Antonius Praetorius, der erste Kämpfer gegen Hexenprozesse

von Klaus Holzer

Antonius Praetorius, geb. um 1560 in Lippstadt, gest. 6.12.1613 in Laudenbach a/d Bergstrasse

Antonius Praetorius

Antonius Praetorius, gesehen von Reimund Kasper

Wie unschwer zu erkennen ist, ist der Name des Mannes lateinisch. Und das, obwohl er als Sohn des Matthes Schulze in Lippstadt geboren wurde. (Der Name „Schulze“ kommt von „Schultheiß“, d.h., es handelt sich um jemanden in herausgehobener Position, einen Verwalter, der „jemanden heißen kann, dem Grundherrn Verpflichtungen (=Schuld) abzuleisten“, der also bestimmt, was und wieviel jemand an Abgaben und Diensten an den Fron– bzw. Lehnsherrn zu leisten hat.) Dieser hatte mit seinem Sohn Großes vor und schickte ihn zur örtlichen Lateinschule. Und schon zu Hause in Lippstadt hatte Anton mit 13 Jahren ein Erlebnis, das später sein Leben bestimmen sollte: er wird Zeuge eines Hexenprozesses und erlebt, was die Anwendung der Folter mit Menschen macht. Er wurde Zeuge, wie Frauen hinausgeführt und verbrannt wurden, „nur darum, sie hätten mit dem Satan … gezecht, getanzt, bebuhlt und Wetten gemacht; welches doch alles ihrer Natur zuwider und unmöglich gewesen“.

Mit 21 Jahren hat er eine theologische Ausbildung absolviert und sich fundierte Bibelkenntnisse erworben, die ihm später bei seiner Argumentation gegen die Hexerei nützlich sein werden. Er wird Lehrer und nennt sich fortan „Antonius Praetorius“ (AP), was eine Übersetzung des Familiennamens ins Lateinische ist. Damit folgt er der humanistischen Tradition, den Namen zu latinisieren, damit die gelehrte Disputation, die vorherrschende Form des wissenschaftlichen Streits, in der lingua franca des Mittelalters (MA) geführt werden konnte. (Das Lateinische ist eine synthetische Sprache, d.h., alle grammatischen Umstände werden durch Formen bestimmt und zum Ausdruck gebracht, es finden sich Bedeutung und grammatische Kategorien in einem Wort, daher können z.B. deutsche Namen wie „Schulte“ im Lateinischen nur äußerst umständlich verwendet werden.) 

1580 geht er als Lehrer nach Kamen. Hier heiratet er 1584 Maria, eine Kamenerin, die ihm 1585 den Sohn Johannes gebiert. Offenbar ist er ein guter Lehrer, er erwirbt sich bald Ansehen. Schon 1586 wird er zum Rektor der Kamener Lateinschule ernannt – der Vorläuferin des heutigen Städtischen Gymnasiums – was durch eine vom Urkunde vom 28. April 1586 im Kamener Stadtarchiv belegt ist.

Abb. 0a. Schulurkunde mit AusschnittAbb. 1: Urkunde vom 28. April 1586 

Die Stifter schreiben in der besagten Urkunde, „das die Schuele alhier zu Camen ettliche viele Jahren hero mit erfarnen fließigen Schuldienern nitt fast woll versehenn  gewesenn“. Sie erklären dann, daß „ … dahero die Jugendt ubell erzogenn, alß wilde Rancken auferwachsenn unnd jetzo auf heuttige stunde ein gewißer  Verlauf und mangell bei Burgschaft und gemeinde dieser Stadt gespuiret würdt.“ Es bedürfe aber „erfarner christlicher Schuelldiener, … Sinthemall dadurch die junge anwachsene Jugendt vonn Kindt auf zu Gottsfruchtt, guiter Lehr, Künsten, ehr, Zuchtt unnd tugendt dermaißenn angeführet unnd aufertzogen wurdt“.

Offenbar trauen die Stifter AP zu, die Dinge in Ordnung zu bringen und geben ihre „Donation, gifft, contribution und ordnung“ „zu befuderung seiner christlichen Kirchen und gemeinden, auch dieser Stadt Burgerschaft, und den benachbarten zu Dienst, nutz und besten“.

Damit das möglich wird, stiften 14 Bürger, darunter auch der Bürgermeister Joachim Buxtorf, insgesamt 1520 Taler und 72 Taler Rente pro Jahr, weil „die Mittel der Unterhaltung der Schuldiener zu gering seien und Kirche und Staat wegen eigener Bedürftigkeit nicht zulegen können“. (zit. aus Theo Simon, Die Geschichte der Schule, in: 100 Jahre Städtische Höhere Lehranstalt Kamen, Festschrift 1958; Übersetzung bzw. Zusammenfassung: unter einem Mangel an erfahrenen Lehrern gelitten habe; woher die Jugend übel erzogen sei, als wilde Rangen aufgewachsen sei, und daß Bürgerschaft und Stadt diesen Mangel spürten; da ja dadurch die heranwachsende Jugend von Kind auf zu Gottesfurcht, guter Lehre, den Künsten ( = hier sind gemeint die septem artes liberales, an erster Stelle Grammatik: Lateinische Sprachlehre und ihre Anwendung auf die Werke der klassischen Schulautoren), Ehre, Zucht und Tugend ( = zu tugendhaftem Verhalten) angeleitet und erzogen werden; sie geben ihre Stiftung und deren Ordnung zur Unterstützung der christlichen Kirchen und Gemeinden, der Bürgerschaft Camens und benachbarter Orte zu ihrem Nutzen und Besten.)

Abb. 0bAbb. 2: Widmungsseite der Ausgabe von 1613

Zwei weitere Stifter, Hermann Reinermann und Johann Bodde, dazu Pfarrer Wilhelm Schulenius, werden ihn im Jahre 1613 noch einmal unterstützen: sie erscheinen als Praetorius’ Unterstützer auf der Widmungsseite der dritten Auflage seines Buches „Gründlicher Bericht von Zauberey und Zauberern/ darinn dieser grausamen Menschen feindtseliges und schändliches Vornemen/ und wie Christlicher Obrigkeit ihnen Zubegegnen/ ihr Werck zuhindern/ auffzuheben und zu Straffen / gebüre und wol möglich sey … kurtz und ordentlich erkläret. Durch Joannem Scultetum Westphalo-camensem. Gedruckt zu Lich/ in der Graffschaft Solms bey Nicolao Erbenio“. Darin behandelt er das Zauberwesen, die Folter und die Rolle der Obrigkeit im Hexenprozeß. Mit Argumenten aus der Bibel distanziert er sich von Calvins und Luthers Aufrufen zur Verbrennung der Hexen und forderte die Abschaffung der Folter.

Abb. 1a, Titelseite 1602

Abb. 3: Gründlicher Bericht, 2. Auflage 1602

Abb. 1 Titelseite 1613

Abb. 4: Gründlicher Bericht (Facsimile-Titel, 3. Auflage von 1613)

Allerdings hält es ihn in Kamen nicht lange. Hartmut Hegeler, der sich wohl am ausführlichsten mit AP auseinandergesetzt hat, vermutet unter den Gründen auch die Fehlgeburten, die seine Frau in den nächsten Jahren hatte, und ihren dadurch verursachten frühen Tod. Schon 1587 wird er lutherischer Diakon in Worms. Bevor er 1589 zweiter Pfarrer in Oppenheim wird, wechselt er von der lutherischen Lehre zum Calivinismus und wird noch 1589 reformierter Pfarrer in Dittelsheim. AP war überzeugt, daß die Radikalität der Botschaft Christi, wie Calvin sie verkündete, die fortschrittlichste Variante der Reformation war. 1596 schon veröffentlicht er seine Schrift De Pii Magistratus Officio (Des frommen Amtsträgers Pflicht), in der er eine bibelorientierte Erneuerung von Kirche und Nation gemäß Johannes Calvins Lehren fordert.

In der Mission für die Verbreitung der calvinistischen Konfession fand er sein erstes Lebensthema. Schon 1597 veröffentlicht er sein „Haußgespräch. Darinn kurz doch klärlich und gründlich begriffen wird/was zu wahrer Christlicher Bekanntnuß/auch Gottseligem Wandel gehörig/und einem jeden Christen vornemlich zu wissen von nöhten“ . Des weiteren mischt er sich in den Streit mit den Lutheranern um das Abendmahl ein. Nach einem Disput mit dem Mainzer Erzbischof über die Marienverkündigung nach der Rekatholisierung von Oberwöllstadt wurde er für ein paar Tage ins Gefängnis geworfen, kam erst nach dem persönlichen Eingreifen seines Landesherrn wieder frei.

Seit 1560 herrschte in Mitteleuropa die „kleine Eiszeit“: extrem kalte Winter und nasse Sommer führten zu Mißernten, daraus erwuchsen Hungersnöte, das Vieh starb, Krankheiten breiteten sich aus. Nur in zwei der über 40 Jahre gab es normale Ernten. Kriege, Krankheiten und Katastrophen erzeugten bei den Menschen Angst und Panik. Es herrschte Endzeitstimmung. Um 1590 wüteten spanische Truppen in Deutschland. Eine Pestepidemie raffte an manchen Orten die Hälfte der Bevölkerung hinweg.

Da im MA Naturereignisse als gottgegeben verstanden wurden, war eine solche Katastrophe das Zeichen für die göttliche Bestrafung des Menschen für sein sündiges Leben oder das Ergebnis eines Schadenszaubers durch Hexen. Dann suchte man sich einen Sündenbock (Sündenbock: ein Ziegenbock, auf den am Versöhnungstag durch den jüdischen Hohepriester [nach 3, Mose 16] symbolisch die Sünden des Volkes übertragen wurden und der anschließend, mit diesen „Sünden beladen“, „in die Wüste geschickt“ wurde), z.B. eine Hexe, die man verbrannte. Die Kamener verhielten sich zivilisierter, hier gab es keine Hexenverbrennung. Hier verursachte die kleine Eiszeit die Hinwendung zum Reformierten Glauben in den 1590er Jahren. Diese Variante der Reformation war besonders streng, ihre Anhänger glaubten sich Gott besonders nahe.

Bei vielen mittelalterlichen Gelehrten fällt auf, wie breit ihre Interessen gefächert waren, wie sehr ihr Spezialistentum, im Gegensatz zu heute, nur eine Facette ihres Schaffens darstellte (vgl.a. Johannes Buxtorf und Hermann Hamelmann). AP veröffentlicht 1595 die erste bekannte Beschreibung des Heidelberger Großen Fasses „De Vas Heidelbergense“, ein wahrlich nicht sehr theologisches Thema, wenngleich er es als Symbol für die Überlegenheit des reformierten Glaubens preist.

Abb. 2 Faß HeidelbergAbb. 5: Das Heidelberger Faß

1593 wird AP Zeuge des Dalberger Hexenprozesses und empört sich über „schändliche, närrische und greiflich lügenhafte Dinge von teuflischer Gemeinschaft“ dermaßen, daß er zum ersten Mal dagegen anschreibt.

1596 starb seine zweite Frau an der Pest. Er verlobte sich ein weiteres Mal, doch schon drei Tage nach der Ankündigung der Hochzeit starb seine Verlobte.

Abb. 2a KarteAbb. 6: Wirkungsbereich des Antonius Praetorius

Sein entscheidendes Lebensthema fand AP im Jahre 1597, als er als Pfarrer in Ysenburg-Birstein in der Nähe Frankfurts am Main angestellt war. Als die Bewohner des Ortes gegen vier Frauen des Ortes einen Hexenprozess forderten, wurde AP vom Grafen, der ihn als fürstlichen Hofprediger angestellt hatte, zum Mitglied des Hexengerichts berufen. In dieser Funktion erlebte er, wie grausam die Folter gegen die vermeintlichen Hexen angewandt wurde, um ihnen das Geständnis abzupressen, als Hexen den Schaden an Menschen, Tieren und der Ernte (während der kleinen Eiszeit) verübt zu haben. AP, der Ortspfarrer, ist außer sich vor Zorn. Als er sieht, was bei der Folter geschieht, kann er nicht still bleiben: „O Ihr Richter, was macht Ihr doch? daß ihr schuldig seid an dem schrecklichen Tod Eurer Gefangenen? Ihr seid Totschläger! Gott schreibt es auf einen Denkzettel! Welche Richter zu der Ungerechtigkeit Lust haben und unschuldiges Blut vergießen, werden in Gottes Hand zur Rache verfallen und sich selbst in die unterste Hölle hinabstürzen!“ So schreibt er es in seinem „Bericht“.

