Schleppweg

von Klaus Holzer                                                             

Straßennamen verändern sich immer wieder im Laufe der Zeit. Der Schleppweg z. B. hat eine ganz eigene Geschichte.

Der eigentliche Schleppweg ist die jetzige Südkamener Straße zwischen der Unnaer Straße und der Dortmunder Allee. In den 1920er Jahren wurde „ unter dem Schleppwege“ eine Zechensiedlung gebaut. Aus den parallel untereinander laufenden Straßen wurde dann der Obere und der Untere Schleppweg. Nach der Anlage des neuen Friedhofs in Südkamen wurde aus dem Oberen Schleppweg die Südkamener Straße. Das „Untere“ wurde gestrichen, es gab ja nur noch einen Schleppweg.    

Der Name kommt ursprünglich von Schliepweg. Die Schliepe (von schleifen, ziehen) ist ein einfaches Holzgestell, das aus zwei gleich langen Stangen besteht, die durch Querstangen verbunden sind. Darauf nagelt man ein paar Bretter, dann läßt sich diese Konstruktion einfach ziehen. Mist aus dem Stall oder andere Dinge, mit denen man für kurze Wege die Radkarre nicht benutzen oder, besser gesagt, beschmutzen wollte, kamen auf die Schliepe. 

Was hat das nun mit dem Schleppweg zu tun? Ein Stück oberhalb des Schleppweges, am jetzigen Südweg, stand ein gegen Dortmund gerichteter Galgen, eine deutliche Warnung an Fremde, Gauner und Mörder. 

Kam es wirklich einmal zu einem Todesurteil, ließ man sich das Schauspiel der Hinrichtung möglichst nicht entgehen. Das war sozusagen Gratisunterhaltung, man empfand wohlige Schauer, war man selber doch sicher. Die Bürger zogen mit Kind und Kegel und Proviant zum Richtplatz und machten sich „einen schönen Tag”. Die durch den Strick Erwürgten blieben zur Abschreckung dort hängen, und weil die Raben  sich an den menschlichen Kadavern gütlich taten, wurde der Richtplatz auch oft Rabenstein genannt. Die Bauern, die ihre Felder dort hatten, fanden solche Veranstaltungen weniger gut, zertrampelten die Zuschauer doch ihre Äcker.

Was von dem armen Menschen, der dort hing, nach einigen Wochen übrig war, mußte nun unter die Erde. Und hierbei kam die Schliepe zum Einsatz. Nur die Ärmsten der Armen waren zu diesem Dienst als Nachrichter, d.h., Helfer der Henker, bereit. Einen eigenen Wagen oder eine Karre hatten sie nicht, auch hätte ihnen niemand eine geliehen. Statt der Querbretter spannte man ein altes Tuch zwischen die Stangen, in das später die Leiche eingewickelt wurde.

Doch wohin damit? Auf den Kirchhof konnte sie nicht, ein gehenkter Verbrecher bekam kein christliches Begräbnis, er „kam ja auch nicht in den Himmel“. Es ist nicht immer ganz klar, wo eine solche Leiche verscharrt wurde. In Kamen gibt es leider keine Quelle, die uns Heutigen hierüber Auskunft geben könnte. Doch gab es offenbar unterschiedliche Verfahrensweisen. Am weitesten verbreitetet war das Verscharren auf dem Schindanger, dem „Anger1, an dem das gefallene Vieh geschunden wurde“ (Grimmsches Wörterbuch).

Mancherorts wurden sie wohl auch auf dem Armenfriedhof verscharrt. Dieser lag meistens vor der Mauer und war für Fremde bestimmt, die kein Geld für die Stolgebühren2 hatten, für Ungetaufte und ausgestoßene Menschen.  

Jede Schicht3 hatte, um Seuchen zu vermeiden, einen von der Stadt zugewiesenen Ort, wo Tierkadaver oder Schlachtreste entsorgt werden mußten. In Kamen lag einer dieser sogenannten Filleplätze, der für die Mühlenschicht, auf dem Gebiet mit der Flurbezeichnung Steinacker, ein Stück unterhalb des Schliepweges. Vielleicht wurden die armen Sünder in Kamen  auch dort verscharrt, wer weiß? 

Gleich nebenan liegen der „Steinacker” und der „Malter”. Der erste Name erklärt sich selbst: steiniger, d.h., schwer zu bearbeitender, wenig ertragreicher Acker. Und der zweite Name bestätigt, daß es sich hier um ehemals landwirtschaftliches Gelände handelt. Das Wort leitet sich aus einem Hohlmaß für Getreide her, das je nach Region zwischen 100 und 700 Litern betragen konnte. Die ursprüngliche Bedeutung war „die auf einmal gemahlene Getreidemenge”.

KH, unter Verwendung eines Artikels von Edith Sujatta

1 Schon in germanischer Zeit ein Stück Grasland vor oder nahe einer Siedlung, das allen gemeinsam gehörte. Dort gab es gemeinschaftliche Feste, Backen oder Schlachten. Der Schindanger hieß in Kamen Filleplatz und diente dem Abdecker zur Beseitigung von Tierkadavern, was aus hygienischen, d.h., gesundheitlichen Gründen enorm wichtig war.

2 Vor der Einführung der Kirchensteuer 1919 die Gebühren, die der Priester für alle Tätigkeiten nahm, zu denen er die Stola umlegen mußte, das waren die sog. Kasualien wie Taufe, kirchliche Trauung und kirchliche Begräbnisfeier. Ausgenommen von der Stolgebühr waren immer: Kommunion bzw. Abendmahl, Beichte, Kranken- und letzte Ölung. Mancherorts gibt es noch heute Stolgebühren.

3 Kamen war früher in Schichten eingeteilt, Nachbarschaften, die jeweils einem Stadttor zugeordnet waren, für das sie verantwortlich waren. Es gab eine Fülle von öffentlichen und sozialen Pflichten innerhalb solcher Nachbarschaften.