Archiv der Kategorie: Neue Beiträge

Leben und Sterben in Kamen II

Teil II: Sterben

von Klaus Holzer

Friedhöfe und Beerdigungswesen in Kamen

Das Leben sagt immer zugleich: Ja und Nein.
Er, der Tod, ist der eigentliche Ja-Sager. Er sagt nur: Ja. 

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

Wo es Leben gibt, ist der Tod nicht weit. Geboren und gestorben wird immer. Man muß sich also Gedanken machen, wie man mit solchen, immer wiederkehrenden Ereignissen umgeht: Geburt, Heirat, Tod. Und so bleibt es natürlich nicht aus, daß sich allmählich Rituale herausbilden, die auf die immer gleichen Vorgänge anzuwenden sind. Was macht man mit den Toten? Die einem, als sie noch lebten, lieb und teuer waren? Oder denen man in herzlicher Feindschaft verbunden war? An die man sich erinnern möchte? Oder auch nicht? Egal wie, hier helfen Rituale, sie geben Halt und Sicherheit in ungewissen, schwierigen Situationen. Gibt es ein Leben nach dem Tode, einen Ort, an dem man sich eines Tages wiedersehen wird? Wohin also mit ihnen?

Abb. 1: Friedhofsengel

Im Mittelalter (MA, ma) war der Mensch sehr gottgläubig, der christliche Glaube bestimmte sein Leben von der Wiege bis ins Grab, bestimmte den ganzen Tages- und Jahresablauf, selbst der Tageskalender trug nur die Namen von Heiligen. Beispiele aus Kamen: Der Kamener Bürgermeister wurde im MA immer an Petri Stuhlfeier gewählt: dem 22. Februar;  Severinstag: St. Severin war der Kamener Schutzpatron, dem auch die erste große Kamener Kirche geweiht war, sein Tag ist der 23. Oktober. Leben und Sterben in Kamen II weiterlesen

Leben und Sterben in Kamen I

von Klaus Holzer

Teil I: Leben in Kamen

Die Anfänge – Historisches

Am Anfang gab es zwei Arten von Kamenern, Bürger und bloße Einwohner, auch Beisassen genannt, meist Tagelöhner. Erstere hatten Eigentum und das Bürgerrecht und waren Handwerker und Ackerbürger. Nicht jeder konnte Bürger sein: er mußte eine Gebühr von 2 – 5 Talern an die Stadt bezahlen, je nach Vermögen; er mußte ein Handwerk ausüben, das seine Familie ernähren konnte; er mußte Steuern und Abgaben bezahlen; er mußte sein Teil zur Verteidigung der Stadt beitragen; er mußte einen ledernen Eimer bei der Feuerwache im Rathaus abgeben und bei (den damals häufigen) Bränden beim Löschen kräftig mithelfen; er mußte, und das war besonders wichtig, den Bürgereid leisten. 

Exkurs 1: Ich zitiere diesen Eid hier vollständig, weil er bezeichnend ist für die Verpflichtung, die der Bürger im MA im Verhältnis zu seiner Stadt, seiner Heimat, einging, wie das private Wohlergehen mit dem Gemeinwohl verbunden war: 

„Ich, … gelobe und schwöre einen Eid zu Gott, daß ich Seiner Kurfürstlichen Durch- laucht, Herrn … Kurfürsten von Brandenburg (Anm: Dieser Wortlaut galt also zwischen 1609 = Kamen wird brandenburgisch und 1701 = Brandenburg wird Preußen) usw., auch Herren Bürgermeistern und Rat dieser Stadt in allen Sachen treu und hold, auch gehorsam sein, ihr Gebot und Verbot nicht verachten, Ihrer Kurfürstlichen Durchlaucht dem Herrn usw. und dieser Stadt Bestes mit äußerstem Vermögen vorstellen, das Aergste und Widerwärtige abwenden und verhüten helfen, und da ich etwas hören oder vernehmen würde, daß hochgemeldeter Ihrer Kurfürstlichen Durchlaucht ins Haupt, auch Bürgermeistern und Rat hierselbst, und gemeiner Stadt zur Verkleinerung oder nachteiligen Part gereichen thäte, dasselbe nicht verschweigen, sondern an behörenden Orten anbringen; da ich aber zu anderen dergleichen Zusammenkünften gefordert, daselbsten zu keiner Unruhe, sondern zu allem friedfertigen Wesen, Ursach und Anlaß geben; Leben und Sterben in Kamen I weiterlesen