Eine der Frauen stirbt an der Folter, die anderen drei bleiben noch vier Wochen in Haft, bleiben so lange von der Folter verschont. Dann jedoch werden sie zum zweiten Mal dem „peinlichen Verhör“ unterworfen, werden erneut zwei Tage lang gefoltert. Zwei weitere Frauen sterben. „Sind also drey Weiber im Gefengnuss umbkommen/und kan noch niemand sagen/wie/wem//was/sie böses gethan“.

Abb. 3 Vorrede BerichtAbb. 7: Aus der Vorrede zum Gründlichen Bericht

Er verlangt die Einstellung der Folter und die sofortige Freilassung der Beschuldigten so heftig, daß die einzige überlebende Gefangene freigelassen wird. Es ist kein weiterer Fall bekannt, daß ein Pfarrer während eines Hexenprozesses die Beendigung der von ihm als unmenschlich erkannten Folter verlangte und damit Erfolg hatte. Im Prozeßprotokoll heißt es: „weil der Pfarrer alhie hefftig dawieder gewesen, das man die Weiber peinigte, alß ist es dißmahl deßhalben underlaßen worden. Da er mit großem Gestüm und Unbescheidenheit vor der Tür angericht den Herrn D. angefürdert und heftig CONTRA TORTURAM geredet.“

Abb. 4 Prozeßakte 1597Abb. 8: Auszug aus dem Protokoll von 1597

Angesichts der Stimmung zu der Zeit und der Umstände ist es nur natürlich, daß AP daraufhin seine Stelle als Hofprediger verlor. 1598 wurde er Pfarrer in Laudenbach an der Bergstraße. Doch sein Erlebnis in Birstein läßt ihn nicht mehr los. Jetzt beginnt er seinen Kampf gegen den Hexenwahn und die damit einhergehenden unmenschlichen Foltermethoden und schreibt seinen „Gründlichen Bericht“ (s.o.). Er fordert Verteidiger für die der Hexerei Angeklagten, ihre Gleichbehandlung und mehr als nur einen Zeugen gegen sie. Grundlage seiner Argumentation bleibt immer die Bibel, das AT und das NT.

Grundlage für die Hexenverfolgungen war zum einen die Bulle (lat. bulla – Kapsel, Schutzkapsel für Metallsiegel, auch das Metallsiegel selbst; seit dem 13. Jh. ein päpstlicher Erlaß über wichtige kirchliche Angelegenheiten, in lat. Sprache auf Pergament geschrieben) Summis desiderantes affectibus (Hexenbulle) Papst Innozenz‘ VIII. von 1484 und der Malleus Maleficarum (Hexenhammer) des Dominikanermönchs Henricus Institoris (Heinrich Kramer), der 1486 in Speyer veröffentlicht worden war und über zwei Jahrhunderte zur Legitimation dieser Praxis diente. Und die Schuldvorwürfe konzentrierten sich auf folgende vier Punkte:

  1. Hexen haben einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.
  2. Das geschieht in der Form der Teufelsbuhlschaft (Eheschließung) und gipfelt im Geschlechtsverkehr mit dem Teufel.
  3. Sie üben Schadenszauber aus: an Menschen, Tieren, Ernten und Wetter.
  4. Sie nehmen am Hexensabbat teil, daher kennen sie alle anderen Hexen und müssen deren Namen im Verhör nennen.

AP wußte genau, in welcher Gefahr jeder schwebte, der gegen Hexenprozesse zu Felde zog. Daher wurde sein „Gründlicher Bericht“ zunächst unter dem Namen seines 13-jährigen, in Kamen geborenen, Sohnes veröffentlicht. (Durch „Joannem Scultetum Westphalo-camensem“ ist sein Pseudonym: Johannes Schulze aus Kamen in Westfalen. Er selber war ja als Antonius Praetorius bekannt. Und lange Zeit hat wirklich niemand diese Schrift mit AP in Verbindung gebracht. Das ist die zweite Möglichkeit der Latinisierung: man hängt eine lateinische, d.h. deklinierbare Endung an den deutschen Namen an.) Erst vier Jahre später, 1602, traut er sich, die zweite Auflage unter seinem eigenen Namen herauszubringen. 1613 erscheint die dritte Auflage, zu der AP ein Vorwort schreibt und die durch Gutachten lutherischer Theologen untermauert wird, was bedeutet, daß sie zu einem überkonfessionellen Appell gegen Folter und Hexenprozesse wurde. Und es zeigte sich auch, daß es in ganz Deutschland Menschen aller Stände gab, die gegen Hexenprozesse waren und daß AP mit seinem „Gründlichen Bericht“ sozusagen offene Türen einrannte. Er war es, der sich als erster öffentlich äußerte und die Bibel wie auch menschliche Vernunft gegen die Hexenhysterie und die ungesetzliche Anwendung der Folter durch die Justizbehörden setzte.

Damit wir uns ein Bild davon machen können, mit welcher Vehemenz AP zu Werke schritt, hier ein paar Zitate aus seinem „Bericht“ (zit. nach Wikipedia, „Anton Praetorius“):

„Es muss ein Ende sein mit der Tyrannei, die bisher viele unterdrücket, denn Gott fordert Gerechtigkeit.“

„Es sollten die obersten Herren gelehrt sein in Gott, fromm und ein Vorbild. … Christliche Obrigkeiten sollen das Werk der Zauberer auf christliche Weise hindern und strafen.“

„Ihr seid im Unrecht. Ihr steht in des Kaisers Strafe, denn Ihr seid für mutwillige und öffentliche Totschläger und Blutrichter zu halten!“

„Welche Richter zu der Ungerechtigkeit Lust haben und unschuldiges Blut vergießen, werden in Gottes Hand zur Rache verfallen und sich selbst in die unterste Hölle hinabstürzen!“

Und seine rechtliche und moralische Auseinandersetzung mit der Folter ist von bestechender Schärfe und liest sich so (zit. nach Wikipedia, „Anton Praetorius“): „Ich sehe nicht gern, daß die Folter gebraucht wirdt

1. Weil fromme Koenige vnd Richter im ersten Volck Gottes sie nicht gebraucht haben:

2. Weil sie durch Heidnische Tyrannen auffkommen:

3. Weil sie vieler vnd grosser Luegen Mutter ist:

4. Weil sie so offt die Menschen am leibe beschaediget.

5. Weil auch endlich viel Leut/ ohn gebuerlich vrtheil vnd Recht/ ja ehe sie schuldig erfunden werden/ dadurch in Gefaengnussen vmbkommen: Heut gefoltert/ Morgen todt.

Auch findt man in Gottes Wort nichts von Folterung/ peinlicher Verhoer/ vnd durch Gewalt vnd Schmertzen außgetrungener Bekaentnuß/

Weil dann die peinliche verhoerung so vnchristlich/ so scharpff/ so gefaehrlich/ so schaedlich/ vnd darzu so betrieglich vnd vngewiß/ soll sie billich von Christlicher hoher Oberkeit nicht gebrauchet noch gestattet werden.

Je mehr jemand foltert vnd foltern laesset/ je gleicher er den Tyrannen thut vnd wird.

Endlich ist gewiß/ der Teuffel fuehlet der Folter Schmertzen nicht/ vnd wirdt dardurch nicht vertrieben.

Ihr Herrn vnd Richter habt den armen Leuten mit Folterung … auff den Weg der verzweiffelung gebracht …: Derhalben seyd ihr schuldig an ihrem Todt.

unterschrift_praetoriusAbb. 9: Antonius Praetorius‘ Unterschrift

Am 6. Dezember 1613 starb der Kämpfer gegen Hexenprozesse und Missionar für den calvinistischen Glauben, Antonius Praetorius, in Laudenbach in Hessen. Er wurde 53 Jahre alt.

KH

Große Teile meines Wissens über AP und etliche Zitate entstammen den zahlreichen Schriften, die Hartmut Hegeler aus Unna über AP verfaßt hat. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Folgende Schriften von Hartmut Hegeler bilden die Grundlage obigen Artikels:

Hartmut Hegeler, Anton Praetorius – Vom Kirchenreformator zum Kämpfer gegen Hexenprozesse und Folter in der Wetterau – De Pii Magistratus officio – Des frommen Amtsträgers Pflicht

Hartmut Hegeler, Anton Praetorius – Kämpfer gegen Hexenprozesse und Folter

 

Die Zitate stammen aus Hartmut Hegelers Schriften, soweit nicht anders vermerkt.

Weitere Informationen im Internet unter:

www.anton-praetorius.de

Hier finden Sie Hartmut Hegelers Publikationen über AP:

http://www.anton-praetorius.de/buecher/buecher.htm

 

Die Abbildungen entstammen:

Stadtarchiv Kamen: Nr. 1 (bearbeitet von KH)

Universität Heidelberg, Repro-Faksimile  Deutsches Rechtswörterbuch: Nr. 2, 4, 7

H. Hegeler, – ein Kapitel Rheinhessischer Geschichte: Nr. 5

Wikipedia: Nr. 3, 6, 8, 9

KH

Stadtbaurat Gustav Reich

von Klaus Holzer

Abb. 1

Abb. 1: Gustav Reich, 22. August 1887 – 9. Juli 1970

Erst Ansiedlungen, dann Dörfer, schließlich Städte wurden
nicht geplant, sondern entstanden nach Gesichtspunkten zeitgemäßer Zweckmäßigkeit. Kamen verdankt seine Entstehung der Lage an einer einstmals für den Verkehr wichtigen Sesekefurt. Entscheidend für die Entstehung der Siedlung war, daß es dort alles gab, was der Mensch für seine Existenz brauchte: Der Fluß gab Wasser, zusammen mit Fischen, Krebsen und Muscheln als Nahrung; Wald versorgte die Siedler mit Jagdtieren und Holz zum Hausbau, zum Heizen und Kochen; Weide und Wiese für das Vieh gaben Sommer– wie auch Winterfutter. (Die erste in Deutschland planmäßig gegründete Stadt ist Freiburg im Breisgau, 1120.)

Jäger und Sammler hatten andere Bedürfnisse als seßhafte Bauern, die Stadt mußte sich anders organisieren als das Dorf, und die mittelalterliche Stadt mußte andere Lebensweisen ermöglichen als die moderne. Doch der Kernbereich menschlichen Zusammenlebens in der Stadt umfaßte immer: das Zentrum mit Rathaus, Kirche, Handwerker– und Bürgerhäuser, Selbstverwaltung und städtische Gerichtsbarkeit, soziale und berufliche Differenzierung der Stadtbevölkerung in Stadtvierteln. Daraus folgte zunächst wie von selbst eine räumlich sinnvolle Gliederung der Stadt. Lediglich Einzelheiten wurden anfangs vorgeschrieben: keine Strohdächer mehr wegen der Brandgefahr (in Kamen ab 1712), der Abstand der Häuser zueinander ebenfalls wegen der Brandgefahr (in allen Häusern gab es offene Feuerstellen), aber auch, damit jedes Haus den notwendigen Lichteinfall hatte.

Nach dem Ersten Weltkrieg war Kamen eine kleine Stadt, die sich noch viel von ihrem mittelalterlichen Erscheinungsbild bewahrt hatte. Immer noch war sie das ländliche Ackerbürgerstädtchen, das sich nur an zwei Stellen über die alte Stadtmauer ausgedehnt hatte: im Westen hatte sich die Zeche Monopol angesiedelt, im Süden bot der Bahnhof Anschluß an die Köln-Mindener Eisenbahn, die den Beginn des Industriezeitalters ermöglichte, den Anschluß an die Moderne.

