Fritz Heitsch – Stadtdirektor und Künstler

von Klaus Holzer

In unserer Vorstellung gibt es kaum etwas Trockeneres als Verwaltungsbeamte. Sie verfahren streng nach Recht und Gesetz, neigen zu bürokratischem Verhalten, treiben uns manchmal zum Wahnsinn, dennoch geht es ohne sie nicht.

Ganz anders der Künstler. In allem scheint er das Gegenteil des Bürokraten zu sein. Große Freiheit und Gestaltungskraft aus ihm selber heraus, gewonnen aus sich selbst auferlegten Regeln, treiben ihn zu schöpferischem Tun.

Aus der Zwischenablage Fritz Heitsch, 1962

Und es scheint ausgeschlossen, daß sich diese einander widersprechenden Eigenschaften in einer Person verbinden können. Und doch ist es vorgekommen, in Kamen: der frühere Kamener Stadtdirektor Fritz Heitsch war beides.

FH wurde am 23. Juni 1900 in Elberfeld (heute Stadtteil von Wuppertal) geboren, gerade noch rechtzeitig, um im Ersten Weltkrieg als Soldat zu dienen. Sein Vater war Prof. Louis Heitsch, Bildhauer und Oberlehrer an der Handwerker– und Kunstgewerbeschule in Elberfeld. Anders als nach seiner Herkunft zu erwarten gewesen wäre, wurde Fritz, nachdem er aus dem Krieg zurückgekehrt war, Bergmann auf der Zeche Sachsen in Heessen, wo er fast zwei Jahrzehnte arbeitete, mehrere davon als Betriebsrat. 1922 trat er in die SPD ein.

Ende der 1930er Jahre inhaftierten ihn die Nationalsozialisten im KZ Schönhausen in Bergkamen, von wo er nach kurzer Zeit in das Lager Wittlich/Mosel verlegt wurde. Als echter Sozialdemokrat hatte er sich geweigert, mit „Heil Hitler“ zu grüßen.

Während dieser Zeit als Gefangener entsann er sich seiner Kindheit in einer Künstlerfamilie und fand zur Kunst, die es ihm ermöglichte, diese belastende Zeit ohne größere Schäden an Körper und Geist zu überstehen.  Aber er machte es sich nicht leicht, er wählte den schweren Weg, er brachte sich das zu seiner Kunst notwendige Handwerk selber bei. Und für seine Plastiken nahm er nicht die leichter zu bearbeitenden Werkstoffe wie Holz oder Töpferton, sondern den spröden Mergelton, aus dem auch Ziegel gefertigt werden.

Büste FH von W. Becker 1943 KopieW. Becker, Büste Fritz Heitsch, 1943

 Nach der Zeit in Wittlich war er gesundheitlich angeschlagen und kam dennoch, wieder zurück in der Heimat, erst einmal als Sanitäter an die Westfront, nach seiner Entlassung 1940 ins Knappschafts-krankenhaus nach Hamm, wo er seine künstlerische Tätigkeit wieder aufnahm. Schon 1942 war er an einer Ausstellung in Hamm beteiligt. 1943 wurde er an die Landwehr überstellt. Inzwischen war seine künstlerische Begabung sogar den Nazis aufgefallen, die ihn bisher alsSozialisten diskriminiert hatten. In der Wochenschau vom 20. Oktober 1943 wird FH als „Kumpel auf einer deutschen Zeche“ porträtiert, der „ein guter Bergmann“ sei, der „seine freie Zeit als Bildhauer“ verbringe. So benutzten sie ihn, den sie wenige Jahre zuvor noch ins KZ gesteckt hatten, nun für ihre Zwecke.

Bäuerin_Mutter    Fritz Heitsch, Bäuerin, o.D. | Mutter mit Kind, o.D.

Am 25. Mai 1945, gleich nach Kriegsende, ernannte der englische Kommandant von Hamm FH, den sozialdemokratischen Betriebsrat und ehemaligen KZ-Insassen, zum Bürgermeister von Werries, seinem Wohnsitz seit 1923. Das geschah ganz lakonisch auf einem etwa 5 cm breiten Streifen Papier, mit Schreibmaschine geschrieben: „Hereby I appoint Herr Heitsch Bürgermeister of Werries.“ Nur ein Jahr später bestellte ihn derselbe englische Kommandant zum Amtsbürgermeister des Amtes Rhynern. Den nächsten Schritt auf der Karriereleiter machte er, als Hubert Biernat, damals Landrat in Unna, ihn zu sich ins Kreishaus holte. Doch schon 1948 wurde er für 12 Jahre zum Stadtdirektor in Kamen gewählt.

In diese Zeit fallen Kamens erste größere Industrieansiedlungen: Kettler, Winkelhardt, GZK, mit Paul Vahle fuhr er einen ganzen Sonntagnachmittag lang durch Kamen, bis dieser ein passendes Grundstück gefunden hatte. Wie weitsichtig dieses Handeln war! Vahle ist heute eines der innovativsten Unternehmen in Kamen, ein Vorzeigebetrieb, Weltmarktführer auf seinem Gebiet, der berührungslosen Stromübertragung. Bei all diesem Handeln stand FH unter dem immensen Druck der „Waschkauenfraktion“, die sich sorgte, daß dem Bergbau Arbeiter verloren gehen könnten, die die Arbeitsplatzkonkurrenz fürchtete. FH war der Weitsichtigere.

