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Das 14. Zeitzeichen des KKK

von Klaus Holzer

So voll war es noch bei keinem der vorangegangenen Zeitzeichen  des KKK. Alle Stühle des Museumssaales waren besetzt, nicht wenige Besucher standen, und dennoch mußten mehrere Dutzend wegen Platzmangels wieder gehen. Offenbar traf das Thema „50 Jahre Neue Stadt Kamen – 50 Photos alte Stadt Kamen“ einen Nerv. Zum ersten Mal ging es bei einer solchen Veranstaltung nicht um die mittelalterliche Kamener Geschichte, sondern um die Zeit seit dem Krieg, also um eine Zeit, die viele Besucher, bestimmt die älteren unter ihnen, aus eigener Anschauung kannten, die allmähliche Veränderung einer Stadt, die uns während der Abriß– und Bauphase lästig ist, die wir aber, sobald wir uns an das Neue gewöhnt haben, bald vergessen.


Abb. 1: Im Haus der Kamener Stadtgeschichte, 19. April 2018 (Photo: Christoph Volkmer für KamenWeb.de)

Eingebettet war der Abend in die Reihe der städtischen Veranstaltungen zur 50-Jahrfeier „Neue Stadt Kamen“, daher stellte der Referent des Abends, KKK-Sprecher Klaus Holzer, einen kurzen historischen Rückblick auf die kommunale Neuordnung vor 50 Jahren voran.

Eine der treibenden Kräfte hinter der kommunalen  Neuordnung in NRW, wenn nicht einer der Gründerväter der Idee, war der damalige Landrat des Kreises Unna, Hubert Biernat. Er hatte frühzeitig klar erkannt, daß die erste Kohlekrise Ende der 1950er Jahre nur Symptom einer tiefer gehenden Krise der heimischen Region war. Ihre wirtschaftlichen Strukturen würden auf Dauer nicht ausreichen, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen der zukünftigen Entwicklung zu bewältigen. Die klassische Industrie des Landes NRW, Kohle und Stahl, sei eine sterbende Industrie. Man dürfe aber die Wirtschaft nicht allein der Wirtschaft, d.h., den freien Kräften des Marktes, überlassen, da müsse die Politik die Initiative ergreifen und die richtigen Weichen stellen.

Um also innerhalb des gerade einmal 20 Jahre alten Bindestrichlandes NRW wirtschaftlich starke, gesunde, wachstumsfähige Regionen zu schaffen, die, so war gewünscht, sich auch in ihrer wirtschaftlichen Stärke aufeinanderzuentwickeln würden, setzte er sich stark für die kommunale Neuordnung ein.

Der Zusammenschluß der bis dahin selbständigen Gemeinden Methler, Heeren-Werve, Südkamen, Rottum und Derne kam durch das „Gesetz  zur Neuordnung des Kreises Unna“ mit Gültigkeit zum 1. Januar 1968 zustande. Lerche, das sich jahrhundertelang nach Kamen hin orientiert hatte, wurde allerdings gegen seinen Willen Hamm zugeschlagen.

Es fiel den Gemeinden, vor allem ihren Bürgermeistern und Ratsvertretern schwer, ihre Unabhängigkeit aufzugeben. Setzen wir stattdessen Souveränität ein, dann erleben wir wieder die gleiche Sache: heute wollen viele Menschen die staatliche Souveränität nicht auf Brüssel übertragen. Vielleicht erklärt sich u.a. daraus die Renaissance des Begriffs Heimat. Vielleicht beschleicht den einen oder anderen ein heimeliges Gefühl, wenn er Photos seiner alten Heimatstadt sieht.

In diesen 50 Jahren hat sich Kamen, heute muß man wohl sagen: „Kamen-Mitte“, stark verändert, begriff es sich doch selber gleich nach der Vergrößerung als „die schnelle Stadt“, öffnete sich dem Neuen in der Architektur, dem Auto im städtischen Raum. Als Wendepunkt erweist sich das Jahrzehnt von 1965 bis 1975, das Wirtschaftswunder wirkte sich in Kamen aus. Das Fahrrad kam aus der Mode, wer Fahrrad fuhr, war arm, man konnte sich ein Auto leisten.

