbolen. Unten befindet sich das „Frisch Fromm Fröhlich Frei“-Symbol der Turnerschaft; links und rechts mit Eichenzweigen verziert. Oben, in der Mitte, befindet sich ein verschlungenes „DT“ für Deutsche Turnerschaft. Turnen war, neben Chorsingen2, eine der Leidenschaften im Kaiserreich. Turnvater Jahn wurde noch verehrt, während er heute eher wegen seiner nationalistischen Haltung und Aussagen kaum noch eine Rolle im öffentlichen Leben spielt.

Abb. 4: Richard Knötel, Theodor Körner (auf einer alten Postkarte der Fa. Stengel & Co., Dresden)

Körners sechsstrophiges Gedicht „Was glänzt dort vom Walde“ wurde von ihm nur ein Vierteljahr vor seinem Tode geschrieben, und schon im folgenden Jahr von Carl Maria von Weber vertont. Da erst wurde es richtig bekannt, als Soldatenlied unter dem Titel des Refrains, „Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd“. Im Kern geht es um den freiheitsliebenden Helden, der dabei stirbt, wie er sein Vaterland rettet und daher nichts zu bereuen hat.

Das Viertel, in dem die Körnerstraße in Kamen liegt, entstand in den 1920er Jahren, ihre Benennung 1924, und diese Straße wurde von den Kamenern eigentlich nur der D-Zug genannt. „Ich wohne im D-Zug“, war die Antwort auf die entsprechende Frage, weil hier so viele Häuser in langen Reihen standen. Übrigens hieß früher eine benachbarte Straße einmal Schillstraße. Sie wurde von den Nationalsozialisten in Schillerstraße umbenannt. Noch 1949 führte sie von der Straße Am Kämertor an der „Kaisereiche“ vorbei bis nach Bergkamen. Mit der Kommunalen Neuordnung 1968 wurde sie Kämertorstraße genannt (ist das die heutige Stormstraße?), da es eine Schillerstraße bereits in Heeren gab, und im weiteren Verlauf Bergkamener Straße. Schill war ebenfalls der Name eines deutschen Freiheitskämpfers, Ferdinand Baptista von Schill (1776 – 1809). Der war ein Haudrauf, auf den der Spruch „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“ zurückgeht. Er fand dann auch ein Ende mit Schrecken.

K H

Abb. 0,1 & 2: Klaus Holzer; Abb. 2 & 4: Wikipedia

Pröbsting schreibt u.a., daß es 1806 „viel Jubel und große Freudenfeste in der ganzen treuen Mark, auch hier in Camen“ gab, als bestätigt wurde, daß man „bei dem Hohenzollerschen Herrscherhause bleiben solle“.

Und als Preußen nach der Schlacht bei Jena und Auerstädt geschlagen war und seine Herrschaft nicht mehr ausüben konnte, entband der König „seine märkischen Untertanen des Eides der Treue“. Diese antworteten daraufhin: „Das Herz wollte uns brechen, als wir Deinen Abschied lasen, und wir konnten uns nicht überreden, daß wir aufhören sollten, Deine Unterthanen zu sein, die Dich immer so lieb hatten!“

Nach der endgültigen Niederlage Napoleons und dem Ende der Camener Franzosenzeit brach Jubel aus: „In wenigen Tagen war das ganze Land für Preußen wieder in Besitz genommen und von Ort zu Ort verkündigte das Glockengeläute und der Jubel des Volkes: Wir sind wieder preußisch!

Die Begeisterung, welche in jenen Tagen das Land durchflutete, offenbarte sich sofort auch in dem Erfolge, den der Königliche Erlaß zur Bildung von Landwehren und freiwilligen Jägern überall fand. Wer zum Tragen der Waffen fähig war, eilte zu den Fahnen.“

Und schließlich ganz allgemein: „Doch ist deutsche Gesinnung und Königstreue, das Erbteil der Väter, stets in unserer Mitte geblieben.“

Neuere historische Forschungen haben die Bedeutung der „deutschen Vereinsmeierei“ für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft nachgewiesen. Zusammen zu singen und zusammen zu turnen verbindet eben. (Vgl.a. die Gründung der vielen bairischen, schlesischen und polnischen Heimat– und Trachtenvereine im Ruhrgebiet nach dem Zuzug der Bergarbeiter aus diesen Regionen zu Beginn des Ruhrbergbaus.)