In diese Zeit fiel die schwierige Aufgabe des Wiederaufbaus der teilweise zerstörten Stadt. Man sollte also meinen,  damit war FH ausgelastet. Doch fand er immer noch Zeit für seine Plastiken, vielleicht brauchte er sie auch, um zwischen all den schweren Entscheidungen jener Zeit Luft zu schnappen. Sein Thema waren immer wieder die Erfahrungen seiner frühen Jahre: Bergmann, Bäuerin, Mutter mit Kind, sie alle Figuren, denen man ansah, daß sie in ihrem Leben immer kämpfen mußten. Für ihn war die Frage nie, die damals die Künstler umtrieb: figürlich oder abstrakt? Seine Erfahrungen waren konkret, sie mußten konkret dargestellt werden. Sie sollten die Lebenswirklichkeit widerspiegeln.

Bergmänner             Fritz Heitsch, Bergmann, o.D. | Bergmann, o.D.

In den 1950er Jahren traf er auch mit bekannten Künstlern unserer Region zusammen: Max Schulze-Sölde, Fritz und Eberhard Viegener, Hans Güldenhaupt, Lutz Ante, Heinz Wittler, u.a.

Als wäre es noch nicht genug, sich als oberster Verwaltungsbeamter und als ein anerkannter Künstler in Kamen zu verewigen, wurde er auch noch zum Mäzen einer jungen Künstlergeneration. Helmut Meschonat, ein entfernter Verwandter, ebenfalls aus Werries nach Kamen gekommen, Ulrich Kett und Heinrich Kemmer gründeten 1959 die Künstlergruppe „Schiefer Turm“, als deren, heute würde man sagen, Manager der umtriebige Emil Künsch auftrat. Diese drei Künstler brauchten dringend ein Atelier, in dem sie ihre großformatigen Arbeiten anfertigen konnten. Emil Künsch wandte sich mit der Bitte um Hilfe an die Stadt und fand in FH jemanden, der das Verständnis für dieses Bedürfnis sogleich in die Tat münden ließ. Jetzt wurde der Dachboden des Amtsgerichts, des heutigen Hauses der Kamener Stadtgeschichte, von den Beteiligten in Gemeinschaftsarbeit in ein Atelier verwandelt. Und weil FH an der Gruppe ein persönliches Interesse nahm, wurde er gleichzeitig Mitglied und stellte ab 1961 mit den Jungen zusammen aus.

Kinderkopf KopieFritz Heitsch, Sohn Klaus, ca. 1945

Und auch in anderer Hinsicht half er ihnen, ihren Weg in die Kunst zu finden, indem er sie mit den arrivierten Künstlern aus seiner Bekanntschaft zusammenbrachte, was ihnen immer wieder neue Impulse verlieh.

Daß er gleichzeitig auch ein guter Verwaltungschef gewesen sein muß, beweist die Tatsache, daß er 1961 für eine zweite zwölfjährige Amtsperiode als Stadtdirektor gewählt wurde. In dieser Funktion wurde er zum Vorsitzenden des Deutschen Städtebundes im Regierungsbezirk Arnsberg gewählt, er, der Sozialdemokrat, von einer CDU-Mehrheit!

Doch 1963 erlitt er einen Schlaganfall und war fortan nicht mehr in der Lage, sein Amt auszuüben. Am 28. Februar 1965 schied er offiziell wegen Erreichens der Altersgrenze aus. Seine Gesundheit hatte ihn zwar im Stich gelassen, doch von der Kunst ließ er nicht. Sie war der Trost seiner letzten Lebensjahre.

Am 28. Januar 1971 starb Fritz Heitsch in Kamen und wurde auf dem alten Friedhof an der Friedhofstraße beigesetzt.

                                                          FH Unterschrift 111kb Kopie

 

Seine Plastiken stehen heute überwiegend in privaten Sammlungen, doch sind einige auch in öffentlichen Instituten untergebracht. Sein Sohn Klaus Heitsch hat eines der für FH typischen Motive dem Kamener Haus der Stadtgeschichte geschenkt. Hier hat der „Bergmann“ seinen Platz in der Vitrine neben dem Stollen gefunden, den Kamener Bergleute hier eingerichtet haben, damit die Erinnerung an das nicht verlorengeht, was Kamen 110 Jahre lang geprägt hat, im guten wie im schlechten, der Bergbau.

KH

Johannes Buxtorf, ein Basler aus Camen

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Johannes Buxtorf, ein Basler aus Camen

Daß sein Sohn Johannes, der dem Camenser Oberpfarrer Johannes Buxtorf (andere Schreibweisen sind Boxtorp und Boxtrop) und seiner Frau Maria, geb. Volmar, am Weihnachtstage 1564 geboren wurde, ein wahres Weihnachtsgeschenk für Europa und die Wissenschaft werden sollte, war wahrhaftig nicht vorherzusehen. Dabei wurde der Kleine in eine Familie hineingeboren, die nicht nur für die damalige Zeit außergewöhnlich genannt werden muß. Die Familie wohnte in dem alten Fachwerkhaus an der heutigen Ecke Kampstraße/ Weststraße

2. Bild Buxtorf-Haus in Kamen

(damals gab es keine Straßennamen, nur Hausnummern), wo das Haus der Commerzbank steht. Das Familienwappen zeigte einen springenden Bock, der bis zum Abriß des Hauses um 1900 als Wetterfahne auf dem Dach stand. Der letzte Besitzer, ein Hugo Müller, entfernte diese Wetterfahne vom Dach, weil seine Mutter wegen der Quietschgeräusche, die sie bei Wind verursachte, nicht schlafen konnte und schenkte sie dem Kamener Stadtmuseum. Das Original gibt es dort leider nicht mehr, doch erinnert eine Kopie an das Verlorene.