Ausgehend von einem Luftphoto von 1958, das Kamen noch fast unverändert in seinen Grenzen als kleines Landstädtchen zeigt, führte der Referent Entwicklungslinien Kamens zur heutigen Form auf. Nachdem die Kriegsschäden in der Innenstadt beseitigt waren, ging es ernsthaft an die Modernisierung der Stadt, der so viel Altes zum Opfer fiel, daß es stellenweise nur als Kahlschlag bezeichnet werden kann: Nordstraße, Nordenmauer, Teile der Kirchstraße. Und künstlerisch durchaus anspruchsvolle Denkmale (das Sedandenkmal, das Löwendenkmal, das Denkmal im Eingang des alten Rathauses) fallen der Modernisierungswut zum Opfer. Kamen wollte mit aller Macht die „Schnelle Stadt“ werden. Daher lautete auch ein zentrales Argument für den Abriß des Sedandenkmals auf dem Markt, daß es ein „Verkehrshindernis“ darstelle.

Abb. 2: Das Sedandenkmal von 1872, abgerissen nach einem Ratsbeschluß vom 8.11.1956

Und als ein Haus von 1737 in der Kirchstraße einem gesichtslosen Neubau weichen mußte, titelte der HA: „Neue Zeit verlangt ihr Recht.“ Und das wunderschöne Fachwerkhaus des Bäckers von der Heyde, Markt 23, mit einer großen Brezel auf der Front dekoriert, wurde für den Durchstich vom Markt zur 1974 eröffneten Fußgängerzone und zum Neumarkt (seit 1993 Willy-Brandt-Platz) abgerissen. Kuriosum am Rande: bis sie Fußgängerzone wurde, war di8e Weststraße für Auto frei befahrbar, Motor– und Fahrräder durften jedoch nicht durchfahren!

Abb. 3: Das Haus Kirchstraße 4, das für einen gesichtslosen Neubau abgerissen wurde

Brutale Waschbetonarchitektur entsprach dem Geschmack der 1970er Jahre, selbst Blumen, glaubte man, kämen in solchen Betonkästen besser zur Geltung.

Abb. 4: Mode der 1970er Jahre: alles in und aus Beton

Im Bereich der Burgstraße gab es einen großen Garten, den Koepeschen Garten, Eigentum einer einstmals bekannten, wohlhabenden Kamener Familie: heute ein Parkplatz. Der Kappenberger Hof an der Ecke Weststraße/Dunkle Straße abgerissen: heute ein Parkplatz. Der Markt, früher (und Gottseidank heute wieder) ein zentraler Platz für die Bürger der Stadt, wurde: ein Parkplatz.

Abb. 5: Der Marktplatz, die gute Stube der Stadt, ein Parkplatz: Vorfahrt fürs Auto

Die vielen abgerissenen Fachwerkhäuser, ansehnlich und wohlproportioniert, wichen in der Regel gesichts– und charakterlosen „modernen“ Häusern, oft durch Beton „verschönert“.

Eines fällt generell auf: gleichgültig, welche Straße auf einem Photo der 50/60er Jahre abgebildet ist, immer zählt das Auge 3,4 oder gar 5 Kneipen auf ganz kurzer Strecke. Und alle Dortmunder Brauereien waren vertreten, und das waren damals 9. Kamen hatte damals einen Ruf zu verteidigen, der schon auf das Jahr 1722 zurückgeht, und das tat es bravourös.

Die Bahnhofstraße war bis in die 1970er Jahre noch in beiden Richtungen befahrbar. Begegnungsverkehr zweier Busse führte zum Verkehrskollaps. Die Maibrücke trug noch bis ins neue Jahrtausend die volle Verkehrslast.

Und nicht wenige Besucher das Abends, die jüngeren zumeist, staunten nicht schlecht, als sie erfuhren, daß Kamen bis in die 1970er Jahre eine eigene Molkerei hatte, und erst 1987 der städtische Schlachthof ab gerissen wurde. Daß die Glückaufschranke werktäglich wegen des dichten Zugverkehrs über 11 Stunden, selbst an Sonntagen noch über 8 Stunden geschlossen war, ist für den heutigen Benutzer der Hochstraße nicht mehr vorstellbar.