Das 14. Zeitzeichen des KKK

von Klaus Holzer

So voll war es noch bei keinem der vorangegangenen Zeitzeichen  des KKK. Alle Stühle des Museumssaales waren besetzt, nicht wenige Besucher standen, und dennoch mußten mehrere Dutzend wegen Platzmangels wieder gehen. Offenbar traf das Thema „50 Jahre Neue Stadt Kamen – 50 Photos alte Stadt Kamen“ einen Nerv. Zum ersten Mal ging es bei einer solchen Veranstaltung nicht um die mittelalterliche Kamener Geschichte, sondern um die Zeit seit dem Krieg, also um eine Zeit, die viele Besucher, bestimmt die älteren unter ihnen, aus eigener Anschauung kannten, die allmähliche Veränderung einer Stadt, die uns während der Abriß– und Bauphase lästig ist, die wir aber, sobald wir uns an das Neue gewöhnt haben, bald vergessen.


Abb. 1: Im Haus der Kamener Stadtgeschichte, 19. April 2018 (Photo: Christoph Volkmer für KamenWeb.de)

Eingebettet war der Abend in die Reihe der städtischen Veranstaltungen zur 50-Jahrfeier „Neue Stadt Kamen“, daher stellte der Referent des Abends, KKK-Sprecher Klaus Holzer, einen kurzen historischen Rückblick auf die kommunale Neuordnung vor 50 Jahren voran.

Eine der treibenden Kräfte hinter der kommunalen  Neuordnung in NRW, wenn nicht einer der Gründerväter der Idee, war der damalige Landrat des Kreises Unna, Hubert Biernat. Er hatte frühzeitig klar erkannt, daß die erste Kohlekrise Ende der 1950er Jahre nur Symptom einer tiefer gehenden Krise der heimischen Region war. Ihre wirtschaftlichen Strukturen würden auf Dauer nicht ausreichen, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen der zukünftigen Entwicklung zu bewältigen. Die klassische Industrie des Landes NRW, Kohle und Stahl, sei eine sterbende Industrie. Man dürfe aber die Wirtschaft nicht allein der Wirtschaft, d.h., den freien Kräften des Marktes, überlassen, da müsse die Politik die Initiative ergreifen und die richtigen Weichen stellen.

Um also innerhalb des gerade einmal 20 Jahre alten Bindestrichlandes NRW wirtschaftlich starke, gesunde, wachstumsfähige Regionen zu schaffen, die, so war gewünscht, sich auch in ihrer wirtschaftlichen Stärke aufeinanderzuentwickeln würden, setzte er sich stark für die kommunale Neuordnung ein.

Der Zusammenschluß der bis dahin selbständigen Gemeinden Methler, Heeren-Werve, Südkamen, Rottum und Derne kam durch das „Gesetz  zur Neuordnung des Kreises Unna“ mit Gültigkeit zum 1. Januar 1968 zustande. Lerche, das sich jahrhundertelang nach Kamen hin orientiert hatte, wurde allerdings gegen seinen Willen Hamm zugeschlagen.

Es fiel den Gemeinden, vor allem ihren Bürgermeistern und Ratsvertretern schwer, ihre Unabhängigkeit aufzugeben. Setzen wir stattdessen Souveränität ein, dann erleben wir wieder die gleiche Sache: heute wollen viele Menschen die staatliche Souveränität nicht auf Brüssel übertragen. Vielleicht erklärt sich u.a. daraus die Renaissance des Begriffs Heimat. Vielleicht beschleicht den einen oder anderen ein heimeliges Gefühl, wenn er Photos seiner alten Heimatstadt sieht.

In diesen 50 Jahren hat sich Kamen, heute muß man wohl sagen: „Kamen-Mitte“, stark verändert, begriff es sich doch selber gleich nach der Vergrößerung als „die schnelle Stadt“, öffnete sich dem Neuen in der Architektur, dem Auto im städtischen Raum. Als Wendepunkt erweist sich das Jahrzehnt von 1965 bis 1975, das Wirtschaftswunder wirkte sich in Kamen aus. Das Fahrrad kam aus der Mode, wer Fahrrad fuhr, war arm, man konnte sich ein Auto leisten.

