Das Geheimnis der Turmspitze ist enthüllt

von Klaus Holzer

Abb. 2: Blick von der Turmspitze über Kamen (Panorama)

Daß Kamen die Pauluskirche hat, weiß jeder Kamenser. Daß Kamen von 1873 bis 1983 eine Zeche namens Monopol hatte, weiß auch (noch fast) jeder Kamenser. Daß diese beiden Kamener Wahrzeichen auch miteinander zu tun hatten, wissen vielleicht nicht so viele.

Am 14. Mai 1922 zogen die Bergleute von Monopol die neuen Glocken in den Turm hinauf. Entgegen allen Gepflogenheiten wurde die mittlere Glocke ihnen zum Dank und zu Ehren „Glückauf-Glocke“ getauft. Daß es heute ein weithin sichtbares, wenngleich unbekanntes Zeichen der Verbundenheit gibt, weiß vermutlich niemand außer denen, die es veranlaßt haben. Immer sehen wir die neue Messingkugel (besonders schön bei Nacht, wenn sie im Dunkel zu schweben scheint) mit der auf ihr stehenden Wetterfahne. 

Aber wer nimmt schon wahr, daß die Wetterfahne, wie es für evangelische Kirchen nicht untypisch ist, auf einem Kreuz befestigt ist? Und die Inschrift auf diesem Kreuz ist natürlich nicht zu erkennen: „Zeche 1949 Monopol“. Und von unten auch nicht, wie angefressen die Wetterfahne ist, die, wie auch die Turmkugel, aus vergoldetem Kupfer besteht.

Abb. 3: Die ganze Turmspitze

Das erkennt man erst, wenn das Auge einer Drohne sich der Kirchturmspitze nähert, ihr so nahe kommt, wie es kein Mensch kann. Dann erkennt man die Einzelheiten und erhält einen atemberaubenden Blick über die Stadt. Und wie der Turm von oben aussieht – wer hat das schon einmal gesehen?

Abb. 4: Der Turm von oben

Wo kommt die Inschrift her, was hat sie zu bedeuten? Der Pauluskirchturm wurde durch zwei Bomben am 24. Februar 1945 stark beschädigt, sämtliche Fenster im Chor wie im Langhaus wurden zerstört. Es dauerte bis 1953, bis die Kirche vollständig wiederhergestellt war. Der Kamener Kirchenhistoriker Wilhelm Wieschhoff schreibt im November 1982 in seiner kleinen Ergänzung zur Geschichte der Pauluskirche: „Das Turmkreuz ist eine Spende der ehemaligen Zeche Monopol aus dem Jahre 1948.“ Offenbar geht die Schenkung auf das Jahr 1948 zurück, wurde aber erst 1949 umgesetzt. In der Sache hat Wieschhoff sicher recht. Die Verbundenheit zwischen den Bergleuten von Monopol und der Pauluskirche war anscheinend so groß, daß sie selbst nach einem Vierteljahrhundert noch eine Bindung zur Kirche verspürten und das Kreuz selbst schmiedeten und der Kirche schenkten. Damit sie nach der kriegsbedingten Beschädigung im alten Glanz wiedererblühen möge, das älteste Gebäude Kamens und das Wahrzeichen der alten Stadt.

Hier sei noch etwas nachgetragen (vgl. Artikel „Pauluskirche“ unter www.kulturkreiskamen.de): 

Im Jahre 1995 wurde der Turm grundsaniert und seine Höhe neu vermessen. Ergebnis: Vom Erdboden bis zur höchsten Spitze der Wetterfahne beträgt die Turmhöhe etwa 60m, 50 cm mehr als vor der Sanierung 1995.

KH

Alle Photos Archiv KamenWeb

Kämerstraße & Kugelbrink

von Klaus Holzer

Wilhelm Hellkötter leitet den Namen „Kämerstraße“ von der alten Verbindung über die Sesekefurt ab, von der Kamens Besiedelung ausging. Er glaubt, eine alte Form „Kemm, Kimm“  belegen zu können, die sich zum plattdeutschen „Kämm-Strote“ entwickelt habe, woraus dann das hochdeutsche „Kämerstraße“ geworden sei. Verifizieren läßt sich das bisher aber nicht. 

Abb. 1: Kämerstraße

Die Kämerstraße hieß ursprünglich wohl Bergcämer Straße. Sie war die wichtigste Nordverbindung Kamens und führte durch das Bergcämer Tor auf die (Berg)cämer Heide, die erstmals schon 1363 als „Bergcämer parte“ erwähnt wird. Das war ein zusammenhängendes Wald– und Heidegebiet von fast 50 qkm Ausdehnung, in der alle Anlieger, darunter auch die Camener, Huderecht besaßen (Hude = Hütung, auch auf den Platz der Hütung übertragen), d.h., dort durften sie ihr Vieh zur Weide und zur Mast treiben. Daran erinnert heute noch die „Kamer Heide“ in Overberge.