Die Severinskirmes in Kamen

von Klaus Holzer

Sim-Jü ist in unserer Region jedermann ein Begriff, und auf die betreffende Frage gibt es nur eine Antwort: „Die älteste Kirmes, das älteste Volksfest in der Gegend ist Sim-Jü.“ Die Stadt Werne ist etwas zurückhaltender und nennt Sim-Jü „das größte Volksfest an der Lippe, das seit der Verleihung des Marktrechtes im Jahr 1362 gefeiert“ wird. Sein Name leitet sich vom Tag Simon und Juda her, dem 28. Oktober, der immer für das Datum des Festes maßgeblich war. 

Viel weniger bekannt ist die Kamener Severinskirmes, vielleicht weil sie weniger Kontinuität aufzuweisen hat? Weniger beworben wird? Weniger traditionelle Elemente wie z.B. einen Viehmarkt aufzuweisen hat? Aber ein Blick in die Geschichte, genauer in eine Urkunde im Kamener Stadtarchiv, zeigt: die Severinskirmes ist älter als Sim-Jü, wie der frühere Kamener Stadtarchivar Hans-Jürgen Kistner 1996 herausfand. Ob sie freilich durchgängig stattfand, ist fraglich. Camen war im Mittelalter (MA) lange Zeit die zweitwichtigste Stadt in der Grafschaft Mark, wurde dann aber durch Stadtbrände (insgesamt 11, der letzte 1712) und Kriege (vor allem den Dreißigjährigen Krieg) und durchziehende Söldner aus vielen Nationen schwer getroffen. Sie forderten Kontributionen und plünderten, die Stadt und ihre Bürger verarmten. Besonders aber wütete die Pest in der kleinen Stadt. Das erste Mal trat sie bereits im Jahr 1580 auf. Und in den sowieso schon schweren Kriegsjahren zwischen 1618 und 1648 wütete die Pest 1624/25/26 und 1636 und forderte mehr als die Hälfte der Einwohner. Es ist kaum vorstellbar, daß unter solchen Umständen Kirmessen stattfanden.

Abb. 1: Urkunde vom 4. Juli 1346

Im Kamener Stadtarchiv gibt es eine Urkunde vom 4. Juli 1346, in welcher es in der Übersetzung aus dem Lateinischen von Ruth Merschmann und Hartmut Höfermann, früher am Städt. Neusprachlichen Gymnasium Kamen, bei Theo Simon veröffentlicht, Lehrer ebendort, heißt: „Ebenso haben wir zwei Jahrmärkte gewährt, einen zu Pfingsten, den anderen am Tage des seligen Severin (Anm.: 23. Oktober), des Schutzpatrons ihrer Kirche, und zwar in der Weise, daß niemand an diesem und den drei unmittelbar vorangehenden und folgenden Tagen (Anm.: Dauer also eine Woche!) wegen einer Schuld ohne Verfehlung verpflichtet oder gepfändet werden darf, sogar nicht, wenn er gesetzlos oder geächtet sein sollte. Ebenso haben wir beschlossen, daß drei Wochenmärkte, am Sonntag und am Montag und Donnerstag, mit derselben Freiheit wie die gewährten Jahrmärkte zu halten sind.“ Die Severinskirmes in Kamen weiterlesen

