Das 17. Zeitzeichen des KKK: Helden

Teil 1: Dr. Heinrich-Wilhelm Drexhage – Fiktive Helden

Mit der Erfindung der Keilschrift beginnt die Zeit der schriftlichen Überlieferung und damit auch der Literatur. Die erste uns bekannte lange altbabylonische Erzählung ist die über Gilgamesch, den sagenhaften König von Uruk. Dieses Epos beschreibt seine außergewöhnlichen Taten und sein Suchen nach einem Wunderkraut, das ihm ewige Jugend bescheren soll. Als er es durch eigene Unachtsamkeit verliert, findet er sich mit seiner Sterblichkeit ab und reift als Persönlichkeit.

Abb. 1: Gilgamesch

Die Themen sind: Macht und Machtmißbrauch; Liebe und Freundschaft; Heldentum und menschliche Schwäche; das Verhältnis von Mensch und Gottheit.

Das umfänglichste und uns vertrauteste Heldenkapitel bietet uns das antike Griechenland, das vor allem in Homers Versepen auf uns gekommen ist. Den Hintergrund der Ilias bildet der Krieg um Troja, der Ausdruck eines für uns übersteigerten Ehrgefühls in einer aristokratischen Gesellschaft ist. Die Protagonisten dieses Epos sind Achill und Hector sowie Odysseus.

Abb. 2: Achilles (links)

Die homerischen Helden sind ausschließlich für eine adelige Gesellschaft gedacht; der Held ist tapfer in Krieg und Kampf; er verteidigt die Standesehre; sein Leben ist ein ständiger Wettbewerb; er hat immer den Willen zu siegen; seine Hauptbetätigungsfelder sind Kampf, Jagd und Sport; ständiges Streben nach Ruhm und Ehre, das mit den damals herrschenden Todesvorstellungen (Schattendasein im Hades) zusammenhing, daraus folgte seine Liebe zum Leben selbst noch im Angesicht des Todes. 

Abb. 3: Achill verabschiedet sich von Andromache

Im Wissen um die Macht des Schicksals geht der Held seinen vorbestimmten Weg ohne Wenn und Aber bis zum Ende. Speziell darin liegt seine menschliche Größe und Heldenhaftigkeit.

Abb. 4: Herakles erwürgt zwei Schlangen

Im antiken Griechenland ist Heracles/Herkules der unbesiegbare Held. Als er sich vor die Wahl zwischen Glückseligkeit und Tugend gestellt sieht, entscheidet er sich für die Tugend, im vollen Bewußtsein, daß er sich damit für ein Leben in Blut, Schweiß und Arbeit entscheidet: er muß 12 Aufgaben erledigen, um Griechenland von Untieren, Monstern, Räubern und Missetätern zu befreien. Alle ihm gestellten Aufgaben verlangen übermenschliche Kräfte.

Fazit: die Situation von „Herakles am Scheideweg“ wird typisch für den fiktiven wie auch den historisch-faßbaren Helden: er trifft eine ethische Grundentscheidung, die seine weitere Existenz prägt und bedingungslos durchgehalten wird.

Abb. 5: Sophokles

Die erste große Heldin der Literaturgeschichte tritt ebenfalls im antiken Griechenland auf, in Sophokles’ Tragödie „Antigone“. Kreon, der König von Theben, verbietet bei Androhung der Todesstrafe durch Einmauerung die Bestattung des Bruders von Antigone, welcher im Kampf um Theben als Angreifer gefallen ist. Antigone vollzieht gleichwohl die heiligen Bestattungsriten und wird von Kreon zum Tode verurteilt.
Fazit: Das Stück zeigt die Ambivalenz der menschlichen Natur: Antigone stellt das Humane dar, Kreon glaubt in seiner Hybris, sich darüber hinwegsetzen zu können. Antigone ist ethisch vollkommen, siegt daher über jede Form von Machtmißbrauch, Überheblichkeit, Uneinsichtigkeit und Charakterlosigkeit.

Ein weiteres Zeitalter, das voller Helden ist, ist das Mittelalter: König Artus und seine Ritter der Tafelrunde Tristan, Lancelot, Parsifal und Lohengrin; die Nibelungensage mit Siegfried von Xanten, Hagen von Tronje, Dietrich von Bern, König Gunter und edlen Frauen wie Kriemhild und Brünhilde; das Rolandslied, das den heldenhaften Kampf Rolands, eines Paladins Karls des Großen, gegen die Sarazenen besingt.

Abb. 6: Robin Hood

Wenn es um Bekanntheit geht, sind zwei Helden, der englische Robin Hood und der schweizerische Wilhelm Tell, wohl kaum zu schlagen, zu oft sind sie im Film (RH) und auf der Bühne (WT) dargestellt worden.

