Claude-Canaday-Straße & Bloomfieldstraße

von Klaus Holzer

Zwei Straßen auf der Lüner Höhe, es gibt sie seit 1978/79, dicht beieinanderliegend, obgleich sie nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, außer vielleicht, daß beide englisch klingen. Wie ist es zu diesen beiden Straßennamen gekommen, und warum ist es richtig, daß sie direkt nebeneinander liegen?

10. April 1945. Die bedingungslose Kapitulation Deutschlands nach dem verlorenen Krieg stand noch einen Monat lang aus, Kamen jedoch kapitulierte an diesem Tag, hißte die Weiße Fahne und ergab sich den Amerikanern. Es begann eine harte, entbehrungsreiche Zeit mit Wohnungsnot und Mangel an allem, was die Menschen zum Leben brauchten. Alles verschärft durch den Zuzug von Flüchtlingen aus den Ostgebieten. Es ging einfach um das nackte Überleben.

Kamener Bürgermeister war der seit 1944 bis zum 19.5.1945 amtierende Ernst Fromme. Die britische Militärregierung, die inzwischen das Kommando von den Amerikanern übernommen hatte, setzte am 19.5.1945 Gustav Adolf Berensmann ein, der bereits von 1924 bis 1932 Kamener Bürgermeister gewesen war. Bevor Gustav Adolph Wieczoreck im Herbst 1946 Bürgermeister wurde, übernahm der dienstälteste Beamte der Kamener Stadtverwaltung, der ehemalige Stadtbaurat Gutsav Reich kommissarisch die Leitung der Stadt.

Abb. 1: Gruß Claude Canadays vom 28. Oktober 1948

In dieser Funktion erreichte ihn aus der Bezirkshauptstadt Arnsberg die Anfrage, ob Kamen gewillt sei, Hilfe aus Bloomfield, einem 16.000-Einwohnerstädtchen (das stellte sich später als Übertragungsfehler heraus, man hatte eine Null zuviel angehängt; vgl.a. die Entstehung der Partnerschaft mit Montreuil-Juigné) in Nebraska/USA, anzunehmen. Dort gebe es einen Farmer namens Claude Canaday, der sich vorgenommen habe, in Deutschland eine ausgebombte Stadt und ihre darbenden Einwohner in der schweren Nachkriegszeit mit Hilfslieferungen zu unterstützen. Reich sagte ja, und es setzte eine lange Reihe von Carepaket-Lieferungen nach Kamen ein. Bloomfield übernahm für Kamen eine Stadtpatenschaft, die Kamen über die schwere Nachkriegszeit hinweghalf und immerhin dazu führte, daß Reichs Tochter und einer seiner Söhne noch im Sommer 1968 nach Bloomfield fuhren und den Kontakt erneuerten. Jahrzehntelang gab es diesen Kontakt, der aber u.a. auch wegen der großen Entfernung zwischen Westfalen und Nebraska niemals richtig ins Laufen kam.

Jetzt aber dürfte es außer diesen beiden Straßennamen kaum noch Gemeinsames zwischen Kamen und Bloomfield geben. Alle Mitglieder der Familie Canaday, die direkten Kontakt mit Kamen hatten, und besonders mit der Familie Reich, sind tot: Claude Canaday, der sie aus tiefem Mitgefühl für die notleidenden Kamener 1946 begründete, sein Enkel Paul 2015, und jetzt als letzter Julian, Claudes Sohn, der am 7. Juli 2016 starb.

Abb 2: von rechts nach links: Herbert Reich, Reinhild Reich, Grace Canaday, Claude Canaday, der Bürgermeister Bloomfields und seine Frau betrachten gemeinsam das Geschenk an die Gastgeber, einen Druck der ältesten bekannten Darstellung Kamens aus den 1840er Jahren, von Süden her gesehen.

Gustav Reich starb 1970, sein Sohn Herbert am 17. Februar 2016. Reinhild Reich, hochbetagte Tochter Gustav Reichs, ist die letzte Lebende, die die alten Bande noch mitgestaltete und bei einem Besuch in Nebraska 1968 für eine Weile intensivierte. Sie betrachtet die frühere Patenschaft, die für sie immer eine Partnerschaft war, als erloschen, da ihrer Ansicht nach auf Kamener Seite kein Interesse daran mehr vorhanden ist.

Robert Badermann, Leiter des Kamener Stadtarchivs, das über zwei dicke Aktenordner zu diesem Thema verfügt, gibt auf Nachfrage an, man habe Bloomfield zu seinem 125jährigen Bestehen gratuliert, doch sei keine Reaktion erfolgt. Es ist also wohl so, daß auf beiden Seiten nicht mehr viel vorhanden ist, das eine engere Beziehung zwischen den beiden Städten erlaubte.

Nachdem also fast alle direkt Beteiligten gestorben sind und die Nachkriegszeit lange zurückliegt, ist es vielleicht auch kein Wunder, daß diese Beziehung zu Ende gegangen ist. Die Besuche in beiderlei Richtung waren immer auf einen kleinen Personenkreis beschränkt und waren auch sehr selten. Die junge Kamener Generation weiß von der Großzügigkeit Bloomfields nichts. Kamener, die von den Lebensrettungsaktionen Claude Canadays und seiner Mitbürger für den besiegten Feind in Deutschland profitierten, gibt es nur noch sehr wenige, und die sind alt. Und die räumliche Entfernung trug das Ihre zur zeitlichen bei. Ein Kapitel Kamener Nachkriegsgeschichte scheint abgeschlossen.

KH

Abb. 1 & 2: Reinhild Reich