Abb. 2: Kämertorstraße

Dieses Kämer Tor hatte für die Kamener eine große, sehr praktische Bedeutung. Sie waren Ackerbürger, die ein eigenes Stückchen Land vor der Stadtmauer besaßen. Und sie wollten dieses Land leicht und schnell erreichen können, daher brauchte es möglichst viele Durchgänge durch die Stadtmauer, auch zur Ausübung ihres Huderechts, mehr als die vor allem für den „Fernverkehr“ geeigneten großen Tore in alle Himmelsrichtungen (vgl.a. Artikel Nordstraße). 

Abb. 3: Die letzte Gaststätte vor dem Bergcämer Tor: Tillmann

Abb. 4: Die Rückseite der Postkarte (s. Abb. 3)

Abb. 5:  Altes Torschreiberhaus

Abb. 6: Gleich vor dem Kämertor: Jühe

Außerhalb der Stadtmauer führt die Kämerstraße geradeaus weiter nach Norden, nach Bergkamen. Diese Verlängerung hieß ursprünglich der „richte Weg“, d.h., der gerade, kürzeste Weg in die Bauerschaft Bergkamen. Um 1910 erhielten die bebauten Feldmarken erstmals amtliche Straßenbezeichnungen. Der „richte Weg“ hieß von nun an Schützenstraße, weil er direkt zum Heim und Schießplatz des Kamener Schützenvereins, der „Schützenheide“, führte. (Bei der Teilung der Reck-Camenschen Gemeinheit , auch Heide genannt) erhielt die Stadt Camen „etwa 8 Morgen auf der Linkamps-Heide. Letzteres Grundstück wurde der Stadt als Schützenplatz zugeteilt.“ Friedrich Pröbsting, 1901) 1945 wurde sie in Heidestraße umbenannt, seit Anfang 1970 heißt sie Fritz-Erler-Straße. Das Umdenken bei der Vergabe von Straßennamen wird deutlich: früher gab es den örtlichen Bezug, heute steht oft die Politik bzw. ein Politiker im Vordergrund.

Abb. 7: Umzug vor der Schützenheide

Hellkötter gibt an, daß dieser Weg so stark befahren wurde, daß die Fahrrillen bis zu eineinhalb Meter tief gewesen seien, was das Befahren oft unmöglich gemacht habe. Fußgänger gar mußten am Rande der Ackerstücke entlanglaufen. Das traf besonders die Ausmärsche des Schützenvereins, der natürlich solche Wege für die Marschaufstellung zu Schützenfesten nicht benutzen konnte. Diese Märsche führten deshalb über den „krummen Weg“, der aber nicht so genannt wurde, weil er so viele Krümmungen aufgewiesen hätte (was er auch tat), sondern weil dieses Stück Land lt. einer Urkunde von 1508 „Am krummen Boome“ hieß. Das war ein krummer Grenzbaum in der Nähe der Landwehr, der das Kamener Gebiet vom Bergkamener abtrennte und auf der Höhe des Weges an der Stelle stand, wo sich Kugelbrink und Schillstraße (1910), später Schillerstraße (1945), vereinigen. 1971 wurde diese Straße Bergkamener Straße genannt.

Die Verbindung vom Langebrüggentor zum Kämertor führte vom Langebrüggentor über das „Bollwerk“, verlief zwischen den vorhandenen Burgmannshöfen hindurch, in einem Schwenk um die Grafenburg der märkischen Grafen herum zur Kämerstraße (ein kurzes Stück zwischen Weststraße und Rottstraße hieß Judengasse) zwischen Reckhof und Edelkirchenhof hindurch und dann stracks nach Norden. Straße und Tor waren also Bestandteil der täglichen Wege vieler Kamener, da ist es wahrscheinlich, daß das lange Wort „Bergkämer“ zu „Kämer“ verkürzt wurde. Bis 1660, als das Langebrüggentor zugemauert wurde (vgl.a. Artikel Maibrücke) – abreißen kam nicht in Frage, weil die Stadtmauer sonst ein Loch bekommen hätte – standen den Ackerbürgern sechs Stadttore zur Verfügung. 

Abb. 8: Kugelbrink

Wie deutlich wurde, ist die Kämerstraße nicht sinnvoll vom Kugelbrink zu trennen. Der Name gibt Rätsel auf, und die Sache wird nicht einfacher durch die vielen bekannten, unterschiedlichen Schreibweisen. Doch der Reihe nach. 

Von Kamen aus führten in die alte Bauerschaft Bergkamen eigentlich nur zwei Wege, der „richte Weg“ und der „krumme Weg“, die am Kämertor bei der Kamener Stadtmauer zusammenliefen. Die Wahl des Weges für die täglichen Geschäfte und Besuche, den Schul- und den Kirchgang (Kinder trugen grundsätzlich nur Holzschuhe, ihre Schulbücher wurden durch Riemen zusammengehalten; die Erwachsenen trugen „gute“ Lederschuhe meist auch nur sonntags beim Kirchgang), fiel nicht schwer. War es trocken, nahm man den „richten Weg“, der zwar unbequem war, weil ausgefahren, aber kürzer, war es naß, dann wurde der „krumme Weg“ genommen, der länger, doch besser passierbar war. Wer nimmt schon einen freiwillig längeren Weg? Natürlich ist der dann geschont, und damit besser passierbar.