Ausgehend von einem Luftphoto von 1958, das Kamen noch fast unverändert in seinen Grenzen als kleines Landstädtchen zeigt, führte der Referent Entwicklungslinien Kamens zur heutigen Form auf. Nachdem die Kriegsschäden in der Innenstadt beseitigt waren, ging es ernsthaft an die Modernisierung der Stadt, der so viel Altes zum Opfer fiel, daß es stellenweise nur als Kahlschlag bezeichnet werden kann: Nordstraße, Nordenmauer, Teile der Kirchstraße. Und künstlerisch durchaus anspruchsvolle Denkmale (das Sedandenkmal, das Löwendenkmal, das Denkmal im Eingang des alten Rathauses) fallen der Modernisierungswut zum Opfer. Kamen wollte mit aller Macht die „Schnelle Stadt“ werden. Daher lautete auch ein zentrales Argument für den Abriß des Sedandenkmals auf dem Markt, daß es ein „Verkehrshindernis“ darstelle.

Abb. 2: Das Sedandenkmal von 1872, abgerissen nach einem Ratsbeschluß vom 8.11.1956

Und als ein Haus von 1737 in der Kirchstraße einem gesichtslosen Neubau weichen mußte, titelte der HA: „Neue Zeit verlangt ihr Recht.“ Und das wunderschöne Fachwerkhaus des Bäckers von der Heyde, Markt 23, mit einer großen Brezel auf der Front dekoriert, wurde für den Durchstich vom Markt zur 1974 eröffneten Fußgängerzone und zum Neumarkt (seit 1993 Willy-Brandt-Platz) abgerissen. Kuriosum am Rande: bis sie Fußgängerzone wurde, war di8e Weststraße für Auto frei befahrbar, Motor– und Fahrräder durften jedoch nicht durchfahren!

Abb. 3: Das Haus Kirchstraße 4, das für einen gesichtslosen Neubau abgerissen wurde

Brutale Waschbetonarchitektur entsprach dem Geschmack der 1970er Jahre, selbst Blumen, glaubte man, kämen in solchen Betonkästen besser zur Geltung.

Abb. 4: Mode der 1970er Jahre: alles in und aus Beton

Im Bereich der Burgstraße gab es einen großen Garten, den Koepeschen Garten, Eigentum einer einstmals bekannten, wohlhabenden Kamener Familie: heute ein Parkplatz. Der Kappenberger Hof an der Ecke Weststraße/Dunkle Straße abgerissen: heute ein Parkplatz. Der Markt, früher (und Gottseidank heute wieder) ein zentraler Platz für die Bürger der Stadt, wurde: ein Parkplatz.

Abb. 5: Der Marktplatz, die gute Stube der Stadt, ein Parkplatz: Vorfahrt fürs Auto

Die vielen abgerissenen Fachwerkhäuser, ansehnlich und wohlproportioniert, wichen in der Regel gesichts– und charakterlosen „modernen“ Häusern, oft durch Beton „verschönert“.

Eines fällt generell auf: gleichgültig, welche Straße auf einem Photo der 50/60er Jahre abgebildet ist, immer zählt das Auge 3,4 oder gar 5 Kneipen auf ganz kurzer Strecke. Und alle Dortmunder Brauereien waren vertreten, und das waren damals 9. Kamen hatte damals einen Ruf zu verteidigen, der schon auf das Jahr 1722 zurückgeht, und das tat es bravourös.

Die Bahnhofstraße war bis in die 1970er Jahre noch in beiden Richtungen befahrbar. Begegnungsverkehr zweier Busse führte zum Verkehrskollaps. Die Maibrücke trug noch bis ins neue Jahrtausend die volle Verkehrslast.

Und nicht wenige Besucher das Abends, die jüngeren zumeist, staunten nicht schlecht, als sie erfuhren, daß Kamen bis in die 1970er Jahre eine eigene Molkerei hatte, und erst 1987 der städtische Schlachthof ab gerissen wurde. Daß die Glückaufschranke werktäglich wegen des dichten Zugverkehrs über 11 Stunden, selbst an Sonntagen noch über 8 Stunden geschlossen war, ist für den heutigen Benutzer der Hochstraße nicht mehr vorstellbar.

