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Schleppweg

von Klaus Holzer                                                             

Abb. 1. 

Straßennamen verändern sich immer wieder im Laufe der Zeit. Der Schleppweg z. B. hat eine ganz eigene Geschichte.

Der eigentliche Schleppweg ist die jetzige Südkamener Straße zwischen der Unnaer Straße und der Dortmunder Allee. In den 1920er Jahren wurde „unter dem Schleppwege“ eine Zechensiedlung gebaut. Aus den parallel untereinander laufenden Straßen wurde dann der Obere und der Untere Schleppweg. Nach der Anlage des neuen Friedhofs in Südkamen wurde aus dem Oberen Schleppweg die Südkamener Straße. Das „Untere“ wurde gestrichen, es gab ja nur noch einen Schleppweg.    

Der Name kommt ursprünglich von Schliepweg. Die Schliepe (von schleifen, ziehen) ist ein einfaches Holzgestell, das aus zwei gleich langen Stangen besteht, die durch Querstangen verbunden sind. Darauf nagelt man ein paar Bretter, dann läßt sich diese Konstruktion einfach ziehen. Mist aus dem Stall oder andere Dinge, mit denen man für kurze Wege die Radkarre nicht benutzen bzw. beschmutzen wollte, kamen auf die Schliepe. 

Was hat das nun mit dem Schleppweg zu tun? Dazu müssen wir wieder einmal einen kleinen Umweg in die Geschichte machen.

Ein Stück oberhalb des Schleppweges, am jetzigen Südweg, stand ein gegen Dortmund gerichteter Galgen, eine deutliche Warnung an Fremde, Gauner und Mörder. 

Kam es wirklich einmal zu einem Todesurteil, wurde der Nachrichter1 tätig, wurde das allgemein wie ein unterhaltsames Schauspiel betrachtet, das man sich natürlich nicht entgehen lassen wollte. Die Bürger zogen mit Kind und Kegel und Proviant zum Richtplatz, oft Rabenstein genannt, weil die Raben sich an den menschlichen Kadavern gütlich taten, und zertrampelten den Bauern ihre Äcker. Damit es auch eine richtige Belustigung gab, wurden die Delinquenten oft auf dem Schafott noch eine halbe Stunde dem Volk dargeboten. Manchmal wurde der Kopf noch „aufgesteckt“, d. h. zur länger andauernden Abschreckung auf einen Pfosten gesteckt, oft auch zusammen mit der rechten Hand.

Abb. 2. Auf dem Schindanger (Darstellung aus Hessen)

Zur Abschreckung blieben die Kadaver lange am Galgen hängen, und was dann nach Wochen noch übrig war, mußte jetzt irgendwie unter die Erde, allerdings nicht unter die geweihte auf dem Kirchhof, dort durften nur getaufte Unbescholtene beerdigt werden.

Und hierbei kam die Schliepe zum Einsatz. Nur die Ärmsten der Armen waren zu diesem Dienst bereit. Einen eigenen Wagen oder eine Karre hatten sie nicht, auch hätte ihnen niemand seine geliehen. Statt der Querbretter spannte man zwischen die Stangen ein altes Tuch, in dem später die Leiche eingewickelt wurde.

Doch wohin damit? Wie gesagt, auf den Kirchhof konnte sie nicht, ein gehenkter Verbrecher bekam kein christliches Begräbnis, er „kam ja auch nicht in den Himmel“. Es ist nicht immer ganz klar, wo eine solche Leiche verscharrt wurde. In Kamen gibt es leider keine Quelle, die uns Heutigen hierüber Auskunft geben könnte. Doch gab es offenbar unterschiedliche Verfahrensweisen. Am weitesten verbreitetet war das Verscharren auf dem Schindanger2, dem „Anger, an dem das gefallene Vieh geschunden wurde“ (Grimmsches Wörterbuch; „schinden“ heißt: die Haut abziehen, nämlich den Tierkadavern). Das machte der Schinder, heute nennen wir ihn „Abdecker“.

Mancherorts wurden sie wohl auch auf dem Armenfriedhof verscharrt. Dieser lag meistens vor der Mauer und war für Fremde bestimmt, die kein Geld für die Stolgebühren3 hatten, für Ungetaufte und Ausgestoßene.  

Abb. 3. 

Und es steht zu vermuten, daß das Verscharren manchmal auch sehr profan auf einem sogenannten Filleplatz2 vorgenommen wurde. In Kamen lag einer, der für die Mühlenschicht4, auf dem Gebiet mit der Flurbezeichnung Steinacker, ein Stück unterhalb des Schleppweges. Ein solcher Filleplatz wurde angelegt, weil Schlachtreste und Tierkadaver nun einmal da waren und daher entsorgt werden mußten. Dort stand er unter der Aufsicht der zuständigen Schicht, der Mühlenschicht, so daß man sicher gehen konnte, daß von einem solchen Filleplatz keine Seuchengefahr ausging.

Vielleicht wurden die armen Sünder in Kamen  auch dort verscharrt, wer weiß? 

KH, unter Verwendung eines Artikels von Edith Sujatta

Abbildungen: Abb. 1 & 3: Photo Klaus Holzer; Abb. 2: Elfriede Koch, Sozialnetz Hessen

1 Nachrichter – synonym mit Scharfrichter

2 Schon in germanischer Zeit ein Stück Grasland vor oder nahe einer Siedlung, das allen gemeinsam gehörte. Dort gab es gemeinschaftliche Feste, Backen oder Schlachten. Der Schindanger hieß in Kamen Filleplatz und diente dem Abdecker zur Beseitigung von Tierkadavern, was aus hygienischen, d.h., gesundheitlichen Gründen enorm wichtig war.

3 Vor der Einführung der Kirchensteuer 1919 die Gebühren, die der Priester für alle Tätigkeiten nahm, zu denen er die Stola umlegen mußte, das waren die sog. Kasualien wie Taufe, kirchliche Trauung und kirchliche Begräbnisfeier. Ausgenommen von der Stolgebühr waren immer: Kommunion bzw. Abendmahl, Beichte, Kranken- und letzte Ölung. Mancherorts gibt es noch heute Stolgebühren.

4 Kamen war früher in Schichten eingeteilt, Nachbarschaften, die jeweils einem Stadttor zugeordnet waren, für das sie verantwortlich waren. Es gab eine Fülle von öffentlichen und sozialen Pflichten innerhalb solcher Nachbarschaften.

Die Kamener Sesekebrücken

von Klaus Holzer

Die Bedeutung von Brücken ist für die Entwicklung von Städten, Handel und Verkehr kaum zu überschätzen. Ohne sie hätte ein Fluß immer Hemmnis, Trennung bedeutet. Die Kunst des Steinbrückenbaus war mit dem (west)römischen Reich Ende des 5. Jh. untergegangen. In den folgenden zwei Jahrhunderten, während der Zeit der Völkerwanderungen, gingen viele weitere Kulturtechniken verloren. Erst um die Zeit Karls d.Gr. begann zaghaft eine Wiederbelebung aller Bereiche menschlicher Zivilisation, darunter auch der Brückenbau. Zunächst waren es einfache Holzbrücken, weil Holz eben das reichlich zur Verfügung stehende Baumaterial war und es leichter zu beherrschen ist als Stein. Aber Holz ist kein so beständiger Werkstoff wie Stein, es verrottet, wird von Fluten leichter fortgespült, kann auch brennen. Erst zu Beginn des 12. Jh. begann der Steinbrückenbau in Deutschland. Die beiden großen Steinbrücken von Regensburg (Baubeginn 1135) und Würzburg (Baubeginn ebenfalls im 12. Jh.) waren die ersten. Und nicht zufällig waren das 12. und 13. Jh. auch die Zeit der vielen Stadtgründungen.

Obgleich Kamen ebenfalls an einem Fluß entstand, war hier alles viel bescheidener. Es gab jahrhundertelang keine Brücke, nur eine Untiefe, die Sesekefurt, gegenüber dem „Bollwerk“, das seinen Namen dem Bohlenweg verdankt, den findige Ursiedler hier über die Furt und den breiten Sesekesumpf legten. Erst 1695 wird in einer Kamener Urkunde die Maibrücke erwähnt, die damit Kamens älteste bekannte Brücke ist. Natürlich wird es auch früher schon Brücken gegeben haben, kleine Holzbrücken, ohne die keine Gemeinde auskam, überall gab es Bäche und andere Rinnsale, die, auch mit Karren, zu überwinden waren, wenn man seinen täglichen Geschäften nachging.

Kamen hat viele Brücken (und Unterführungen): Fußgängerbrücken, Straßenbrücken, Autobahnbrücken, Eisenbahnbrücken, Flußbrücken, die Hochstraße, die gleich über mehrere, unterschiedliche Verkehrssituationen hinüberführt. Insgesamt sind es 83 Brücken (lt. Vermögensbilanz der Stadt Kamen von 2016). Die meisten von ihnen haben keinen eigenen Namen, finden sich einfach im Verlauf von Straßen oder Trassen. Anders verhält es sich mit den Kamener Sesekebrücken, die zwar in der Regel auch keinen Namen führten, bis auf wenige Ausnahmen: Maibrücke, Vinckebrücke und, natürlich, die Fünfbogenbrücke, die schönste von allen (war einmal: vgl. Artikel „Fünfbogenbrücke“).

Doch zum Jubiläum der Kamener Städtepartnerschaften mit Montreuil-Juigné in Frankreich und Ängelholm in Schweden im Jahre 2013 machte der Kultur Kreis Kamen den Vorschlag, allen bis dahin namenlosen Kamener Brücken den Namen einer Partnerstadt zu geben. Was besonders einleuchtend war, als es seit 2001 bereits die „Partnerschaftsbrücke“ gab. So geschah es. Von der Fünfbogenbrücke an sesekeabwärts heißen die Brücken folgendermaßen:

1. Montreuil-Juigné-Brücke: Sie verbindet die Wittenberger und die Henri-David-Straße. Sie wurde 1975 gebaut, ist 13,5 m lang und 2,40 m breit. Fußgänger und Fahrradfahrer im Kamener Osten wissen die Abkürzung zu schätzen.

Abb. 1: Brücke von Montreuil-Juigné

2. Unkeler Brücke: Diese Brücke liegt in der Schneise, die der frühere Kamener Stadtbaurat Gustav Reich (vgl. Artikel dazu unter „Kamener Köpfe“) vor dem Krieg als Umgehungsstraße plante, um den starken Verkehr, den er voraussah, aus der Kamener Altstadt herauszuhalten. Wäre es zur Ausführung dieser Planung gekommen – wer weiß, vielleicht wäre Kamen die doch trennende Hochstraße erspart geblieben? So aber ist ein relativ breiter Grünstreifen, stellenweise parkartig, übriggeblieben, der ein kleines Naherholungsgebiet darstellt. Diese Schneise führte als direkte Fortsetzung des Ostrings durch Kamens Osten und sollte im Süden in die Unnaer Straße münden. Die Holzbrücke wurde 1983 gebaut, ist 19 m lang, 3,50 m breit.

Abb. 2: Unkeler Brücke

3. Ängelholmer Brücke: Sie war bis in die 1920er Jahre als kleine Holzbrücke für den Verkehr aus den östlichen Richtungen vorhanden, wurde anschließend (vgl.Suleçinbrücke) von Gustav Reich erneuert. Noch 1953 wird sie als Wirtschaftsbrücke neu gebaut Seit der Sesekedamm eine Art innerer Ring ist, der die Innenstadt entlastet, ist auch diese Strecke stark frequentiert. Die heutige Brücke ist 10,00 m lang und 16,70 m breit.

