150 Jahre Bergbau in Kamen

von Klaus Holzer

150 Jahre Bergbau in Kamen

In Kamen erinnert man sich immer noch mit einiger Wehmut an seine Bergbaugeschichte. Immer noch beschwört man die Vergangenheit durch das Singen des Steigerliedes, das aus dem Erzgebirge eingewandert und so schnell heimisch geworden ist. Politikerreden enden immer noch mit dem Bergmannsgruß „Glück Auf“. Als letzte in der ganzen Stadt sichtbare Reminiszenz an die Kamener Zeche Monopol steht das Fördergerüst auf dem ehemaligen Zechengelände, heute Technopark mit Gründerzentrum, auch die Gartenstadt Sesekeaue gehört dazu. In Politikerreden und offiziellen Verlautbarungen ist der Bergbau heute noch lebendig, doch scheint niemand gemerkt zu haben, daß es in diesem April 2023 genau 150 Jahre her ist, daß der erste Spatenstich zur Teufe von Schacht Grillo 1 getan wurde.

Mit der Reichsgründung 1871 setzte in Deutschland ein rasantes wirtschaftliches Wachstum ein, das wesentlich auf der Dampfmaschine, zunehmend auch Elektrizität, neuen Verkehrsmitteln, Transportwegen und Kohle und Stahl beruhte. Vor allem bei der Kohle spielte Kamen früh und bedeutend mit. Friedrich Grillo aus Essen und Heinrich Grimberg aus Bochum erwarben hier ein riesiges Grubenfeld und begannen im April 1873 mit der Teufe des Schachtes Grillo I (die Bergkamener Schächte wurden nach Grimberg benannt). Am Vorabend des Teufbeginns sollen die beiden Unternehmer mit Champagner namens „Monopole“ auf gutes Gelingen angestoßen haben und fanden den Namen gleich passend für ihre erste Zeche.

Abb. 1: Die Abteufmannschaft (vermutlich)

Erfahrene Arbeiter aus dem Aachener Revier klotzten ran und schon zwei Jahre später standen der Schachtturm, die Maschinenhäuser, der hohe Schornstein und die Beamtenhäuser. 1878 begann der Kohleabbau in der Tiefe von 540 Metern. Schon im ersten Jahr förderten die 780 Bergleute 130.000 Tonnen Kohle, sehr viel,  weil Wagen mit einem gewissen Anteil von taubem Gestein zurückgewiesen und nicht gewertet und auch nicht bezahlt wurden (das „Nullen“). 1884 erhielt Monopol Anschluß an die Deutsche Reichsbahn, was den Absatz weiter beflügelte.

Bereits 1887 begannen die Arbeiten zur Teufe von Grillo II, 1888 wurde eine Kokerei in Betrieb genommen. Insgesamt gehörten 16 Grubenfelder in einem Gebiet von ca. 87 km2 zur Zeche Monopol. Wenig später begann auch die Teufe von Schacht Grimberg I in Bergkamen. Die beiden waren untertage miteinander verbunden.

Abb. 2: Monopol, ca. 1885

Da man schnell wuchs, waren Bergarbeiter in der Umgebung nicht mehr in ausreichendem Maße zu finden. Daher wurden Arbeiter angeworben, vor allem in Schlesien, Polen und Österreich. Die kamen in großer Zahl, versprach der Bergbau doch guten Lohn.

Durch diesen starken Zuzug von Nicht-Einheimischen setzte eine strukturelle Veränderung der Stadt und der umliegenden Dörfer ein. Bis dahin herrschten vor allem kleinstädtische und dörfliche Strukturen vor, mit jeweils ausgeprägtem Anteil an Handwerksbetrieben. In den innerstädtischen Fachwerkhäusern, den für ein Ackerbürgerstädtchen typischen Häusern, wohnten nun immer mehr Bergleute, aber nicht im Eigentum, sondern zur Miete. Die Einwohnerzahl Kamens sprang von etwa 3.700 im Jahre 1870 auf ca. 10.000 im Jahre 1902.

Abb. 3: Monopol, nach 1942; im Vordergrund das Klärwerk

Daß eine so rapide Entwicklung zu sozialen Verwerfungen führte, ist verständlich, denn es mußte die vorhandene Infrastruktur an die neue Größenordnung angepaßt werden. Das bedeutete zuallererst, daß eine große Zahl an Wohnungen benötigt wurde. Die bis dahin von den Kamenern zur Verfügung gestellten Quartiere reichten nicht mehr, waren wohl oft auch sehr schlecht.

Daraufhin begannen die Gewerkschaften, so nannten sich die Unternehmen, eigene Wohnungen zu bauen, sogenannte Kolonien, die in der Regel in unmittelbarer Nachbarschaft der Zechen lagen. Dadurch verschwanden in den 1890er Jahren ehemalige Burgmannshöfe: der Vogelhof (heute Kamen Quadrat), der Galenhof (heute Musikschule), der Rungenhof (heute Gymnasium).

Abb. 4: Häuser für die Kumpels am Galenhof

Diese Kolonien führten aber zur Abkapselung der dort Wohnenden von der Alt-Bevölkerung. Und diese blieb über eine ganze Generation hinweg erhalten, wenn es zu landsmannschaftlichen Ansiedelungen kam. Aus politischen und kulturellen Unterschieden resultierten wesentliche Spannungen, die sicherlich auch ausländerfeindliche Züge annahmen. Wie das immer der Fall ist, wenn Fremde in eine festgefügte Gemeinschaft kommen.

In den Jahren 1920/21 begann die Gelsenkirchener Bergwerks AG, die inzwischen die Mehrheit der Kluxen (Anteile) besaß, erstmals damit, auf ihrem direkt an der Schachtanlage liegenden Gelände in der Westenfeldmark der Stadt Kamen für die Bergarbeiter der Zeche Monopol (Grillo-Schächte) eine Wohnsiedlung zu errichten. Sie wurde offiziell „Hindenburgsiedlung“ genannt, erhielt jedoch bald den Namen „Negerdorf“, da die Bergleute nach ihrer Arbeit ungewaschen, d.h., „schwarz wie Neger“, nach Hause kamen.

Ende der 1950er Jahre ließ die erste Kohlekrise hohe Kohlehalden, verschämt „Nationale Kohlereserve“ genannt, entstehen, es brauchte ein neues Konzept zur Erhaltung der Zechen. Es wurde die Ruhrkohle AG (RAG) gegründet, die alle Ruhrgebietszechen in ihrem Besitz bündelte. In den 60er Jahren stieg der Kohleabsatz wieder, und die ersten türkischen Bergarbeiter wurden für diese Arbeit angeheuert. Dennoch drohte Monopol 1973 nach Teilschließung der Tagesanlagen die komplette Schließung. Es kam zum Kampf um den Erhalt der Zeche. Doch das Ende kam 1983, 110 Jahre nach der Abteufung des ersten Schachtes, unwiderruflich. Monopol wanderte nordwärts und wurde als Neu-Monopol in Bergkamen noch ein paar Jahre fortgeführt.

So wie das Erscheinen der Kohle einst einen tiefen Strukturwandel bewirkte, so ist es auch mit ihrem Verschwinden. Die Digitalisierung von immer mehr Bereichen der Wirtschaft eröffnet neue Möglichkeiten, für die keine Kohle mehr gebraucht wird. Kohle ist heute nicht mehr die wirtschaftliche Verheißung, sondern der Klimakiller. Und die einstmals blühenden Knappenvereine sterben langsam dahin, weil es keinen bergmännischen Nachwuchs mehr gibt.

Glück Auf.

KH

Alle Abbildungen: Stadtarchiv