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Abb.2: Kamen auf einem Luftbild von 1922: ein kleines Ackerbürgerstädtchen

Nach der langen Amtszeit als Bürgermeister von Vater und Sohn von Basse (1847 – 1913!), trat Dr. Kurt Hermann Wiesner am 1. Juli 1913 sein Amt als Kamener Bürgermeister an, verließ Kamen aber am 13. November 1923, um Polizeipräsident in Erfurt zu werden. Nach einem zweijährigen Interregnum, in dem der Beigeordnete August Siegler von November 1922 an stellvertretender Kamener Bürgermeister war, wurde am 25. September 1924 der aus Aplerbeck gebürtige Gustav Adolf Berensmann sein Nachfolger. Dieser war vorher schon BM in Laasphe gewesen und erwies sich als ausgesprochen tatkräftig. In einer seiner ersten Amtshandlungen holte er seinen dortigen Stadtbaumeister Gustav Reich nach Kamen. Er wußte genau, wen er da holte. „Baurat Reich ist von uns berufen, die alte Stadt mit ihrem schiefen Turm aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken,“ mit diesen Worten führte Berensmann ihn am 1. Mai 1925 in sein Amt ein. Reich brachte für seine neue Aufgabe reichlich Erfahrung mit. Von 1911 bis 1914 war er Regierungsbaumeister und Bauführer in Frankfurt gewesen, anschließend 6 Jahre in Wiesbaden, war dabei auch „als Kommissar gegen die Verschandelung des Rheintals“  zuständig gewesen. Reich brachte sowohl in der Planung wie Bauausführung, im Tiefbau wie im Hochbau viel Erfahrung mit. Zu seinem neuen Tätigkeitsbereich in Kamen gehörten das gesamte Bauwesen und die Versorgungsbetriebe: Verwaltungsabteilung und Baupolizei, Stadtplanungs– und Baupflegeamt, Hochbauamt, Tiefbauamt, Grundstücks– und Vermessungsamt und die Städtischen Betriebswerke.

GR hatte zuvor bereits vier Jahre im Ersten Weltkrieg gedient, schied 1918 als Oberleutnant der Reserve aus dem Dienst, reich dekoriert: EKI und EK II, Ritterkreuz des Zähringer Löwen mit Schwertern, das Ehrenkreuz für Frontkämpfer und das Treudienstehrenzeichen.

Abb. 3

Abb.3: Reichs Entwurf der Stadtplanung für Kamen von 1927

Ohne Titel

Abb.4: Kamen auf einem Luftbild von vor 1938, Reichs Handschrift ist schon zu erkennen

Reich erwies sich als ebenso energiegeladen wie Berensmann. Umgehend entwickelte er eine Stadtplanung, um Kamen zu einer modernen Stadt zu machen, fit fürs 20 Jh. 1927, nach nur zwei Jahren im Amt, wartete GR mit einem Stadtbauplan auf, der „als Grundlage jedweden gemeindlichen Unternehmens nach neuzeitlichen Gesichtspunkten“ (GR) aufgestellt war, für Kamen, die siebenhundertjährige Stadt, der erste Stadtbebauungsplan überhaupt. Wenn eine Leitidee darin zu entdecken ist, dann die des „Zusammenklangs von weltlicher und geistlicher Autorität“ (GR). Dr. Fred Kaspar von der Denkmalbehörde des LWL urteilte 1988: „Das … in seiner Komplexität weit überdurchschnittliche Konzept … ist … bis heute prägend geblieben“. Und weiter: „Die Bebauung und Konzeption der beiden Gartenplätze sowie der anschließenden Straßenstücke, insbesondere von Ostring und Kastanienallee [ist] exemplarisch für die großen und künstlerisch anspruchsvollen Konzepte des Städtebaus … in Kamen nach dem Ersten Weltkrieg ….“ Dr. Kaspar bezieht Reichs Konzeption für den Postbereich, den Edelkirchenhof bzw. den Bereich von Koppelteich und Schwimmbad mit ein, beklagt aber die Veränderungen durch Um– und Neubauten. Er schlußfolgert: „Für die Erhaltung und Nutzung dieses Stadtbezirkes (gemeint: Gartenstadt Ost (Ostring, Hammer Straße/Kastanienallee, Gartenplatz, Hüchtweg) in seiner ursprünglichen Konzeption liegen daher künstlerische, wissenschaftliche und städtebauliche Gründe vor.“ Er verlangt: „Sie ist als ein (Gesamt–)Baudenkmal zu betrachten.“ Und: „Der Zusammenhang der Gebäude wird … insbesondere durch die achsiale Ausrichtung der Anlage und deren Betonung durch Elemente wie Baumreihen (Pappeln, Kastanien), Hecken (Weißdorn) oder Mauern geschaffen.“ Er bescheinigt Reich „hohen gestalterischen und formalen Anspruch.“

Abb. 5

Abb.5: Das Haus Kirchplatz Nr. 5a & 5b, mit Pflanzkreuz in der Mulde

Was heißt das nun konkret? Die alte Stadt Kamen war von zwei Polen bestimmt: hier die 900 Jahre alte Pauluskirche, dort das 700 Jahre alte Rathaus. Alle anderen Bauten, Profanbauten, sind darauf zugeordnet. Um diesen Gedanken zu betonen, legte GR zwischen den beiden großen Kirchen einen Platz an, der dem Gedenken der im Ersten Weltkrieg Gefallenen gewidmet war. Der Platz war als Mulde angelegt, um, wie GR es formulierte, den Sakralbauten „Erhöhung nach oben“ zu geben. Darinnen befand sich an zentraler Stelle ein gepflanztes Kreuz. Als Ergänzung, um ein würdiges Ensemble zu schaffen, stellte er vor das städtische Wahrzeichen, den schiefen Turm,

seitlich versetzt ein Mahnmal, das Löwendenkmal, vom Dortmunder Bildhauer Beyer geschaffen. Der Sockel trug die Inschrift: „So betet, daß die alte Kraft erwache.“ Dieses Mahnmal wurde im Februar 1945 bei dem schwersten Bombenangriff auf Kamen, zusammen mit dem schiefen Turm, schwer beschädigt und 1946 abgerissen.

Und dann wurde Kamen in atemberaubendem Tempo verändert. Mitte der 1920er Jahre war die Wohnungsnot groß, Wohnungsbau wurde zu einer zentralen Aufgabe für die öffentliche Hand. Am  Beispiel Kamen: Die Stadt Kamen besaß 1924 43 stadteigene Wohnungen, 1928 bereits 190! Natürlich konnte GR bei allen seinen Bauprojekten auf das große Reservoir an Arbeitskräften zugreifen, das, verarmt durch die Inflation, nur auf Beschäftigung wartete. Reichs Pläne verhalfen der Stadt zu einer Erneuerung, den Arbeitslosen zu Einkommen. Der Stadtplaner und Architekt Reich war in seinem Element.

Dabei war eine berufliche Orientierung als Architekt gar nicht sein erstes Ziel. Direkt nach dem Abitur in Hanau 1906 ging er ans Konservatorium nach Frankfurt und studierte Musik, Klavier und Violine. Dieses Studium brach er zwar nach einem Jahr wieder ab, doch war er ein so guter Musiker, daß er z.B. im März 1921 bei einer „Beethoven-Feier in der städtischen Turnhalle in Laasphe“ als Pianist in einem Beethoven-Trio und einem –quartett , als Sologeiger und Chorleiter auftrat. Da war er bereits Stadtbaumeister in Laasphe.

Keine drei Monate nach GRs Amtsantritt in Kamen, am 24. August 1925, begannen die Arbeiten am Bau der Kamener Kanalisation, 15 km wurden unter seiner Ägide gebaut. GR bettete diese Arbeiten in ein umfassenderes Konzept ein. Begünstigt wurden viele dieser Arbeiten durch die Möglichkeit, sie im Rahmen von Notstandsarbeiten durchzuführen, insgesamt 12 Maßnahmen. Er ließ die Hauptstraßen in der Innenstadt ausbauen, plante und baute Umgehungsstraßen, legte Straßen und Plätze in neu erschlossenen Stadtteilen an und legte die entsprechenden Versorgungsleitungen.

Ohne Titel

Abb.6: Der Koppelteich, auch Gondelteich genannt

Abb. 7

Abb. 7: Der Postteich, von vielen ebenfalls Gondelteich genannt

Es besteht ein Zusammenhang mit der zu dieser Zeit stattfindenden Sesekeregulierung, da das Abwasser nun in die regulierte Seseke floß. Und in dieses Konzept gehörte auch die Anlage zweier „Gondelteiche“ (ca. 1930), die den Freizeit– und Erholungswert Kamens erheblich steigerten, zu einer Zeit, in der der jährliche Urlaub für die Mehrheit der Menschen keineswegs eine Selbstverständlichkeit war.

Abb. 8

Abb.8: Sommeridyll am Postteich

Ohne Titel

Abb.9: Winterfreuden auf dem Koppelteich

Im Sommer waren diese Teiche beliebte Ziele für Spaziergänger, fast immer saßen Angler an ihren Ufern, die Karpfen und Hechte fingen, im Winter war Schlittschuhlaufen auf wirklich großen Flächen beliebte Freizeitbeschäftigung, Eishallen gab es schließlich nicht. Enten und Schwäne fühlten sich auf ihnen wohl, Häuser für sie waren auf Inseln in die Teiche gebaut. Beide Teiche lagen, wie auch die Mulde zwischen den Kirchen, mehrere Meter unter Straßenniveau.

Bestimmte Gestaltungsprinzipien sind bei Reichs Entwürfen und ihren Ausführungen durchgängig erkennbar:

  1. Symmetrie ist ein zentrales Prinzip: Abgang in Bogenform am Postteich, zentral vor Postgebäude gelegt; Eingang zur Kastanienallee von der Hammer Straße her; ähnlich am Koppelteich: gegenüberliegende Auf/Abgänge; Anordnung der Bebauung an der (heutigen) Koppelstraße links und rechts der Auffahrt zur Hochstraße; Skulpturen am Gebäude der (heute) alten Post, desgl. am Privathaus Reichs, Kreis und Oval sowie ihrer beider Segmente, an verschiedenen Stellen im Plan erkennbar, u.a. auf dem Edelkirchenhof. Durch diese Symmetrie ergeben sich immer wieder interessante Sichtachsen.
  2. Springbrunnen an Land, im Wasser Inseln
  3. Anlage der beiden Schulgebäude am Koppelteich einander gegenüber, Gebäude in einem einheitlichen Baustil errichtet
  4. Die Mulde zwischen den Kirchen ist nach diesem Prinzip angelegt
  5. Gartenplatz I & II in der Gesamtanlage wie auch der Detailgestaltung desgl., das gilt auch für die zentralen Mulden
  6. Reich hat sehr häufig Pappeln verwendet: ihre schlanke Form wirkt wie ein Rahmen: Edelkirchenhof, Koppelteich, Hemsack u.a., überhaupt war Kamen eine „grüne“ Stadt. Es dominierten Pappeln, Trauerweiden und Rotdorn.

Abb. 11a

Abb.10: Der Edelkirchenhof, von 100 Pappeln umstanden

13. Dezember 1925: die Arbeiten zur Umgestaltung des Edelkirchenhofs in eine Parkanlage beginnen. Er wird nun von 100 Pappeln umstanden.

Anfang der 1920er Jahre baute die Zeche die Zechenhäuser nördlich des heutigen kleinen Kreisels an der Lünener Straße, die bis zum ehemaligen Hause Recker reichten. Dafür wurde als Ausgleichsgelände der neue Park „Am Edelkirchenhof“ angelegt. Dieser war bis dahin eine Viehweide des Bauern Koepe gewesen. An diese Familie erinnert heute noch der Koepeplatz.

Im Zuge des Baues dieser neuen Häuser entstand die neue Straße „Am Reckhof“.

Abb. 10

Abb.11: Am Reckhof

15. Februar 1926: der Ausbau des Kirchplatzes mit dem Kriegerehrenmal beginnt.

Abb. 12

Abb.12: Einweihung des Löwendenkmals vor der Pauluskirche am 27. Oktober 1927

29. April 1926: der Kamener Stadtrat faßt den Beschluß, der Reichspost ein Grundstück im Mersch zu schenken, damit dort die neue Post gebaut werden konnte. Hintergrund war 1928 die Ankündigung der Reichsbahn gewesen, den alten Bahnhof aufzugeben und hierher zu verlegen. Dann hätte man die zwei wichtigsten Transportträger, Bahn und Post, an einer Stelle im Stadtgebiet zusammen gehabt. Doch der neue Bahnhof wurde nie gebaut.

