Körnerstraße

von Klaus Holzer

Abb. 0: Straßenschild

Die Kamener Körnerstraße war bis vor zwei Jahren an Frühlingsblütenpracht nicht zu überbieten. Dann blühte es die ganze Straße entlang, daß man glauben konnte, man sei in Japan: ein japanischer Kirschbaum hinter dem anderen erblühte in Rosa! Leider waren die Bäume zu alt geworden, mußten gefällt werden. Für die Neupflanzung hat man sich bei der Stadt entschieden, die Felsenbirne zu pflanzen, ein heimisches Gewächs, das Insekten anlocke und im Herbst Beerenschmuck habe, also Futter für Vögel; kurz: die Ersatzpflanzung sei „ökologischer“, so die Auskunft des Bauhofes.

Sicher eine nachvollziehbare Entscheidung, angesichts des Insektensterbens in unserem Land, doch ist es ebenso sicher schade um den ganz besonderen ehemaligen Charakter der Körnerstraße, einmalig in Kamen. Photo Nr. 1 gibt vielleicht eine Ahnung davon, wie es einmal dort aussah.

Abb. 1: Die letzten japanischen Kirschbäume in der Körnerstraße

Einer der vielen Namen, die einmal Gemeingut waren, uns Heutigen aber kaum noch etwas bedeuten, ist der des Carl Theodor Körner. Weder seine Lieder, vor allem die zu den Befreiungskriegen gegen Napoleon geschriebenen, noch seine für das Wiener Burgtheater (hier erhielt er sogar den Titel eines k.k. Hoftheaterdichters) geschriebenen Dramen sind uns noch geläufig, und daß er sogar einmal den Entwurf eines Librettos für Beethoven schrieb – wer weiß das schon noch?

Abb. 2: Dora Stock, Theodor Körner, 1791 – 1813

Oder daß er mit praktisch allen Größen seiner Zeit bekannt war: Ludwig van Beethoven, Wilhelm von Humboldt, Friedrich Schlegel, Gottlieb Fichte, Friedrich Schleiermacher u.a.? Und auch mit den Reformern Freiherr vom Stein und Gneisenau, Feldmarschall Blücher? Und das in seinem sehr kurzen Leben: Körner wurde am 23. September 1791 in Dresden geboren und fiel im Kampf gegen französische Truppen am 26. August 1813 bei Lützow.

Abb. 3: Der Gedenkstein, der bis 2017 im Stadtpark in der Nähe der Körnereiche lag, heute im Stadtmuseum

Wenn man dem Kamener Chronisten Friedrich Pröbsting glauben darf, waren unsere Vorfahren immer sehr patriotisch1. Und der Freiheitskämpfer Körner war wohl die romantische Inkarnation alles dessen, was sich der biedere Bürger erträumte. So war Körner zu seiner Zeit ungemein bekannt und beliebt. Zu seinem 100. Geburtstag pflanzte der Turnverein VfL 1854 zu Camen eine „Körnereiche“. Selbst 80 Jahre nach Körners Tod war also die Begeisterung über den jugendlichen Helden noch so groß, daß sie in einer Kleinstadt wie Kamen über Jahre trug, während derer Geld gesammelt wurde, damit man das Jubiläum würdig begehen und gleichzeitig die Stadt verschönern konnte. Ein heute schwer vorstellbarer Stolz auf die eigene Stadt. Vor diese Eiche legte man den „Körnerstein“, mit für diese Zeit typischen Symbolen. Unten befindet sich das „Frisch Fromm Fröhlich Frei“-Symbol der Turnerschaft; links und rechts mit Eichenzweigen verziert. Oben, in der Mitte, befindet sich ein verschlungenes „DT“ für Deutsche Turnerschaft. Turnen war, neben Chorsingen2, eine der Leidenschaften im Kaiserreich. Turnvater Jahn wurde noch verehrt, während er heute eher wegen seiner nationalistischen Haltung und Aussagen kaum noch eine Rolle im öffentlichen Leben spielt.