Abb. 6: Der Postteich in den 1960er Jahren

Seit den 1920er Jahren verfügte Kamen über zwei große Teiche, den Koppel– und den Postteich. Beide waren im Zuge der Kanalisierungsarbeiten der Seseke entstanden, sie wurden .a. für Ausgleichsmaßnahmen bzgl. der Höhe des Wasserspiegels gebraucht. Im Sommer waren sie idyllische Orte zur Naherholung, im Winter willkommenes Gelände zum Schlittschuhlaufen. Ihre Funktion zur Regulierung der Wasserhöhe konnten die beiden Teiche indes nicht recht erfüllen. In der zweiten Dezemberwoche 1960 überflutete dieses Flüßchen die ganze Stadt und setzte sogar Schulen unter Wasser.

Zum Schluß zeigte der Referent Photos verfallender oder schon verfallener Häuser in Kamens Altstadt und solche, deren Abriß die Zeitungen schon ankündigten und stellte die nicht ganz unberechtigte Frage: Wie lange können wir Kamener noch von einer Kamener Altstadt sprechen?

Wegen des unerwartet großen Zuspruchs wird diese Veranstaltung am Donnerstag, 14. Juni, 19.30 wiederholt. Ort der Veranstaltung ist wieder der Saal des Kamener Hauses der Stadtgeschichte, Bahnhofstraße 21.

KH

Abb.: Archiv Klaus Holzer

Siegeroth

von Klaus Holzer

Südlich der Südkamener Straße, zwischen der Bückeburger Straße und Schulze Berge, heißen viele Straße nach Philosophen: Schopenhauer, Schelling, Feuerbach, Hegel, Fichte, Nietzsche. Doch stößt der Spaziergänger dort auch auf „Lütge Heide“, „Auf den Kämpen“, „Siegeroth“. Und die südlich davon heißt „Auf der Heide“. Wie paßt das zusammen?

In den Randgebieten kleiner Städte wie auch in Dörfern dienten oft alte Flurnamen der Orientierung. Solche Namen waren Gebrauchsnamen, die nur lokal bekannt waren und Sinn ergaben. So erwähnt der Kamener Konrektor Craemer 1929 in der „Zechenzeitung der Schachtanlagen Grillo und Grimberg“ ein „Ziegenröttchen“ bzw. „Siggenröttchen“. Ein „roth/rodt oder röttchen“ (es gibt viele verschiedene Schreibweisen) ist ein Stück gerodetes Land. Alle Rodungsnamen sind sehr alt, da sie auf die Zeit zurückgehen, als man in ganz Europa in großem Stile daranging, bewaldetes Land für die Landwirtschaft nutzbar zu machen, also nach der Zeit der Völkerwanderung, etwa ab dem 7. Jh. AD.

Zusammen mit dem ersten Bestandteil (Ziegen, Siggen) ergibt sich somit die wahrscheinliche Bedeutung: „gerodetes Land, auf dem Ziegen weideten“. Die ehemalige Südkamener Ortsheimatpflegerin Ursula Schulze Berge bestätigt diesen Gebrauch: „So haben mein Mann und ich immer darüber gesprochen.“ Die anderen Namen belegen diese Bedeutung. „Lütge Heide“ und „Auf der Heide“ sind Indizien für die Richtigkeit der Annahme, da eine „Heide“ immer ein sehr karges Stück Land ist und nur Ziegen selbst dort noch etwas zu fressen finden.

Und „Auf den Kämpen“ ist eine nahe Verwandte, umfaßt aber im Gegensatz zu den „Heiden“ fruchtbares Land. Das so urwestfälisch erscheinende Wort stammt aus dem Lateinischen, wo „campus“ so viel wie „freie, unbebaute, offene Fläche” bedeutete. Als es im 9. Jh. erstmals in Westfalen auftauchte, hatte es schon einen Bedeutungswandel hinter sich und bezeichnete jede Art von bewirtschaftetem Feld bzw. Ackerland, wie aus frühen Rechtsbüchern hervorgeht, und war „umzäuntes Siedlungsgelände, Viehpferch und umzäunter Acker“. Wahrscheinlich mußte solch ein Stück Land vor den nebenan grasenden Ziegen geschützt werden.