Abb. 13

Abb.13: Die neue Reichspost

4. März 1926: Beginn des Umbaus des Krankenhauses

15. Juni 1926: Beginn des Rathausumbaus.

15. März 1927: Abschluß der Instandsetzungsarbeiten des Stadtparks an der Hammer Straße

12. Mai 1927: Beginn des Baus der Badeanstalt im Hemsack

Ohne Titel

Abb.14: Reichs Planung in der Umsetzung: Koppelteich, Badeanstalt, Hemsack mit 3 Sportplätzen und Deutschlands einziger 1000-Meterbahn

2. Oktober 1927: Einweihung des Kriegerehrenmals am Kirchplatz

24. September 1927: Einweihung des Ratskellers im Rathaus

Abb. 16

Abb.15: Der Ratskeller, Innenansicht

28. August 1928: die Badeanstalt im Hemsack wird eröffnet

Abb. 15

Abb.16: 28. August 1928: Bürgermeister Berensmann eröffnet die Badeanstalt im Hemsack

9. Juni 1928: Einbau des Gedächtnisbrunnens für die gefallenen Verwaltungsbeamten und –angestellten der Stadt Kamen in der Rathaushalle.

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Abb.17: Gedächtnisbrunnen im alten Rathaus

1. November 1928: Beginn der baulichen Erschließung des feuchten Merschgebietes

1. November 1928: Beginn des Baus des Bürgermeisterhauses am Sesekedamm

Abb. 19

Abb.18: Das Bürgermeisterhaus für BM Berensmann

1930: die Arkaden des Schwesterngangs werden errichtet

Abb. 18

Abb.19: Die Arkaden am Schwesterngang

12. November 1938: die Reichsautobahn Recklinghausen – Bielefeld wird eingeweiht, heute A2.

Überall in Kamen tauchte der neue Stadtbaurat auf, war sogleich bestens bekannt, fuhr er doch ein einzigartiges Fahrrad, ein Familienerbstück von 1890, dessen Rahmen so hoch war, daß er gar nicht „normal“ aufsteigen konnte. Dazu brauchte er die auf der Hinterachse liegenden kurzen Trittstangen, mit deren Hilfe er sich in einem kuriosen Schwung von hinten in den Sattel hievte. Und immer hatte er seine geliebte Pfeife im Mund, manchmal durch eine Zigarre ersetzt. Einmal passierte es, daß sich seine Hose in der offenen Kette verfing, auf der Bahnhofstraße, gleich hinter dem Rathaus, in Höhe der Metzgerei Radtke. Reich stürzte, die Pfeife aber behielt er im Mund. Passanten sahen das und sagten: „Selbst beim Unfall hat er seinen Knösel im Mund.“ Und sogar für Urlaubsfahrten nahm GR immer das Fahrrad, zusammen mit seiner Familie ging es bis an den Bodensee.

Allerdings brachte der passionierte Radfahrer sich (und andere) auch immer mal wieder in Gefahr. An der Gabelung Bahnhof–/Horst-Wessel-Straße (heute Koppelstraße) war immer viel Verkehr. GR radelte einfach weiter: „Ich habe Vorfahrt.“ Später besaß er ein leichtes Motorrad, das von Ernst Sander aus der Zünderfabrik betreut wurde. Als GR eines Tages nach Heeren fuhr, aber dort nicht ankam, ging man auf die Suche nach ihm. Er wurde verletzt im Straßengraben an der Derner Straße gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Weil GR beim Fahren zunehmend unsicher wurde und seine Familie sich sorgte, beschwor Reichs Sohn Herbert Herrn Sander, seinem Vater zu sagen, er könne es nicht mehr reparieren. Leider müsse er von nun an auf sein Motorrad verzichten. Da war es mit dem Fahrrad dann doch sicherer.

Ohne Titel

Abb.20: Kamens zweite Straßenbrücke an der Koppelstraße

Im Zuge seiner Planungen entstanden mehrere Straßen, die wichtigste wohl die damalige Emil-Rathenau-Straße, dann Horst-Wessel-Straße, heute Koppelstraße, weil in ihrem Verlauf die erst zweite vollwertige Straßenbrücke über die Seseke entstand. Bis 1923 war die 1695 zum ersten Mal erwähnte Maibrücke die einzige Straßenbrücke in Kamen. Die Notwendigkeit einer zweiten Brücke war offenbar geworden, als die Maibrücke 1923 baufällig geworden war und erst halbseitig, dann ganz gesperrt werden mußte und alle Bauern, die aus dem Süden auf den Kamener Markt wollten, große Umwege über Derne bzw. Weddinghofen gehen mußten.

Er plante außerdem bereits eine Umgehungsstraße, die vielleicht sogar die in den 1970er Jahren gebaute, die Stadt zerschneidende Hochstraße überflüssig gemacht hätte, den heutigen Unkeler Weg.

Abb. 21

Abb.21: In der Fortführung des Ostrings: der als Umgehungsstraße geplante Unkeler Weg

Weiters baute GR den Friedhof an der Werner Straße um und verlegte den Haupteingang wegen des zunehmenden Verkehrs in die Friedhofstraße. Er erlaubte sich keine Ruhe, seine Ideen sprudelten nur so aus ihm heraus. Das merkten natürlich auch seine Mitarbeiter, die stickum Reißaus nahmen, wenn sie ihren Chef am späten Nachmittag auf dem Fahrrad erspähten, wie er Kurs auf das Rathaus nahm, fand er doch gar nichts dabei, auch um 7 Uhr abends noch schnell etwas zu diktieren.

Abb. 22

Abb.22: Gartenplatz der neuen Gartenstadt „Kamen – Ost

Abb. 23

Abb. 24

Abb.23 & 24: Einfahrt von der Hammer Straße in die Kastanienallee, die zwischen Gartenplatz I und Gartenplatz II verläuft. Zwei Bauprinzipien Reichs sind schön zu sehen: Symmetrie und Kreissegmente. Ergebnis: die Bewohner haben sich dort immer wohlgefühlt.

Reich Gartenplatz Haussäulen

Ein besonders schönes Beispiel eines Einfamilienhauses am Gartenplatz

Einen Höhepunkt seines Wirkens stellen die beiden Wohnsiedlungen Gartenplatz I und II im Osten Kamens dar. Nur wenige Jahrzehnte vorher, 1898, hatte der Engländer Ebenezer Howard sein Buch „To-Morrow: A Peaceful Path to Real Reform“ veröffentlicht, in dem er das Modell einer Gartenstadt entwickelte. Sie sollte die Trennung zwischen Stadt und Land aufheben und die Vorzüge beider in einem verwirklichen. GR brachte Grün in das Wohnumfeld, die Nähe zur Stadtmitte war ohnehin gegeben. In jede der beiden Siedlungen fügte er einen zentralen Platz ein, wieder als Mulde ausgelegt, mit einem Springbrunnen in der Mitte, „zur Erhöhung nach oben“, hier sogar auf Profanbauten bezogen. Plätze waren für ihn konstitutives Element von Stadt, Versammlungsorte, Orte der Gemeinschaft.

Abb. 25

Abb.25: Die Kastanienallee verläuft zwischen Gartenplatz I und Gartenplatz II

Wie detailversessen GR war, zeigt sich an den Einzelheiten: Einzelhäuser immer giebelständig, Doppelhäuser traufenständig; Anordnung der Gauben nach festen Regeln; Dachgestaltung; symmetrische Fassadengestaltung; Fenstergestaltung; Freisitze; Baumaterial.

Ein weiterer Punkt, wo Kamen GRs Dickschädel viel zu verdanken hat, war der Bau der Reichsautobahn Recklinghausen – Bielefeld. Die ursprüngliche Planung sah vor, daß „seine“ Stadt, wie er fand, durch den Damm der Fahrbahnen „gedankenlos zerschnitten“ werde sollte. Er sorgte dafür, daß das Stadtgebiet nicht nach Norden geschlossen wurde, wodurch der Verkehr mit den Gemeinden im Norden und Westen empfindlich gestört worden wäre. Ein Zeitgenosse versichert, daß es in keiner Stadt, auch keiner Großstadt, so viele Durchlässe durch die Autobahn gibt wie in Kamen, nämlich acht (und nachträglich noch der Radweg Klöcknerbahntrasse), was sich heute als wahre Wohltat erweist. Und er trug seine Ideen zum Kamener Kreuz bei. Ideen und Planungen waren bei ihm kein Selbstzweck, sondern hatten immer den Menschen und ihrer Stadt zu dienen. Er radelte vor Ort und überprüfte seine Pläne auf ihre Stimmigkeit und Umsetzbarkeit.

Abb. 29

Abb.26: Das alte Kamener Kreuz.

 

Abb. 30

Abb.27:  Die Einweihung der Autobahn, heute A2, am 12. November 1938

Natürlich kam jemand wie Reich nicht an den Nationalsozialisten vorbei. Nach eindringlicher Aufforderung trat er am 1. Mai 1937 in die NSDAP ein, doch scheint er sich nichts haben zuschulden kommen lassen, wurde er doch gleich nach dem Krieg, nachdem er einen Entnazifizierungsbogen ausgefüllt hatte, wieder in den Dienst der Stadt Kamen aufgenommen. So geschah es, daß er 1946 als Dienstältester im Kamener Rathaus ca. ein halbes Jahr als Stadtdirektor amtierte und somit den höchsten Posten in der Stadt bekleidete.

In dieser Funktion erreichte ihn auch eine Anfrage des Arnsberger Regierungspräsidenten, ob Kamen gewillt sei, Hilfe aus Bloomfield, einem 16000-Einwohnerstädtchen (das stellte sich später als Übertragungsfehler heraus, man hatte eine Null zuviel angehängt; vgl.a. Montreuil-Juigné) in Nebraska/USA, anzunehmen.

Abb. 26

Abb.28: Spende aus Bloomfield: von links: Reich, Rissel, Canaday, Heitsch

Ohne Titel

Abb.29: Carepakete werden vor dem Rathaus abgeladen

Abb. 28

Abb.30: Die Kamener warten schon auf die Verteilung

Dort gebe es einen Farmer namens Claude Canaday, der sich vorgenommen habe, eine ausgebombte Stadt und ihre darbenden Einwohner in der schweren Nachkriegszeit mit Hilfslieferungen zu unterstützen. Reich sagte ja, und es setzte eine lange Reihe von Carepaket-Lieferungen nach Kamen ein. Bloomfield übernahm für Kamen eine Stadtpatenschaft, die immerhin dazu führte, daß Reichs Tochter und einer seiner Söhne noch im Sommer 1968 nach Bloomfield fuhren und den Kontakt erneuerten. Offenbar gibt es immer noch einen Sohn von CC, heute 85 oder 86 Jahre alt.

Für eine kurze Zeit muß GR seine Arbeit in Kamen unterbrechen, als er am 1.8.1939 zu einer Militärübung eingezogen wird, anschließend zur Teilnahme am Krieg nach Polen, Belgien und Frankreich (in Rennes organisiert er die Wasserversorgung) abkommandiert wird. Am 27.9.1940 kommt er hierher zurück, als Hauptmann der Reserve, vom Kreis Unna als kriegswichtig angefordert. Während der Kriegszeit teilt er seine Arbeitszeit zwischen dem Kreis, wo er nebenamtlich das Bauamt leitet, wozu das gesamte Luftschutzsystem gehörte, und der Stadt Kamen auf.

Wer viel macht und tut, eckt an. Immer wird es unterschiedliche Ansichten und Meinungen geben. Und GR war ein Mann mit Ecken und Kanten. So gab es 1946 eine  politische Auseinandersetzung über den Wiederaufbau eines städtischen Hauses in der Schlachthofstraße, die in einem Disziplinarverfahren endete. Doch der Regierungspräsident in Arnsberg empfahl Abwarten, die Sache geriet in Vergessenheit und verlief im Sande.

Was an GRs Planung auffällt, ist die Modernität auch in unserem heutigen Sinne, und das vor 80/90 Jahren. Das war die Zeit, als Kohle und Stahl die wichtigsten Wirtschaftsträger waren, die die mit Abstand meisten Arbeitsplätze boten. Doch war die Arbeit anstrengend und schmutzig, die Luft durch Kohlekraftwerke, Verkokung und Stahlherstellung verpestet. Filter, die Abgase reinigten, für uns selbstverständlich, gab es nicht. Urlaub an der See, in den Bergen, war für die Arbeiter an der Ruhr unerschwinglich. Erholung konnte es also nur in der unmittelbaren Nähe, zu Hause, geben. Grün in der Stadt war überlebenswichtig, und GR plante überall mit Grün.

GR wurde auch als Käufer von Grundstücken für die Stadt tätig: z.B. Haus Heide mit seinen 450 Morgen Land, die er als Reserve ansah, die den Kamener Ackerbürgern im Tausch angeboten werden konnten, wenn eines Tages ihr Land für die Stadtentwicklung gebraucht werden sollte.