Abb. 3: Ängelholmer Brücke

Ihre Vorgängerbrücke war eine reine Wirtschaftsbrücke, wie sie für den damaligen Gebrauch geeignet war, gleich lang, aber nur 3,00 m breit. 

Abb. 4: Wirtschaftsbrücke

4. Beeskower Brücke: Sie ist eine Fußgänger- und Radfahrerbrücke, wurde 1981 gebaut als Nachfolgebrücke einer Vorgänger-Holzbrücke, sie ist 10,35 m lang und 2,00 m breit. Sie kürzt den Weg zwischen Innenstadt und Mersch beträchtlich ab.

Abb. 5: Beeskower Brücke

5. Partnerschaftsbrücke: Die Bogenbrücke aus Stahlbeton wurde 2002 in Betrieb genommen, damit die Maibrücke vom Verkehr entlastet werden konnte. So wurde eine bessere Verteilung des innerstädtischen Verkehrs durch den vorgelagerten Kreisverkehr erreicht. Es konnte der „Verkehrsschluß Innerer Ring“ angelegt werden, der die Bahnhofstraße entlasten sollte, die ab 2010 umgebaut und nach Fertigstellung im Dezember 2012 in Betrieb genommen wurde. Die Entlastung der Bahnhofstraße wurde nicht erreicht. Die Brücke ist 16,50 m lang und 11,00 m breit.

Abb. 6: Partnerschaftsbrücke

6. Maibrücke: Die älteste Kamener Straßenbrücke, 1695 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Wahrscheinlich war das eine einfache Holzbrücke, denn eine Urkunde im Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem vom 3.8.1737 belegt einen „staatlichen Zuschuß zum Bau der (meine Hervorhebung) Sesekebrücke“. Dennoch wird nicht klar, was für eine Brücke das genau war, denn nur 60 Jahre später, in einer Urkunde vom 10.7.1798, bestätigt die Stadt Kamen den Empfang eines Darlehens „zur Bezahlung der Baukosten der (meine Hervorhebung) neuen Steinbrücke über die Seseke“ (beide Male ist die Rede von „der“ Brücke, also war es die einzige). In der heutigen Form gibt es sie seit 1923. Bis dahin war sie immer noch die einzige Kamener Straßenbrücke. Während ihrer Reparatur mußten Bauern, die zum Markt wollten, weite Umwege über Rottum bzw. Weddinghofen in Kauf nehmen. Sie lag beim Mühlentor, das zusätzlich durch eine Homey geschützt war, die auch zur Einnahme der Akzise genutzt wurde. Diese Brücke wurde naturgemäß stark frequentiert, da über sie aller Verkehr zwischen Lippe und Hellweg verlief. (vgl.a. Artikel „Maibrücke“, darin „Homey“). Die heutige Brücke ist nach der Sanierung im Jahre 2002 eine Plattenbrücke aus Beton mit Stahlträgern. Sie ist 10,50 m lang und 13,70 m breit.

Das vorliegende Detail der technischen Zeichnung zur Erneuerung der Maibrücke stammt vom Mai 1921 und ist noch von der Seseke-Genossenschaft Dortmund erstellt. Erst 1925 vereinigten sich Seseke-Genossenschaft und Lippeverband.

Abb. 7: Plan der Maibrücke von 1921

Abb. 8: Die neue Maibrücke

7. Vinckebrücke: Sie wurde 1923 als direkte Verbindung zwischen vorgelagerten südlichen städtischen Bereichen und der Altstadt gebaut, da die Maibrücke wegen ihrer notwendigen Sanierung bzw. (fast) Neubau längere Zeit geschlossen war, außer für die Kleinbahn UKW, die Straßenbahn. Ihr Bau bedeutete eine deutliche Zeitersparnis für Fußgänger (und das waren die meisten Leute damals) aus Südkamen und Kamen-Süd zur Innenstadt. Der zur Vinckebrücke führende Weg links der Seseke hieß 1949 noch Vinckestraße und reichte von der Bahnhofstraße bis zum Schwesterngang, die Klosterstraße mündete an der kath. Schule (Josefschule) in die Vinckestraße.

Abb. 9: Die Bindebrücke im Bau

Als die Binde(Vincke)brücke 1923 gebaut wurde, herrschte Inflation, lag die Wirtschaft am Boden. Zum Bau verwendete man offenbar minderwertiges Material, denn schon im Herbst 1930 war sie so marode, daß sie gesperrt werden mußte. Diese Sperrung geschah ohne Ankündigung und ohne Beschilderung, weswegen die vielen Fußgänger zwischen Süden und Westen der Stadt, hauptsächlich Schulkinder und Kirchgänger plötzlich davor standen, umkehren mußten und viel Zeit einbüßten. Erst nach einer Woche wurde die Sperrung beschildert. Die Empörung bei den Kamenern und in der Kamener Zeitung war groß. Als Ersatz für die alte Brücke sollte es zunächst nur ein Provisorium geben, weil mit einer „fahrbaren Brücke in absehbarer Zeit zu rechnen“ sei (Ratsvorlage vom 2.3.1931). Kosten des Provisoriums: knapp 1.000,00 Reichsmark, „wenn ein Teil der erforderlichen Nebenarbeiten (…) von Pflichtarbeitern besorgt werden kann“ (dto.). 

Abb. 10: Die alte Vinckebrücke

Die alte Vinckebrücke war eine Holzbrücke, ca. 11,50 m lang und 2 m breit. Bei Regen war sie sehr rutschig.

Die neue Vinckebrücke ist eine Einfeldträgerbrücke aus Stahl und Stahlbeton. Sie 12,50 m lang und 3 m breit. Sie wurde am 15.8.2018 montiert und mit der Eröffnung des Sesekeparks am 22. 9. 2018 in Betrieb genommen.

Abb. 11: Die neue Vinckebrücke 

8. Suleçin-Brücke (Koppelstraßenbrücke): Sie wurde 1924 in Betrieb genommen. Sie war Teil der umfassenden stadtplanerischen Maßnahmen des damaligen Kamener Stadtbaurats Gustav Reich (vgl. Artikel dazu unter „Kamener Köpfe“). Die alte Maibrücke war baufällig geworden und mußte saniert werden. So wurde die Notwendigkeit einer weiteren Straßenbrücke deutlich.Sie ist 10,00 m lang und 13,20 m breit.

Abb. 12: Suleçin-Brücke

9. Eilater Brücke: Sie war bis zum Ende des Bergbaus in Kamen 1983 Bestandteil der Zechenbahn zwischen Monopol und der Reichsbahn bzw. dann der Deutschen Bundesbahn. Was sich als sehr nützlich erwies, als die Fränkische Energiegesellschaft mbH das Bergwerk zu 100% übernahm. So spürte Kamen die Auswirkungen der ersten frühen Kohlekrise seit Ende der 1950er Jahre gar nicht. Täglich rollten ganze Züge voll Kamener Kohle nach Nürnberg, an der Verladestation neben der Westicker Straße, gegenüber Pumpen-Weller, an die DB übergeben. Seit Anfang des Jahrtausends zum Rad– und Spazierweg umgebaut. Sie ist 11,52 m lang und 3,66 m breit.

Abb. 13: Eilater Brücke

10. Bandirma-Brücke: Diese ist keine Sesekebrücke, sondern führt über die Körne, den größten Nebenfluß der Seseke, liegt jedoch gleich neben ihrer Mündung in die Seseke. Da aber für alle sieben Partnerstädte eine Brücke gebraucht wurde, kam sie gerade recht, da Umtaufen vorhandener Brücken nicht in Frage kam. Die Länge beträgt 12,30 m, ihre Breite 3,80 m.

Abb. 11: Bandirma-Brücke

Nimmt man die Fünfbogenbrücke, eine Eisenbahnbrücke, hinzu, hat Kamen-Mitte also neun Sesekebrücken, die Körnebrücke am Klärwerk hier aufgenommen. Die Länge der Brücke ist 12,30, die Stützweite beträgt 3,80 und der lichte Abstand ist 3,30m

Verglichen mit der Situation in früherer Zeit, haben wir heute wirklich keinen Grund mehr, über zu wenige Brücken zu klagen, zumal uns Umwege nicht mehr halbe Tage kosten. Das Auto und andere Verkehrsmittel bringen uns schnell überall hin. Was die Reparatur einer Brücke bedeuten kann, erkennen wir, wenn wir die Diskussion über die Lippebrücke bei Werne verfolgt haben. Wäre diese während des jahrelangen Um- bzw. Neubaues komplett gesperrt worden, wären Umwege über Hamm im Osten und Lünen im Westen notwendig geworden. Und das ist dann selbst mit dem Auto deutlich spürbar, das kostet Zeit und geht ins Geld.

KH

Bildquellen:    Abb. 4 & 7: Stadt Kamen, Tiefbauamt; Abb. 9: Stadtarchiv Kamen; alle anderen: Photo Klaus Holzer

Die Mühlenstraẞe in Kamen-Mitte

von Klaus Holzer

Sie wissen, daß es eine Mühlenstraße in Westick gibt? Aber Sie wissen nicht, daß es auch in Kamen-Mitte (damals noch ohne „Mitte“) eine Mühlenstraße gab? Kein Wunder, gibt es sie doch seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. nicht mehr. Es handelt sich bei ihr um das obere Stück der Bahnhofstraße, vom Markt bis zur Maibrücke. Sie führte also vom Mittelpunkt der Ackerbürgerstadt zu einem der wichtigsten Handwerke einer jeden mittelalterlichen Stadt: dem Müller. Eike von Repgow legt in seinem ca. 1220/30 entstandenen „Sachsenspiegel“ dar, für wie wichtig Mühlen damals gehalten wurden. Daraus ging klar hervor: Auf Mord, Beraubung einer Kirche, einer Mühle oder eines Friedhofs steht die Strafe des Räderns! Das war die schlimmste vorstellbare Strafe. Ausrauben einer Mühle wurde mit Mord, Schändung von Kirche und Friedhof gleichgestellt!

In dieser Abbildung ist übrigens die Ähnlichkeit des Mühlrades mit dem Kammrad im Kamener Stadtwappen, das aus derselben Zeit stammt, frappierend. 

Abb. 1: Eike von Repgow, Sachsenspiegel

Die Mühlenstraße war Teil des wichtigen Straßenkreuzes in Kamen, Ost–, Nord–, Weststraße, dazu Am Geist, die Diagonale über den Markt, und die Fortführung nach Süden zum Hellweg über die Mühlenstraße. Sie führte als einzige Straße über die Seseke und war durch ihre Lage und Bedeutung wohl die am stärksten frequentierte Straße. Dreimal in der Woche war in Kamen Markt, zweimal für je eine Woche Jahrmarkt, von Graf Adolf I., Grafen von der Mark, der zwischen 1249 und 1277 regierte, zugestanden und von Graf Adolf II am 4. Juli 1346 bestätigt. Dann  strömten Händler, Gaukler und Bauern in die Stadt, um Geschäfte zu machen, die Kamener mit allem zu versorgen, was sie nicht selber herstellen konnten, sie zu unterhalten und natürlich auch mit den neuesten Nachrichten aus aller Welt zu versorgen.

Abb. 2 – 4: Kaufleute, Gaukler und Bauern hatten alle ihren festen Platz in der Stadt

Die Brücke muß man sich bis gegen Ende des 18. Jh. als einfache Holzbrücke vorstellen, die jedoch den damaligen Ansprüchen wohl genügte, schließlich waren auch die Fuhrwerke der Händler meist recht bescheidene Fahrzeuge, deren Last nicht sehr hoch war. Pferde mußten sie bei jedem Wetter über unbefestigte Straßen ziehen können, die beim leichtesten Regen zu Schlammlöchern wurden.