Hier haben sich alte Flurbezeichnungen unter Philosophen gehalten. Wie schön.

Klaus Holzer

Lit.: Gisbert Strootdrees, Im Anfang war die Woort, Flurnamen in Westfalen, Bielefeld 2017

Kamens Hochstraße ist 40 geworden

von Klaus Holzer

Abb. 1: Die Hochstraße, Blick nach Norden

Gerade erst gab es in Kamen ein Jubiläum zu feiern, doch keiner hat es gemerkt. Und dabei betraf es eine Sache, die seit 40 Jahren immer noch viele Gemüter erregt. Am 16. Dezember 1977 wurde die Hochstraße offiziell dem Verkehr übergeben, am nächsten Tag in der Kamener Lokalpresse als „Jahrhundertwerk“ gefeiert. Die Übergabe geschah im Rahmen eines großen Volksfests mit Kirmes, das 2.500 Leute auf der neuen Straße feierten, aus Freude darüber, daß das größte Ärgernis in Kamen ein für allemal beseitigt war, die Glückaufschranke, die die Kreuzung der B 233 mit der Köln-

Abb. 2: Die Glückauf-Schranke

Mindener Linie der Deutschen Bundesbahn für etwa 11 Stunden an Werktagen und für 6½ Stunden an Sonntagen versperrte. Dann staute sich der Verkehr kilometerweit in beiden Richtungen. Das bedeutete ärgerliches Warten für alle am Verkehr Beteiligten, und Lärm und Gestank für alle Anwohner. Die Fahrpläne der VKU waren großenteils Makulatur, obendrein verursachten die Wartezeiten und der damit verbundene Schleichverkehr hohe zusätzliche Kosten. Betriebsleiter Werner König schätzte den zusätzlichen Dieselverbrauch auf 25.000 Liter und 20.000 DM pro Jahr, und das, obwohl die Fahrer die Motoren abstellten, so oft es möglich war.

Abb. 3: Verkehrschaos bei geschlossener Schranke

Ein solches Unternehmen war damals und ist heute ein schwieriges Unterfangen. In diesem Brei rührten viele Köche: die Stadt Kamen, der Kreis Unna, das Bundesverkehrsministerium, das Wirtschaftsministerium NRW, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, die Deutsche Bundesbahn (wie sie damals noch hieß), vertreten durch die Bahndirektion Essen, die Straßenbauverwaltung NRW und das Landesstraßenamt Hagen.

Die Planungen für die Hochstraße begannen im Jahre 1962, als das beginnende Wirtschaftswunder den Verkehr rasant anschwellen ließ, auf der Straße wie auf der Schiene. Von Anfang an standen zwei Varianten zur Diskussion, eine Unterführung und eine Überführung, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe zunächst ablehnte und durch seinen Vorschlag einer ganz neuen Trasse östlich der B 233 bereicherte. Sie sollte direkten Anschluß an die Werner Straße im Osten der Stadt bekommen. Doch konnte er sich damit nicht durchsetzen. Ende 1962 entschied das Landesstraßenbauamt, daß die zu bauende Hochstraße direkt in den Westring münden sollte, weil die Koppelstraße für einen vierspurigen Ausbau zu schmal sei.

Im Sommer 1963 war der Entwurf fertiggestellt, doch wurde dann noch einmal eine Kostengegenüberstellung Hochstraße – Tiefstraße in Auftrag gegeben. Diese ergab

DM 19.591.000,- für die Tiefstraße, DM 18.832.000,- für die Hochstraße. Das führte im Sommer 1965 endgültig zur Festlegung auf die Hochstraße.