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Kopie der Wetterfahne des Kamener Buxtorf-Hauses mit dem Bock,
dem Wappentier der Buxtorfs

 

Und auch der Name „Buxtorf“ ist zwar heute noch an zwei Stellen in der Stadt vertreten, doch sagt er den wenigsten etwas. In der Innenstadt gibt es die Buxtorfstraße, klein und unbedeutend, dem großen Mann so gar nicht angemessen, und in Südkamen das Buxtorfhaus, das sich durch das Männerforum zu einem bekannten Treffpunkt entwickelt hat.

Die erste Erwähnung dieses Namens finden wir in einer Urkunde „des dinstages vor sunte Johannes baptisten“ (19. Juni 1453), in der ein Johan Buxtorp den Verkauf einer Geldrente durch Brun de Vette an Dietrich Sprenge zu Camen bezeugt. Dann taucht ein Dr. jur. Severinus (auch Joachim genannt; seine Lebensdaten sind nicht überliefert) auf, der, mit Unterbrechungen, 30 Jahre lang Bürgermeister von Camen war. Daher war die Familie hier sehr angesehen und mit fast allen anderen führenden Familien in der Stadt verwandt. Das war für Severinus‘ Sohn Johannes von größtem Vorteil, als er nach 1553 als der damalige Camener Oberpfarrer an der St. Severinskirche (heute Pauluskirche) einer der Wegbereiter der Reformation in Kamen wurde. Anders als der erste, der sich in Camen zur Reformation bekannte, Hermann Hamelmann, wurde Buxtorf als angesehener Bürger der Stadt nicht der Stadt verwiesen. Erst im Laufe des 17. Jh. starb die männliche Linie der Buxtorfs in Camen aus.

Aber kommen wir zu unserem Weihnachtskind zurück. Über seine Kindheit und Jugend ist kaum etwas bekannt. Ersten Unterricht erhielt der kleine Johannes – die meisten Buxtorfs hießen Johannes, was es manchmal schwer macht, sie auseinanderzuhalten; unser Johannes wird hier, der wissenschaftlichen Tradition folgend, als JB I bezeichnet – von seinem Vater, dem Oberpfarrer, in Lesen und Schreiben unterrichtet, erhält selbstverständlich auch, wie das im Jahrhundert der Reformation in gelehrten Häusern üblich war, eine erste Einführung ins Lateinische. Schon bald schickte ihn der Vater auf das Gymnasium nach Hamm, das heutige Hammonense – Camen hatte zu der Zeit zwar bereits eine Schule, die „schola latina camensis“,  Vorläuferin  unseres heutigen Gymnasiums, doch empfahl sie sich nicht für die Studien ehrgeiziger Schüler – wo er vom Rektor Georg Fabricius mit dem Hebräischen bekannt gemacht wurde. Doch bereits nach kurzer Zeit wechselte JB I auf das Archigymnasium nach Dortmund, wo Fridericus Beurhusius sein Lehrer war. Als 1582 sein Vater starb, ging er kurz nach Camen zurück, setzte aber bald seine Studien in Marburg/Lahn fort. Schon 1584 aber ist er an der Nassauischen Hochschule in Herborn eingeschrieben, wohin ihn die seinerzeit berühmten Namen Olevianus und Piscator gezogen hatten.

Es ist offenkundig, daß ihm Bildung über alles ging. Es ist überliefert, daß er nicht, wie es wohl unter Studenten damals weit verbreitet war, ein liederliches Leben führte, sondern alle Vorlesungen regelmäßig besuchte und fleißig mitschrieb, woraus er in seinem späteren wissenschaftlichen Leben noch reichlich schöpfte.

Johann Piscator war seinerzeit der bedeutendste Hebraist und ein hervorragender Lehrer, der in JB I seinen besten Schüler fand. Dieser zeichnete sich durch Talent und enormen Fleiß aus, so sehr, daß sein Lehrer schon nach kurzer Zeit bekannte, sein Schüler sei ihm an Wissen überlegen.

Von Herborn ging es für kurze Zeit nach Heidelberg, doch schon 1588 nach Basel – er schrieb sich als Johannes Buxtorfius vuestfalus camensus ein – vor allem, um dort bei Johann Jacob Grynäus zu studieren. Auch der merkte sofort, was für einen besonderen Studenten er vor sich hatte. Daher setzte er alles daran, ihn in Basel zu halten. So wurde JB I schon ein halbes Jahr nach seiner Ankunft in Basel die Professur der hebräischen Sprache angeboten, obwohl er noch nicht einmal den Magister erworben hatte! Aber er lehnte sie ab, da er sich dafür noch nicht reif fühlte. Doch ließ er sich dazu überreden, sie vertretungsweise anzunehmen. Nach seiner Promotion am 6. August 1590 wurde er einstimmig auf diesen Lehrstuhl gewählt. Seiner Promotion zum Magister ging eine Disputation voraus, die sich mit dem Thema befaßte, ob „Tiere ganz ohne Vernunft seien oder nicht“.