Abb. 5: Ein Wagen, wie ihn die Hansekaufleute benutzt haben

Preußen hatte 1717 die Akzise wieder eingeführt, eine Steuer auf Waren, die beim Eintritt in eine Stadt zu entrichten war. Das machte man nun in jeder Stadt, überall hatten Händler diese Steuer zu entrichten, was die Geschäfte beträchtlich behinderte. Schon damals taten sie daher etwas, was auch heute noch Usus ist: sie schlugen die Kosten der Akzise auf den Preis auf (heute ist das die MWSt). Schließlich erkannten die preußischen Behörden das Problem und schafften die Steuer gegen Ende des Jahrhunderts wieder ab.

Das scheint zu einem Anwachsen des Handels geführt zu haben, vielleicht auch zu größeren Fuhrwerken. Wie auch immer, es fällt auf, daß die Stadt Kamen zur selben Zeit, 1797, die Notwendigkeit erkennt, die „Homeybrücke“1 zu erneuern, und nicht nur wieder eine Holzbrücke, sondern jetzt eine richtige Steinbrücke zu bauen.

Aber Kamen ist arm, der Glanz und Reichtum der Hansezeit sind lange dahin. Man tat das, was ebenfalls auch heute noch üblich ist: man nimmt Darlehen auf. Aber es gibt noch keine Sparkassen und Banken. Man muß sich das Geld bei reichen Bürgern leihen. 

Hier eine Aufstellung dieser Darlehen:

10. Juni 1797, 500 Reichsthaler von Doktor Proebsting2, städt. Einnahmen als Pfand,

10. Juni 1797, 500 Reichsthaler von Prediger Hecking in Bönen, städt. Einnahmen als Pfand,

10. Juli 1798,  395 Reichsthaler von Stadtkämmerer Rediger, städt. Einnahmen als Pfand,

10. Juli 1798, 200 Reichsthaler vom Armenhospital in Kamen, städt. Einnahmen als Pfand, 14 Tage später von der Kriegs- und Domänenkammer in Hamm3 genehmigt. Insgesamt lieh sich die Stadt also 1595 Reichsthaler.4

Die zwei Darlehen vom Juni 1797 sind ausdrücklich zur Bezahlung der Kosten für die neue Steinbrücke über die Seseke gedacht, die beiden von 1798 ebenfalls für die Steinbrücke, doch auch, und das ist bemerkenswert, für das Straßenpflaster. 1798 wird die Mühlenstraße als erste Straße in Kamen mit einem Steinpflaster versehen!

Es dauerte lange, bis Kamen diese vier Darlehen getilgt hatte. Das an Hecking war am 15. November 1825 getilgt, das Rediger-Darlehen am 2. Dezember 1829, das des Armenhospitals am 9. Juli 1838. Von der Tilgung des Darlehens von Dr. Proebsting ist in diesen Urkunden nichts zu finden.

Im Vergleich zu der Gewaltleistung, die der Bau der Stadtmauer bedeutete, waren der Bau der Brücke und die Pflasterung der Straße sicherlich leicht zu bewältigen5. Spätestens Anfang des neuen Jahrhunderts dürfte beides fertig gewesen sein. Bis 1923 war diese Brücke die einzige Straßenbrücke in Kamen. Sogar die Kleinbahn UKW6 hat sie noch erlebt. Dann aber war sie unrettbar beschädigt. Sie mußte abgerissen und eine neue gebaut werden.

Abb. 6: Die alte Maibrücke, 1985

 2001 wurde sie saniert und vom motorisierten Verkehr befreit. Heute ist sie Bestandteil des neuen Sesekparks, der im Jahre 2018 der Kamener Bevölkerung übergeben wurde.

Abb. 7: Die neue Maibrücke

Quelle der Abbildungen:

Abb. 1: aus: Aufruhr 1225! Das Mittelalter an Rhein und Ruhr, Darmstadt 2010; das Mühlenrad (oben) auf einer Darstellung im Sachsenspiegel des Eike von Repgow aus den 1220/30er Jahren, wie es auch im Kamener Stadtwappen zu sehen ist.

Abb. 2: Bernd Fuhrmann, Die Stadt im Mittelalter, Stuttgart 2006, S. 57

Abb. 3: Bernd Fuhrmann, Die Stadt im Mittelalter, Stuttgart 2006, S. 27

Abb. 4: Stadtarchiv Kamen

Abb. 5: Archiv Klaus Holzer

Abb. 6: Wikipedia

Abb. 7: Photo Klaus Holzer

1 Zur Erklärung des Namens vgl. Artikel „Maibrücke“

2 Wahrscheinlich Dr. med. Philipp Ludwig Pröbsting, geb. 26. Mai 1735, gest. 23. April 1812, der Großvater des bekannten Stadtchronisten.

3 Die Reichs- und Domänenkammern wurden in Preußen 1723 als Provinzialbehörden eingeführt, ab 1815 in die preußischen Bezirksregierungen umgewandelt.

4 Auch wenn heute nicht mehr sinnvoll erschlossen werden kann, wieviel diese Summe seinerzeit wirklich bedeutete, wird aber im Verhältnis ersichtlich, was für eine gewaltige Summe das war, wenn man einmal die Zahlen für einen städtischen Haushalt damit vergleicht. Pröbsting führt in seiner Kamener Stadtgeschichte detailliert auf, wie die Zahlen für 1702 sind: Einnahmen – 867 Thaler, 45 Stüber; Ausgaben: 963 Thaler, 9 Stüber; das ergibt einen Negativsaldo von 96 Thalern, 4 Stübern! Auch wenn die Zahlen fast 100 Jahre später vielleicht etwas andere sind, die prekäre Situation wird deutlich. Versuch der Annäherung des Wertes des Reichsthalers um jene Zeit: 1818 erhielt ein Schullehrer, der gleichzeitig Organist und Küster war, 100 Reichsthaler im Jahr. 

5 vgl.a.Artikel „Mühlentorweg“

6 So hieß die Straßenbahn, die von 1909 bis 1950 zwischen Unna, Kamen und Werne verkehrte.

KH

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: 70 Jahre gelebte Freiheit und Demokratie.

Bei der folgenden Zusammenfassung handelt es sich um Teil IV des 15. ZZ des KKK, verfaßt und vorgetragen von Dr. Heinrich-Wilhelm Drexhage

Am 23. Mai 1949 wurde in Bonn vom Parlamentarischen Rat das Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland verkündet. Dieses Datum markiert den Beginn der längsten Periode von Frieden, Freiheit und Demokratie in der Geschichte Deutschlands.

Abb. 1: Der Parlamentarische Rat

Dieses GG ist auf den schrecklichen Erfahrungen der deutschen Geschichte aufgebaut: wie die erste deutsche Demokratie, die Weimarer Republik, zwischen den extremen rechten und linken Parteien zerrieben wurde, zu ihrem Spielball wurde, obgleich, oder auch weil, sie in ihrer Verfassung eine besonders freiheitliche Grundordnung aufwies. So scheiterte sie wegen ihrer großen Liberalität und ging schließlich im Wüten der Nationalsozialisten unter. Damit gab es keine Freiheit mehr. 

Erst nach der Zerstörung Deutschlands besannen sich die Männer und Frauen des Parlamentarischen Rates auf die Ideen der Denker früherer Jahrhunderte und verfaßten ein GG, das allgemeine Gültigkeit beanspruchte. Daher lautet der erste, so einfache, aber folgenschwere Satz des GG:  Art. 1(1) „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Damit ist der Grundton vorgegeben: der einzelne Mensch steht im Mittelpunkt alles staatlichen Handelns. Ein Satz mit einer Tragweite, der sich in keiner anderen Verfassung in der Welt findet. Die Menschenwürde ist als „vorstaatlich“ gegeben, als von Natur aus vorhanden.

Weitere grundlegende Artikel: Art. 2 (1) „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

Art. 4(1) „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“

Art. 5: (Meinungs-, Informations-, Presse-, Rundfunk-, Film-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit)

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugängigen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Diese Grundrechte bilden den Prüfstein für ein funktionierendes Staatswesen und eine freie pluralistische Gesellschaft. Da das Bunderverfassungsgericht festgestellt hat, daß das „Kommunikationsrecht zu den vornehmsten Menschenrechten überhaupt“ gehöre, werden die Grenzen hier sehr weit gezogen. Es gibt nur sehr wenig, was in Deutschland nicht gesagt werden darf, das wichtigste: Leugnung des Holocausts und Verherrlichung des Nationalsozialismus sind unter Strafe gestellt, Ergebnis historischer Erfahrung.

(Zusammenfassung von Klaus Holzer)

Bildquelle: Abb. 1: Bundesarchiv

Freiheit: ein kurzer kultur– und ideengeschichtlicher Überblick

Bei der folgenden Zusammenfassung handelt es sich um Teil III des 15. ZZ des KKK, verfaßt und vorgetragen von Dr. Heinrich-Wilhelm Drexhage

Der Begriff der Freiheit: Kurzer kultur- und ideengeschichtlicher Überblick

Im zweiten Teil des Abends gab Dr. Drexhage einen Überblick über die Entwicklung des Begriffs der Freiheit in den letzten zweieinhalbtausend Jahren, beginnend mit Perikles (um 500 – 429 v.Chr.) in der klassischen griechischen Antike. Er erläuterte ausführlich das Verständnis von Freiheit dieses bedeutenden Staatsmannes und wie sich dieser Begriff im Alltag Athens darstellte: die griechische Polis ist der Schlüssel zum Verständnis der griechischen Antike und ihrer politischen Kultur. In ihr gab es zum ersten Mal eine freiheitliche demokratische Grundordnung, die alle Männer, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und gesellschaftlichen Stellung, in die politischen Entscheidungsprozesse einbezog.

Abb. 1: Perikles & die Akropolis

Im römischen Reich hat es hingegen niemals eine demokratische Verfassung gegeben, allenfalls eine gewisse Unabhängigkeit der „coloniae“, der Städte, in Deutschland Köln, Xanten und Trier. Immerhin stellten Marc Aurel und Seneca, die die um 300 v.Chr. gegründete griechische Philosophenschule der Stoa für Rom adaptierten, fest, daß es für den Menschen keine äußere Freiheit geben könne, da er ihre Voraussetzungen nicht kontrollieren könne, weswegen seine innere Freiheit entscheidend sei. 

Abb. 2: Seneca & Marc Aurel

Im Hochmittelalter herrschte eine streng gegliederte Ständeordnung, die kaum Freiheit ließ. 90% der Bevölkerung waren Bauern und damit „Unfreie, Leibeigene, Hörige“. Erste Ansätze gab es in England, wo 1215 die „Magna Charta Libertatum“ („Große Urkunde der Freiheiten“) dem Adel grundlegende politische Freiheiten gegenüber dem König verbriefte.

In Deutschland verfaßte zwischen 1220 und 1235 der Ritter und Rechtskundige Eike von Repgow das Rechtsbuch „Sachsenspiegel“, in dem er feststellte: „Als man zum ersten Male Recht setzte, da gab es noch keinen Dienstmann und waren alle Menschen freie Leute […]. Ich kann es auch mit meinem Verstande nicht für Wahrheit halten, daß jemand das Eigentum eines anderen Menschen sein soll.“

Abb. 3: Eike von Repgow

Und als im 12. Jh. in Deutschland mehr und mehr Städte, und damit Bürger, entstanden, gab es auch immer mehr Freiheit: „Stadtluft macht frei.“

Im Spätmittelalter begannen die Menschen zunehmend, ihre Unfreiheit als bedrückend, als Belastung zu empfinden, was in den Bauernkriegen 1525 kulminierte. Die Aufstände wurden jedoch von den Fürsten brutal unterdrückt, die Feudalordnung hatte weiter Bestand.