Abb. 6: Der Postteich in den 1960er Jahren

Seit den 1920er Jahren verfügte Kamen über zwei große Teiche, den Koppel– und den Postteich. Beide waren im Zuge der Kanalisierungsarbeiten der Seseke entstanden, sie wurden .a. für Ausgleichsmaßnahmen bzgl. der Höhe des Wasserspiegels gebraucht. Im Sommer waren sie idyllische Orte zur Naherholung, im Winter willkommenes Gelände zum Schlittschuhlaufen. Ihre Funktion zur Regulierung der Wasserhöhe konnten die beiden Teiche indes nicht recht erfüllen. In der zweiten Dezemberwoche 1960 überflutete dieses Flüßchen die ganze Stadt und setzte sogar Schulen unter Wasser.

Zum Schluß zeigte der Referent Photos verfallender oder schon verfallener Häuser in Kamens Altstadt und solche, deren Abriß die Zeitungen schon ankündigten und stellte die nicht ganz unberechtigte Frage: Wie lange können wir Kamener noch von einer Kamener Altstadt sprechen?

Wegen des unerwartet großen Zuspruchs wird diese Veranstaltung am Donnerstag, 14. Juni, 19.30 wiederholt. Ort der Veranstaltung ist wieder der Saal des Kamener Hauses der Stadtgeschichte, Bahnhofstraße 21.

KH

Abb.: Archiv Klaus Holzer

Siegeroth

von Klaus Holzer

Südlich der Südkamener Straße, zwischen der Bückeburger Straße und Schulze Berge, heißen viele Straße nach Philosophen: Schopenhauer, Schelling, Feuerbach, Hegel, Fichte, Nietzsche. Doch stößt der Spaziergänger dort auch auf „Lütge Heide“, „Auf den Kämpen“, „Siegeroth“. Und die südlich davon heißt „Auf der Heide“. Wie paßt das zusammen?

In den Randgebieten kleiner Städte wie auch in Dörfern dienten oft alte Flurnamen der Orientierung. Solche Namen waren Gebrauchsnamen, die nur lokal bekannt waren und Sinn ergaben. So erwähnt der Kamener Konrektor Craemer 1929 in der „Zechenzeitung der Schachtanlagen Grillo und Grimberg“ ein „Ziegenröttchen“ bzw. „Siggenröttchen“. Ein „roth/rodt oder röttchen“ (es gibt viele verschiedene Schreibweisen) ist ein Stück gerodetes Land. Alle Rodungsnamen sind sehr alt, da sie auf die Zeit zurückgehen, als man in ganz Europa in großem Stile daranging, bewaldetes Land für die Landwirtschaft nutzbar zu machen, also nach der Zeit der Völkerwanderung, etwa ab dem 7. Jh. AD.

Zusammen mit dem ersten Bestandteil (Ziegen, Siggen) ergibt sich somit die wahrscheinliche Bedeutung: „gerodetes Land, auf dem Ziegen weideten“. Die ehemalige Südkamener Ortsheimatpflegerin Ursula Schulze Berge bestätigt diesen Gebrauch: „So haben mein Mann und ich immer darüber gesprochen.“ Die anderen Namen belegen diese Bedeutung. „Lütge Heide“ und „Auf der Heide“ sind Indizien für die Richtigkeit der Annahme, da eine „Heide“ immer ein sehr karges Stück Land ist und nur Ziegen selbst dort noch etwas zu fressen finden.

Und „Auf den Kämpen“ ist eine nahe Verwandte, umfaßt aber im Gegensatz zu den „Heiden“ fruchtbares Land. Das so urwestfälisch erscheinende Wort stammt aus dem Lateinischen, wo „campus“ so viel wie „freie, unbebaute, offene Fläche“ bedeutete. Als es im 9. Jh. erstmals in Westfalen auftauchte, hatte es schon einen Bedeutungswandel hinter sich und bezeichnete jede Art von bewirtschaftetem Feld bzw. Ackerland, wie aus frühen Rechtsbüchern hervorgeht, und war „umzäuntes Siedlungsgelände, Viehpferch und umzäunter Acker“. Wahrscheinlich mußte solch ein Stück Land vor den nebenan grasenden Ziegen geschützt werden.