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 Johannes Buxtorf in den 1590er Jahren
 

Von nun an war alles im Leben des JB I darauf angelegt, Basler Bürger zu werden. Nur noch ein letztes Mal besuchte er seine Heimatstadt Camen. Im September 1593 fuhr er „mit günstigem Wind von Basel nach Köln“ und suchte dann zu Fuß seine Heimat auf. Aber schon am 1. Dezember 1593 kehrte er wohlbehalten nach Basel zurück. Anfang 1594 heiratete er Margaretha, die Tochter der in Basel bekannten Familie Curio, bei der er seit 1588 gewohnt hatte. Wie weltlich dieser uns so durchgeistigt erscheinende Mann handeln und denken konnte, geht aus einem Brief hervor, den er einem Freund schrieb: „… endlich, am 10. dieses Monats Januar fiel die ersehnte Beute in meine Netze: ich stürmte heran, riß sie an mich und sagte: Du allein gefällst mir.“ Mit ihr bekam er 11 Kinder, 5 Söhne – 3 von ihnen als Drillinge, die bald starben – und 6 Töchter. Und alle überlebenden Kinder vernetzten die Buxtorfs weiter in Basel, indem sie in angesehene Basler Familien einheirateten. Nicht minder pragmatisch war die Familie Curio eingestellt. Bevor der Vater der Heirat zwischen seiner Tochter und Johannes Buxtorf zustimmte, erkundigte er sich bei einem von dessen Verwandten, Dr. Joachim Buxtorf, der Kanzler des Grafen von Waldeck war, nach Johannes‘ wirtschaftlicher Situation. Heiraten war damals nicht zuallererst eine Frage der Liebe, man mußte die Sicherheit des noch nicht existierenden Wohlfahrtsstaates privat planen.

JB I hatte eine große Familie zu ernähren, 13 Personen, dazu kam eine Magd, so daß Geld immer knapp war. Als er einmal 300 Gulden aus den Niederlanden erhielt, bedankte er sich, erwähnte aber auch: „Wenn einer hier die Last von hundert Eseln auf sich bürdete, so wird ihm gleichwohl nicht mehr zu Lohn als einem Esel.“ Und das Haushaltsgeld wird weiter verknappt durch JBs I Leidenschaft für Bücher, die sich mit dem Hebräischen, mit rabbinischen und talmudischen Schriften befaßten. Diese Bibliothek war so umfangreich, daß die Familie sie 1705 für 1000 Taler an die öffentliche Bibliothek in Basel verkaufen konnte. Wie sehr diesen großen Gelehrten die Alltagssorgen drückten, geht aus seiner Antwort an den Rektor der Akademie von Saumur, Robert Boduis, hervor, der JB I unter allen Umständen an seine Hochschule holen wollte und ihm praktisch zusagte, JB I könne seine eigenen Bedingungen formulieren. Seine Einwände betreffen Einkommen, Schwierigkeiten beim Umzug aus der sicheren Stadt Basel mit allen ihm vertrauten Umständen wie der deutschen Sprache und den ihm bekannten Lebensverhältnissen. So schreibt er explizit: „In unserem Deutschland sorgt man bei Geistlichen und Universitätslehrern fast überall außer dem Gehalt für freie Wohnung und ein gewisses Quantum an Getreide und Wein. In diesen Stücken ist mir die in Frankreich herrschende Sitte unbekannt und ebenso der Maßstab, der für den Aufwand der Akademiker gilt.“ Er wird für immer in Basel bleiben, obwohl ihn noch mancher ehrenvolle Ruf an andere Universitäten erreicht. Und Basel unternimmt auch viel, um ihn zu halten. Sein Leben wird ihm vereinfacht, sein Gehalt steigt, so daß er dann doch ein sorgenfreies Leben führen kann.

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Buxtorf-Haus in Basel, „Zum St. Johannes”, Bäumleingasse 9

Mitte der 1590er Jahre beginnt eine unglaubliche Schaffensperiode. Wie sein Freund Johan Tossanus bemerkte, arbeitete JB I bis zu 14 Stunden am Tage wissenschaftlich. Dazu kommen aber noch viele Arbeitsstunden aus der Erfüllung seiner vielen Ämter, die er im Laufe seiner Jahre in Basel bekleidete: Präpositus (Vorsteher) und Ökonom des Oberen Kollegs, acht Mal Dekan der philosophischen Fakultät, 1614/1615 Rektor der Universität, oft Vertrauensperson zur Vertretung der Universität in öffentlichen Angelegenheiten. Und sein Briefverkehr mit allen Autoritäten der Theologie und des Hebräischen, mit Rabbinern in ganz Europa wie auch mit zahllosen Menschen, die ihn in Fragen ihres Glaubens konsultierten, füllt Bibliotheken und stellt heute eine wertvolle Quelle für Zeitstudien dar. Woher nimmt ein Mensch nur diese Energie?

Von nun an war Basel das Zentrum der hebräischen Studien in Europa. Hier war jetzt der größte akademische Lehrer des Hebräischen zu Hause, was schon sehr viel galt. Doch war der Forscher JB I, der Wissenschaftler, unübertroffen. Hier saß die in Europa höchste Autorität in Fragen jüdischen Glaubens, selbst für jüdische Gelehrte. So wurde er auch „rabbinorum magister“ genannt. Hier schrieb er Werke, die jahrhundertelang Standardwerke ihrer Disziplin waren. Zeitgenossen aus seinem Fach beklagten sich gar, daß JB I „in Betreff des Ausbaues jener Wissenschaft […] nichts zu thun übrig gelassen“ hat. Hans Jürgen Kistner, der ehemalige Kamener Stadtarchivar, berichtet, daß Bonner Theologiestudenten noch in den 1980er Jahren Buxtorfsche Wörterbücher benutzten. JB I war nichts weniger als der Begründer der jüdischen Studien in Deutschland und in Europa, derjenige, der ad fontes ging.