Abb. 4: John Locke

Erst die Aufklärung bringt deutlichen Fortschritt. Ein früher Aufklärer, der Engländer John Locke (1632 – 1704) beschrieb die Grundvoraussetzungen für eine gedeihliches Staatswesen: dieses habe nur den Zweck, Freiheit, Eigentum, Leben und körperliche Unversehrtheit seiner Bürger zu schützen. Und er formulierte as erster, alle Gewalt im Staate müsse vom Volk ausgeübt werden.

In Frankreich war es vor allem Montesquieu (1689 – 1755) der die Grundlagen für den modernen Verfassungsstaat legte. Sein Landsmann Voltaire (1694 – 1778) kämpfte zeitlebens für Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz.

Abb. 5: Immanuel Kant

In Deutschland war es vor allem Immanuel Kant (1724 – 1804), für den Freiheit, Vernunft bzw. Verstand zentrale Begriffe seiner Philosophie waren: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Daher gelte: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Und weiter: „Zu dieser Aufklärung wird aber nichts mehr gefordert als Freiheit […], nämlich die, von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Der öffentliche Gebrauch der Vernunft muß jederzeit frei sein und der kann allein Aufklärung unter Menschen zustande bringen.“ Damit war die Grundlage für die Würde des Menschen und seine Freiheit gelegt.

Abb. 6: John Stuart Mill

Besonders wirkungsmächtig war im 19. Jh. der englische Philosoph und Politiker John Stuart Mill (1806 – 1873). Er legte überzeugend dar, daß menschliches Glück entscheidend vom Grad der Freiheit abhänge, die in einem liberalen Staatswesen gewährt werde. Nur in zwei Fällen dürfe man sich in die Handlungsfreiheit eines Menschen einmischen: um sich selber zu schützen oder die Schädigung anderer zu verhindern. Das ist sein noch heute in der anglo-amerikanischen Welt akzeptiertes Mill-Limit.

(Zusammenfassung Klaus Holzer)

Bildquellen: Abb. 1: N. Harris, Antikes Griechenland; Abb. 2: Gipsabdruck Archäologisches Museum Münster, J. Martin, Das alte Rom (Marc Aurel); Abb. 4,  5 & 6: Wikipedia

Anderer Begriff von Freiheit in GB & den USA

von Klaus Holzer

V. Andere Begriffe von Freiheit in GB & USA

Das Verständnis von Freiheit ist, wie andere Dinge auch, eng mit der eigenen historischen Erfahrung verknüpft. Es gibt eben doch Dinge, die mit dem Begriff der Nation zusammenhängen. Wer wollte leugnen, daß das Leben, die typischen Dinge des Alltags wie auch der grundsätzlichen Ideen, in anderen Länder andere sind als bei uns. Ich weiß, das gerät in die Nähe des politisch verbrannten Begriffs der Leitkultur, aber ich glaube, daß das vor allem daran liegt, daß er schnell mit deutscher Überlegenheit assoziiert wurde, mit „Deutschland, Deutschland über alles“. Was wiederum dem Engländer selbstverständlich ist: Man begegnet immer wieder dem dankbaren Stoßseufzer: Was für ein Glück, daß ich als Engländer geboren bin. Oder den Amerikanern, die sich in „God’s own country“ wähnen. Und wer wollte ernsthaft bestreiten, daß das Leben in Frankreich oder Italien oder Spanien oder England sich erheblich von dem hier unterscheidet?

Auf unterschiedlichen historischen Erfahrungen ergeben sich auch unterschiedliche Auffassungen von Freiheit:

GB:

Abb. 1: Zwei Flaggen vereint – ein Land entzweit

Die Briten streben u.a. deswegen aus der EU, weil nicht wenige von ihnen immer noch Ideen des Empire nachhängen, Ideen von Weltmacht, Unabhängigkeit. Seit 1066 ein Reich, mit zentraler Regierung, wurde nie erobert, hatte nie eine Invasion zu erleiden, war immer selbständig, erträgt also keine supranationale Institution, deren Spielregeln sie zu folgen hätte, war Sieger in beiden Weltkriegen, wurde dabei arm, verlor aber nie seine Würde, zieht daraus sein Selbstbewußtsein.

Abb. 2:  Pro-Brexit-Demonstration

Abb. 3: Anti-Brexit-Demonstration

Ein weiterer Grund ist das englische Recht: englische Richter sind absolut unabhängig: sie entscheiden auf der Grundlage des Common Law (vgl.a. common sense, heute zunehmend durch statute law ergänzt), d.h., durch Präzedenzfälle geprägt, womit jedes Urteil tendenziell wieder zum Präzedenzfall wird. Sie möchten nicht vom EuGH mit seinem geschriebenen Recht abhängig sein.

Abb. 4: Magna Charta, 1215

Ein bedeutender Teil der Magna Carta (Magna Charta oder Magna Carta Libertatum, dt. „Große Urkunde der Freiheiten“) ist z.T eine wörtliche Kopie der Charter of Liberties Heinrichs I. von 1100, die dem englischen Adel bereits entsprechende Rechte gewährte. Die Magna Carta verbriefte grundlegende politische Freiheiten des Adels gegenüber dem englischen König, also hat GB auch eine 900-jährige Geschichte der Freiheit; daher kommt wohl auch wenigstens z.T. die Aversion der Briten gegen die EU mit ihrem beträchtlichen Demokratiedefizit.

Die Mehrheit der Briten wehrt sich entschieden gegen die Einführung von Personalausweisen, weil sie die als zu starke staatliche Kontrolle empfinden, es gibt kein Meldesystem, z.B. bei Umzug; ein Problem dabei: es gibt kein abschließendes Wählerverzeichnis, man läßt sich registrieren, das wird durch das Kataster vollzogen: Fragebögen kommen in jedes Haus und Wahlberechtigte bekommen dann ihre voting card.

In einem Roman von 1855 (The Warden, Anthony Trollope) wird ein ganzes Kapitel der Macht der Presse gewidmet, und „Pressefreiheit“ kommt ausdrücklich darin vor! Und daß jedermann sein Recht vor Gericht erstreiten kann!

Meinungs- und Redefreiheit auch in GB heute in Gefahr, beschnitten zu werden: am 23.2.19 las der nigerianische Prediger Oluwole Ilesanmi in London aus der Bibel und predigte öffentlich darüber, was gesetzlich erlaubt ist. Ein Moslem nahm Anstoß daran, weil er den Islam verhöhnt glaubte. Er rief die Polizei, die den Prediger gesetzwidrig festnahm, in Handschellen fesselte und weit außerhalb Londons einfach aussetzte. Zunehmend ist konkurrierende Gesetzgebung aus politisch korrekten Gründen zum Problem für Presse- und Redefreiheit.

USA:

Abb. 5: Declaration of Independence

We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.

Die erste deutsche Übersetzung der Unabhängigkeitserklärung veröffentlichte einen Tag nach ihrer Verabschiedung die deutschsprachige Zeitung Pennsylvanischer Staatsbote in Philadelphia. Sie gab diesen Abschnitt folgendermaßen wieder:

„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“

Entscheidend: Freiheit ist nach dem Leben das erste unveräußerliche Recht, und das 1774! Noch vor der Französischen Revolution! Zu einer Zeit, da es in Deutschland noch ca. 300 Staaten gab, Hunderte reichsunmittelbare Ritter, dazu die reichsfreien Städte, bis auf diese alle absolutistisch eingestellt.

Abb. 6: Die Unabhängigkeitserklärung wird verfaßt (lks. Benjamin Franklin)

Wahlrecht: Die Amerikaner wählen den mächtigsten Mann ihres Landes, den Präsidenten nicht selber, sondern das tut ein Wahlmännergremium (electoral college).

Hintergrund: Die ersten Wahlen fanden im 18. Jh. statt, da konnten keine allgemeinen Wahlen auf Millionen Quadratkilometern organisiert werden. Es wurden in allen Regionen Männer gewählt, die dann nach Washington reisten und den Präsidenten wählten. Heute eher unpraktisch, doch gibt man seine Traditionen nicht so leicht auf, weil man, wie die Engländer, eine ungebrochene Geschichte hat. 

Abb. 7: The Puritans

Pilgrim Fathers – Puritans: Die ersten Einwanderer waren wegen religiöser Verfolgung und Unterdrückung aus England geflohen, daher war es für sie besonders wichtig, „to worship God in their own way“.

Grundsätzlich: Der Kongreß garantiert „absolute Religionsfreiheit, uneingeschränkte Redefreiheit, Pressefreiheit, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit; jeder Glaube muß frei sein: Scientology bei uns vom Verfassungsschutz beobachtete Sekte, dort Kirche (es braucht, es gibt keine staatliche Anerkennung, jeder kann seine Kirche gründen), daher auch kein Blasphemiegesetz; heute strikte Trennung von Kirche und Staat, keine Kirchensteuer, dafür religiöse Privatschulen oder Sunday Schools; es gibt in den USA keine religiösen Feiertage außer Weihnachten (Thanksgiving ist nicht religiös begründet)

Abb. 8: The Cowboy

Frontier/Westward Ho!: Der Cowboy, die Inkarnation des Westward H0! Eroberung des unerforschten Westens ohne staatliche Organisation und Rechtsrahmen verlangte privates Handeln in absoluter Freiheit, z.T. als Willkür, nur mit Waffengewalt –  daher ist das Recht auf Selbstverteidigung heute noch verfassungsmäßig garantiert.

First Amendment (to the Constitution): 

Congress shall make no law respecting an establishment of religion or prohibiting the exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press;  or of the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.

(Der erste Zusatz (zur Verfassung)Der Kongreß soll kein Gesetz erlassen, das die Gründung einer Religion zum Gegenstand hat oder die freie Ausübung derselben behindert; oder die Redefreiheit beschneidet, oder die Pressefreiheit; oder das Recht der Menschen, sich friedlich zu versammeln, und eine Petition an die Regierung zu richten, um die Abstellung von Mißständen zu verlangen.)

Second Amendment:

A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed.

(Der zweite Zusatz: Da eine wohlgeordnete Bürgerwehr für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden.)

Die USA haben ein ganz anderes Verständnis von Freiheit als wir: Sie kennen kein Feudalwesen mit Bindung an Herkunft, Namen und Überlieferung, während Europa sich doppelter Gefahr ausgesetzt sah, weil es ja keine Verfassungen, und damit Rechtssicherheit, gab: nach oben zu schielen, sich Fürstenlaunen und Herrengunst anzupassen, was bedeutete, daß man nach unten sich den aufstrebenden Teilen des Volkes gegenüber abriegelte und auf gesellschaftliche Vorrechte pochte. Ergebnis: Liebedienerei und Erbengesinnung statt freiheitlichen Denkens in Deutschland.

Abb. 9: Absolute Rede- und Demonstrationsfreiheit

Absolute Meinungs- und Redefreiheit: In Deutschland sind nationalsozialistische Haltung/Äußerungen/Symbole verboten. 

(In Estland und Lettland sind sowjetische/kommunistische Symbole verboten, beides aus der historischen Erfahrung heraus; ein aktuelles Beispiel: Die NATO stellt Truppen an den Grenzen zu Rußland auf. Bei uns wird das von vielen heftig als Kriegstreiberei kritisiert, bei Polen und Balten dagegen als Garantie für Freiheit angesehen, nämlich wegen ihrer ganz besonderen Erfahrungen mit der UdSSR bzw. Rußland.)