Hier haben sich alte Flurbezeichnungen unter Philosophen gehalten. Wie schön.

Klaus Holzer

Lit.: Gisbert Strootdrees, Im Anfang war die Woort, Flurnamen in Westfalen, Bielefeld 2017

Kamens Hochstraße ist 40 geworden

von Klaus Holzer

Abb. 1: Die Hochstraße, Blick nach Norden

Gerade erst gab es in Kamen ein Jubiläum zu feiern, doch keiner hat es gemerkt. Und dabei betraf es eine Sache, die seit 40 Jahren immer noch viele Gemüter erregt. Am 16. Dezember 1977 wurde die Hochstraße offiziell dem Verkehr übergeben, am nächsten Tag in der Kamener Lokalpresse als „Jahrhundertwerk“ gefeiert. Die Übergabe geschah im Rahmen eines großen Volksfests mit Kirmes, das 2.500 Leute auf der neuen Straße feierten, aus Freude darüber, daß das größte Ärgernis in Kamen ein für allemal beseitigt war, die Glückaufschranke, die die Kreuzung der B 233 mit der Köln-

Abb. 2: Die Glückauf-Schranke

Mindener Linie der Deutschen Bundesbahn für etwa 11 Stunden an Werktagen und für 6½ Stunden an Sonntagen versperrte. Dann staute sich der Verkehr kilometerweit in beiden Richtungen. Das bedeutete ärgerliches Warten für alle am Verkehr Beteiligten, und Lärm und Gestank für alle Anwohner. Die Fahrpläne der VKU waren großenteils Makulatur, obendrein verursachten die Wartezeiten und der damit verbundene Schleichverkehr hohe zusätzliche Kosten. Betriebsleiter Werner König schätzte den zusätzlichen Dieselverbrauch auf 25.000 Liter und 20.000 DM pro Jahr, und das, obwohl die Fahrer die Motoren abstellten, so oft es möglich war.

Abb. 3: Verkehrschaos bei geschlossener Schranke

Ein solches Unternehmen war damals und ist heute ein schwieriges Unterfangen. In diesem Brei rührten viele Köche: die Stadt Kamen, der Kreis Unna, das Bundesverkehrsministerium, das Wirtschaftsministerium NRW, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, die Deutsche Bundesbahn (wie sie damals noch hieß), vertreten durch die Bahndirektion Essen, die Straßenbauverwaltung NRW und das Landesstraßenamt Hagen.

Die Planungen für die Hochstraße begannen im Jahre 1962, als das beginnende Wirtschaftswunder den Verkehr rasant anschwellen ließ, auf der Straße wie auf der Schiene. Von Anfang an standen zwei Varianten zur Diskussion, eine Unterführung und eine Überführung, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe zunächst ablehnte und durch seinen Vorschlag einer ganz neuen Trasse östlich der B 233 bereicherte. Sie sollte direkten Anschluß an die Werner Straße im Osten der Stadt bekommen. Doch konnte er sich damit nicht durchsetzen. Ende 1962 entschied das Landesstraßenbauamt, daß die zu bauende Hochstraße direkt in den Westring münden sollte, weil die Koppelstraße für einen vierspurigen Ausbau zu schmal sei.

Im Sommer 1963 war der Entwurf fertiggestellt, doch wurde dann noch einmal eine Kostengegenüberstellung Hochstraße – Tiefstraße in Auftrag gegeben. Diese ergab

DM 19.591.000,- für die Tiefstraße, DM 18.832.000,- für die Hochstraße. Das führte im Sommer 1965 endgültig zur Festlegung auf die Hochstraße.

