Die Güldentröge

von Klaus Holzer

In Kamen heißt sie „Güldentröge“, und das seit vor 1827 – so heißt sie nämlich schon in der Kamener Katasterkarte aus diesem Jahr – in Unna „Güldener Trog“, und es ist unschwer zu erkennen, daß es sich hier um den gleichen Namen handelt. Und wir wissen, daß „gülden“ das veraltete Wort für „golden“ ist, in alten Gedichten und Geschichten begegnet es uns noch. Ein „güldener Trog“ ist also etwas ungemein wertvolles?

Weit gefehlt. Das geläufige Verständnis dieses Straßennamens (in Kamen müßte es richtigerweise „Gasse“ heißen) leitet sich aus dem Gegenteil ab. In mittelalterlichen Städten stank es zum Himmel. Auf dem Markt, in den Straßen und Gassen lief Vieh umher und ließ seinen Kot fallen, vor den Häusern lagen Misthaufen, weswegen die Menschen oft sogenannte Trippen trugen, eine Art Unterschuhe, Stelzenschuhe, um nicht bis über die Knöchel im Dreck zu versinken. Und hinter den Häusern war das Plumpsklo, dessen Inhalt gegen den Gestank notdürftig mit Asche überstreut wurde. Und geleert wurden diese Aborte erst, wenn sie voll waren, was mitunter 10 oder 20 Jahre dauern konnte. Dann kamen die dafür zuständigen „unehrlichen Leute“, d.h., solche, die keinem ehrbaren Stand angehörten*,  füllten diese Fäkalien in Tröge und fuhren sie, auf ihnen vorgeschriebenen Wegen, zum Fluß und kippten alles hinein. (Auch damals gab es also schon „Wasserspülung“, nur befand sie sich noch nicht im Haus.) Das mußte nachts geschehen, denn zum einen wollte niemand davon etwas mitkriegen, zum anderen wollte auch niemand von dem Schmutz und Gestank weiter behelligt werden.

Abb. 1: Die Güldentröge um 1900, Blick auf das ehemalige Gasthaus Grevel, später Hotel Bergheim, dahinter die Straße Am Geist

Und niemand wollte den Namen der stinkenden Last in den Mund nehmen. Daher taten unsere Vorfahren das, was wir auch heute noch tun: sie betrieben Schönfärberei. Gewissermaßen wurde die Sch… vergoldet: der Trog und sein Inhalt wurden „gülden“. Und die Gasse, durch die man die „güldenen Tröge“ zog, hieß dann eben „Güldentröge“. In München hießen die Leute, die dieses Geschäft betrieben, übrigens „Goldgrübler“. Sie gruben gewissermaßen in Goldgruben, denen unter den Plumpsklos nämlich.

Solche Schönfärberei in allen Lebensbereichen ist zu allen Zeiten gut belegt. Wer kennt heute nicht den „Entsorgungspark“, der zum Spazierengehen einzuladen scheint, doch in Wirklichkeit eine Müllkippe ist? Eine Firma erwirtschaftet „negative Bruttorenditen“, auf Deutsch: sie macht Verlust. Oder, ganz aktuell, „postfaktische Stimmungsmache“ statt Lügen.

Abb. 2: Die Güldentröge im Jan. 2017, die Blickrichtung

wie in Abb. 1

Im Falle unserer Güldentröge gibt es aber gewichtige Zweifel an dieser Deutung: Hätte man die Fäkalien tatsächlich durch die Güldentröge zur Seseke befördert, hätte man am Ende der Gasse keinen Durchgang zum Fluß gefunden. Dort stand der Swiddenturm (Heinz Stoob, Westfälischer Städtatlas, Kamen, Dortmund 1975), der der Sicherheit diente und keinen Durchlaß hatte. Für diese Fracht kam kein Stadttor in Frage. Benutzte man einen der kleinen Durchlässe im durch die Güldentröge zugänglichen Bereich, trieb die Gülle die ganze Stadtmauer entlang in den Mühlenkolk, der den Betrieb der Mühle mit dem notwendigen Wasser sicherstellte, als Pferdetränke diente und in dem Wäsche gewaschen und gespült wurde. Das ist alles wenig wahrscheinlich. Und obendrein mündet etwas nördlich von der Stelle, wo die Güldentröge auf die Stadtmauer trifft, der Goldbach in die Seseke. „Gülden“ und „Gold“ – ob es da einen Zusammenhang gibt? Es gibt zwar einen Hinweis darauf, daß der Goldbach einmal „Holt– oder Holdbach“ geheißen hat, doch wäre es nicht das erste Mal, daß zu Zeiten, als es noch keine genormte Rechtschreibung gab, unterschiedliche Schreibweisen nebeneinander bestanden und auch Lesefehler zu ganz anderen Namen führten. Vielleicht kommt einmal jemand zufällig auf eine Quelle, die beide Ansichten zusammenführt?

* Unehrlich bedeutete im MA nicht betrügerisch, sondern ehrlos, d.h., ohne ständisches Ansehen. Es gab drei Stände: 1. Klerus, 2. Adel, 3. Bürgertum und Bauernstand. Zu den ehrlosen gehörten Berufe wie Barbiere, Türmer, Müller u.a., aber auch „fahrendes Volk“ wie Lumpensammler, Hausierer, Spielleute u.a., und alle diejenigen, die beruflich mit Schmutz, Strafe und Tod zu tun hatten, wie Gassenkehrer, Büttel, Abdecker, Totengräber u.a.

KH

Abb. 1: Stadtarchiv

Abb. 2: Photo Klaus Holzer