Das Verbot resultiert aus unserer historischen Erfahrung, in USA jedoch sind diese Gedanken durch Meinungsfreiheit gedeckt: nur weil jeder Idiot seine wirre Meinung frei sagen darf, darf ich auch sagen, was ich will; z.B. hat der Supreme Court festgestellt: Die amerikanische Flagge steht u.a. für das Recht, diese Flagge zu verbrennen. Der Engländer Richard Williamson, früherer Bischof der Piusbruderschaft, bestritt 2009 im schwedischen Fernsehen den Holocaust. Er wurde in D dafür zu 1800 Euro Geldstraße verurteilt, ging bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit der Begründung dagegen an, seine Äußerung sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Im englischen und amerikanischen Denken ist es nicht die Aufgabe des Staates, die richtige Interpretation von Geschichte vorzugeben.

Die Tatsache des Holocausts wird in beiden Ländern anerkannt, doch ist seine Leugnung nicht strafbar.

Dieses sind nur einige Aspekte, den Unterschied in der Denkweise und staatlichen Organisation betreffend. Ich hoffe aber, daß zumindest im Ansatz deutlich geworden ist, wie diese Unterschiede zustand gekommen sind.

KH

Bildquellen: Abb. 1: The Spectator, April 2019; Abb. 2 – 4, 8 & 9: Wikipedia; Abb. 5 – 7: Wikimedia Commons;

Zum Fall der Berliner Mauer vor bald 30 Jahren: das 15. ZZ des KKK

von Klaus Holzer

Als am 15. Juni 1961 Walter Ulbricht, Vorsitzender des Staatsrats der DDR und Erster Sekretär der SED und damit mächtigster Mann im Staate, auf einer Presskonferenz von einer Frankfurter Journalistin gefragt wurde, ob er die Staatsgrenze der DDR befestigen wolle, antwortete der: „ …. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Selten hatte die Aussage eines Staatsoberhaupts kürzere Lügenbeine. Zwei Monate später begann die DDR, um Ostberlin eine Mauer zu errichten, den Ostteil der Stadt vom Westteil abzuschneiden.

Abb. 1: Checkpoint Charlie, 27. Okt. 1961

Am 21. Oktober 1961 stand die Welt dicht vor einem Krieg zwischen Ost und West, der leicht hätte atomar werden können: 30 amerikanische und 30 sowjetische Panzer standen sich in Berlin am Checkpoint Charlie gegenüber, und die Entscheidung über Krieg oder Frieden lag plötzlich bei den zwei Panzerkommandanten. 24 Stunden Warten, bis beide Seiten ihre Panzer zurückzogen. Immerhin hatte der Zwischenfall aus westlicher Sicht einen Vorteil gebracht: es war damit klar, daß Ostberlin nicht „die Hauptstadt der DDR“ war, wie die Regierung der DDR es immer wieder behauptete, sondern der Sowjetunion unterstand, d.h., immer noch Teil des Viermächtestatus’ ganz Berlins war.

Abb. 2: Die drei Alliierten Führer in Potsdam

(17. Juli – 2. Aug. 1945)

Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Nach dem verlorenen Krieg wurde Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt, Berlin entsprechend in vier Sektoren. Von Anfang an war die Berliner Situation besonders schwierig, weil es von sowjetisch kontrolliertem Territorium umgeben war. Weil sich die Lebensverhältnisse zwischen Ost und West weit auseinander entwickelten, und das bezog sich nicht nur auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, zog es zunehmend mehr Ostdeutsche in den freien und reicheren Westen. Zwischen 1949 und 1961 verließen rund 2,9 Mill. Menschen den Osten, vor allem gut ausgebildete Arbeiter und Akademiker, die auf beiden Seiten gute Chancen besaßen. Allein im Juli 1961 flüchteten ca. 30.000 Menschen, d.h., etwa 1.000 am Tag im Durchschnitt. Zu einer weiteren Schwächung des Ostens trug das wirtschaftlich voll gerechtfertigte Wechselkursverhältnis der Mark der DDR und der D-Mark (der Deutschen Mark West) bei, das damals 4:1 betrug. So kam es zum Abfluß von Waren und zum illegalen Geldumtausch. Die DDR stand damit vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Da sah das ZK der SED keinen anderen Ausweg als die totale Abschottung seines Landes gegenüber dem Westen, mit Zustimmung der Sowjetunion.

Abb. 3: Bau der Mauer (13. Aug. 1961)

Das Ergebnis war die Berliner Mauer, monströses Symbol barbarischen Denkens. Am 13. August 1968 baute die DDR unter dem Schutz von Volkspolizei und Nationaler Volksarmee eine rund 160 km lange Mauer um Ostberlin, mit 296 Beobachtungstürmen und vielen weiteren technischen Einrichtungen, die „Republikflucht“ verhindern sollten, zusätzlich zu der 1.360 km langen Zonengrenze. Ein Land mauerte also seine Bürger ein, machte sie zu Gefangenen im eigenen Land, nahm ihnen viele Rechte, Dinge, die im Westen längst selbstverständlich waren und offenbar ein menschliches Grundbedürfnis darstellen. Das Ergebnis: ca. 180.000 DDR-Bürger flohen trotzdem in den Westen, an der Berliner Mauer wurde eine nicht genau bekannte Zahl an Flüchtlingen getötet, man schätzt zwischen 130 und 269. Der Drang nach Freiheit und besserem Leben läßt Menschen alles riskieren.

Abb. 4: Tote an der Mauer (17. Aug. 1961: Peter Fechter)

In dieser politisch auf Dauer unerträglichen Situation kam es in den Folgejahren auf Grund verschiedener politischer Initiativen und Verträge zu einer gewissen Entspannung zwischen Ost und West. Hier ist vor allem Willy Brandts Ostpolitik zu nennen. Einen wichtigen Augenblick gab es am 12. Juni 1987, als der damalige US-Präsident Ronald Reagan bei einer Rede an der Mauer die Worte sprach: „Mr Gorbachov, tear down this wall.“ Was aber damals niemand ernst nahm. Reagans Worte wurden als bloße Pflichtübung verstanden.

Abb. 5: Ronald Reagan: „Mr Gorbachov, tear down this wall.“

Dann aber kam es kurz vor dem 40. Jahrestag der Gründung der DDR im Sommer 1989 in vielen Großstädten Ostdeutschlands zu Massendemonstrationen, auf denen die Menschen Reisefreiheit für alle forderten, auch das Recht, in den Westen zu reisen. 

Der Drang der Ostdeutschen, endlich frei zu sein, wurde immer stärker. Vor allem in Leipzig versammelten sich mehr und mehr Menschen auf den Straßen und protestierten gegen das SED-Regime. Als Katalysator fungierte hier besonders die Leipziger Nikolaikirche, die zu jener Zeit bereits eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Unzufriedenen hatte. Schon lange vorher hatte ihr Pastor Christian Führer damit begonnen, zu Fürbitten für die vielen von der Stasi Verhafteten einzuladen. Trotz der Repressalien der Behörden nahm die Zahl der Teilnehmer beständig zu. Am 9. Oktober 1989 wurde die Nikolaikirche zum Ausgangspunkt für die Demonstration der 70.000 in Leipzig, der „Friedlichen Revolution“. Ohne die Kirchen der DDR und ihr Angebot, Sicherheitsraum zu sein, wäre es wohl nicht zu einem gewaltfreien Ende der DDR gekommen. Die Deutschen mögen nie eine richtige Revolution hinbekommen haben, aber sie sind die einzigen auf der Welt, die dafür eine friedliche Revolution geschafft haben.

Abb. 6: Leipziger Montagsdemonstration (9. Okt. 1989)

Es gab für DDR-Bürger zwar Sonderreiseregelungen für Rentner und Verwandtenbesuche im Westen, doch allgemein waren Reisen selbst für privilegierte DDR-Bürger nach außerhalb der DDR nur in die „sozialistischen Bruderländer“ erlaubt. Dorthin waren im Sommer 1961 viele tausend DDR-Bürger gereist, vor allem in die Tschechoslowakei und nach Ungarn. Da sich große Menschenmassen weigerten, in die DDR zurückzufahren, ergab sich für die beiden Länder ein Problem, das sie schließlich lösten, indem sie ihre Grenzen nach Österreich öffneten. Das Ergebnis war eine Massenflucht in den Westen. Und der Druck auf die DDR erhöhte sich weiter. Das ZK der SED erließ daraufhin eine Regelung für die ständige Ausreise.

Abb. 7: Ungarn öffnet die Grenze zu Österreich (19. Aug. 1989)

Und jetzt erhielt die Situation eine gewisse Eigendynamik, nicht ohne Elemente einer Burleske. Diese Regelung sollte am 10. November 1961 frühmorgens veröffentlich werden. Davon wußte aber der zuständige Sekretär für das Informationswesen des Zentralkomitees der SED, der ehemalige Journalist Günter Schabowski, nichts. Er hatte die Informationen über die ZK-Sitzung für eine Pressekonferenz am Vorabend von Egon Krenz, dem Nachfolger Erich Honeckers als Staatsratsvorsitzender seit dem 6. Oktober 1989 erhalten. Es gibt wohl keine zweite an sich so unbedeutende Situation in der Geschichte, die derartig große politisch-historische Bedeutung erlangt hätte. Dabei ereignete sich eine, fast möchte man sagen, Slapstick-Einlage.

Als Schabowski gefragt wurde, wann die neue Reiseregelung in Kraft trete, schaute er eher hilflos auf seine Notizen und antwortete dann: „Nach meiner Kenntnis ist das … sofort … unverzüglich.“ Weil diese Pressekonferenz sowohl über West- wie auch Ostrundfunk direkt übertragen wurde, sprach sich seine Ankündigung sofort herum. Tausende Ostberliner strömten zu den Grenzübergängen und wurden durchgelassen, weil die Grenzpolizisten keine Befehle hatten, wie zu reagieren war, und weil der Druck durch die Massen auf sie zu hoch wurde. Der Sog der Freiheit war zu groß, als daß er hätte gestoppt werden können. Aus zwei Ländern wurde eins.

Abb. 8: Menschenmassen am Grenzposten

Wie reagierte das Ausland, vor allem der Westen, darauf? Man sollte annehmen, daß allerorten Begeisterung herrschte. Erinnern wir uns aber an 1961: Der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy, der wenige Tage nach dem Mauerbau bei einer Rede in Berlin die Worte sprach: „Ich bin ein Berliner“ und damit so große Begeisterung auslöste, daß dieser Satz immer noch als geflügeltes Wort gilt und in vielerlei Abwandlungen seither verwendet wurde, sagte gleich nach dem Mauerbau im Kreis seiner Berater: „Eine Mauer ist verdammt noch mal besser als Krieg“. Und Harold MacMillan, der britische Premierminister sagte öffentlich:„Die Ostdeutschen halten den Flüchtlingsstrom auf und verschanzen sich hinter dem eisernen Vorhang. Daran ist an sich nichts Gesetzwidriges“. Nach westlicher Solidarität klang das wahrhaftig nicht. Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß das alles sich erst 16 Jahre nach Kriegsende ereignete – es muß schon befremden.