Kamener Köpfe: Dr. Walter Elger

von Klaus Holzer

Dr. Walter Elger, geb. 25. Dez. 1938

Abb. 1: Dr. Walter Elger, geb am 25. Dezember 1938 in Kamen

Exkurs 1: Als Thomas Robert Malthus (14. oder 17. Feb. 1766 – 23. Dez. 1834) im Jahre 1798 seinen „Versuch über das Bevölkerungsgesetz“ formulierte, wonach die Bevölkerungsgröße durch die verfügbare Nahrungsmittelmenge begrenzt und bestimmt sei, waren seine Grundannahmen zwar falsch, doch hatte er ein Problem erkannt, das bis heute im Kern nicht gelöst ist. Er postulierte, die Bevölkerung wachse in geometrischer Progression, also in gleichbleibenden Wachstumsraten bei immer größeren absoluten Werten, die Nahrungsmittelproduktion dagegen in arithmetischer Progression, also mit gleichbleibenden absoluten Zuwächsen. Daher reiche die Erde irgendwann nicht mehr aus, alle Menschen zu ernähren. Hunger führe zwar zu erhöhter Sterblichkeit, doch sei sexuelle Enthaltsamkeit zusätzlich vonnöten. Auf dieser Grundlage kam es bereits im 19. Jh. in den USA zu ersten Überlegungen von Geburtenkontrolle. Daß Malthus damit die Menschen insgesamt überforderte, ahnte er möglicherweise schon, doch gab es zu seiner Zeit eben noch keine anderen Möglichkeiten. Kamener Köpfe: Dr. Walter Elger weiterlesen

Das 17. Zeitzeichen des KKK: Helden

Teil 1: Dr. Heinrich-Wilhelm Drexhage – Fiktive Helden

Mit der Erfindung der Keilschrift beginnt die Zeit der schriftlichen Überlieferung und damit auch der Literatur. Die erste uns bekannte lange altbabylonische Erzählung ist die über Gilgamesch, den sagenhaften König von Uruk. Dieses Epos beschreibt seine außergewöhnlichen Taten und sein Suchen nach einem Wunderkraut, das ihm ewige Jugend bescheren soll. Als er es durch eigene Unachtsamkeit verliert, findet er sich mit seiner Sterblichkeit ab und reift als Persönlichkeit.

Abb. 1: Gilgamesch

Die Themen sind: Macht und Machtmißbrauch; Liebe und Freundschaft; Heldentum und menschliche Schwäche; das Verhältnis von Mensch und Gottheit. Das 17. Zeitzeichen des KKK: Helden weiterlesen

100 Jahre Dammbruch an der Seseke

von Klaus Holzer

Wir haben uns daran gewöhnt, wir kennen es gar nicht mehr anders: es mag regnen, soviel es will, die Seseke bleibt in ihrem Bett. Seit 2008 ist sie renaturiert, und trotz der immensen Kosten von 500 Mill. Euro ist der Umbau jeden Pfennig wert. Kein Wasser mehr im Keller, viele Kilometer Wander- und Radwege.

Abb. 1: Der Dammbruch vom 2. Februar 1923

Das war aber nicht immer so. Am 2. Februar vor genau 100 Jahren schaffte es dieses Flüßchen, zu einem reißenden Strom zu werden, der alles mitriß, was sich ihm in den Weg stellte.  Aber der Reihe nach. 100 Jahre Dammbruch an der Seseke weiterlesen

Juden in Kamen

von Klaus Holzer

Vorbemerkung:

Der Anlaß für diesen Artikel ist das 120-jährige Jubiläum der Einweihung der neuen Kamener Synagoge am 15./16. November 2021.

Abriß der Geschichte der Juden in Kamen.