Abb. 34

Abb.31: Häusergruppe am Ostring

Abb. 35

Abb.32: Das ehemalige Altersheim Am Ufer 

Neben diesen vielen Großprojekten kümmerte sich GR aber auch um einzelne Häuser. Die Häuser am Ostring, im Baustil der 1930er Jahre, mit Ornamenten, Pilastern und Gesimsen, gehen auf sein Konto. Das Haus 5a/b am Kirchplatz, das Altersheim an der Seseke und die beiden Schulen am Koppelteich ebenfalls, im Stil der 1950er Jahre.

Die beiden Schulen am Koppelteich

Abb. 31

 

Abb. 32

Abb.33: Glückauf-Schule (oben) und Abb.34:  Martin-Luther-Schule (unten)

Abb. 33

Abb.35: Der Koppelteich mit den beiden Schulen (oben, Bildmitte)

GR wurde am 31. März 1953 aus dem Dienst verabschiedet. Und er hatte noch viel vor, jedenfalls wollte er „keine Kakteen züchten“. in den nächsten anderthalb Jahrzehnten wirkte er weiter und nutzte seine riesige Erfahrung als Baumeister im Dienste verschiedener Wohnungsbaugesellschaften,insbesondere der GAGFAH (Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten), aber auch  privater Bauherren. In Gerichtsverfahren wirkte er als amtlich bestellter Gutachter mit. Erst im April 1957 konnte er mit seiner Familie in das eigene Haus in Kamen einziehen, natürlich selber entworfen und mit einem Relief über der Eingangstür geschmückt, das seine drei Kinder über dem Zirkel des Architekten zeigt, wieder entworfen vom Dortmunder Bildhauer Beyer.

Abb. 36Abb. 37

 

 

Abb. 36: Der Eingang zu Reichs Privathaus (links)

Abb.37: Das Relief über der Haustür zeigt Reichs Kinder und den Architektenzirkel (unten)

 

 

Im Frühjahr 1970 gibt es erste Anzeichen einer schweren Gefäßerkrankung. Nur vier Monate später, am 9. Juli 1970, stirbt Stadtbaurat i.R./Regierungsbaumeister a.D. Gustav Reich in Kamen. Die Spuren, die er hinterließ, sind verwischt. Junge Kamener kennen seinen Namen nicht, ältere erinnern sich an einen Großen der Kamener Stadtgeschichte. Stadtbaurat i.R. Gustav Reich liegt auf dem alten Friedhof begraben, zusammen mit seiner Frau Luise, mit der er seit 1923 verheiratet war. Der Stein auf ihrem Grab wurde nach seinem eigenen Entwurf für das Grab seiner Eltern im Spessart als Kopie in Kamen angefertigt.

Abb. 38

Abb.38: Das Grab von Gustav und Luise Reich

Die heutige Stadt muß, um zu funktionieren, u.a. folgende Dinge verbinden: Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeit, Kultur, soziale und Gesundheitspflege, Verkehr. Worum kümmerte sich GR? Worum nicht?

Wenn man diese Definition von Stadt heute zugrundelegt, fällt auf, wie sehr GR Generalist war, immer das große Ganze im Blick hatte. Stadt war für ihn ein zivilisierter Lebensraum, der dem Menschen zu dienen hatte. Daher entwarf er das System Stadt und paßte alle Einzelteile in dieses System ein. Wenn man sich seine Häuser ansieht, fällt deutlich auf, daß GR sich nicht den modernistischen Entwicklungen des Bauhauses anschloß. War hier die Intention, Handwerk und Kunst zusammenzubringen, modulares Bauen zunächst für den Industriebau zu entwickeln, dann auch für den Wohnungsbau vor allem in Großstädten, bewahrte GR „menschliche“ Dimensionen, baute das „Häuschen für Otto Normalverbraucher“, Siedlungen für Arbeiter am Sommerweg, auf dem Kupferberg. Jedoch entstanden unter seiner Leitung auch repräsentative Häuser: das Bürgermeisterhaus, die Häusergruppe am Ostring, und auch die Häuser in der Gartenstadt Ost waren vorwiegend für Angehörige Freier Berufe, Lehrer und gehobene Angestellte gedacht.

Reichs Schwerpunkt lag sicherlich auf der Stadtplanung: wie soll Kamen in der Zukunft aussehen? Wie gestalte ich die Stadt, damit sie zum einen sich den neuen technischen Entwicklungen öffnen kann, zum anderen den Kamenern Heimat ist, eine Stadt, die lebenswert ist. Innerhalb dieses Bereichs kümmerte er sich besonders um Wohnen, Freizeit, soziale und Gesundheitspflege, der kulturelle Bereich spiegelte sich in der Gestaltung. Arbeiten und Einkaufen scheinen nur am Rande, vielleicht als Folge anderer Entscheidungen, eine Rolle gespielt zu haben.

28 Jahre lang hat GR das Bild dieser Stadt geprägt. Was ist davon übriggeblieben?

  • Die beiden Gondelteiche sind verschwunden, die sie ersetzenden Parks sind nach Meinung vieler Kamener kein echter Ersatz geworden.
  • Die Mulden zwischen den Kirchen und in der Gartenstadt sind ebenfalls verschwunden. Sie wurden verfüllt, die Mulde zwischen den Kirchen ist halb Kinderspielplatz, halb Parkplatz.
  • Der repräsentative Zugang zur Kastanienallee von der Hammer Straße ist verschwunden: Pavillonbauten, seitliche Mauern, metallener Torbogen.
  • Das Löwendenkmal ist verschwunden, nach Beschädigung durch Bomben im Krieg wurde es 1946 abgerissen.
  • Der Edelkirchenhof ist nach seiner Neugestaltung von hohen, dichten Bäumen bestanden, dunkel, wenig attraktiv.
  • Der Anbau des alten Rathauses ist mitsamt dem Ratskeller verschwunden.
  • Die alte Badeanstalt wurde mehrfach verbessert, steht aber heute auf dem Prüfstand.
  • Die Sportplätze im Hemsack werden demnächst bebaut, die 1000-Meter-Bahn ist seit Jahrzehnten verschwunden. Niemand wußte mehr, wie sie zu verwenden war.
  • Die Arkaden am Schwesterngang sind verschwunden.
  • Das Bürgermeisterhaus war als Privathaus von vornherein in Randlage
  • Haus Heide wurde verkauft

Die vielen großen Veränderungen geschahen besonders in den Jahren 1965 bis 1975, als man allerorten die „autogerechte Stadt“ schaffen wollte, die dann aber die menschlichen Dimensionen einbüßte. Zwar entstand in Kamen die Fußgängerzone, doch zog sie Parkplätze nach sich, man konnte mit dem Auto überall hinfahren. Kamen mutierte damals zur „schnellen Stadt“. Die heutige gute Stube, der alte Markt, war zentraler Parkplatz, von Straßen umrundet. Aus der Not machte man eine Tugend: Kamen wurde die Stadt mit „freiem Parken“. Der große, umfassende Stadtentwurf aber fehlte.

Durch das Verschwinden wesentlicher Anlagen Reichs sind seine Symmetrie und Kreis– bzw. Ellipsensegmente aus dem Stadtbild verschwunden. Kamen hat sich verändert, jede Stadt muß sich verändern. Ob immer zum Besseren, ist durchaus fraglich, sind doch viele Zeugen von Kamens mittelalterlicher Vergangenheit aus dem Stadtbild verschwunden und zu oft durch nichtssagende oder schlechte Architektur ersetzt worden. Weitere alte Gebäude stehen auf der Abrißliste. Der Tag ist wohl nicht mehr fern, da wir die Kamener Altstadt nicht mehr „Altstadt“ nennen können.

 

Luftbild Hemsack Kamen ©Stefan Milk Kämerstraße 45 A 59174 Kamen 02307 12998 0171 5447957 stmilk@aol.com

Abb.39: Der Hemsack 2015, ein letzter Blick. Auch er wird verschwinden.

 

Mein Dank gilt Frau Reinhild Reich für ihre Geduld bei zwei langen Gesprächen über ihren Vater und die Überlassung von Material.

Desgleichen danke ich dem Stadtarchiv Kamen für die Photos, die es mir zur Verfügung gestellt hat, besonders Herrn Jürgen Dupke.

Dank auch an Rüdiger Plümpe und Hans Jürgen Kistner.

Und natürlich an Stefan Milk für die Überlassung des Luftphotos vom Hemsack.

Aspekte des Denkmalschutzes habe ich entnommen: „Zum Denkmalwert der Gartenstadt Ost (Ostring, Hammer Straße/Kastanienallee, Gartenplatz, Hüchtweg)“, von Dr. Fred Kaspar, Westfälisches Amt für Denkmalpflege, Münster 1988

 

Abbildungen:

Familie Reich: Nr. 1,5,13, 32

Stadtarchiv: Nr. 2,3,4,14,16,20,22,24,25,26,27,28,29,30

Archiv Klaus Holzer: Nr. 6,7,8,9,10,11,12,15,19; Photos Nr. 18,21,31,33,34,36,37,38

Rüdiger Plümpe: Nr. 17

Archiv Hans Jürgen Kistner: Nr. 35

Stefan Milk: Nr. 39

KH

Der KKK fragt … Teil 9

Als es nach dem Krieg wieder neue Kameras zu kaufen gab, legte sich mancher Kamener einen neuen Photoapparat zu, „mit vergüteter Optik“, das war schon die zweite, deutlich verbesserte Generation Nachkriegskameras. Aber nun wußte man nicht, wie man damit umging. Was tun? Damals ging man zu Photo Holzer, dort hatte man sie erstanden, dort bekam man sie erklärt. Es waren aber so viele, und immer mit den gleichen Fragen, daß Konrad Holzer den „Foto-Amateur-Ring Kamen“ ins Leben rief. Jeden Mittwochabend traf man sich im Atelier von Photo-Holzer und besprach alle Probleme und, vor allem, deren Lösung.

Foto-Amatuer-Ring-KamenUnd dann ging’s an die Praxis. Überall krochen die Amateurphotographen herum, keine Ecke Kamens blieb ausgespart. Überall wurde photographiert, bei Sonnenschein, bei künstlichem Licht, bei Nacht …. Und eine Woche später trafen sich alle wieder und erörterten die Ergebnisse. Und das schönste war: wenn man das alles erklären wollte, mußte man sich genaue Aufzeichnungen machen: Objekt, Ort, Zeit, Lichtverhältnisse, Belichtung, Blende, Entfernung …, eben alles. Und natürlich fuhr man jedes Jahr zur Photokina nach Köln, machte Tagesausflüge ins Sauerland, im Sommer wie im Winter. Und photographierte, was das Zeug hielt.

Und von diesen vielen Photos und Dias dürften noch viele in Kisten, Kästen, Schachteln oder Koffern schlummern, auf Schränken, in ihnen, auf Dachböden, in Kellern …. Daher die Frage: wer weiß noch von diesen Schätzen? Welcher Vater, Großvater, Bruder, Onkel hat Photos hinterlassen?

KH

Pfarrer Gerhard Donsbach

von Klaus Holzer


 Wenn es im Gedächtnis der Kamener Protestanten einen Pfarrer gegeben hat, der als prägende Figur in Erinnerung geblieben ist, dann wohl Gerhard Donsbach. Generationen von Kamenern hat er getauft, konfirmiert, getraut und zur letzten Ruhestätte begleitet, ihre Kinder und Kindeskinder. Jahrzehntelang. Von 1933 bis 1975.

Donsbach Barett Photo 1 Kopie Gerhard Donsbach,  12. Mai 1905 – 3. Dezember 1996 (Photo: HA)

Das war nicht von Anfang an klar, als er am 1. Februar 1932 als Hilfsprediger hier ankam. Doch schon ein Jahr später, am 19. Februar 1933, wurde er durch Superintendent Carl Philipps in der Pauluskirche ordiniert, mitten in der Zeit, wo sich Deutschlands Schicksal entschied. Und es war sicherlich ein gutes Zeichen, daß er von Philipps ordiniert wurde, der als Anhänger der Bekennenden Kirche sich treu blieb und sich nicht den Deutschen Christen anschloß, einer den Nationalsozialisten nahestehenden Ausformung der Kirche. So konnte sein Nachfolger Manfred Nemitz 1975 sagen: „Gerhard Donsbach war eine bestimmende Konstante dieser Stadt. Er hat sein Mäntelchen nie nach dem Winde gehängt.“

Am 1. Dezember 1933 übernahm er die Vierte Pfarrstelle  der Evangelischen Kirchengemeinde Kamen, die Kamen-Ost, Lerche, Rottum und Derne umfaßte. Während des Krieges mußte er auch Vertretungen in Unna übernehmen, wo er alle 14 Tage Gottesdienst in der Stadtkirche hielt, außerdem kirchlichen Unterricht und alle kirchlichen Amtshandlungen in Königsborn, Afferde, Massen und Obermassen.