Abb. 9: „Öffnung des Eisernen Vorhangs”, Plastik von Wolfgang Dreysse, Quedlinburg, aufgestellt in Hameln

Und nach dem Fall der Mauer gab es ebenfalls nicht ungeteilte Begeisterung, außer, dieses Mal, beim amerikanischen Präsidenten George H. Bush, der die deutsche (Wieder)vereinigung vorbehaltlos unterstützte. Der französische Premierminister François Mitterrand hielt den deutschen Wunsch nach Vereinigung für legitim, hatte aber große Angst vor der deutschen wirtschaftlichen Macht. Sein Landsmann François Mauriac ist für seinen Ausspruch bekannt: „Ich liebe Deutschland. Ich liebe es so sehr, daß ich zufrieden bin, weil es gleich zwei gibt“. Die britische Premierministerin Margret Thatcher mußte von ihrem persönlichen Berater ermahnt werden, zum Jahrestag der Vereinigung die Worte „Freund, Verbündeter und Partner“ zu verwenden. Und am 3. Oktober 1990 erhielt sie die schriftliche Empfehlung eines weiteren Beraters: „Wir sollten nett zu den Deutschen sein“. Sie selber hielt uns für „toads“, die zwielichtige, angeberische Kröte aus dem in England überaus bekannten Roman „The Wind in the Willows“ von Kenneth Grahame. Beide, Mitterrand und Thatcher, beknieten Gorbatschow, er möge es nicht zu einem vereinten Deutschland kommen lassen.

Abb. 10: Die erste frei Wahl in der DDR (18. März 1990)

Demokratie heißt, die Wahl zu haben; die Wahl zu haben heißt, Freiheit zu haben. Mit dieser Freiheit übernehme ich aber auch die Verantwortung für mich und mein Tun. Frei zu sein, ist nicht einfach. 

Abb. 11: Gorbatschow stimmt der NATO-Mitgliedschaft Deutschlands zu (15. Juli 1990)

Deutschland mußte sich jedenfalls erst in seine neue Rolle finden. Bis dahin war es ein „wirtschaftlicher Riese“, jedoch ein „politischer Zwerg“ gewesen. Die alte Bundesrepublik hatte sich bequem im Viermächtestatus eingerichtet, sich unter dem amerikanischen Atomschirm zwar eine relativ große Wehrpflichtarmee gehalten, die aber ausschließlich Verteidigungsaufgaben im eigenen Land erfüllen sollte, auf der großen politischen Bühne überließ sie gern den alten Siegermächten das Wort, verwies in allen Konflikten auf seine belastete Vergangenheit und hielt sich heraus, rief manchmal leise von unter dem Tisch her: „Hallo. Ich möchte dabei sein.“ Aber jetzt mußte es an die Verantwortung ran: „Wir können uns unserer Verantwortung nicht entziehen. Das ist der Grund, warum deutsche Soldaten zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg in einem Kampfeinsatz (auf dem Balkan) stehen”, erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Bundestag im Oktober 1998.

Und heute erleben wir die Fortsetzung: Soll, muß Deutschland seinen Verteidigungsetat auf 2% seines Haushalts erhöhen, so wie es sich 2014 in Wales und 2016 in Polen verpflichtet hat? Und wie es Trump immer wieder fordert, wodurch es vielen bei uns leicht fällt, dieses Ziel abzulehnen, weil man Trump ablehnt. Freiheit heißt eben auch, Verantwortung zu übernehmen.

1989 fiel die Mauer, 1990 vereinigten sich die beiden Teile Deutschlands zu einem Land. Nur wenige ahnten, welche Schwierigkeiten diese Vereinigung mit sich bringen würde. Was nicht verwundert, gab es doch keinen Präzedenzfall. Niemand hatte vorher aus zwei Ländern eins gemacht, noch dazu mit so extrem unterschiedlichen politischen Systemen. Ein neues Deutschland, das seinen Bürgern Freiheit bot, etwas, das den einen selbstverständlich geworden war, an das die anderen sich erst noch gewöhnen mußten. Daß nicht gleich alles so lief, wie man sich das vorgestellt hatte, belegt ein Ausspruch einer führenden DDR-Dissidentin, die später auch am Runden Tisch eine gewichtige Rolle spielte: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“

KH

Bildquellen: Abb. 1 – 8 und 10 & 11: Bundesarchiv; Abb. 9: Photo Klaus Holzer

Das Mahnmal „VERGESST UNS NICHT. 1953″ von Otto Holz

von Klaus Holzer

Das Mahnmal „Vergesst uns nicht 1953“ wurde am 25. Oktober 1953 eingeweiht und stand bis zum Beginn der Arbeiten am Sesekepark an seiner Stelle am Sesekedamm. Dann wurde es wegen der Bauarbeiten entfernt und befindet sich zur Zeit in einer Steinmetzwerkstatt in Bergkamen zur Restaurierung.

Abb. 1: Das Mahnmal „VERGESST UNS NICHT 1953“ von Otto Holz

Bevor es abgebaut wurde, versprach Dr. Liedtke, es werde wieder an seine alte Stelle kommen, denn für diesen Ort sei es konzipiert worden, und es bilde ja auch eine Einheit mit der 1989, 50 Jahre nach Kriegsbeginn, gepflanzten „Friedenslinde“ mit ihrer Tafel DIE „KAMENER JUGENDLICHEN FÜR FRIEDEN UND VÖLKERVERSTÄNDIGUNG – NIE WIEDER KRIEG“ eine Einheit.

Was hat es mit diesem Mahnmal auf sich? Viele, vor allem jüngere, Kamener wissen vielleicht gar nicht, woran es erinnern soll. Auch wenn für manche der Gedanke naheliegt – es steht nicht für die Opfer des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in Ostberlin, sondern erinnert an diejenigen Deutschen, die zu jener Zeit noch in Kriegsgefangenschaft waren. Im Verlaufe des Jahres 1953 entwickelte sich in der bundesdeutschen Bevölkerung immer stärker das Gefühl, daß es im neunten Jahr nach Kriegsende nicht immer noch Kriegs– und Zivilgefangene in Ländern der Alliierten geben dürfe, vor allem in der UdSSR, wo, wie der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer am 2. Oktober erklärte, Männer und Frauen „immer noch der Stacheldraht umschließt und die sowjetische Posten bewachen“. „Die meisten von ihnen waren unter den groteskesten Vorwänden in den Jahren 1950 und 1951 zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt und zu Kriegsverbrechern gestempelt worden.“ (WR, 2.10.1953)

Daher fand vom 17. – 25. Oktober 1953 eine bundesweit begangene Kriegsgefangenen-Gedenkwoche statt, die offenbar im ganzen Land große Zustimmung erfuhr. In dem bundesweit veröffentlichten Appell hieß es: „Wir selber wollen aus dieser Hoffnung heraus nicht müde werden, vor der Weltöffentlichkeit zu mahnen, zu bitten und zu flehen und zum Herrgott zu beten, daß, wenn manche Machthaber der Welt nicht helfen können und andere gar wider uns und unsere Gefangenen sind, er sich unser erbarmt.“

Abb. 2: Der Künstler Otto Holz, 1907 – 1988

Mit dem Entwurf für dieses Mahnmal wurde Otto Holz beauftragt, damals Kunstlehrer am Städtischen Neusprachlichen Gymnasium Kamen. Dieser war ein Künstler, der radikal mit der traditionellen Kunst gebrochen hatte. Pathos und die Glorifizierung von Heldentum waren ihm fremd. Daher entsetzte sein Kunstwerk (ja, in diese Kategorie gehört das Mahnmal) viele Kamener, die etwas Traditionelles erwartet hatten, etwa im Stile des Denkmals an der Waldstraße neben Grundhöfer in Overberge.

Abb. 3: Die Einweihungsfeier am 25. Oktober 1953

Die Einweihung des Mahnmals am 25. Oktober 1953 zeigte, in welchem Maße ganz Kamen Anteil nahm. „Rund 4000 Teilnehmer bevölkerten den Sesekedamm und die Bahnhofstraße zur Zeit der Feierstunde“, schreibt die WR einen Tag später. Der Posaunenchor spielte, Sprecher verschiedener Vereine und Verbände appellierten an die „Gewahrsamsmächte“ und das „Weltgewissen“, die Gefangenen aus ihrer Rolle als „politisches Wechselgeld“ zu entlassen. Pfarrer Busch und Pfarrer Rawe schlossen sich an, Erich Reichelt rief dazu auf, „die Brücke zwischen Heimat und Gefangenen nicht zusammenbrechen zu lassen“. Dann nahm Bürgermeister Rissel „das Mahnmal mit einem Appell an die Friedensbereitschaft der Welt in die Obhut der Stadt“. (WR, 26.Okt.1953)

Abb. 4: Das Ensemble aus Mahnmal und Friedenslinde vor dem Bau des Sesekeparks

Denk– und Mahnmale haben die Funktion, die Menschen an Dinge zu erinnern, die einschneidende Ereignisse in ihrer und der Geschichte ihrer Nation darstellen, sie vor dem Vergessen zu bewahren. Ihre Form verrät viel über den Geist ihrer jeweiligen Entstehungszeit und bewahrt so, über den historischen Anlaß hinaus, auch das künstlerische Ausdrucksvermögen ihrer Epoche. Das gilt in ganz besonderem Maße für Otto Holz‘ Mahnmal am Ssekedamm.

Es stand seit seiner Einweihung an seinem Ort, war immer von Stacheldraht umschlossen, der inzwischen, zeitbedingt, Rost zeigt. Es stand immer nur ca. zwei Meter vom Gehweg entfernt, 65 Jahre lang. Nie hat sich jemand am Stacheldraht verletzt. Warum sollte das jetzt anders sein? Der Abstand zwischen Friedenslinde und Treppe zum Ufer hinunter ist groß genug, außerdem wird der Spaziergänger noch durch den Strauch zwischen der Freifläche und der Treppe geschützt. Das Mahnmal verdient, an seinem angestammten Ort wieder aufgestellt zu werden, an der prominenten Stelle im östlichen Teil des Sesekeparks, in Einheit mit der prächtig gediehenen Linde. Der Platz ist vorhanden. Dort gehört es wieder hin. 

Klaus Holzer

KKK

Quelle der Abb.: Abb. 1 & 4: Photo Klaus Holzer; Abb. 2 & 3: Archiv Klaus Holzer

Nachtrag: Am 28. März 2019 entschied der Kulturausschuß des Kamener Rates, der Beschlußvorlage der Stadtverwaltung folgend, das Mahnmal „VERGESST UNS NICHT 1953″ nicht mehr an seinem alten Standort am Sesekeufer aufzustellen, sondern auf der Grünfläche vor dem Amtsgericht.

KH

Die Maibrücke

von Klaus Holzer

Abb. 1: So kennen wir die Maibrücke seit 2001

Ein Fluß bedeutet für eine Stadt immer zweierlei: er verbindet und trennt gleichzeitig. Er verbindet, weil es sich anbietet, an beiden Ufern zu siedeln, er trennt, weil man nicht einfach auf die andere Seite gehen kann. Dazu braucht es eine Furt, ein „Bohlenwerk“, dann eine Brücke. Das kann man besonders schön an dieser Darstellung der Seseke als Gemarkungsgrenze erkennen. Nur Kamen liegt nördlich und südlich des Flusses, weil hier eine Furt die Querung erlaubte, weswegen Nord-Südreisende zwischen Lippe und Hellweg immer hier durchkamen, und die ersten Siedler dies als Chance begriffen.

Abb. 2: Die Seseke als Gemarkungsgrenze

Der Fluß war also für die Gründung Kamens von grundlegender Bedeutung: man konnte sich nur niederlassen, wo es die 4 W gab: Wasser, Wald, Weide, Wege. Wasser als allgemein lebenswichtigen Stoff, aber auch Fische, Krebse und Muscheln im Fluß; Boden zur Anpflanzung von Getreide; Weide für das Vieh, auch als Winterfutter; Wald als Lieferant für Bau- und Feuerholz, das darin lebende Wild für die Ernährung, aber auch Beeren, Pilze usw. Außerdem war ein Fluß wichtiger Transportweg, der auch noch passierbar war, wenn „normale“ Wege und Straße schon im Schlamm versanken und unpassierbar waren.