Dann jedoch stellte man in Kamen fest, daß der vorliegende Entwurf das städtische Leben, die Erreichbarkeit von Ortsteilen erheblich erschweren würde, weil man für die neue Straße einen langen Damm würde aufschütten müssen. Im Sommer 1966 wurde deshalb eine neue Variante entwickelt, die „eine größere Durchlässigkeit der neuen Straße gewährleistet“. So kam es dann im November 1967 zur endgültigen Entscheidung für die Hochstraße in ihrer heutigen Form, ein großer Teil der 1,95 km langen Strecke als Brücke aufgeständert. „Die Mehrkosten von DM 10,5 Mill. […] erscheinen […] angemessen und vertretbar.“

Abb. 4: Brücke über die Bundesbahn; das Brückenfeld mußte in Hochlage eingebaut und dann abgesenkt  werden, damit der Bahnverkehr ungehindert weiterlaufen konnte

Nachdem dann alles bürokratisch Notwendige vom Planfeststellungsverfahren bis zum Finanzierungsplan erledigt war, erfolgte im Sommer 1973 der Planfeststellungsbeschluß. Ein Jahr später wurde die Vereinbarung über das Projekt Hochstraße zwischen allen Beteiligten unterzeichnet. Noch im selben Jahr fand der erste Spatenstich statt, und anders, als das bei Großprojekten heute oft der Fall ist, wurde die veranschlagte Bauzeit leicht unterschritten, der Kostenrahmen nicht überschritten und die Hochstraße nach 3½ Jahren Bauzeit am 16. Dezember 1977 offiziell dem Verkehr übergeben, der allerdings wegen letzter Aufräumarbeiten, darunter auch die Reste des Eröffnungsvolksfestes, erst ab Dienstag, 20. Dez. 1977 auf der neuen Straße rollen konnte.

Bei diesem Anlaß zeigten sich Bürgermeister Ketteler und Stadtdirektor Rethage besonders erfreut, daß der lange Kampf der Stadt Kamen, das Verkehrsnadelöhr zu beseitigen, endlich von Erfolg gekrönt war. Jetzt konnte Kamen seinen Slogan „KAMEN – die schnelle Stadt“ verwenden, ohne höhnische Kommentare der vor der geschlossenen Schranke Stehenden zu ernten. Die Kamener selbst hatten sowie eine einfache Erklärung für ihren Namen: „Du hast Glück, wenn sie auf ist.“

Aus einer zu diesem Anlaß von der Stadt Kamen und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe herausgegebenen kleinen Dokumentation geht hervor, wie stolz alle Beteiligten auf das Projekt waren. Immerhin sieben Grußworte sind ihr vorangestellt, und sie spiegeln den Geist der Zeit perfekt wider, denn nur eins davon erwähnt die Fußgänger – und auch der in nur einem Satz – für deren Sicherheit in absehbarer Zeit ein Tunnel gebaut werden sollte. Aber damals waren alle auf das Auto fixiert, jede Stadt wollte modern sein, d.h., autogerecht.

Abb. 5: Rampe Bahnhofstraße

In dieser Dokumentation werden neben der zügigen, termingerechten Erledigung der Arbeiten und der hervorragenden Zusammenarbeit aller Beteiligten besonders die Straßenbeleuchtung – von ihr versprach man sich Unfallfreiheit – und die sogenannte Immissionsschutzkappe hervorgehoben, von der man sich weitestgehenden Schutz der Anwohner vor Lärmbelästigung versprach. Seit ein paar Jahren ist diese Beleuchtung abgeschaltet, und seit 2017 gibt es eine Ampelanlage, die eine inzwischen aufgrund der veränderten Verkehrssituation erforderliche neue Verkehrsführung erlaubt.

Auch heute noch gibt es vereinzelt Stimmen, die die Hochstraße für eine Fehlleistung halten, weil sie die Stadt durchschneidet und in zwei Hälften teilt. Das stimmt natürlich auch, doch wenn man sich die Alternative vor Augen hält, wird deutlich, daß die gegenwärtige Lösung das bedeutend kleinere Übel ist. Wer wollte heute die B 233 mit ihren Tausenden von Motorrädern, Pkw, Bussen und Lkw in der Stadt haben? Lünener Straße und Westring kombiniert auf der Koppelstraße?

Es ist wohl richtig, daß sich nur Brückenbauingenieure vorbehaltlos für die Eleganz des Betonbauwerks begeistern können, doch für alle anderen gilt: freuen wir uns an ihrem 40. Geburtstag, daß es sie gibt. Sie bedeutet ein Stück Kamener Lebensqualität. Wenn auch erst auf den zweiten Blick.