Dann jedoch stellte man in Kamen fest, daß der vorliegende Entwurf das städtische Leben, die Erreichbarkeit von Ortsteilen erheblich erschweren würde, weil man für die neue Straße einen langen Damm würde aufschütten müssen. Im Sommer 1966 wurde deshalb eine neue Variante entwickelt, die „eine größere Durchlässigkeit der neuen Straße gewährleistet“. So kam es dann im November 1967 zur endgültigen Entscheidung für die Hochstraße in ihrer heutigen Form, ein großer Teil der 1,95 km langen Strecke als Brücke aufgeständert. „Die Mehrkosten von DM 10,5 Mill. […] erscheinen […] angemessen und vertretbar.“

Abb. 4: Brücke über die Bundesbahn; das Brückenfeld mußte in Hochlage eingebaut und dann abgesenkt  werden, damit der Bahnverkehr ungehindert weiterlaufen konnte

Nachdem dann alles bürokratisch Notwendige vom Planfeststellungsverfahren bis zum Finanzierungsplan erledigt war, erfolgte im Sommer 1973 der Planfeststellungsbeschluß. Ein Jahr später wurde die Vereinbarung über das Projekt Hochstraße zwischen allen Beteiligten unterzeichnet. Noch im selben Jahr fand der erste Spatenstich statt, und anders, als das bei Großprojekten heute oft der Fall ist, wurde die veranschlagte Bauzeit leicht unterschritten, der Kostenrahmen nicht überschritten und die Hochstraße nach 3½ Jahren Bauzeit am 16. Dezember 1977 offiziell dem Verkehr übergeben, der allerdings wegen letzter Aufräumarbeiten, darunter auch die Reste des Eröffnungsvolksfestes, erst ab Dienstag, 20. Dez. 1977 auf der neuen Straße rollen konnte.

Bei diesem Anlaß zeigten sich Bürgermeister Ketteler und Stadtdirektor Rethage besonders erfreut, daß der lange Kampf der Stadt Kamen, das Verkehrsnadelöhr zu beseitigen, endlich von Erfolg gekrönt war. Jetzt konnte Kamen seinen Slogan „KAMEN – die schnelle Stadt“ verwenden, ohne höhnische Kommentare der vor der geschlossenen Schranke Stehenden zu ernten. Die Kamener selbst hatten sowie eine einfache Erklärung für ihren Namen: „Du hast Glück, wenn sie auf ist.“

Aus einer zu diesem Anlaß von der Stadt Kamen und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe herausgegebenen kleinen Dokumentation geht hervor, wie stolz alle Beteiligten auf das Projekt waren. Immerhin sieben Grußworte sind ihr vorangestellt, und sie spiegeln den Geist der Zeit perfekt wider, denn nur eins davon erwähnt die Fußgänger – und auch der in nur einem Satz – für deren Sicherheit in absehbarer Zeit ein Tunnel gebaut werden sollte. Aber damals waren alle auf das Auto fixiert, jede Stadt wollte modern sein, d.h., autogerecht.

Abb. 5: Rampe Bahnhofstraße

In dieser Dokumentation werden neben der zügigen, termingerechten Erledigung der Arbeiten und der hervorragenden Zusammenarbeit aller Beteiligten besonders die Straßenbeleuchtung – von ihr versprach man sich Unfallfreiheit – und die sogenannte Immissionsschutzkappe hervorgehoben, von der man sich weitestgehenden Schutz der Anwohner vor Lärmbelästigung versprach. Seit ein paar Jahren ist diese Beleuchtung abgeschaltet, und seit 2017 gibt es eine Ampelanlage, die eine inzwischen aufgrund der veränderten Verkehrssituation erforderliche neue Verkehrsführung erlaubt.

Auch heute noch gibt es vereinzelt Stimmen, die die Hochstraße für eine Fehlleistung halten, weil sie die Stadt durchschneidet und in zwei Hälften teilt. Das stimmt natürlich auch, doch wenn man sich die Alternative vor Augen hält, wird deutlich, daß die gegenwärtige Lösung das bedeutend kleinere Übel ist. Wer wollte heute die B 233 mit ihren Tausenden von Motorrädern, Pkw, Bussen und Lkw in der Stadt haben? Lünener Straße und Westring kombiniert auf der Koppelstraße?

Es ist wohl richtig, daß sich nur Brückenbauingenieure vorbehaltlos für die Eleganz des Betonbauwerks begeistern können, doch für alle anderen gilt: freuen wir uns an ihrem 40. Geburtstag, daß es sie gibt. Sie bedeutet ein Stück Kamener Lebensqualität. Wenn auch erst auf den zweiten Blick.