Als es 1937 zur Spaltung des Presbyteriums zwischen Anhängern der Bekennenden Kirche und Deutschen Christen kam, verhielt Donsbach sich „diplomatisch“, wie es einer seiner Weggefährten ausdrückte, der Kirchenarchivar Wilhelm Wieschoff, wiewohl er mit der Bekennenden Kirche sympathisierte. Wie sehr er als Persönlichkeit und Kollege die Achtung auch der Anhänger der Deutschen Kirche genoß, spiegelt folgende Anekdote: Ende der 1930er Jahre wollte die Gestapo Donsbach im Konfirmandenunterricht verhaften. Er hätte nichts dagegen tun können. Da kam ausgerechnet vom Amtskollegen Kochs, einem Deutschen Christen, Hilfe. Er vertrieb die Gestapo mit Hilfe seines goldenen Parteiabzeichens. Und Donsbach konnte sich revanchieren. Als Kochs nach dem Krieg schon fast auf dem Transport-Lkw der Alliierten in Richtung Internierungslager saß, vermochte er ihn umgekehrt da herunter zu holen. Und noch eine Geschichte wirft ein Schlaglicht auf den Menschen Gerhard Donsbach. Ein Kamener hatte ihn im Konfirmanden-unterricht als Hitlerjunge wegen seines Bekenntnisses ständig gepeinigt. Und ganz spät, kurz vor seinem Tod, quälten ihn seine Gewissensbisse so sehr, daß er wieder in die Kirche eintrat.

Da in den späteren Kriegsjahren wegen Fliegeralarms oft keine Busse fuhren, mußten alle notwendigen Fahrten in seine vielen Gemeinden mit dem Fahrrad unternommen werden. Während des Krieges gab es Eilbegräbnisse in aller Frühe, und selbst zu dieser Tageszeit schon unter Beschuß der angreifenden Tiefflieger. Gerhard Donsbach bewältigte alles das nicht nur, ohne zu murren, sondern ging in seinem Amt auf. Was seine Kamener Heimatpfarrei anging – da war er ein lebendes Lexikon. Er kannte jeden, mit Namen und Beruf.

Daß er nie einen Führerschein besessen hatte, führte immer wieder zu kuriosen Situationen, weiß sein Nachfolger, der heutige Superintendent Martin Böcker, zu berichten, der ihn oft zu einem Ziel kutschierte: „Er wollte oft schon unterwegs aussteigen oder hatte sich hoffnungslos im Gurt verheddert.“

Das Pfarrhaus an der Hammer Straße ist ein würdiger Bau, der stark an englische Häuser des gothic style erinnert, dunkler violett-roter Ziegel. Hier saß die Familie 1947 mit Freunden zusammen, als an der Kellertür Geräusche zu hören waren. Jeder dachte sofort an Einbrecher. Gerhard Donsbach sprang als erster auf, unerschrocken nach der Feuerklatsche greifend, zur Verteidigung und Abwehr schreitend. Die anderen griffen, was da stand und lag, darunter eine Mistgabel. Als man sich der Kellertreppe näherte, löste sich die Spannung in Lachen auf. Da stand ein Pferd, das offenbar von der benachbarten Wiese des Pferdemetzgers Weber ausgerissen war.

Nach dem Krieg hat er zusätzlich zur eigenen Pfarrei noch zwei vakante Pfarreien, die erste und die dritte, mit verwaltet. Nebenher baute er kriegsbeschädigte, gar zerstörte kirchliche Gebäude wieder auf. Die Pauluskirche war von zwei Bomben getroffen worden, der Turmhelm schwer beschädigt.  Um alles kümmerte er sich selber. Doch damit war es noch nicht genug. In der Nachkriegszeit mußte erst alles wieder ans Laufen gebracht werden: das kirchliche Sonntagsblatt „Friede und Freude“ für Kamen, Heeren-Werve und Bergkamen mußte redigiert werden, der Kirchenchor brauchte einen Vorsitzenden, die Frauenhilfe mußte wiederaufgebaut werden, Gemeindebibelstunden wurden gewünscht. Gerhard Donsbach war zur Stelle. Und nebenher schrieb er noch die Geschichte seiner geliebten Kapelle Lerche auf, mit der Hand. Anläßlich seines 50. Ordinationsjubiläums sagte er selber: „Aus heutiger Sicht habe ich vieles falsch gemacht, aber meine Arbeit hat mir immer viel Freude bereitet. Ich habe vieles lernen dürfen, und Gott hat mir bei meinen Aufgaben Kraft gegeben.“

Seine Verabschiedung aus dem Dienst war am 30. Mai 1975. In allen diesen Jahren stand ihm seine Frau Luise treu zur Seite. Perfekt füllte sie die klassische Rolle der evangelischen Pfarrersfrau aus, wie sie sich in den Jahrhunderten nach Luthers Reformation entwickelt hatte. 1937 heirateten Gerhard und Luise, und von dem Tag an übernahm sie den Singekreis der Gemeinde, war 60 Jahre lang Vorsitzende der Frauenhilfe.

Natürlich war der 19. Februar 1983 ein großer Tag für die Kamener evangelische Gemeinde, der Tag des 50jährigen Ordinations-Jubiläums von Pfarrer i.R. Gerhard Donsbach. Das wurde mit einem Festgottesdienst in der Pauluskirche begangen, anschließend gab es ein Kaffeetrinken im  evangelischen Gemeindehaus. Und alles, was Rang und Namen in der evangelischen Kirche von Westfalen hatte, war da. Ein Erinnerungsalbum an diesen Festtag ist voller Glück– und Segenswünsche. Nicht nur einer Handschrift sieht man an, daß der Schreiber hohen Alters ist, langjähriger Wegbegleiter. Und selbst einige der ersten Konfirmandinnen von 1933 waren gekommen, die in einem herzlichen Schreiben „Rückschau auf 50 Jahre Freud und Leid“ hielten. In altdeutscher Schrift betonen sie, daß Pfarrer Donsbach immer ihr „treuer Pfarrer“ war. Superintendent Meier hob vor allem seinen Einsatz im alltäglichen Dienst hervor. Selbst das Ergebnis der Kollekte anläßlich dieses Tages läßt die hohe Wertschätzung des Jubilars erkennen. Sie erbrachte DM 1188,-.

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Gerhard Donsbach mit seiner Ehefrau Luise bei seinem 60. Ordinationsjubiläum 1992 (Photo: Privat)

Wenn man ihn sah, mit strengem Blick, buschigen Augenbrauen, förmlich gekleidet, nie nachlässig, wirkte er eher distanziert. Wir Kinder hatten einen Heidenrespekt vor ihm. Ein früheres Presbyteriumsmitglied, das mit ihm zusammengearbeitet hat, erzählt, daß Gerhard Donsbach ihm der liebste aller damaligen Kamener Pfarrer gewesen sei. Wenn er am Sonntag nach dem Gottesdienst das Geld aus dem Klingelbeutel gezählt und sortiert habe, kam Donsbach immer dazu und half. Und er kam immer dazu, weil er seine Predigten nie überzog, immer waren sie angemessen kurz, aber klar und auf den Punkt. Man hörte gern zu, weil man ihn verstand. Berühmt war er auch für seine volksnahen Sprüche– und Liedtextsammlungen, die er gern für seine Predigten nutzte. Und er war warmherzig und seiner Gemeinde nah. Dem Zeitgeist war er nie erlegen. Er blieb immer er selbst.

Donsbach Grab 3

Photo: KH

Am 3. Dezember 1996 starb Pfarrer Gerhard Donsbach in Kamen im Alter von 91 Jahren. Seine Frau Luise folgte ihm, hundertjährig, 17 Jahre später. Sie liegen beide nebeneinander begraben auf dem alten Kamener Friedhof.

KH

Nach der Veröffentlichung dieses Artikels meldete sich eine interessierte Leserin, Elke Jaeger aus Lerche, die eine sehr erhellende Anekdote über Pfarrer Gerhard Donsbach beitragen konnte.

Auch wenn Lerche heute ein Stadtteil von Hamm ist, seine Kirchengemeinde gehört seit Jahrhunderten zu Kamen, Kirchenkreis Ost, für den Pfarrer Donsbach in den 1960er Jahren zuständig war. Die kleine Elke, damals noch Nüsken, erinnert sich an den Pfarrer als einen strengen Mann, vor dem sie, wie alle Kinder damals, große Ehrfurcht empfand.

Elkes Mutter war früh gestorben, so daß Vater Nüsken als Witwer mit drei kleinen Kindern dastand, und das auf einem Bauernhof. Wie sollte das gehen? Er lernte eine andere Frau kennen, die sehr herzliche Klara Löer, die zwar selber einen Sohn hatte, aber gleichzeitig auch den Kindern Vater Nüskens eine gute Mutter war. Alles paßte. Also beschloß man, zu heiraten. Aber es gab ein Problem: Nüskens waren evangelisch, Klara Löer aber katholisch! Was uns heute vielleicht mittelalterlich anmutet, war damals ein echtes Problem, eine sogenannte Mischehe. Es war eine Zeit, wo Kinder denen der anderen Konfession noch Schmähverse hinterherriefen, wo man sich auch schon mal „kloppte“, wo es noch Priester und Pfarrer gegeben hat, die die jeweils andere Konfession als „vom Teufel“ bezeichneten.

Herr Nüsken und Frau Löer gingen zu ihrem Pfarrer Donsbach und trugen ihm ihr Anliegen vor. Bei wie vielen Pfarrern wären sie abgeblitzt? Anders Gerhard Donsbach: am 30. Januar 1960 erteilte er dem Paar den kirchlichen Segen. Für ihn war das menschliche Glück wichtiger als kirchliche Richtlinien, und er sah, daß in dieser neuen Familie alle miteinander glücklich waren. Aber er hatte doch noch etwas in petto. So wie er für seine volksnahen Sprüche bekannt war, so hatte er doch auch seinen ganz persönlichen Humor. Als Trauspruch wählte er aus: „Alle Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ (1. Petrus 5, Vers 7)

KH

Der KKK fragt … Teil 8

In dieser Folge von „Der KKK fragt …“ stellen wir kein Photo vor. Dieser Frage liegt ein Zufall zugrunde. Bei einem Besuch im Archiv der Stadt Kamen entdeckte ich rein zufällig die Sonderbeilage der WR zur 700-Jahr-Feier der Stadt Kamen vom 27. Juli 1948.

(Nebenbei bemerkt: Diese Feier fand zum falschen Zeitpunkt statt. Kamen erhielt seine Stadtrechte erst im Jahre 1284, nicht 1248. Es handelte sich um einfachen Zahlendreher. Allerdings erwies sich die Veranstaltung als sehr geeignet, um der nach dem Krieg noch teilzerstörten Stadt und der darniederliegenden Wirtschaft einen kräftigen Schub zu geben. Und es half enorm, daß fünf Wochen vorher durch die Währungsreform die Deutsche Mark eingeführt worden war.)

Auf Seite 3 dieser Beilage steht ein kleiner Artikel, der jeden, der sich mit der Kamener Geschichte beschäftigt, mit Begeisterung erfüllen muß. Ich zitiere auszugsweise:

Die Brille des Herrn Dr. Buxtorf

… So zeigt die Geschäftsstelle der „West. Rundschau“ auf der Weststraße in ihrem Schaufenster ein uraltes Monstrum von einer Brille samt Futteral, ein kleines halb vermodertes kunstvoll geschnitztes Holzkästlein und einen schweinsledernen Folianten. Diese Dinge sind jedoch kein wertloser Plunder, sondern unter dieser Brille , von der man kaum annehmen sollte, daß jemand etwas dadurch zu sehen vermag, hat der größte Kopf Kamens (bildlich gesprochen) studiert: Professor ling. hebr. Dr. Johann Buxtorf, der 1554 (sic!) als Pastorensohn in Kamen geborene berühmte Sprachgelehrte. Kein Wunder, daß das Brillengestell da eine etwas vorsintflutliche Form hat! Das Holzkästchen ist übrigens seine Schupftabaksdose gewesen und der Foliant stellt eines seiner Bücher über die hebräische Sprache dar. …

Die 700-Jahr-Feier fand vor 67 Jahren statt und viele Kamener wird es nicht mehr geben, die sich an sie noch mit vielen Einzelheiten erinnern können. Doch einen Versuch sei es allemal wert. Daher die Fragen:

1. Wer erinnert sich an dieses Ausstellungsstück in der Geschäftsstelle der WR?

2. Wer weiß, wo es herstammt? Oder gar, wo es sich befindet?

2. Wer hat es, womöglich ohne zu wissen, worum es handelt, eine solche Brille in einem solchen Kästchen zu Hause ineiner Schublade oder auf dem Dachboden?