Abb. 3: Das Mühlentor 1777

Es wird im Laufe von Kamens früher Geschichte eine nicht geringe Anzahl mehr oder minder kleiner Brücken gegeben haben, meist waren das vermutlich einfache Stege. Eine stärkeres Bauwerk wird es wohl schon früh am Mühlentor1 gegeben haben, dem wichtigsten Stadttor. Mit dem Heranwachsen Kamens im 13. Jh. zur befestigten mittelalterlichen Stadt wuchsen Gewerbe und Handel. Die Fuhrwerke wurden größer, damit schwerer, die Stege reichten nicht mehr aus. Es brauchte eine „richtige“ Brücke, natürlich dort, wo der Verkehr am stärksten war, am Mühlentor, der Verbindung zum Hellweg. Dennoch dauerte es bis 1695, daß die Maibrücke zum ersten Mal erwähnt wird, als „Homeybrücke“2. Wie wurde daraus unsere „Maibrücke“?

Vor allen ursprünglich sechs Stadttoren hat es befestigte Torhäuser gegeben, am Mühlentor zusätzlich eine Zugbrücke über den Fluß, am Mühlen~ und Nordentor obendrein noch Homeyen (und jeweils auch ein kleines Gefängnis). Dazu Hugo Craemer: „[Homeyen] sind feste Balkentore […] am Beginn der Brücken. […] Nachdem im 18. Jahrhundert die Befestigung durch Wall und Gräben aufgehoben wurde und der Zweck der Homeyen als Sperrmittel fortfiel, kam auch bald der Name in Vergessenheit, und der Volksmund prägte den kurzen Ausdruck Maibrücke.“3

„Homey“ kommt von hamm4, das bedeutet so viel wie Zaun, Hegung, geschütztes Gelände. Dazu gibt es eine mittelniederdeutsche Weiterbildung hameide, mittelhochdeutsch hamît, was so viel bedeutet wie Zaun, Gatter, Verhau, Schlagbaum, Sperre, das kann auch ein Pfahl- oder Pfostenwerk sein. Hierbei handelt es sich um ein ursprünglich fränkisches Wort, das ins Altfranzösische übernommen wurde, von dort zurückentlehnt wurde und so die Betonung auf die zweite Silbe legte: haméide. Die erste Silbe wurde damit tonlos, konnte also später entfallen: meide, meie.5 Die Voraussetzung für dieses verkürzte Wort hatte natürlich der Umweg über das Altfranzösische geliefert. Die Zeit ging über eine Sache hinweg, ein verstümmeltes Wort blieb zurück und gab unserer Brücke ihren heutigen Namen.6

 Wir müssen uns eine solche Toranlage wohl so vorstellen, daß, um eine möglichst starke Sicherung zu erhalten, Tore durch ein Vortor geschützt wurden, damit eventuelle Angreifer schon früh abgefangen werden konnten. Einen weiteren Zweck dürfte ein Homey ebenfalls gut erfüllt haben. An Markttagen (seit der Mitte des 13. Jh. drei Wochenmärkte, zwei Jahrmärkte!) herrschte an diesem Stadttor reger Verkehr. Am Homey mußten Händler die Akzise7 entrichten, was gewissermaßen eine Standgebühr für den Markt war. Und die Argumentation der Stadt lautete einfach: Händler wollen bei uns Waren verkaufen, also Geld aus der Stadt mitnehmen. Je nach Wert ihrer Waren sollen sie zum Wohle der Stadt beitragen. Man hatte schließlich das Marktrecht. Kaufleute und Bauern wollten zum Markt und ihre Waren verkaufen. Es gab gute Geschäfte, weil die Kamener sie schon sehnsüchtig erwarteten. Schließlich gab es nicht nur Waren, die man brauchte, sondern, besonders auf den Jahrmärkten, Unterhaltung durch Gaukler und Musiker, vor allem aber auch Neues aus aller Welt, was damals so viel bedeutete wie aus der weiteren Umgebung. Hansekaufleute konnten tatsächlich aus der „weiten Welt“ berichten. Der gewöhnliche Bürger kam nicht weit aus Dorf oder Stadt hinaus.

Abb. 4: Marktgeschehen; hier eine französische Darstellung von ca. 1400

Aber natürlich wurde eine so stabile Brücke auch für ganz andere Zwecke benutzt. Hugo Craemer schreibt 1929: „[…] bildeten auch die Schweine einen wertvollen Bestandteil bürgerlichen Besitzes. Sie wurden ebenfalls im Sommer zur Weide, im Herbst zur Mast getrieben, und zwar von dem Schweinehirten. Davon erzählen die Flurnamen Schweinsstraße vor dem Mühlentore, das Schweinemersch ebenda, An der Saustraße und im Saukamp […]. Während diese Orte der Sommerfütterung dienten, fand in der Meynheit8 die Mästung statt. […]. Zur Eichelmast ins Große Holz durften nur die Schweine der Vögte und Ritter eingetrieben werden. So hatte der Hering-, später Edelkirchenhof, die Mastgerechtigkeit mit 20 Schweinen im Hohen Holz, mit 3 Schweinen in der Lerker (Anm.: Lercher) Mark. Die Zahl der einzutreibenden Schweine war genau festgelegt. Der Eintrieb für die Schweine der Bürger fand nur im Herbst über die Maybrücke statt. Im Schweinemersch unter der alten Linde trug der Sekretarius die Besitzer der Borstenträger in das Mastbuch ein. Hier erhielten die Schweine auch das Brandmal. Mit großem Jubel wurden im Spätherbst die gemästeten Tiere hier wieder in Empfang genommen.“9 Und es läßt sich gut vorstellen, daß gefeiert wurde, und vermutlich haben nicht alle frisch gemästeten Borstentiere die Heimkehr lange überlebt.

Abb. 5: Schweine bei der Eichelmast

Bis 1923 war die Maibrücke Kamens einzige Straßenbrücke, entsprechend hoch war der Verschleiß der Substanz, zumal seit 1909 auch noch die Straßenbahn, die Kleinbahn UKW, über sie führte. Daher verwundert es nicht, daß sie 1923 so marode war, daß sie für allen Verkehr gesperrt werden mußte. 

Abb. 6: Die marode Maibrücke, ca. 1910

Jetzt rächte es sich, daß man so wenig weitsichtig gewesen war, es fehlte eine zweite Brücke. August Siegler schreibt 1926/27: „Bei dem Neubau der Maibrücke zeigte es sich, wie notwendig es war, daß neue Wege über die Seseke geschaffen wurden. Im Jahre 1921 brach man zuerst die halbe alte Brücke ab, um den Neubau ohne Unterbrechung des Verkehrs, der gerade damals sehr stark war, durchzuführen. Jedoch konnte der stehengebliebene Rest der Brücke bei der äußerst starken Inanspruchnahme nicht standhalten, zumal die Stützmauer an der Westseite abgebrochen war, wodurch der restliche Brückenteil seinen festen Halt verloren hatte. Eines Tages versagte die Brücke ihren Dienst. Sie konnte ohne große Gefahr nicht mehr befahren werden. Zum Glück hatten die Bauleiter die Gefahr frühzeitig genug erkannt und sperrten die Brücke für Fuhrwerke. Es dauerte einige Tage, bis durch lange T-Eisen wieder eine feste Grundlage für einen Brückenweg geschaffen war.“

Abb. 7: Die Bahnhofstraße mit Straßenbahn (Kleinbahn UKW) von der Maibrücke aus

Und weiter: „Bis zur Fertigstellung dieser Notbrücke war die Stadt mit Fuhrwerken nur auf Umwegen zu erreichen und zu verlassen. Die schwache Holzbrücke im Osten der Stadt (Anm.: die heutige Ängelholmer9a Brücke) war dem Ansturm nicht gewachsen und mußte bald für Fuhrwerke polizeilich gesperrt werden, um weiteres Unheil zu verhüten. Aller Fuhrverkehr mußte nun über Westick oder Derne–Heeren geleitet werden, weil Kamen nur den einen Verkehrsweg hatte, der nun nicht benutzt werden konnte. Da seit Beginn des Brückenbaues fast ein Jahr vergangen war, wurde Herr Bergrat Funcke, der seit einiger Zeit in Wittbräucke wohnte, gebeten, als Vorsitzender des Vorstandes der Seseke–Genossenschaft dahin zu wirken, daß Kamen bald aus dieser Verkehrsnot erlöst und die Fertigstellung der Brücke beschleunigt würde. Diese Bitte hatte den Erfolg, daß die Brücke nun in einigen Wochen fertiggestellt wurde. Das war im Juni 1921. Die überstandenen Schwierigkeiten haben aber doch ihren Nutzen geschaffen. Man hatte allgemein die Ansicht gewonnen, daß der bisherige Zustand nicht bestehen bleiben durfte, daß weitere Wege über die Seseke angelegt und zur Verwirklichung solcher Anlagen Opfer gebracht werden mußten.“10

Abb. 8: Die frühere Binde–, dann Vinckebrücke 

Abb. 9: Die Vinckebrücke wird 2018 abgebrochen 

Und da man nun schon einmal dabei war, die gesamte Situation neu zu regeln, wurde auch gleich noch ein reine Fußgängerbrücke gebaut, die Bindebrücke.11 Und da man sich sicher war, daß durch die Regulierung der Seseke die Hochwassergefahr im wesentlichen gebannt war, konnte man auch die Straßenbrücke Rathenaustraße, heute Koppelstraße, und Hindenburgdamm (heute Sesekedamm) – Ostenallee (damals ohne Namen) neu bauen.

Abb. 10: Die Maibrücke mit Verkehr, 1985

Die Maibrücke blieb noch bis 2001 eine Brücke, über die unterschiedslos aller Verkehr geleitet wurde, Fußgänger, Fahrradfahrer, PKW, Linienbusse und mancher LKW. So kam es, daß sie im Jahr 2002 wieder saniert werden mußte, wieder nicht nur als Einzelmaßnahme, sondern im Rahmen eines Gesamtkonzeptes. Um den dichten Verkehr zu entzerren, sperrte man die Maibrücke für allen motorisierten Verkehr und baute die Partnerschaftsbrücke 2001 ganz neu, nur wenige Meter flußaufwärts. Durch den Bau von zwei Kreisverkehren – Bahnhofstraße/Sesekedamm und Poststraße/Sesekedamm/ Partnerschaftsbrücke – zusammen mit dem Verkehrsschluß Innerer Ring wurde eine ganz neue Verkehrsführung geschaffen, die Maibrücke entlastet. Im Jahre 2018 wird sie de facto Bestandteil des neuen Sesekeparks.

Abb. 11: Brückenpfeiler mit Bleier, früher einmal Hochwassermarke

Auf beiden Seiten der Maibrücke sind ihr Name und der Kömsche Bleier in die Pfosten eingemeißelt. Aus dem Fischmaul tritt eine waagerechte Linie aus, die von vielen für eine Marke gehalten wird, die den Höchstwasserstand der Seseke angibt. Das trifft jedoch nicht mehr zu, sie ist viel zu niedrig. Die alte Hochwassermarke, die früher am alten Rathaus angebracht war, traf es da viel besser.12

Und auch wenn der Kömsche Bleier heute nicht mehr in der Seseke schwimmt13, er ist noch lebendig, lebt in den Plastiken von Lothar Kampmann zwischen Mai– und Partnerschaftsbrücke und Winfried Totzek am Beginn des Fahrradweges an der Ängelholmer Brücke.