Abb. 6: Zufahrt Bahnhof- und Koppelstraße

KH

Zitate und Abbildungen aus: Die neue Hochstrasse in Kamen, Hrsgg. von der Stadt Kamen in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Stadtarchiv Kamen

Hanenpatt

von Klaus Holzer, auf der Grundlage eines Artikels von Edith Sujatta

Der Hanenpatt ist eine Torstraße, wenn das Sträßchen heute auch gar nicht mehr danach aussieht. Von der Bahnhofstraße aus gesehen auf der linken Seite, hinter dem kleinen Fachwerkhaus, einem sogen. Gadum1, das zum Hof gehörte, stand bis etwa 1855 zum Schutze des Mühlen– oder Rennentores2 der Burgmannshof der Familie von Hane. Daher kommt der jetzige Straßenname. Der Hof  heißt nach mündlicher Überlieferung auch Elsey– oder Elysenhof.

Abb. 1: Blick aus dem Hanenpatt zur Pauluskirche, vor dem Krieg

 Es gab aber vorher schon andere Bezeichnungen für den Weg vom Hanenhof zum Wünnentor* an der „Langen Brücke“ (vgl. Artikel „Am Bollwerk“), z.B. Langebrüggen-Patt, oder Glampatt/Glampfad, Glarenpfad, Wilhelmstraße. „Glamme“ ist eine Nebenform von Klamm/Schlucht, das ist ein tiefer Geländeeinschnitt, in der Regel von einem Gewässer durchströmt, wie es im Gebirge häufig vorkommt.

Abb. 2: Blick von der Pauluskirche auf Hanenpatt und Klosterstraße, etwa 1946, noch mit Kriegsschäden

Hier war es ein schmaler, sehr tiefer Graben, der das von der Seseke drückende Grundwasser abfing und gleichzeitig ein Teil des Wassergrabens  war, der den Grafenhof und die Severinskirche (Pauluskirche) mit ihrem Kirchhof schützte. Der Weg gehörte bis zur Schließung des Tores zur Langebrüggen-Schicht2, später zur Mühlenschicht.

Abb. 3: Blick in den Hanenpatt, 5. Dez. 1960, Sesekehochwasser

In der Kaiserzeit wurde er, der patriotischen Stimmung gemäß, in Wilhelmstraße umbenannt.

Seid der Kommunalreform von 1968 gehört eine Heerener Siedlung mit männlichen Vornamen zu Kamen, in der es eine Wilhelmstraße gibt. Um Verwechslungen zu vermeiden, hat man sich in Kamen auf den historischen Namen  „Hanenpatt“ besonnen .

Abb. 4: Blick von der Kriegsbrache zwischen Hanenpatt und Klosterstraße auf die Pauluskirche, späte 1960er Jahre

 

Nachtrag:

Conrektor H. Cramer schreibt 1929 in einer Artikelserie in der Zechenzeitung: „Die jetzige Wilhelmstraße hieß früher im langen Pad oder im gladen ( = glatten) Pad. Ein tiefer Graben engte den Weg ein.“ Und zitiert aus dem Jahre 1713: „Die schemmen (schmale Bretter) in dem gladden Pfade wiedergemacht, weilen dieselben alle miteinander von dem großen Wasser losgetrieben worden.“  An dem Graben führte nur ein Fußweg entlang.

1 Ein Gadum (oft auch Gadem) ist ein Einraumgebäude, das von Dienstboten, alleinstehenden Personen oder Witwen mit Kindern bewohnt wurde.

2 ren(ne)bôm = Schlagbaum; Hinweis auf das dem Mühlentor vorgelagerte Homey (vgl. Artikel „Maibrücke)

3 Kamen war früher in Schichten eingeteilt, Nachbarschaften, die jeweils einem Stadttor zugeordnet waren, für das sie verantwortlich waren. Es gab eine Fülle von sozialen Pflichten innerhalb solcher Schichten.