PS: Auf der Ecke, wo die Kampstraße in die Weststraße einmündet, stand bis zum Ende des 19. Jh. das Geburtshaus von Johannes Buxtorf (25.12.1564 – 13. 9.1629), dem sicherlich bedeutendsten Gelehrten, den Kamen je hervorgebracht hat.

10. Bild

Johannes Buxtorf (der Ältere), am 25. Dezember 1564 in Kamen (Westfalen) als Sohn eines Predigers geboren, ging in Hamm und Dortmund zur Schule, studierte in Marburg, Herborn (1585-88), Heidelberg und Basel (1588-90), wurde 1590 Magister und Professor der hebräischen Sprache (er ist der Begründer der philologischen Hebraistik) in Basel. Dort wurde er der „Stammvater einer ruhmreichen Gelehrtenfamilie“, jeden Ruf an andere Universitäten (z.B. Leyden) lehnte er ab. Buxtorf starb am 13. September 1629 in Basel an der Pest.

Erfahren Sie hier mehr über Johannes Buxtorf!

KH

Der KKK fragt … Teil 7

Der ehemalige Kamener Stadtarchivar Jürgen Kistner besitzt ein umfangreiches Archiv, das er immer wieder einmal durchforscht. Dabei ist ihm das angefügte Photo in die Hände gefallen, das jedoch große Rätsel aufgibt.

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Vermutlich ist es nach 1900 entstanden. Es zeigt eine sich lang hinziehende Fabrikanlage, neben der links ein hoher Kamin steht, vermutlich gehörte er zu einer Ziegelei, von denen es bei uns um diese Zeit recht viele gab. Das Gebäude rechts neben dem Kamin ist markant, vielleicht hilft es, den Ort zu identifizieren. In der Mitte verläuft ein Weg, der auf eine Unterführung zuläuft. Was auf dem darüber führenden Damm ist, ob ein anderer Weg, ist nicht zu erkennen. Durch die Bildmitte läuft eine Reihe Pfosten, an denen vielleicht ein Zaun befestigt werden soll. Davor sieht man Bahnschienen, vielleicht eine Feldbahn, die zu der Fabrik oder zur Zeche gehört? Davor ist die Erde aufgewühlt, offenbar sind umfangreiche Erdarbeiten im Gange.

Wer kann helfen, die Lage zu bestimmen?

KH

Das 10. Zeitzeichen

Am Donnerstag 12. November 2015, fand im Alten Gasthaus Schulze Beckinghausen das 10. Zeitzeichen des Kultur Kreises Kamen statt. Christiane Cantauw M.A., wissenschaftliche Geschäftsführerin der Volkskundlichen Kommission beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Münster beschäftigte sich mit: „Der gute Tod und die Kunst des Sterbens. Kulturhistorische Betrachtungen zu Tod und Sterben“.

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Die Befürchtungen des KKK, das Thema erweise sich als zu sperrig und könne abschrecken statt anziehen, erwies sich als unbegründet. Der Saal bei Schulze Beckinghausen war bis auf den letzten Platz gefüllt und noch einmal so vielen Interessenten mußte im Vorfeld abgesagt werden.

Was allen Menschen gemeinsam ist: niemand kennt den Zeitpunkt seines Todes. Gewiß ist nur, daß jeder sterben wird. Und mit dem Tod eines Menschen sind seit jeher bestimmte Riten verbunden.

Ihrem Vortrag stellte Christiane Cantauw folgende Sage voran:

„Es gab eine Zeit, in der die Menschen wußten, wann sie sterben würden. Dies führte dazu, daß sie beim Herannahen des Todestages die täglichen Verrichtungen vernachlässigten und die Folgen für die Nachwelt nicht mehr bedachten. Eines Tages beobachtet Gott, wie ein Bauer einen Zaun mit Brennnessel repariert. Zur Rede gestellt, rechtfertigt der Bauer sein Tun mit dem bevorstehenden Tod. Aufgrund dessen beschließt Gott, den Menschen die Kenntnis ihres Todestages zu nehmen.“

Wir Menschen wissen zwar nicht, wann wir sterben werden, leben aber in der Gewißheit, irgendwann sterben zu müssen. Wir können uns gedanklich mit Tod und Sterben auseinandersetzen, empirisch erfahrbar wird Sterblichkeit aber nur durch den Tod unserer Mitmenschen.

In diese drei Kategorien teilte die Referentin ihren Vortrag zum Thema ein:

a. Personen

b. Orte

c. Objekte

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a. Personen

Im Mittelalter (MA) waren mit dem Tod von Menschen Totengräber und Henker befaßt. Sie galten als unehrenhaft, weil es Teil ihres Berufs war, einen sachlichen Umgang mit dem Tod zu pflegen, sie mit dem Tod Geld, ihren Lebensunterhalt verdienten, während Fürsorge für die Toten doch eigentlich Christenpflicht war, man sich unentgeltlich ihrer annahm. Handwerker u.a. vermieden jeden Kontakt zu den Unehrenhaften, man heiratete nicht über die zwischen ihnen bestehende unsichtbare Grenze hinweg. Daher entstanden mit der Zeit regelrechte Henkersdynastien, die immer am Rande der Gesellschaft, wenn nicht außerhalb ihrer lebten.

Dafür gab es Nachbarschaften, die für die soziale Bindung der Menschen sorgten, Beistand leisteten bei allen entscheidenden Ereignissen im Leben: Geburt, Hochzeit, Tod. Dafür brauchte man keineswegs Freund miteinander zu sein. Solche „Tod– und Notnachbarn“ konnten einander spinnefeind sein – in der Situation des Todes stand man einander bei. Man holte den Priester, der die letzten Sakramente spendete; man wusch den Toten, kleidete ihn fürs Totenbett, hielt Totenwache, band ihm das Kinn hoch; stellte Essen und Getränke für die Trauernden bereit, kurz: leistete dem gesamten Haushalt Beistand. Man erledigte alle alltäglichen Arbeiten, damit die Hinterbliebenen Zeit für ihre Trauer hatten. Es entwickelte sich eine „ars moriendi“ als Pendant zur „ars vivendi“.

Die Nachbarn erwiesen dem Toten auch die letzte Ehre, indem sie Zeugen der Sterbesakramente waren. Und diese waren besonders wichtig, denn ohne sie zu sterben verursachte die Furcht vor dem Fegefeuer. Dann rief man die 14 Nothelfer an, deren wichtigster im Münsterland St. Christophorus war: der Legende nach trug er ein Kind durch einen reißenden Fluß und merkte in der Flußmitte, daß die Last immer schwerer wurde. Dazu befragt, antwortete das Kind: Du trägst die ganze Welt auf deinen Schultern. Damit wurde er derjenige, der im Glauben der Menschen die Seelen ins Totenreich hinübertrug. (Hier gibt es Anklänge an die antike griechische Mythologie: der Fährmann Charon befördert die Toten über den Fluß Styx ins Totenreich.)

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Ebenfalls nicht gesellschaftlich angesehen waren die Totenfrauen, meist Witwen und arme Frauen, die ihre Dienste an den Toten gegen Bezahlung verrichteten. Zu dieser Gruppe gehörten auch die Totengräber, die allenfalls noch als Kloakenreiniger beschäftigt wurden. Heute wird die Rolle der Nachbarn in der Regel durch Bestattungsunternehmen wahrgenommen.

b. Orte

Auf dem Land war es in Westfalen immer üblich, zu Hause zu sterben. Das Schlafzimmer war meist auch das Sterbezimmer. Dort stand der Versehtisch mit einem Standkreuz, Kerzen, Palmzweig, Weihwasser und einer Schale Salz. Die Uhren im Haus wurden angehalten und alle glänzenden Gegenstände verhüllt: man wollte symbolisch zeigen, daß diese Gegenstände als Ausdruck der diesseitigen Welt für den Toten jetzt unbedeutend waren, seine Seele war im Jenseits. Um aber ganz sicher zu gehen, daß der Tote auch wirklich tot war, wurde er drei Tage lang aufgebahrt und eine Nachtwache organisiert (mancherorts waren das nur Männer, sonst aber Frauen für tote Frauen, Männer für Männer, immer aber war die Totenwache Pflicht). Während der Nachtwache wurde gebetet, über den Toten geredet, auch schon mal Karten gespielt und Schnaps getrunken, wenn der Tote eben das zu Lebzeiten gern getan hatte. Er gehörte einfach noch dazu. Erst im Laufe des 19. Jh. änderte sich das, weil man diesen Gedanken nicht mehr verstand und solches Handeln als pietätlos empfand. Und als im 20.Jh. schließlich alle Feierlichkeiten in Gasthäuser verlegt wurden, gehörte der Tote endgültig nicht mehr dazu.

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Ein Besuch im Trauerhaus war Pflicht, zeigte die Ehrerbietung gegenüber dem Toten. Dabei spritzte man mit einem Buchsbaumzweig Weihwasser über ihn. Strich man mit diesem Zweig über jemandes Warzen, dann nahm der Tote diese mit ins Jenseits und man war seine Warzen los. Kinder kamen zum „Bekieken der Leiche“ und standen dann unter dem Schutz der Heiligen.

Bis ins 18. Jh. wurden die Toten auf dem Kirchhof beerdigt. Das war das Areal direkt um die Kirche herum. Dort fanden auch Armenspeisungen, Prozessionen und Rechtsprechung statt. Der Sinn: im Angesicht der Kirche und der Lebenden und der Toten fand dort Alltägliches statt. Die Toten waren mitten unter den Lebenden. So ließ man z.B. auch Vieh dort weiden. Nur die Reichen und Mächtigen wurden in der Kirche selber beerdigt.

Während der Pestepidemien im MA wurden die Kirchhöfe zu klein. Daher wurden Pestfriedhöfe außerhalb der Stadt angelegt. Somit waren die Toten nicht mehr mitten unter den Lebenden. Familienbegräbnisse wurden nun zunehmend in Reihengräbern vorgenommen. In der Mitte des 19. Jh. wurden dann Klagen laut, daß menschliche Gebeine auf Kirchhöfen gefunden wurden. Danach wurden Friedhöfe nur noch am Ortsrand angelegt.

Gleichzeitig war im Zuge der Industrialisierung die Arbeiterklasse entstanden, die nicht mehr, wie zuvor die Landbevölkerung, großen Wohnraum zur Verfügung hatte. In ihren Kleinwohnungen, oft wg. der finanziellen Entlastung zusätzlich mit Schlafgängern belegt, gab es keinen Platz für die Aufbahrung des Toten mehr. Es entstand die Notwendigkeit zum Bau von Leichenhallen auf den Friedhöfen. Die erste entstand 1792 in Weimar, 1819 wurden sie in Preußen gesetzlich eingeführt (Westfalen war seit 1815 preußische Provinz), 1873 die erste in Münster gebaut. In der Mitte des 20. Jh. wurde es Pflicht, die Aufbahrung in Leichenhäusern vorzunehmen, heute ist sie wieder zu Hause erlaubt.