Worin aber besteht denn nun die wissenschaftliche Bedeutung des JB I aus Camen?

Dazu muß man sich erst einmal die Situation im Jahrhundert der Reformation klarmachen. Luther wies der Heiligen Schrift eine ganz neue Bedeutung zu, indem er postulierte, daß sie allein die Grundlage allen Glaubens sein müsse, der Mensch durch sie direkten Zugang zu Gott habe. Aber da wurde die Lage kompliziert.

Die damals maßgebliche Grundlage der christlichen Kirche war eine griechische Übersetzung des hebräischen Alten Tetsaments (AT), die Septuaginta. Daraus gingen für die Westkirche mehrere lateinische Tochterübersetzungen hervor. Aus einer dieser Tochterübersetzungen und der hebräischen Fassung verfertigte der Kirchenvater Hieronymus um AD 400 eine neue lateinische Bibelübersetzung, die Vulgata, noch heute die gültige Bibel der römisch-katholischen Kirche. Erst Luther griff mit seiner Übersetzung auf die hebräische Bibel Jesu und seiner Jünger zurück. Nun ist aber jede Übersetzung immer auch eine Interpretation, daher ergeben sich zwangsläufig, zusätzlich zu dogmatischen Aspekten, Unterschiede im Verständnis der Hl. Schrift. Hinzu kamen damals die Probleme zwischen Judentum und Christentum. Beide Seiten beriefen sich auf die Hl. Schrift, die Christen auf die griechische, die Juden auf die hebräische Fassung. Und für die einen waren die Juden die Mörder des Heilands, für die anderen Jesus ein gehenkter Verbrecher. Schwer vorstellbar, wie man da zueinander finden sollte.

Mit der hebräischen Bibel hatten sich vor Luther anderthalb Jahrtausende lang ausschließlich jüdische Gelehrte beschäftigt, in dem Versuch, eine eindeutig verständliche Fassung dieses Textes herzustellen. Was für uns seltsam klingt, hat doch einen einfachen Grund. Im Hebräischen werden nur die Konsonanten, nicht die Vokale geschrieben, weswegen es nur für denjenigen lesbar ist, der es gut beherrscht. Jedoch existierte das Hebräische als lebende Sprache schon zur Zeit Jesu Geburt nicht mehr, nur noch in der schriftlichen Überlieferung. Stephen G. Burnett, der JB I am gründlichsten studiert hat, brachte in seinem Vortrag in Kamen im Jahre 2001 ein einleuchtendes Beispiel: „Wenn man z.B. die Konsonanten MTR ohne Vokale als deutsches Wort schreibt, könnte das «Motor», «Mieter» oder sogar «Mutter» sein. Aber welches Wort ist denn nun hier gemeint? Deshalb ist diese Frage von Vokalen von höchster Bedeutung für die Schriftauslegung.“

JBs I Bestreben war es in allem, „die Unversehrtheit und unbedingte Zuverlässigkeit des hebräischen Bibeltextes einschließlich der Vokalisation zu erweisen, die darum die Benutzung der Septuaginta und der Vulgata, auf die sich die Katholiken beriefen, unnötig mache.“

JBs I große Leistung bestand darin, daß er es schaffte, das ganze Material, das jüdische Gelehrte vor ihm erarbeitet hatten, zu sammeln, zu systematisieren und auf das philologisch-wissenschaftliche Niveau zu heben, auf dem sich die Darstellung der griechischen und der lateinischen Grammatik befand, es in die humanistische Tradition der europäischen Sprachwissenschaft zu stellen, die in der Renaissance entstanden war. Er erarbeitete eine neue Grammatik und ein neues Lexikon des Hebräischen und des Aramäischen, der Sprache Jesu. Diese Werke blieben jahrhundertelang für die wissenschaftliche Erforschung des AT von hoher Bedeutung. Er führte in ihrer Gesamtheit die Bibeltexte und die überlieferten jüdischen Auslegungen dieser Texte zusammen. Speziell diese Werke waren jahrhundertelang Standardwerke und wurden durch spätere Forschung kaum übertroffen. Sie sind hinsichtlich ihrer Vollständigkeit kaum wieder erreicht worden.
 

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Frontispiz von Buxtorfs Lexicon Hebraicum et Chaldaicum
 

JBs I große Arbeiten lassen sich in drei Klassen einteilen. Erstens: Werke zur Grammatik und Lexik des hebräischen und aramäischen Sprachgebrauchs. Zweitens: Werke zum Bibeltext und seine rabbinischen Ausleger. Drittens: Werke zu den religiösen Aspekten des rabbinischen Judentums. JB I war der erste, der eine Bibliographie der jüdisch–hebräisch–rabbinisch–talmudischen Literatur erstellte, eine bahnbrechende Arbeit, für die er zu großen Teilen auf seine eigene, überragende Bibliothek zurückgreifen konnte.

