Wimme

von Klaus Holzer

Eine ganz kurze Straße in Kamen heißt „Wimme“. Sie verläuft zwischen der Dunklen Straße im Westen und der Schulstraße im Osten und führt an der Nord–, der Turmseite der Kirche Heilige Familie vorbei. Geht man geradeaus weiter und folgt der Julius-Voos-Gasse weiter nach Osten, trifft man auf den „Wiemeling“.

Zwei merkwürdige Namen, und doch einander ähnlich. Gehören sie etwa zusammen?

Abb. 1: Das Eckhaus Wimme / Schulstraße, rechts hinten die Wilhelmschule (vgl. Artikel „Schulstraße”),  vermutlich vor 1900

Der Name „Wimme“ geht zurück auf ein mhd. widem(e), das wiederum aus einem ahd. widamo herrührt und in seiner ursprünglichen Bedeutung „Aussteuer“ hieß. Dabei handelte es sich zunächst um die Gabe eines Bräutigams an den Brautvater vor der Eheschließung. Dann merkte man, daß aber vor allem der Ehefrau geholfen werden mußte, da es eher die Regel war, daß der Mann vor ihr starb und die Frau unversorgt zurückblieb. Aus der Zuwendung an den Brautvater wurde also eine an die Ehefrau zu ihrer Versorgung.

Gleichzeitig war ein solches „widum“ das unbewegliche Vermögen einer Kirchenpfründe, in der Regel das Pfarrhaus, das nicht selten das Geschenk eines reichen Gönners an die Kirche war (die Kirche erhob Gebühren für alle möglichen Dienstleistungen, Priester & Pfarrer erhielten, neben einem Gehalt von ihrer Gemeinde, auch Naturalien als Zuwendungen, die Kirchensteuer gibt es erst seit 1919), oft aus seinem Erbe, um sich einen Platz im Paradies zu sichern. Und ihr sonstiges Einkommen mußten sich die Geistlichen sichern, indem sie sogenannte „Stolgebühren“ nahmen, das sind Gebühren für kirchliche Handlungen, zu denen die Stola getragen wurde, z.B. Taufe, Trauung, Begräbnis (es durfte keine Gebühr genommen werden für die Heilige Eucharistie, die Beichte und die letzte Ölung).

Diese beiden Bedeutungen trennten sich im 17. Jh., als mit „widum“ ausschließlich das Pfarrhaus gemeint war. So wissen wir, daß Straßen bzw. Gassen namens „Wimme“ immer Standort eines Pfarrhofs waren.

Der Kamener Pfarrer und Chronist Friedrich Pröbsting berichtet in seiner 1901 erschienenen „Geschichte der Stadt Camen”, daß zu seiner Zeit die Wimme noch „Wieme“ hieß. Der Zusammenhang dürfte also klar sein: „Wiemeling“ ist die Verkleinerungsform von „Wieme“, so wie es z.B. auch Liebling und Säugling gibt.

Abb. 2: Der Beginn des Wiemeling, von der Kirchstraße her gesehen

Und noch etwas: das mittelalterliche Wort lebt heute noch im Verb „widmen“ weiter und hat in den letzten Jahren eine unerwartete Popularität erlebt: Fußballer etwa „widmen“ ihre Tore ihren Freundinnen oder Neugeborenen.

KH

Die Abb. 1 & 2 entstammen dem Büchlein von Fred Kaspar, „Kamen in alten Ansichten”, Bd. 1, Zaltbommel, MCMLXXVI

Claude-Canaday-Straße & Bloomfieldstraße

von Klaus Holzer

Zwei Straßen auf der Lüner Höhe, es gibt sie seit 1978/79, dicht beieinanderliegend, obgleich sie nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, außer vielleicht, daß beide englisch klingen. Wie ist es zu diesen beiden Straßennamen gekommen, und warum ist es richtig, daß sie direkt nebeneinander liegen?

10. April 1945. Die bedingungslose Kapitulation Deutschlands nach dem verlorenen Krieg stand noch einen Monat lang aus, Kamen jedoch kapitulierte an diesem Tag, hißte die Weiße Fahne und ergab sich den Amerikanern. Es begann eine harte, entbehrungsreiche Zeit mit Wohnungsnot und Mangel an allem, was die Menschen zum Leben brauchten. Alles verschärft durch den Zuzug von Flüchtlingen aus den Ostgebieten. Es ging einfach um das nackte Überleben.

Kamener Bürgermeister war der seit 1944 bis zum 19.5.1945 amtierende Ernst Fromme. Die britische Militärregierung, die inzwischen das Kommando von den Amerikanern übernommen hatte, setzte am 19.5.1945 Gustav Adolf Berensmann ein, der bereits von 1924 bis 1932 Kamener Bürgermeister gewesen war. Bevor Gustav Adolph Wieczoreck im Herbst 1946 Bürgermeister wurde, übernahm der dienstälteste Beamte der Kamener Stadtverwaltung, der ehemalige Stadtbaurat Gutsav Reich kommissarisch die Leitung der Stadt.