Früher war Selbstmördern und ungetauften Kindern die Bestattung in geweihter Erde versagt. Starben sie, bevor sie ein Jahr alt waren, gab es ein „Begräbnis unter dem Mantel“, d.h., sie wurden zu jemand anderem in den Sarg gelegt oder in einem anderen Grab „beigesetzt“. Das sparte vor allem Kosten

Kosten gespart werden auch durch die heute rasant zunehmende Feuerbestattung, deren Anteil mittlerweile schon bei 50% liegt. Das erste Krematorium gab es in Gotha im Jahre 1878. In Westfalen war Karl Ernst Osthaus , wie in vielem anderen auch, der Vorreiter, als er 1907/08 das erste Krematorium in Hagen bauen ließ. Es gründeten sich überall Vereine für Feuerbestattung, die vor allem hygienische Gründe für diese Form der Bestattung ins Feld führten. Aber natürlich war diese Bestattungsform auch platzsparend. (Jüdische Gräber haben Ewigkeitsrecht, weswegen man z.B. auf dem jüdischen Friedhof in Prag bis zu 30 Begräbnisschichten übereinander findet.) Papst Leo XIII (1810 – 1903) war gegen die Feuerbestattung. Erst 1963 hat die katholische Kirche sie akzeptiert.

c. Objekte

Wir können dem Tod kein Schnippchen schlagen, daher gewöhnen wir uns an ihn, wir entwickeln Formen für den Umgang mit ihm. Trauerkleidung wird eingeführt, wird zur Norm für alle. Der ganze Körper wird mit einem Rentuch (Leichentuch aus Leinen) verhüllt. Bis ins 17. Jh. war die Farbe der Trauerkleidung nicht geregelt, es konnte rot, weiß, grün sein. Daß wir heute schwarze Kleidung vorschreiben, geht auf das spanische Hofzeremoniell zurück. Ursprünglich trug man in Volltrauer sechs Wochen lang schwarz, in Halbtrauer durfte man danach schon wieder ein bißchen Schmuck anlegen. Später trug man einen Trauerflor am linken Oberarm (Juden zerreißen ihre Kleidung). Das alles war wichtig, symbolisierte es doch für bestimmte Zeit einen Ausnahmezustand.

Für das Jahresseelenamt gab es seit dem 15. Jh. (bis ins 19. Jh.) Totenzettel, die üblicherweise im Gesangbuch aufbewahrt wurden und auf denen der Werdegang des Verstorbenen erzählt wurde. Im HochMA kam aus Frankreich der Arme-Seelen-Glaube zu uns, der dazu führte, daß Spenden als Einnahmequelle entdeckt wurden, durch die man die Zeit des Toten im Fegefeuer verkürzen konnte. Es zeigte, daß die Trennung zwischen den Welten der Lebenden und der Toten nicht unüberwindlich sei: wenn die Lebenden den Toten etwas Gutes tun können – warum dann nicht auch umgekehrt die Toten den Lebenden? Der „Wiedergänger“ war entstanden. Damit der Tote nicht als solcher zurückkommen konnte, trug man ihn mit den Füßen zuerst hinaus.

Im 18./19. Jh. wurde es in Westfalen Mode, aus dem Haar verstorbener Frauen Schmuck herzustellen, meist aus geklöppeltem Haar in Bildform. Mit dem Aufkommen der Photographie wurden Erinnerungsphotos Mode. Dabei ging es zunächst darum, den Toten „wie lebendig“ abzubilden, man wollte die Zerstörung des Körpers bannen. Anfangs mußte man dazu die Leiche zum Photographen bringen, später ließen diese sich in der Nähe der Friedhöfe nieder. Im 20. Jh. wurde der Aufgebahrte als Schlafender photographiert. Den Tod verstand man nun als „Schlaf“. (Auch hier wieder der Anklang an die griechische Mythologie: Hypnos = Schlaf und Thanatos = Tod sind Brüder). Gleichzeitig wurde das Abschiednehmen am offenen Sarg unüblich, der Tote sollte wie ein Lebender im Gedächtnis bleiben.

So gibt es starke Wandlungen in unserem Verhältnis zum Tod. In der „guten, alten Zeit“ gab es eine enge soziale Kontrolle in seinem Umfeld. Der Tod war öffentlich, jeder hielt die sozialen Normen ein. Man brachte dem Toten Ehrerbietung und Achtung entgegen. Durch die Lockerung religiöser Bindungen in der Mitte des 20. Jh. fanden Sterben und Tod mehr und mehr unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Das Brauchtum in seinem Umfeld wurde aufgegeben, die Menschen verloren auch ihre Verhaltenssicherheit im Angesicht des Todes. Dafür entstand die Hospizbewegung, das Sterben braucht eben einen eigenen Ort und eine eigene Zeit. Heute kommt es zu immer individuelleren Formen des Begräbnisses: ein Fußballanhänger bekommt die Farben seines Lieblingsvereins und einen Fußball auf sein Grab, ein Fußballverein legt seinen eigenen Friedhof an. Das Opfer eines tödlichen Verkehrsunfalls bekommt eine Gedenkstelle am Unfallort, an der regelmäßig Blumen abgelegt und Kerzen entzündet werden, kurz, es ist eine Vielfalt an Umgangsweisen mit dem Tod an die Stelle früheren Brauchtums getreten. Die alte ars moriendi ist ausgestorben.

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Nachdem das aufmerksam lauschende und, wie sich nachher zeigte, begeisterte Publikum die reichlichen Portionen Grünkohl mit Bratkartoffeln, Kassler und Mettwurst verspeist hatte, ergab sich eine angeregte Unterhaltung mit der Referentin, die noch eine Reihe Kamener Besonderheiten beim Umgang mit dem Tod nach Münster mitnahm.

Die Ortsheimatpflegerin von Kamen wußte folgendes zu berichten: In Kamen gab es ebenfalls Nachbarschaften, die sich um alles im Umfeld von Geburt, Hochzeit und Tod kümmerten, Schichten genannt. Jede Schicht war einem Stadttor zugeordnet. In der Ostenschicht, die am längsten Bestand hatte, war es üblich, daß die Sargträger ein spitzenumrandetes Leinentüchlein bekamen, das sie um die Tragegriffe des Sarges legten und nach der Beerdigung als Lohn behalten durften.

Der Ortsheimatpfleger von Heeren-Werve trug folgende amüsante Geschichte bei: Als man begann, die Toten aufzubewahren, kam es einmnal vor, daß der Sarg für eine besonders gut genährte und stämmige Tote nicht durch die Haustür paßte. Hineinzukommen war kein Problem, da man den Sarg hochkant stellen und drehen konnte, wie es erforderlich war. Das Hinaustrage gestaltete sich allerdings sehr schwierig, hochkant tragen und den Sarg drehen – das konnte und wollte man der Toten nicht antun. Da baute man ein Gerüst vor dem größten Fenster auf, hievte den Sarg darauf und vermochte ihn abzutransportieren.

Und er wußte noch eine zweite Anekdote zu berichten: Bei einer Nachtwache wurde fleißig gebechert, bis die Jungs auf die Idee kamen, daß der Tote doch sicherlich auch ein Schnäpschen trinken möchte. Sie steckten ihm die Tülle der Flasche in den Mund und ließen den Schnaps rinnen. Als die Flüssigkeit langsam die Speiseröhre hinunterlief und die in ihr enthaltene Luft komprimierte, löste sich ein gewaltiger Rülpser. Vor lauter Schreck über den vermeintlich zum Leben erweckten Toten nahmen die Schluckspechte Reißaus.

KH

Kultur Route Kamen

Endlich ist der erste Schritt getan. Nach langer Vorlaufzeit und Verzögerungen durch unvorhergesehene Schwierigkeiten ist das erste Schild der neuen Kultur Route Kamen heute, 29. Oktober 2015, angebracht worden.

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Im Bild (von links nach rechts): Gastwirt Ullrich Neumann, Klaus Holzer KKK, Reimund Kasper KKK, Hans-Jürgen Kistner KKK

Schon vor fast zwei Jahren faßte der KKK den Entschluß, auf historisch bedeutsame Stellen in Kamens Westen, Methler, durch Informationstafeln aufmerksam zu machen. Man konnte sich schnell auf folgende Orte einigen:

  1. Bahnhof Kamen (Schild vorhanden; Ausgangspunkt der Route)

2. Seseke-Körne-Winkel

3. Berger Mühle

4. Wasserkurler Körnebrücke

    5.  Schulze Beckinghausen, Westick

6. Sportzentrum Kaiserau

7. Sektion VIII in Kaiserau

8. Lutherplatz in Methler

9. Technopark in Kamen (von dort zurück zum Bahnhof)

Mit Hans-Jürgen Kistner verfügt der KKK über den Kenner der Kamener Stadtgeschichte. Er machte sich gleich daran, die entsprechenden Texte zu verfassen und aussagekräftige Photos aufzutreiben. Reimund Kasper, der bekannte Kamener Künstler, gestaltete die Tafeln . Die anderen beiden Mitglieder des KKK übernahmen es, das notwendige Geld zu beschaffen und, in Kooperation mit dem ADFC Kamen, die Streckenführung auszuarbeiten, sollten doch Straßen vermieden werden.

Die Kultur Route Kamen-West ist als Rundkurs angelegt und folgt der vorhandenen Radwege-Beschilderung des Lippeverbands. Damit man der Kultur Route folgen kann, wird ein demnächst anzubringendes Logo den Weg weisen. Ausgangspunkt in Kamen ist zwar der denkmalgeschützte Bahnhof, doch kann man überall einsteigen und seine individuelle Teilstrecke wählen. Der Kurs ist leicht zu fahren und auch für Familien mit kleinen Kindern geeignet.

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Stolz auf die neue Informationstafel: Gastwirt Ullrich Neumann

Nach Abschluß des Teils West wird es den Teil Kamen-Ost geben, der Heeren-Werve auf die gleiche Weise erschließen soll. Dann ist es möglich, Kamen auf historischem Pfad ganz zu umrunden.

Ein die Kultur Route Kamen begleitendes Faltblatt ist in Arbeit und wird allen Interessierten wertvolle Hinweise zur Geschichte ihrer Heimat geben.

Zur vollständigen Finanzierung werden noch Sponsoren gesucht. Spenden können auf das Konto des Fördervereins des Kamener Museums, IBAN DE 27 4435 0060 1800 0390 99 bei der Sparkasse UnnaKamen, Stichwort: KKK, überwiesen werden. Der Förderverein stellt steuerlich wirksame Spendenquittungen aus (bitte Spenderadresse deutlich angeben).

KH

Der KKK fragt … Teil 6

Das heutige Photo gibt dem KKK ein großes Rätsel auf. Vermutlich ist es nach 1900 entstanden. Es zeigt links neben einem markanten Gebäude eine hohen Kamin, der zu einer Ziegelei gehört haben könnte, deren es damals in unserer Gegend nicht wenige gab. In der Bildmitte läuft ein Weg  auf eine Unterführung zu. Es ist nicht zu erkennen, was auf dem darüberführenden Damm liegt, vielleicht ein weiterer Weg, vielleicht auch Bahnschienen. Durch die Bildmitte verläuft eine Reihe Pfosten, an denen vielleicht ein Zaun befestigt werden soll. Davor sind Bahnschienen zu erkennen. Gehören sie zu einer Feldbahn, die zu der vermuteten Ziegelei gehört? Oder führt sie zu einer Zeche. Die aufgewühlte Erde im Vordergrund deutet auf umfangreiche Erdarbeiten hin.

KKK fragt 6

Wer weiß, um welche Anlage es sich handelt und kann bestimmen, aus welcher Himmelsrichtung das Photo aufgenommen wurde?

KH

Der KKK fragt … Teil 5

Bei einer Stadtführung sagte der hiesige SPD-Bundestagsabgeordnete Oliver Kaczmarek, seine Oma habe ihm gesagt, früher sei die Kirmes oft auf dem Edelkirchenhof abgehalten worden. Doch keiner konnte das bestätigen. Stimmt das?

Der Edelkirchenhof liegt auf dem Gelände zweier ehemaliger Burgmannshöfe, dem Haringhof und dem Reck-Palandschen Hof. Beide Burgen wurden Anfang des 14. Jh. gebaut und waren für den Schutz des Westen– bzw. des Kämertores zuständig. Der Haringhof wurde 1912, der Reck-Palandsche Hof 1925 abgerissen. Das gesamte Areal wurde im Zuge der weitreichenden Umgestaltung der Stadt im Westen durch Baurat Reich – Kanalisierung und Eindeichung der Seseke, Anlage von Post– und Koppelteich, Bau der Koppelstraße mit Flußbrücke – vollständig neu gestaltet. Es entstand eine geometrisch geformte Parkanlage, die Vorläuferin des heutigen Parks.

13. Edelkirchenhof

Hier noch eine neuere Form der Gestaltung:

Mail-Anhang

Wer weiß, ob es hier Kirmessen 13. Edelkirchenhof oder auch Zirkusveranstaltungen gegeben hat?

KH