Abb. 4: Richard Knötel, Theodor Körner (auf einer alten Postkarte der Fa. Stengel & Co., Dresden)

Körners sechsstrophiges Gedicht „Was glänzt dort vom Walde“ wurde von ihm nur ein Vierteljahr vor seinem Tode geschrieben, und schon im folgenden Jahr von Carl Maria von Weber vertont. Da erst wurde es richtig bekannt, als Soldatenlied unter dem Titel des Refrains, „Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd“. Im Kern geht es um den freiheitsliebenden Helden, der dabei stirbt, wie er sein Vaterland rettet und daher nichts zu bereuen hat.

Das Viertel, in dem die Körnerstraße in Kamen liegt, entstand in den 1920er Jahren, ihre Benennung 1924, und diese Straße wurde von den Kamenern eigentlich nur der D-Zug genannt. „Ich wohne im D-Zug“, war die Antwort auf die entsprechende Frage, weil hier so viele Häuser in langen Reihen standen. Übrigens hieß früher eine benachbarte Straße einmal Schillstraße. Sie wurde von den Nationalsozialisten in Schillerstraße umbenannt. Noch 1949 führte sie von der Straße Am Kämertor an der „Kaisereiche“ vorbei bis nach Bergkamen. Mit der Kommunalen Neuordnung 1968 wurde sie Kämertorstraße genannt (ist das die heutige Stormstraße?), da es eine Schillerstraße bereits in Heeren gab, und im weiteren Verlauf Bergkamener Straße. Schill war ebenfalls der Name eines deutschen Freiheitskämpfers, Ferdinand Baptista von Schill (1776 – 1809). Der war ein Haudrauf, auf den der Spruch „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“ zurückgeht. Er fand dann auch ein Ende mit Schrecken.

K H

Abb. 0,1 & 2: Klaus Holzer; Abb. 2 & 4: Wikipedia

Pröbsting schreibt u.a., daß es 1806 „viel Jubel und große Freudenfeste in der ganzen treuen Mark, auch hier in Camen“ gab, als bestätigt wurde, daß man „bei dem Hohenzollerschen Herrscherhause bleiben solle“.

Und als Preußen nach der Schlacht bei Jena und Auerstädt geschlagen war und seine Herrschaft nicht mehr ausüben konnte, entband der König „seine märkischen Untertanen des Eides der Treue“. Diese antworteten daraufhin: „Das Herz wollte uns brechen, als wir Deinen Abschied lasen, und wir konnten uns nicht überreden, daß wir aufhören sollten, Deine Unterthanen zu sein, die Dich immer so lieb hatten!“

Nach der endgültigen Niederlage Napoleons und dem Ende der Camener Franzosenzeit brach Jubel aus: „In wenigen Tagen war das ganze Land für Preußen wieder in Besitz genommen und von Ort zu Ort verkündigte das Glockengeläute und der Jubel des Volkes: Wir sind wieder preußisch!

Die Begeisterung, welche in jenen Tagen das Land durchflutete, offenbarte sich sofort auch in dem Erfolge, den der Königliche Erlaß zur Bildung von Landwehren und freiwilligen Jägern überall fand. Wer zum Tragen der Waffen fähig war, eilte zu den Fahnen.“

Und schließlich ganz allgemein: „Doch ist deutsche Gesinnung und Königstreue, das Erbteil der Väter, stets in unserer Mitte geblieben.“

Neuere historische Forschungen haben die Bedeutung der „deutschen Vereinsmeierei“ für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft nachgewiesen. Zusammen zu singen und zusammen zu turnen verbindet eben. (Vgl.a. die Gründung der vielen bairischen, schlesischen und polnischen Heimat– und Trachtenvereine im Ruhrgebiet nach dem Zuzug der Bergarbeiter aus diesen Regionen zu Beginn des Ruhrbergbaus.)