Historisches

Juden gibt es in Kamen nachweislich seit 1348. In diesem Jahr stellte Graf Engelbert III (1347 – 1391) einem Juden namens Samuel einen Schutzbrief auf sieben Jahre aus, in dem er ihm dieselben Rechte gibt, „wie sie unsere anderen Juden in Hamm, Unna und Kamen haben“. Solch ein Schutzbrief wurde immer nur für eine bestimmte Anzahl von Jahren ausgestellt, und die auferlegte Gebühr war jedes Jahr neu zu entrichten. Daß Juden überhaupt eines Schutzbriefes bedurften, zeigt deutlich, wie prekär ihr sozialer Status war. Sie galten als „Wucherjuden“, da sie oft als Geldverleiher auftraten (im MA waren Wucher und Zins synonym, ein Geldverleiher verlangte natürlich Zinsen) und, weil Kapital knapp war, hohe Zinsen verlangten, wie auch ihre christlichen Konkurrenten, die aber nicht den Nachteil hatten, als „Christusmörder“ zu gelten. Und 1403 erteilte der römisch-deutsche König Ruprecht von der Pfalz (1352 – 1410; ab 1400 König) einem Juden in Kamen freies Geleit. Juden in Kamen weiterlesen

Flurnamen: Malter – Scheffel


von Klaus Holzer

Abb. 1: Straßenschild

„Malter“ und „Scheffel“ sind sicherlich zwei Wörter, die einmal zum täglichen Sprachgebrauch der Ackerbürger und natürlich auch der Bauern in unserer kleinen Ackerbürgerstadt gehörten. Und bestimmt gebrauchten unsere Vorfahren sie noch lange, nachdem 1799 das Dezimalsystem in Paris deklariert wurde, zunächst der Meter, dann alle anderen Maße, Fläche und Hohlmaße, die dann offiziell seit den 1890er Jahren auch in Deutschland galten. (Und wie lange wird es wohl noch dauern, bis auch das letzte alltäglich gebrauchte nicht-metrische Maß aus unserem Sprachgebrauch verschwunden sein wird: viertel, halbes, dreiviertel Pfund? Und im landwirtschaftlichen Bereich mag es auch noch eine Zeitlang den „Morgen“ geben.) Flurnamen: Malter – Scheffel weiterlesen

Flurnamen: Koppel

von Klaus Holzer

Abb. 1: Straßenschild

Eine Koppel ist ein eingezäuntes Stück Land oder Weide, der Name kann auch ein gemeinsames Weiderecht bezeichnen.

koppel Verbindung(sstück), ← lat. copula (frz./engl. couple): Ländereien bzw. Markengebiete (Grenz~)  berühren sich punktuell; eingezäuntes Weideland, urspr. ein „Joch Landes“ = soviel Land, wie ein Paar Ochsen an einem Tag pflügen kann (Ochsen wurden als Zugtiere durch ein Joch = Teil des Geschirrs verbunden)

Abb. 2: Koppelwiesen

Eine Koppel ist ein Verbindungsstück bzw. ein Band. Und genau so zog sich das große Areal, das in der Kamener Urkatasterkarte von 1827 so hieß, wie ein Band südwestlich bis westlich um die Stadt.  Flurnamen: Koppel weiterlesen

Flurname: Hemsack

von Klaus Holzer

Abb. 1: Straßenschild

Ein Hamm ist der Winkel zwischen zwei Flüssen oder eine Flußkrümmung. Eine solche Lage bot für Neusiedlungen des gerade seßhaft gewordenen Menschen in der Jungsteinzeit einen entscheidenden Vorteil, weil sie auf zwei Seiten einen natürlichen Schutz bot, in Kamen zwischen Seseke und Körne. 

Weitere Bedeutungen waren: ham, hammes, hämme – Zaun, Pferch, Hürde, Einfriedung, eingehegtes Landstück, oft in Wassernähe, deshalb auch Deutung als „Landstück in einer spitzig abknickenden, ein Dreieck bildenden Flußschlinge; oft in Siedlungsnamen“. So schrieb Levold von Northoff vom Gut Nordhoff, später Haus Bögge zugehörig, ein bedeutender Kleriker und Chronist,  vor 1358: „eine Stadt, die man den Hamm nennt“: heute Hamm. Hier ist die ursprüngliche Bedeutung erkennbar, ebenso noch in Hamburg, im Englischen in Namen wie Southampton.  Flurname: Hemsack weiterlesen