Hier seine wichtigsten Werke: Manuale Hebraicum et Chaldaicum, 1602; Synagoga Judaica: das ist Juden-schul, 1603, seine einzige Veröffentlichung auf Deutsch;

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Synagoga Judaica: das ist Juden-Schul

Praeceptiones Grammaticae de Lingua Hebraica, 1605, später unter dem Titel Epitome grammaticae Hebraicae noch viermal von Buxtorf selber und sechzehnmal von anderen herausgegeben; Lexicon Hebraicum et Chaldaicum, 1607; Thesaurus Grammaticus Linguae Sanctae Hebraicae, 1609; Concordantiae Bibliorum Hebraicae, die aber erst 1632 veröffentlicht wurden; er fing das große Lexicon chaldaicum, talmudicum et rabbinicum an, das erst sein Sohn JB II vollenden konnte, ein Werk in dem die Arbeit zweier Forscher über 30 Jahre hinweg steckt, 1639 (was besonders betont wird: OPUS XXX ANNORUM steht auf dem Frontispiz) .

Im Haus der Stadtgeschichte Kamen gibt es eine Ausgabe des „Lexicon chaldaicum, talmudicum et rabbinicum“, Sumptibis & typis Ludovici König, Basileæ; M DC XXXX.

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Die Kamener Ausgabe des „Lexicon Chaldaicum, Talmudicum et Rabbinicum,
Frontispiz und zwei Seiten
 Juden hatten es in Europa schwer, seit Papst Innozenz III 1215 von Thomas von Aquin die Lehre der „Erbschuld der Juden“ übernahm. Damit waren diese praktisch rechtlos, konnten sich nur durch hohe Bargeldzahlungen private Sicherheit erkaufen, als „Schutzjuden“. Solch ein Fall ist für Kamen für 1348 belegt, das Jahr, in dem in ganz Europa die ersten großen Judenpogrome wüteten, weil man sie am Ausbruch der Pest für schuldig hielt. Graf Engelbert III von der Mark stellte einem Juden Samuel einen Schutzbrief nach Unna aus, auf 7 Jahre befristet, gegen 8 Schillinge pro Jahr. Angesichts solcher Umstände waren solide Kenntnisse über das Judentum praktisch nicht vorhanden.

Hinzu kommt die Zeit, das 16. Jh., 80 Jahre nach der Reformation, 20 Jahre vor Beginn der Europa verheerenden Religionskriege. Überall wurde um den „rechten Glauben“ gerungen. Der einzelne durfte sich diesen aber nicht selber aussuchen, da war das „cuius regio, eius religio“ (in wessen Land ich wohne, dessen Glaube nehme ich an) des Augsburger Religionsfriedens von 1555 schon ein großer Fortschritt.

Als JB I sich für seine „Juden-Schul“ mit dem Judentum, seinen Schriften und deren Exegese sowie den Sitten und Gebräuchen im täglichen Leben beschäftigte, betrat er absolutes Neuland. Seine Haltung war die des Wissenschaftlers und Theologen. Und entsprechend war nicht Völkerverständigung sein Ziel, sondern die Widerlegung des jüdischen Glaubens und die Bekehrung der Juden zum Christentum. Seine Wißbegier jedoch trieb ihn dazu, engen Kontakt zu Juden zu suchen. Einmal lud er Juden zu sich nach Hause ein, nahm an einem Beschneidungsfest teil, was ihn ein Jahresgehalt an Strafe kostete. Das nahm jemand in Kauf, der immer auch an seine Finanzen dachte! Aber daß auf eine solche Handlung in einer europäischen Stadt wie Basel eine solch drakonische Strafe stand, zeigt deutlich auf, welche Stellung die Juden damals hatten.

Und JB I formuliert seine Ziele und Absicht denn auch ganz deutlich im Titel seiner „Juden-Schul“: „Darinnen der gantz Jüdische Glaub vnd Glaubens-Übung mit allen Ceremonien / Satzungen / Sitten vnd Gebräuchen / wie sie bey jhnen offentlich vnd heimlich im Brauche: Auß ihren eygenen Bücheren vnd Schrifften / so den Christen mehrteils vnbekandt / vnd verborgen seynd / grundlich erkläret: Item ein Außführlicher Bericht von jhrem zukünfftigen Messia: Sampt einer Disputation eines Juden wider einen Christen: darinnen der Christlich Glaub beschirmet / vnd der Jüdisch Vnglaube widerleget vnd zu Boden gestürtzet wird.“  Allerdings geht hieraus auch klar hervor, daß für JB I das Judentum nicht auf der Bibel, sondern auf dem Talmud beruht, womit die Parallele zum Verhältnis zwischen Schrift und Tradition im römischen Katholizismus gegeben ist. Vor allem aber war er an allem Jüdischen selbst interessiert: der schriftlichen Grundlage und den Auswirkungen im täglichen Leben.

 

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Buxtorf I, Johannes, aus Kamen in Westfalen begründete eine Gelehrten-Dynastie, wie es sie vielleicht kein zweites Mal gegeben hat, Hebraist in Basel, Dekan und Rektor der Universität;

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Buxtorf II, Johannes, sein Sohn, kam schon mit vier Jahren auf die öffentliche Schule, mit 13 auf die Universität, wurde mit 16 zum Magister promoviert, der Nachfolger seines Vaters als Hebraist auf dem Lehrstuhl, erhielt eine theologische Professur, die extra für ihn geschaffen wurde. JB II beschäftigte sich mit Schriften spanischer Juden und übersetzte als erster ein Werk von Judah Ha-Levi unter dem Titel „Liber Cosri“. Darin wird über den Volksstamm der Khasaren berichtet und in diesem Zusammenhang über einen Religionsdisput, der die Ringparabel zum Thema hat. Damit erscheint es möglich, daß Gotthold Ephraim Lessing über sein Studium des Moses Mendelssohn auf Buxtorfs Übersetzung aufmerksam wurde und JB II auf diese Weise die Inspiration zu seinem dramatischen Gedicht „Nathan der Weise“ mit der berühmten Ringparabel wurde. (Anm. d. Verf.: Der Besitz des Rings macht den Erben der wahren Religion kenntlich, doch läßt ein Vater, der keinen seiner drei Söhne enterben will, zwei Ringe nachmachen, so daß jeder einen Ring erhält, und der echte nicht mehr zu erkennen ist. Nun liegt es an jedem einzelnen, seinen Ring zu dem echten zu machen. So wird die prinzipielle Gleichwertigkeit der drei großen monotheistischen Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam deutlich.)