Abb. 6: Zufahrt Bahnhof- und Koppelstraße

KH

Zitate und Abbildungen aus: Die neue Hochstrasse in Kamen, Hrsgg. von der Stadt Kamen in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Stadtarchiv Kamen

Hanenpatt

von Klaus Holzer, auf der Grundlage eines Artikels von Edith Sujatta

Der Hanenpatt ist eine Torstraße, wenn das Sträßchen heute auch gar nicht mehr danach aussieht. Von der Bahnhofstraße aus gesehen auf der linken Seite, hinter dem kleinen Fachwerkhaus, einem sogen. Gadum1, das zum Hof gehörte, stand bis etwa 1855 zum Schutze des Mühlen– oder Rennentores2 der Burgmannshof der Familie von Hane. Daher kommt der jetzige Straßenname. Der Hof  heißt nach mündlicher Überlieferung auch Elsey– oder Elysenhof.

Abb. 1: Blick aus dem Hanenpatt zur Pauluskirche, vor dem Krieg

 Es gab aber vorher schon andere Bezeichnungen für den Weg vom Hanenhof zum Wünnentor* an der „Langen Brücke“ (vgl. Artikel „Am Bollwerk“), z.B. Langebrüggen-Patt, oder Glampatt/Glampfad, Glarenpfad, Wilhelmstraße. „Glamme“ ist eine Nebenform von Klamm/Schlucht, das ist ein tiefer Geländeeinschnitt, in der Regel von einem Gewässer durchströmt, wie es im Gebirge häufig vorkommt.

Abb. 2: Blick von der Pauluskirche auf Hanenpatt und Klosterstraße, etwa 1946, noch mit Kriegsschäden

Hier war es ein schmaler, sehr tiefer Graben, der das von der Seseke drückende Grundwasser abfing und gleichzeitig ein Teil des Wassergrabens  war, der den Grafenhof und die Severinskirche (Pauluskirche) mit ihrem Kirchhof schützte. Der Weg gehörte bis zur Schließung des Tores zur Langebrüggen-Schicht2, später zur Mühlenschicht.

Abb. 3: Blick in den Hanenpatt, 5. Dez. 1960, Sesekehochwasser

In der Kaiserzeit wurde er, der patriotischen Stimmung gemäß, in Wilhelmstraße umbenannt.

Seid der Kommunalreform von 1968 gehört eine Heerener Siedlung mit männlichen Vornamen zu Kamen, in der es eine Wilhelmstraße gibt. Um Verwechslungen zu vermeiden, hat man sich in Kamen auf den historischen Namen  „Hanenpatt“ besonnen .

Abb. 4: Blick von der Kriegsbrache zwischen Hanenpatt und Klosterstraße auf die Pauluskirche, späte 1960er Jahre

 

Nachtrag:

Conrektor H. Cramer schreibt 1929 in einer Artikelserie in der Zechenzeitung: „Die jetzige Wilhelmstraße hieß früher im langen Pad oder im gladen ( = glatten) Pad. Ein tiefer Graben engte den Weg ein.“ Und zitiert aus dem Jahre 1713: „Die schemmen (schmale Bretter) in dem gladden Pfade wiedergemacht, weilen dieselben alle miteinander von dem großen Wasser losgetrieben worden.“  An dem Graben führte nur ein Fußweg entlang.

1 Ein Gadum (oft auch Gadem) ist ein Einraumgebäude, das von Dienstboten, alleinstehenden Personen oder Witwen mit Kindern bewohnt wurde.

2 ren(ne)bôm = Schlagbaum; Hinweis auf das dem Mühlentor vorgelagerte Homey (vgl. Artikel „Maibrücke)

3 Kamen war früher in Schichten eingeteilt, Nachbarschaften, die jeweils einem Stadttor zugeordnet waren, für das sie verantwortlich waren. Es gab eine Fülle von sozialen Pflichten innerhalb solcher Schichten.