RH war ursprünglich ein brutaler Wegelagerer, gewalttätiger und grausamer Räuber und Dieb. Erst im 16. Jh. wird er zum folkloristischen Volkshelden, zum Wohltäter, der für soziale Gerechtigkeit kämpft und zum Nationalhelden wird:  Er raubt  Adelige und korrupte Kleriker aus und verteilt das Beutegut an die Armen (meist hörige Bauern).

Fazit: RH’s Bild wird den Auffassungen der jeweiligen Zeit und Gesellschaft und ihren Werten und Vorstellungen angepaßt.

Abb. 7: Wilhelm Tell

WT ist das Symbol für den Freiheitskampf eines unterdrückten Volkes, er kämpft für wahre Demokratie. Dabei gibt es zwei Probleme: Ist der Tyrannenmord zulässig (das wird später auch ein Problem für die Wehrmachtsoffiziere und Theologen im Widerstand gegen Hitler)? Fazit: Jede Epoche, jede Gesellschaft, mit welchem politischen Hintergrund auch immer, schafft sich ihre eigenen Helden und die Art ihrer Verehrung und manchmal auch deren Demontage.

Abb. 8: Karl May

Einen Sonderfall stellt Karl May dar. Seinen Helden gemeinsam sind: überdurchschnittliche Körperkräfte, überlegene Fitness, gepaart mit intellektuellen und detektivischen Fähigkeiten; „pazifistische“ Grundeinstellung: Gewalt und Tötung von Gegnern werden strikt auf Fälle von Notwehr und Nothilfe reduziert; Bekenntnis zu christlichen Werten (Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi Effendi) bei allerdings recht hoher Toleranz gegenüber anderen Religionen; überaus starke Neugier im Hinblick auf fremde Sitten und Gebräuche.

Zusammenfassung und Ergebnis:

Jede Gesellschaft, jede Gesellschaftsform erfindet sich ihre eigenen Helden und paßt sie ihren jeweiligen gesellschaftlichen Gegebenheiten an. Daher können Helden i.S. unseres Themas „verehrt“, „verklärt“ oder im Extremfall sogar „verdammt“ werden und unterliegen nicht selten auch gewissen Abnutzungserscheinungen, weil sie dem jeweils herrschenden Zeitgeist nicht mehr entsprechen.
Bei aller Unterschiedlichkeit und Wandelbarkeit von Heldenbildern und Heldenverehrung existiert andererseits eine gemeinsame Klammer, die eine gewisse Typologie durchscheinen lässt, welche die verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte und damit auch der Literaturgeschichte bis heute überdauert.
Die wichtigsten Aspekte:
Abstammung: Helden entstammen häufig einer Verbindung von Gottheiten und Sterblichen (z.B. Gilgamesch, Achilles, Herakles) und agieren dementsprechend vor einem religiösen oder quasireligiösen Hintergrund.
Sie verfügen über besondere Fähigkeiten, die ein normaler Mensch nicht besitzt, wie eine ungewöhnliche Körperkraft und Ausdauer, eine vorausschauende Intelligenz sowie häufig eine traumwandlerische Sicherheit im Umgang mit den ihnen eigenen Waffen und oft ikonographisch zugeordneten Attributen (vgl. Gilgamesch, Herakles, Achilles, Odysseus, Siegfried, König Artus, Robin Hood, Wilhelm Tell, Old Shatterhand, Winnetou u.a.).
Sie bestehen waghalsige und kühne Abenteuer und bleiben häufig siegreich. Sie können aber auch tragisch enden, wobei ihr tragisches Ende allerdings auch einem Sieg gleichkommen kann (vgl. bes. Hector, Antigone).

Sie werden häufig zu Helden durch eine kämpferisch-ethische Grundentscheidung, welche ihre gesamte weitere Existenz bestimmt und sie ihren einmal eingeschlagenen Weg bedingungslos bis zum Ende gehen läßt (vgl. Herakles und Antigone in ihrer ethischen Vollkommenheit). Diese Grundentscheidung bewirkt einen besonderen Reifungsprozeß ihrer Persönlichkeit.
Sie haben stets mächtige Gegenspieler, denen sie mit äußerster Entschlossenheit, oft sogar mit Todesverachtung, manchmal aber auch mit List entgegentreten. Ein besonderer Gegenspieler kann jedoch auch die eigene menschliche Schwäche sein, durch deren Überwindung sie vom Antihelden zum letztlich bewundernswerten Helden werden.

Zusammengefaßt von Klaus Holzer