KH

Abb. 1 – 4: Archiv Klaus Holzer

Westfälische Kulturkonferenz 2014 in Höxter

Westfälische Kulturkonferenz 2014

Am Freitag, 26. September 2014 fand in der Residenz Stadthalle Höxter die Westfälische Kulturkonferenz 2014 des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe statt. Eröffnet wurde sie von Matthias Löb, dem neuen LWL-Direktor, den Standpunkt der Landesregierung zu Kultur vertrat Ministerin Ute Schäfer, das Engagement des LWL für Kultur erläuterte Dr. Barbara Rüschhoff-Thale, LWL-Kulturdezernentin. Als einer von 387 Delegierten vertrat Klaus Holzer den Kultur Kreis Kamen.

Das Thema der Konferenz war: Wie kann es gelingen, die Bürger an der Kulturplanung und –durchführung zu beteiligen? Ist das überhaupt wünschenswert?

Die zweite Frage wurde eindeutig bejaht, von Ehrenamtlern, Politikern und dem LWL. Ohne eine gleichberechtigte Beteiligung von Bürgern an allen kulturellen Prozessen bleibt Kultur leblos, spielt sich nur in der Nische ab und wird kaum wahrgenommen, kann also auch keine große Wirkung entfalten, da sie eben nicht mehr einfach vorausgesetzt werden kann, wie das beim Bildungsbürgertum noch der Fall war, während heute neue Schichten für Kultur erschlossen werden müssen. Und „gleichberechtigt“ bezieht sich auf alle Institutionen, die sich mit Kultur befassen, also LWL, Politik und Verwaltung in Stadt und Kreis.

Mit der ersten beschäftigte man sich ausführlich. Dazu wurde es als unabdingbar erachtet, aus den gewohnten Denkschemata auszubrechen, was besonders Politik und Verwaltung schwerfällt, gehört dazu doch vor allem, Macht abzugeben, vorhandene Strukturen zu hinterfragen. Es müssen die Potenziale von Künstlern aller Art (Malerei, Skulptur, Musik, Tanz etc.) wie auch von Ehrenamtlichen erforscht und eingesetzt werden. Diese müssen von Anfang an in die Planung eingebunden und an der Umsetzung beteiligt werden. Diese Potenziale müssen weiterentwickelt werden, dabei darf es keine Denkverbote geben. Und vor allem: Stärken müssen erkannt und verstärkt werden. Der Begriff „Kultur“ müsse erweitert werden, junge Leute müssen an Kultur herangeführt werden.

Oft bringen Bürgermeister und Verwaltungen das Argument vor, es sei kein Geld vorhanden, die sozialen Kosten, gesetzlich verankert, fräßen Rücklagen auf. So richtig das sein mag, war man sich auf der Konferenz doch einig, daß Sozialkosten nicht gegen Kulturinvestitionen aufgerechnet werden dürfen, weil mehr Kultur ausufernde soziale Folgekosten vermeide. Mehr Bildung und Kultur wirken als Prävention vor späteren sozialen Reparaturkosten (vgl. die NRW-Landespolitik und ihre Begründung für mehr Investitionen in Kindergärten und Schulen).

Um Kulturarbeit zu breiter Akzeptanz zu verhelfen, muß sie sichtbar gemacht werden. Dazu braucht es eine Kulturdatenbank, z.B. vom Kulturamt einer Stadt erstellt, die alle in der Kultur Tätigen erfaßt, die so voneinander erfahren und zur Zusammenarbeit finden können; die den Bedarf an Kultur erfaßt, um Probleme bewältigen zu können (Musiker, Tänzer, bildende Künstler z.B. brauchen einen Proben– oder Malraum); die Transparenz schafft, was erfahrungsgemäß zu weniger Vorbehalten in der Öffentlichkeit gegenüber aller Art von Kultur führt.

Für ganz wichtig wurde der Kulturwirtschaftsbericht gehalten, der, wissenschaftlich begleitet, zu der Erkenntnis beiträgt, daß mehr Ausgaben für Kultur Investitionen sind, die sich auf mittlere Sicht auszahlen, und die nicht konsumtiv sind.

Vertreter der Kulturpolitik und –verwaltung aus vielen Städten, Kreisen und Institutionen waren gekommen, KH war aus Kamen der einzige.

KH