KH

Abb. 1 – 4: Archiv Klaus Holzer

Westfälische Kulturkonferenz 2014 in Höxter

Westfälische Kulturkonferenz 2014

Am Freitag, 26. September 2014 fand in der Residenz Stadthalle Höxter die Westfälische Kulturkonferenz 2014 des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe statt. Eröffnet wurde sie von Matthias Löb, dem neuen LWL-Direktor, den Standpunkt der Landesregierung zu Kultur vertrat Ministerin Ute Schäfer, das Engagement des LWL für Kultur erläuterte Dr. Barbara Rüschhoff-Thale, LWL-Kulturdezernentin. Als einer von 387 Delegierten vertrat Klaus Holzer den Kultur Kreis Kamen.

Das Thema der Konferenz war: Wie kann es gelingen, die Bürger an der Kulturplanung und –durchführung zu beteiligen? Ist das überhaupt wünschenswert?

Die zweite Frage wurde eindeutig bejaht, von Ehrenamtlern, Politikern und dem LWL. Ohne eine gleichberechtigte Beteiligung von Bürgern an allen kulturellen Prozessen bleibt Kultur leblos, spielt sich nur in der Nische ab und wird kaum wahrgenommen, kann also auch keine große Wirkung entfalten, da sie eben nicht mehr einfach vorausgesetzt werden kann, wie das beim Bildungsbürgertum noch der Fall war, während heute neue Schichten für Kultur erschlossen werden müssen. Und „gleichberechtigt“ bezieht sich auf alle Institutionen, die sich mit Kultur befassen, also LWL, Politik und Verwaltung in Stadt und Kreis.

Mit der ersten beschäftigte man sich ausführlich. Dazu wurde es als unabdingbar erachtet, aus den gewohnten Denkschemata auszubrechen, was besonders Politik und Verwaltung schwerfällt, gehört dazu doch vor allem, Macht abzugeben, vorhandene Strukturen zu hinterfragen. Es müssen die Potenziale von Künstlern aller Art (Malerei, Skulptur, Musik, Tanz etc.) wie auch von Ehrenamtlichen erforscht und eingesetzt werden. Diese müssen von Anfang an in die Planung eingebunden und an der Umsetzung beteiligt werden. Diese Potenziale müssen weiterentwickelt werden, dabei darf es keine Denkverbote geben. Und vor allem: Stärken müssen erkannt und verstärkt werden. Der Begriff „Kultur” müsse erweitert werden, junge Leute müssen an Kultur herangeführt werden.

Oft bringen Bürgermeister und Verwaltungen das Argument vor, es sei kein Geld vorhanden, die sozialen Kosten, gesetzlich verankert, fräßen Rücklagen auf. So richtig das sein mag, war man sich auf der Konferenz doch einig, daß Sozialkosten nicht gegen Kulturinvestitionen aufgerechnet werden dürfen, weil mehr Kultur ausufernde soziale Folgekosten vermeide. Mehr Bildung und Kultur wirken als Prävention vor späteren sozialen Reparaturkosten (vgl. die NRW-Landespolitik und ihre Begründung für mehr Investitionen in Kindergärten und Schulen).

Um Kulturarbeit zu breiter Akzeptanz zu verhelfen, muß sie sichtbar gemacht werden. Dazu braucht es eine Kulturdatenbank, z.B. vom Kulturamt einer Stadt erstellt, die alle in der Kultur Tätigen erfaßt, die so voneinander erfahren und zur Zusammenarbeit finden können; die den Bedarf an Kultur erfaßt, um Probleme bewältigen zu können (Musiker, Tänzer, bildende Künstler z.B. brauchen einen Proben– oder Malraum); die Transparenz schafft, was erfahrungsgemäß zu weniger Vorbehalten in der Öffentlichkeit gegenüber aller Art von Kultur führt.

Für ganz wichtig wurde der Kulturwirtschaftsbericht gehalten, der, wissenschaftlich begleitet, zu der Erkenntnis beiträgt, daß mehr Ausgaben für Kultur Investitionen sind, die sich auf mittlere Sicht auszahlen, und die nicht konsumtiv sind.

Vertreter der Kulturpolitik und –verwaltung aus vielen Städten, Kreisen und Institutionen waren gekommen, KH war aus Kamen der einzige.

KH