Die beiden Namenbestandteile in dieser Form lassen sich relativ einfach erklären. „Kugel“ könnte sich auf die Hügelkuppe beziehen (Franz Petri), aber auch auf die „Gugel“, die im MA häufige, kapuzenartige Kopfbedeckung (Ferdinand Brandenburg). Dieser glaubt auch eine Erklärung für die Schreibweise „Kuchenbrink“ gefunden zu haben, ein Flurstück dahinter heißt „Pfannkuchen“. Weitere Formen sind Auf dem Kuckenbrink, Am kurzen Brink und Kükenbrink, die aber von allen Autoren zum Thema als Verballhornungen zurückgewiesen werden, obwohl es sie in amtlichen Verlautbarungen gibt. Es ist eben zu bedenken, daß es früher keine einheitliche Schreibung gab, jeder Schreiber lokale Varianten in die Akten eintrug. Hugo Craemer erwähnt weiterhin Kugenbrinnk, Kukenbrink und Kugenbrink, die alle zwischen 1750 und 1827 in Gebrauch gewesen seien, doch sind sie einander so ähnlich, daß nur von abweichenden Schreibweisen und nicht grundsätzlich anderen Namen die Rede sein kann. 

Das zweite Element, „brink“, ist leichter zu definieren, handelt es sich dabei doch klar um eine erhöhte Lage am Ortsrand (vgl.a. englisch brink = Rand), wo oft Kötter angesiedelt waren, sog. Brinksitzer. Da „Brink“ bereits als erhöhte Lage definiert ist, ist es allerdings nicht ganz einsichtig, warum das mit „Kugel“ ein zweites Mal geschehen sollte.

Abb. 9: Gastwirtschaft zur deutschen Eiche (links die „Kaisereiche“)

Hier oben stand früher einmal der „krumme Boom“, ein Grenzbaum in der Nähe der Landwehr zwischen Kamen und Bergkamen. Getreu der damaligen patriotischen Gesinnung pflanzte die Stadt Kamen am 22. März 1897 zum Andenken an den hundertsten Geburtstag des Heldenkaisers Wilhelm I. (vgl. dazu auch den Artikel „Stadtpark“) an der Grenze auf der Höhe des Kugelbrinks die Kaisereiche. Als dann noch ab 1909 die Kleinbahn UKW (die Straßenbahn) hier eine Haltestelle einrichtete, entstand an dieser Stelle, in der Schillerstraße 90, ein Lokal, „Die Kaisereiche“, das sich schnell zu einem beliebten Ausflugslokal entwickelte. Spezialitäten waren der „Kaiserwein“ (das war Himbeersaft bzw. -sirup mit Wasser aus dem Hausbrunnen) und Kaiserplätzchen (was wir heute „Amerikaner“ nennen). Nach dem Krieg wurde dieses Lokal „Gastwirtschaft zur deutschen Eiche“ genannt und war noch einige Zeit recht populär, wurde aber 1992 abgebrochen. Die Eiche, der Baum, fiel gleichzeitig einer Straßenbegradigung zum Opfer.

Von den nicht wenigen Erzählungen, die sich um „Die Kaisereiche“ ranken, sei nur eine erzählt. In der „guten, alten Zeit“ gab es viele reisende Vertreter, z.B. „in Zigarren“. Da soll es vorgekommen sein, daß spontan eine fröhliche Reisegesellschaft entstand, wo der Reisende in Zigarren Fahrer, Schaffner und Mitreisende einlud, auf ein Bier, einen Münsterländer (Korn) oder einen Kaiserwein mit ins Lokal zu kommen, Fahrplan hin oder her.

KH

Quellen:

Wilhelm Hellkötter, Das „fünfte Viertel“, Heimatkundliches aus Alt-Kamen – von der Kämerstraße, dem „richten“ und „krummen“ Wege. Lokalzeitung (?), um 1950

Franz Petri, Grenzbaum am Kugelbrink, Auf dem krummen Weg zur Schule – mit Kaiserwein und Kaiserplätzchen, in Heimatbuch Kreis Unna, 1993

Ferdinand Brandenburg, Flurnamen, 5 Folgen im Hellweger Anzeiger, Feb. bis April 1944

Hugo Craemer, Alt-Kamen im Lichte seiner Orts- und Flurnamen, Zechenzeitung, 1929

Friedrich Pröbsting, Geschichte der Stadt Camen und der Kirchspielsgemeinden von Camen, Hamm 1901 

Abbildungen: Photos 1, 2 & 8 Klaus Holzer; Abb. 5: Familie Flögel; Abb. 6: Stadtarchiv Kamen; Abb. 3 & 4: unbekannt; Abb. 7: Schützenverein Kamen, Wolfgang Freese; Abb. 9: Photo Deutsche Eiche,  Herr Aschhoff, besorgt von Dieter Linkamp, Bergkamen