Abb. 12: Der Kömsche Bleier von Lothar Kampmann

Abb. 13: Der Kömsche Bleier von Winfried Totzek

KH

Abbildungen:

Abb. 1, 8, 9, 11, 12, 13: Photo Klaus Holzer; Abb. 2: aus Theo Simon, Kleine Kamener Stadtgeschichte, Kamen 1982; Abb. 3, 6, 7: Stadtarchiv Kamen; Abb. 4 : aus Jörg Schwarz, Stadtluft macht frei. Darmstadt 2008; Abb. 5: Wikipedia; Abb. 10: Archiv Klaus Holzer

 

1 Durch dieses Stadttor, über diese Brücke, lief die Verbindung zur wichtigsten Handelsstraße des MA, die schon zur Römerzeit existierte, dem Hellweg, der Verbindungsstraße zwischen Brugge an der Nordsee und Nowgorod in Rußland. Daher verlor das älteste Stadttor, das Langebrüggentor, auch Wünnenporte genannt, erstmals im Jahre 1342 erwähnt, an Bedeutung und wurde 1660 abgerissen.

Klares Zeichen für die Bedeutung des Hellwegs ist auch der Unnaer Goldschatz: 1952 wurden in Unna fast 250 Goldstücke gefunden, die um 1375 vergraben worden waren. Darunter finden sich Gulden aus Prag, Wien, Salzburg, Budapest und Lübeck, dazu „goldene Schilde“ aus Paris und Antwerpen sowie ein seltener englischer Noble: allesamt Ausdruck der weitreichenden Handelsbeziehungen schon im 14. Jh., die es ohne den Hellweg nicht gegeben hätte.

Das große Haus mit dem Wandgemälde einer Mühle (Bahnhofstraße 51) war früher tatsächlich eine solche, zuletzt die Mühle Ruckebier. Sie wurde 1973 abgerissen. Die ursprüngliche Mühle gab es wahrscheinlich schon vor der Stadtgründung (Wassermühlen waren in Europa vermutlich schon seit dem 10. Jh. bekannt), sicher schon im 13. Jh.

Vor der Mühle war der Mühlenkolk (Kolk = Strudel im Wasser, Höhlung am Flußufer; auch afries. Grube, Loch, Wasserloch; verw. mit „Kehle“, architekt. „Hohlkehle“), in dem Frauen noch bis in das 20. Jh. hinein ihre Wäsche ausspülten: das viele Soda, das zum Waschen von Wäsche benötigt wurde und die Haut der Hände stark angriff, mußte gründlich ausgespült werden. (vgl.a.Artikel Mühlentorweg)

2 Es gab bei uns früher auch den Familiennamen Homeyer. Es darf angenommen werden, daß ein Vorfahr früher einmal in einem solchen Homey Dienst geschoben hat.

3 Zechen-Zeitung der Schachtanlagen Grillo und Grimberg, Gelsenkirchener Bergwerks AG., 5. Jg.,  1929, Nr. 6

4 Hier steckt auch unser „Hemsack“ drin. Ein hamm ist ein von zwei Flußläufen bzw. ~armen umgebenes, d.h., geschütztes Gelände, bei uns sind das Seseke und Körne; vgl. a. Hamm, Hamburg, Bopparder Hamm u.a.

5 Leopold Schütte, Wörter und Sachen aus Westfalen 800 bis 1800, 2. überarb. u. erw. Auflage, Münster 2014; 

Pauls Derks, Universität Essen, 2013

6  vgl.a.Artikel Mühlentorweg

7 Eine Steuer, die auf die Einfuhr von Waren erhoben wurde. Die Stadtmauer und ihre Tore hatten im Dreißigjährigen Krieg ihren Sinn verloren, verfielen und wurden früher oder später abgerissen. Als Kamen 1701 preußisch wurde und 1717 die Akzise wieder eingeführt wurde, erhielten beide vorübergehend wieder ihre Bedeutung, vor allem die Homeyen, weil bei Betrieb hier die Akzise bezahlt werden mußte. Ende des Jahrhunderts wurde sie wieder abgeschafft. Man hatte ihre den Handel behindernde Wirkung erkannt.

Wie wichtig diese Steuer aber für den städtischen Haushalt war, zeigt die Aufstellung, die Pröbsting für 1605 gibt: von 940 Thalern stammen 432 aus der Accise!

8 was der Allgemeinheit gehörte: die Allmende

9 Zechen-Zeitung der Schachtanlagen Grillo und Grimberg, Gelsenkirchener Bergwerks AG., 5. Jg.,  1929, Nr. 8)

9a Bis Ende der 1920er Jahre Holzbrücke, dann bis 1969 Eisenbrücke mit Betonelementen, danach die heutige Brücke, seit 2013 Ängelholmer Brücke.

Die heutige Ostenallee war damals ein unbefestigter Weg, hatte auf einer Seite einen ehemaligen Stadtgraben, auf der anderen wild wachsende Weißdornbüsche, mehrere Meter hoch. Wenn sie im Winter vom Schnee beladen heruntergedrückt wurden, erschien dieser Weg als Hohlweg. Er hatte keinen Namen, wurde aber inoffiziell von vielen Schwarzer Weg genannt.

10 Siegler, August, Die Entwicklung der Stadt Kamen. Rückblick, Vergleich, Ausblick. Rückblick auf 50 Jahre: 1873 – 1926. Abgedruckt in: Zechenzeitung1926/27 (in 7 Folgen). Hier: 2. Teil

11 vgl.a. Artikel „100 Jahre Sesekeregulierung“

12 vgl.a.Artikel „100 Jahre Sesekeregulierung“

13 Meine Anfrage an den Lippeverband, ihn aus Beständen in Unnas Partnerstadt Döbeln wieder in der Seseke anzusiedeln, wurde abschlägig beschieden.

Schleppweg

von Klaus Holzer                                                             

Straßennamen verändern sich immer wieder im Laufe der Zeit. Der Schleppweg z. B. hat eine ganz eigene Geschichte.

Der eigentliche Schleppweg ist die jetzige Südkamener Straße zwischen der Unnaer Straße und der Dortmunder Allee. In den 1920er Jahren wurde „ unter dem Schleppwege“ eine Zechensiedlung gebaut. Aus den parallel untereinander laufenden Straßen wurde dann der Obere und der Untere Schleppweg. Nach der Anlage des neuen Friedhofs in Südkamen wurde aus dem Oberen Schleppweg die Südkamener Straße. Das „Untere“ wurde gestrichen, es gab ja nur noch einen Schleppweg.    

Der Name kommt ursprünglich von Schliepweg. Die Schliepe (von schleifen, ziehen) ist ein einfaches Holzgestell, das aus zwei gleich langen Stangen besteht, die durch Querstangen verbunden sind. Darauf nagelt man ein paar Bretter, dann läßt sich diese Konstruktion einfach ziehen. Mist aus dem Stall oder andere Dinge, mit denen man für kurze Wege die Radkarre nicht benutzen oder, besser gesagt, beschmutzen wollte, kamen auf die Schliepe. 

Was hat das nun mit dem Schleppweg zu tun? Ein Stück oberhalb des Schleppweges, am jetzigen Südweg, stand ein gegen Dortmund gerichteter Galgen, eine deutliche Warnung an Fremde, Gauner und Mörder. 

Kam es wirklich einmal zu einem Todesurteil, ließ man sich das Schauspiel der Hinrichtung möglichst nicht entgehen. Das war sozusagen Gratisunterhaltung, man empfand wohlige Schauer, war man selber doch sicher. Die Bürger zogen mit Kind und Kegel und Proviant zum Richtplatz und machten sich „einen schönen Tag”. Die durch den Strick Erwürgten blieben zur Abschreckung dort hängen, und weil die Raben  sich an den menschlichen Kadavern gütlich taten, wurde der Richtplatz auch oft Rabenstein genannt. Die Bauern, die ihre Felder dort hatten, fanden solche Veranstaltungen weniger gut, zertrampelten die Zuschauer doch ihre Äcker.

Was von dem armen Menschen, der dort hing, nach einigen Wochen übrig war, mußte nun unter die Erde. Und hierbei kam die Schliepe zum Einsatz. Nur die Ärmsten der Armen waren zu diesem Dienst als Nachrichter, d.h., Helfer der Henker, bereit. Einen eigenen Wagen oder eine Karre hatten sie nicht, auch hätte ihnen niemand eine geliehen. Statt der Querbretter spannte man ein altes Tuch zwischen die Stangen, in das später die Leiche eingewickelt wurde.

Doch wohin damit? Auf den Kirchhof konnte sie nicht, ein gehenkter Verbrecher bekam kein christliches Begräbnis, er „kam ja auch nicht in den Himmel“. Es ist nicht immer ganz klar, wo eine solche Leiche verscharrt wurde. In Kamen gibt es leider keine Quelle, die uns Heutigen hierüber Auskunft geben könnte. Doch gab es offenbar unterschiedliche Verfahrensweisen. Am weitesten verbreitetet war das Verscharren auf dem Schindanger, dem „Anger1, an dem das gefallene Vieh geschunden wurde“ (Grimmsches Wörterbuch).

Mancherorts wurden sie wohl auch auf dem Armenfriedhof verscharrt. Dieser lag meistens vor der Mauer und war für Fremde bestimmt, die kein Geld für die Stolgebühren2 hatten, für Ungetaufte und ausgestoßene Menschen.  

Jede Schicht3 hatte, um Seuchen zu vermeiden, einen von der Stadt zugewiesenen Ort, wo Tierkadaver oder Schlachtreste entsorgt werden mußten. In Kamen lag einer dieser sogenannten Filleplätze, der für die Mühlenschicht, auf dem Gebiet mit der Flurbezeichnung Steinacker, ein Stück unterhalb des Schliepweges. Vielleicht wurden die armen Sünder in Kamen  auch dort verscharrt, wer weiß? 

Gleich nebenan liegen der „Steinacker” und der „Malter”. Der erste Name erklärt sich selbst: steiniger, d.h., schwer zu bearbeitender, wenig ertragreicher Acker. Und der zweite Name bestätigt, daß es sich hier um ehemals landwirtschaftliches Gelände handelt. Das Wort leitet sich aus einem Hohlmaß für Getreide her, das je nach Region zwischen 100 und 700 Litern betragen konnte. Die ursprüngliche Bedeutung war „die auf einmal gemahlene Getreidemenge”.

KH, unter Verwendung eines Artikels von Edith Sujatta

1 Schon in germanischer Zeit ein Stück Grasland vor oder nahe einer Siedlung, das allen gemeinsam gehörte. Dort gab es gemeinschaftliche Feste, Backen oder Schlachten. Der Schindanger hieß in Kamen Filleplatz und diente dem Abdecker zur Beseitigung von Tierkadavern, was aus hygienischen, d.h., gesundheitlichen Gründen enorm wichtig war.

2 Vor der Einführung der Kirchensteuer 1919 die Gebühren, die der Priester für alle Tätigkeiten nahm, zu denen er die Stola umlegen mußte, das waren die sog. Kasualien wie Taufe, kirchliche Trauung und kirchliche Begräbnisfeier. Ausgenommen von der Stolgebühr waren immer: Kommunion bzw. Abendmahl, Beichte, Kranken- und letzte Ölung. Mancherorts gibt es noch heute Stolgebühren.

3 Kamen war früher in Schichten eingeteilt, Nachbarschaften, die jeweils einem Stadttor zugeordnet waren, für das sie verantwortlich waren. Es gab eine Fülle von öffentlichen und sozialen Pflichten innerhalb solcher Nachbarschaften.