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 Buxtorf III, Johannes Jacob, Sohn des JB II, erregte als Achtjähriger für seine Kenntnis des Hebräischen die Bewunderung der Gelehrten, kam mit 14 auf die Universität, vertrat seinen Vater in der Professur der hebräischen Sprache mit 19 Jahren, wurde sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl;

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Buxtorf IV, Johannes, Neffe des JB III, hat bis 1732 als Professor in Basel gewirkt.

142 Jahre lang hatte diese eine Familie den Lehrstuhl für Hebraisik in Basel inne. Und noch bis 1969 gab es einen Professor Dr. Buxtorf für Geologie an der dortigen Universität.

Der Wissenschaftler JB I war ein gläubiger Christ. Hier der Bericht über die letzten Tage in seinem Leben: „Im Jahre 1629 wütete in Basel die Pest. Am 7. September des Jahres zeigten sich bei Buxtorf die ersten Anzeichen der Erkrankung, die am folgenden Tage zum Ausbruch kam. Als ihn, der unbeirrt an dem Manuskript weiterarbeitete, das sein Sohn später fertiggestellt hat, dieser über sein Befinden befragte, gab er ruhig zur Antwort: «Mir geht es gleich, ob ich abgerufen werde oder leben bleibe. Ich habe lange genug gelebt. Wenn Gott will, daß ich ihm länger diene, will ich es gern tun, um der Kirche und der Wissenschaft zu nützen.Sonst aber, aus irdischen Gründen, begehre ich auch nicht einen Moment länger zu leben. Wenn Gott will, geschehe sein Wille.» Wie der Antistes (Anm. d. Verf.: in der Schweiz reformierter Oberpfarrer) Johann Wolleb in der Leichenrede bezeugt, war «all sein tun während der Krankheit darin gerichtet, daß er Gott für seine Heimsuchung gedankt und sich in seinen heiligen Willen ergeben, mit Vermelden, er wolle nicht tun, wie die, welche vom Herrn fliehen, sondern er wolle zu ihm fliehen.»

Am 9. September 1629 stand Johannes Buxtorf um drei Uhr früh auf, um in der Konkordanz (Anm. d. Verf.: d.i. eine alphabetische Zusammenstellung von Wörtern und, in diesem Falle, Untersuchung des Inhalts der, hebräischen, Bibel mit ihren Übersetzungen auf Übereinstimmungen und Unterschiede) die Stellen mit dem Namen Adonay (Anm. d. Verf.: Anrede Gottes im AT), die bisher noch fehlten, abzuschließen. Sein Freund Tossanus sagte später in seiner Gedenkrede: „So hat er seine Lebensarbeit, die er im Namen Gottes begonnen, dem er sein ganzes Leben gedient, buchstäblich mit dem Namen Gottes geschlossen.“

Am 13. September 1629, nachmittags gegen zwei Uhr, starb Johannes Buxtorf aus Camen in Westfalen bei vollem Bewußtsein. Seine letzte Ruhestätte fand er im Kreuzgang des Basler Münsters. Dort hängt eine Tafel: „Johanni Buxtorfio, Cameni Westfalo, linguae sanctae in Basileo Athenaeo professori“ (Johannes Buxtorf aus Camen in Westfalen gewidmet, dem Professor der heiligen Sprache an der Universität Basel).

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Epitaph für Johannes Buxtorf aus Camen im Kreuzgang des Basler Münsters,

den Begründer der Gelehrtendynastie auf dem Lehrstuhl für Hebraistik an der Universität Basel

KH

 

Ich verdanke die Kenntnis obiger Angaben folgenden Schriften (Dank an J. Dupke vom Stadtarchiv Kamen, der sie mir zusammenstellte):

E. Kautzsch, Johannes Buxtorf der Ältere, Rectoratsrede gehalten am 4. November 1879 in der Aula des Museums zu Basel, Basel 1879

St. G. Burnett, Johannes Buxtorf Westphalus und die Erforschung des Judentums in der Neuzeit, Vortrag gehalten am 11. Juli 2001 in der Sparkasse Kamen

J. Herrmann, Johannes Buxtorf aus Kamen, Vortrag zur Siebenhundertjahr-Feier  der Stadt Kamen, gehalten am 27. Juli 1948

Besonderen Dank schulde ich Herrn Dr. Christoph Buxtorf, Basel, der  bereitwillig meine Fragen beantwortete und mir zusätzliches Material zusandte:

R. Smend, Vier Epitaphe – die Basler Hebraisten-Familie Buxtorf, Berlin/New York 2010

Das Familienverzeichnis der heutigen Buxtorfs, „Who is Who“, dem ich entnehmen konnte, wie sich die Eminenz des ersten Buxtorfs durch die Jahrhunderte erhielt, aber diversifizierte. Unter den nachfolgenden Generationen gab es viele weitere Professoren, Ratsherren, Oberstzunftmeister, einen Basler Bürgermeister, Landvögte, Stadtmedici und führende Industrielle (ein Buxtorf ist Mitbegründer der chemischen und pharmazeutischen Industrie Basels).