Abb. 1: Gruß Claude Canadays vom 28. Oktober 1948

In dieser Funktion erreichte ihn aus der Bezirkshauptstadt Arnsberg die Anfrage, ob Kamen gewillt sei, Hilfe aus Bloomfield, einem 16.000-Einwohnerstädtchen (das stellte sich später als Übertragungsfehler heraus, man hatte eine Null zuviel angehängt; vgl.a. die Entstehung der Partnerschaft mit Montreuil-Juigné) in Nebraska/USA, anzunehmen. Dort gebe es einen Farmer namens Claude Canaday, der sich vorgenommen habe, in Deutschland eine ausgebombte Stadt und ihre darbenden Einwohner in der schweren Nachkriegszeit mit Hilfslieferungen zu unterstützen. Reich sagte ja, und es setzte eine lange Reihe von Carepaket-Lieferungen nach Kamen ein. Bloomfield übernahm für Kamen eine Stadtpatenschaft, die Kamen über die schwere Nachkriegszeit hinweghalf und immerhin dazu führte, daß Reichs Tochter und einer seiner Söhne noch im Sommer 1968 nach Bloomfield fuhren und den Kontakt erneuerten. Jahrzehntelang gab es diesen Kontakt, der aber u.a. auch wegen der großen Entfernung zwischen Westfalen und Nebraska niemals richtig ins Laufen kam.

Jetzt aber dürfte es außer diesen beiden Straßennamen kaum noch Gemeinsames zwischen Kamen und Bloomfield geben. Alle Mitglieder der Familie Canaday, die direkten Kontakt mit Kamen hatten, und besonders mit der Familie Reich, sind tot: Claude Canaday, der sie aus tiefem Mitgefühl für die notleidenden Kamener 1946 begründete, sein Enkel Paul 2015, und jetzt als letzter Julian, Claudes Sohn, der am 7. Juli 2016 starb.

Abb 2: von rechts nach links: Herbert Reich, Reinhild Reich, Grace Canaday, Claude Canaday, der Bürgermeister Bloomfields und seine Frau betrachten gemeinsam das Geschenk an die Gastgeber, einen Druck der ältesten bekannten Darstellung Kamens aus den 1840er Jahren, von Süden her gesehen.

Gustav Reich starb 1970, sein Sohn Herbert am 17. Februar 2016. Reinhild Reich, hochbetagte Tochter Gustav Reichs, ist die letzte Lebende, die die alten Bande noch mitgestaltete und bei einem Besuch in Nebraska 1968 für eine Weile intensivierte. Sie betrachtet die frühere Patenschaft, die für sie immer eine Partnerschaft war, als erloschen, da ihrer Ansicht nach auf Kamener Seite kein Interesse daran mehr vorhanden ist.

Robert Badermann, Leiter des Kamener Stadtarchivs, das über zwei dicke Aktenordner zu diesem Thema verfügt, gibt auf Nachfrage an, man habe Bloomfield zu seinem 125jährigen Bestehen gratuliert, doch sei keine Reaktion erfolgt. Es ist also wohl so, daß auf beiden Seiten nicht mehr viel vorhanden ist, das eine engere Beziehung zwischen den beiden Städten erlaubte.

Nachdem also fast alle direkt Beteiligten gestorben sind und die Nachkriegszeit lange zurückliegt, ist es vielleicht auch kein Wunder, daß diese Beziehung zu Ende gegangen ist. Die Besuche in beiderlei Richtung waren immer auf einen kleinen Personenkreis beschränkt und waren auch sehr selten. Die junge Kamener Generation weiß von der Großzügigkeit Bloomfields nichts. Kamener, die von den Lebensrettungsaktionen Claude Canadays und seiner Mitbürger für den besiegten Feind in Deutschland profitierten, gibt es nur noch sehr wenige, und die sind alt. Und die räumliche Entfernung trug das Ihre zur zeitlichen bei. Ein Kapitel Kamener Nachkriegsgeschichte scheint abgeschlossen.

KH

Abb. 1 & 2: Reinhild Reich

Einladung zum 13. Zeitzeichen des KKK

Der Maler Lukas Cranach im Zeitalter der Reformation

Wie kaum ein anderer Künstler seiner Zeit ist Lukas Cranach der Ältere (1472-1553) mit der Reformation  verbunden. In seinen Bildern spiegeln sich die Themen des reformierten Christentums. In
seinen Drucken und Flugschriften kritisiert er die Institution Kirche. Seine Portraits von Martin Luther prägen bis heute unser Bild des Reformators. Doch Cranach ist weitaus mehr als nur der Maler der Reformation. Er arbeitet ebenso  für die „alte Kirche“ und deren Vertreter.  Seine Bilder zeigen auch die Hinwendung zur Antike. Alles das macht ihn zu einem der erfolgreichsten und produktivsten Künstler der Zeit. Gerade in Cranachs Werken wird der kulturelle und gesellschaftliche Umbruch der Zeit deutlich.

Der Referent des Abends ist Dr. Falko Herlemann, der Kunstgeschichte, Philosophie und  Archäologie in Bochum studierte, mit Magister Artium und Promotion abschloß. Er ist durch zahlreiche Publikationen zur aktuellen Kunst hervorgetreten, hält Vorträge, führt in Ausstellungen ein und ist als Kurator, Journalist und Dozent für Kunstgeschichte am IBKK Bochum tätig.

Termin: Donnerstag, 27. April 2017, 19.30 Uhr, im Museum Kamen, Bahnhofstraße 21 

Eintritt: € 3,00

KH