Die Rechtschreibung in den Zitaten folgt den jeweiligen Quellen, wird an einigen Stellen aber geglättet.

Abbildungen: Stadtarchiv Kamen, Andi Hindemann, Dr. Christoph Buxtorf, Wikipedia, Klaus Holzer

 KH

Das 8. Zeitzeichen – „Kopfbuchen”

Borys Sarad

Photo: Borys Sarad

von Klaus Holzer

8. Zeitzeichen des KKK

Am Donnerstag, 13. November 2014, fand im Haus der Stadtgeschichte in Kamen das 8. Zeitzeichen des Kulturkreises Kamen statt. Heribert Reif, bis Januar 2014 Leiter des Botanischen Gartens Rombergpark in Dortmund sprach über „Kopfbuchen – zum Geschichtsverständnis früherer Waldnutzung“. Mit tiefer Kenntnis und voller Begeisterung referierte Heribert reich über Holz– und Waldnutzung während der letzten anderthalb Jahrtausende. Und er wußte Erstaunliches zu berichten.

Wer von seinen Zuhörern wußte schon, daß

… bereits Karl der Große eine erste Waldschutzsatzung erließ, weil er die Bedeutung von Holz zum Bauen, Heizen, Kochen und für den Waffenbau erkannt hatte?

… sich anhand der Bepflanzung vom Gardasee übers Piedmont bis in die Toskana deutsche Siedlungsspuren nachweisen lassen? (Die germanischen Fürsten hatten, als sie zur Völkerwanderungszeit nach Italien zogen, in ihrem Troß eben auch Bauern und Handwerker dabei, die im fremden Land genau das taten, was sie von zu Hause kannten?)

… die mangels Geschichtskenntnissen heute oft banal Monsterbäume oder –wälder genannten Anpflanzungen das Ergebnis bäuerlicher und forstwirtschaftlicher kultureller Leistung sind? (Ausgewachsene Buchen zu fällen, war früher viel mehr als heute härteste Knochenarbeit, gab es doch keine Motorsäge. Daher war es sehr wirtschaftlich, die Bäume in ca. zwei oder zweieinhalb Metern Höhe zu schneiden und statt der dicken Stämme die dann von hier aus gewachsenen jungen Äste zu ernten, sobald sie die richtige Dicke hatten. Das Sägen wurde leichter, und das Spalten entfiel. Und unter der Höhe von zwei Metern ging das nicht, weil das frei weidende Vieh sonst die frischen Triebe abgefressen hätte. Für die Tiere blieben aber die seitlich aus der Wurzel wachsenden Triebe als Futter. Baumäste sind übrigens vorteilhaft für die Gesundheit der Tiere.)

… die Linde der Baum der Franken war, der regelmäßig alle 10 – 15 Jahre in Form geschnitten wurde, wovon es noch heute Beispiele am Niederrhein und im Oberbergischen gibt?

…die Eiche ursprünglich vor allem nördlich der Lippe (seit vielen Jahrhunderten eine geographische, ethnische, politische und religiöse Grenze) und in Ostwestfalen und im Lippischen angepflanzt wurde, also im Gebiet der Sachsen, und nicht beschnitten wurde, sondern frei wuchs? (Karl zwangschristianisierte die Sachsen bekanntlich vor 800 und eroberte dabei ihr Land, was dann für die weitere Verbreitung des „sächsischen“ Baumes sorgte.)

… Bäume, wenn sie regelmäßig beschnitten und somit zu neuem Austrieb animiert werden, viel älter werden als ihre unbeschnittenen Nachbarn?

… kein Baum älter als ca. 800 Jahre wird, auch wenn immer wieder von „tausendjährigen“ Eichen usw. die Rede ist? (Die 1000 Jahre sind leicht zu erklären, wenn man die Erinnerungsspanne des Menschen zugrundelegt: drei, höchstens vier Generationen, deutlich unter 100 Jahren. Diese „tausendjährigen“ Bäume bleiben immer tausendjährig.)

… die Linde der Baum der Frau ist, in matriarchalischen Gesellschaften dominierte? Der Baum Marias, weil ihre Blattform an ein Herz erinnert? Der Gerichtsbaum wurde, weil auch Justitia eine Frau ist?

… die Eiche der männliche Baum ist, in patriarchalischen Gesellschaften vorherrschte?

… in Ostwestfalen/Lippe die Linde in manchen Gegenden in ca. zwei Metern Höhe beschnitten wurde, damit man die neuen Triebe so biegen und wachsen lassen konnte, daß darauf ein Gerichtsraum eingerichtet werden konnte? (Die Seitentriebe wurden miteinander verflochten, so daß ein Baumhaus entstand.)

Vieles mehr wußte Heribert reif zu berichten, immer hoch interessant, fesselnd erzählt, das meiste neu, wenngleich mancher ihm nicht immer folgen mochte, so z.B. bei den Ausführungen des Referenten zu den Gründen für die Reformation. Da bleibt so mancher wohl doch eher bei der orthodoxen Deutung.

Über eineinhalb Stunden dauerte der Vortrag, doch niemand ging vorzeitig. Heribert Reif hatte seine Zuhörer in seinen Bann gezogen.

KH